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Autor: Heinrich Heine
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Titel: Lyrisches Intermezzo
Untertitel:
aus: Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo, S. 69–128
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Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1823
Verlag: Dümmler
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Erscheinungsort: Berlin
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[69]

Lyrisches Intermezzo.



[71]

     I.

     Aus meinen Thränen sprießen
Viel blühende Blumen hervor,
Und meine Seufzer werden
Ein Nachtigallenchor.

5
     Und wenn du mich lieb hast, Kindchen,

Schenk’ ich dir die Blumen all’,
Und vor deinem Fenster soll klingen
Das Lied der Nachtigall.


     II.

     Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne,
Die liebt’ ich einst alle in Liebeswonne.
Ich lieb’ sie nicht mehr, ich liebe alleine
Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
Sie selber, aller Liebe Bronne,
Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.

[72]

     III.

     Wenn ich in deine Augen seh’
So schwindet all mein Leid und Weh;
Doch wenn ich küsse deinen Mund,
So werd’ ich ganz und gar gesund.

5
     Wenn ich mich lehn’ an deine Brust,

Kommt’s über mich wie Himmelslust;
Doch wenn du sprichst: ich liebe dich!
So muß ich weinen bitterlich.


     IV.

     Dein Angesicht so lieb und schön,
Das hab’ ich jüngst im Traum gesehn;
Es ist so mild und engelgleich,
Und doch so bleich, so schmerzenbleich.

5
     Und nur die Lippen, die sind roth;

Bald aber küßt sie bleich der Tod.
Erlöschen wird das Himmelslicht
Das aus den frommen Augen bricht.

[73]

     V.

     Lehn deine Wang’ an meine Wang’,
Dann fließen die Thränen zusammen;
Und an mein Herz drück’ fest dein Herz,
Dann schlagen zusammen die Flammen!

5
     Und wenn in die große Flamme fließt

Der Strom von unsern Thränen,
Und wenn dich mein Arm gewaltig umschließt –
Sterb’ ich vor Liebessehnen!


     VI.

     Ich will meine Seele tauchen
In den Kelch der Lilie hinein;
Die Lilie soll klingend hauchen
Ein Lied von der Liebsten mein.

5
     Das Lied soll schauern und beben,

Wie der Kuß von ihrem Mund’,
Den sie mir einst gegeben
In wunderbar süßer Stund’.

[74]

     VII.

     Es stehen unbeweglich
Die Sterne in der Höh’,
Viel tausend Jahr, und schauen
Sich an mit Liebesweh.

5
     Sie sprechen eine Sprache,

Die ist so reich, so schön;
Doch keiner der Philologen
Kann diese Sprache verstehn.

10
     Ich aber hab’ sie gelernet,

Und ich vergesse sie nicht;
Mir diente als Grammatik
Der Herzallerliebsten Gesicht.

[75]

     VIII.

     Auf Flügeln des Gesanges,
Herzliebchen, trag’ ich dich fort,
Fort nach den Fluren des Ganges,
Dort weiß ich den schönsten Ort.

5
     Dort liegt ein rotblühender Garten

Im stillen Mondenschein;
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schwesterlein.

10
     Die Veilchen kichern und kosen,

Und schau’n nach den Sternen empor;
Heimlich erzählen die Rosen
Sich duftende Mährchen in’s Ohr.

15
     Es hüpfen herbey und lauschen

Die frommen, klugen Gazell’n;
Und in der Ferne rauschen
Des heiligen Stromes Well’n.

[76]

20
     Dort wollen wir niedersinken

Unter dem Palmenbaum,
Und Liebe und Ruhe trinken,
Und träumen seligen Traum.

[77]

     IX.

     Die Lotosblume ängstigt
Sich vor der Sonne Pracht,
Und mit gesenktem Haupte
Erwartet sie träumend die Nacht.

5
     Der Mond, der ist ihr Buhle,

Er weckt sie mit seinem Licht’,
Und ihm entschleyert sie freundlich
Ihr frommes Blumengesicht.

10
     Sie blüht und glüht und leuchtet,

Und starret stumm in die Höh’;
Sie duftet und weinet und zittert
Vor Liebe und Liebesweh’.

[78]

     X.

     Im Rhein, im heiligen Strome,
Da spiegelt sich in den Well’n,
Mit seinem großen Dome,
Das große heilige Cöln.

5
     Im Dom’ da steht ein Bildniß,

Auf goldenem Leder gemalt;
In meines Lebens Wildniß
Hat’s freundlich hineingestralt.

5
     Es schweben Blumen und Englein

Um unsre liebe Frau;
Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
Die gleichen der Liebsten genau.

[79]

     XI.

     Du liebst mich nicht, du liebst mich nicht,
Das kümmert mich gar wenig;
Schau’ ich dir nur in’s Angesicht,
So bin ich froh’ wie’n König.

5
     Du hassest, hassest mich sogar,

So spricht dein rothes Mündchen;
Reich’ mir es nur zum Küssen dar,
So tröst’ ich mich, mein Kindchen.


     XII.

     Du sollst mich liebend umschließen,
Geliebtes, schönes Weib!
Umschling’ mich mit Armen und Füßen,
Und mit dem geschmeidigen Leib.

* * *

5
     Gewaltig hat umfangen,

Umwunden, umschlungen schon,
Die allerschönste der Schlangen
Den glücklichsten Laokoon.

[80]

     XIII.

     O schwöre nicht und küsse nur,
Ich glaube keinem Weiberschwur!
Dein Wort ist süß, doch süßer ist
Der Kuß, den ich dir abgeküßt;

5
Den hab’ ich, und dran glaub’ ich auch,

Das Wort ist eitel Dunst und Hauch.

* * *


     O schwöre, Liebchen, immerfort,
Ich glaube dir auf’s bloße Wort!
An deinen Busen sink’ ich hin,

10
Und glaube daß ich selig bin;

Ich glaube, Liebchen, ewiglich,
Und noch viel länger liebst du mich.

[81]

     XIV.

     Auf meiner Herzliebsten Aeugelein
Mach’ ich die schönsten Canzońen.
Auf meiner Herzliebsten Mündchen klein
Mach’ ich die besten Terzinen.

5
Auf meiner Herzliebsten Wängelein

Mach’ ich die herrlichsten Stanzen.
Und wenn meine Liebste ein Herzchen hätt’,
So wollt’ ich drauf machen ein hübsches Sonett.


     XV.

     Die Welt ist dumm, die Welt ist blind,
Wird täglich abgeschmackter;
Sie spricht von dir, mein schönes Kind,
Du hast keinen guten Charakter.

5
     Die Welt ist dumm, die Welt ist blind,

Und dich wird sie immer verkennen;
Sie weiß nicht wie weich deine Arme sind,
Und wie deine Küsse brennen.

[82]

     XVI.

     Liebste, sollst mir heute sagen:
Bist du nicht ein Traumgebild’,
Wie’s in schwülen Sommertagen
Aus dem Hirn des Dichters quillt?

5
     Aber nein, ein solches Mündchen,

Solcher Augen Zauberlicht,
Solch ein liebes, süßes Kindchen,
Das erschafft der Dichter nicht.

     Basilisken und Vampyre,

10
Lindenwürm’ und Ungeheu’r,

Solche schlimme Fabelthiere,
Die erschafft des Dichters Feu’r.

     Aber dich und deine Tücke,
Und dein süßes Angesicht,

15
Und die falschen, frommen Blicke -

Das erschafft der Dichter nicht.

[83]

     XVII.

     Das ist ein Flöten und Geigen,
Trompeten schmettern drein;
Da tanzt den Hochzeitreigen
Die Herzallerliebste mein.

5
     Das ist ein Klingen und Dröhnen

Von Pauken und Schallmey’n;
Dazwischen schluchzen[1] und stöhnen
Die guten Engellein.


     XVIII.

     So hast du ganz und gar vergessen,
Daß ich so lang dein Herz besessen,
Dein Herzchen so süß und so falsch und so klein,
’s kann nirgends was süß’res und falscheres seyn.

5
     So hast du die Lieb’ und das Leid vergessen,

Die ’s Herz mir thäten zusammen pressen.
Ich weiß nicht war Liebe größer als Leid?
Ich weiß nur sie waren groß allebeid’!

[84]

     XIX.

     Und wüßten’s die Blumen, die kleinen,
Wie tief verwundet mein Herz,
Sie würden mit mir weinen,
Zu heilen meinen Schmerz.

5
     Und wüßten’s die Nachtigallen

Wie ich so traurig und krank,
Sie ließen fröhlich erschallen
Erquickenden Gesang.

     Und wüßten sie mein Wehe,

10
Die goldnen Sternelein,

Sie kämen aus ihrer Höhe,
Und sprächen Trost mir ein.

     Die alle können’s nicht wissen,
Nur Eine kennt meinen Schmerz;

15
Sie hat ja selbst zerrissen,

Zerrissen mir das Herz.

[85]

     XX.

     Warum sind denn die Rosen so blaß,
O sprich, mein Lieb, warum?
Warum sind denn im grünen Gras
Die blauen Veilchen so stumm?

5
     Warum singt denn mit so kläglichem Laut

Die Lerche in der Luft?
Warum steigt denn aus dem Balsamkraut
Hervor ein Leichenduft?

     Warum scheint denn die Sonn’ auf die Au’

10
So kalt und verdrießlich herab?

Warum ist denn die Erde so grau,
Und öde wie ein Grab?

     Warum bin ich selbst so krank und so trüb’,
Mein liebes Liebchen, sprich?

15
O sprich, mein Herzallerliebstes Lieb,

Warum verließest du mich?

[86]

     XXI.

     Sie haben dir viel erzählet,
Und haben viel geklagt;
Doch was meine Seele gequälet,
Das haben sie nicht gesagt.

5
     Sie machten ein großes Wesen,

Und schüttelten kläglich das Haupt;
Sie nannten mich den Bösen,
Und du hast alles geglaubt.

     Jedoch das Allerschlimmste,

10
Das haben sie nicht gewußt;

Das Schlimmste und das Dümmste,
Das trug ich geheim in der Brust.

[87]

     XXII.

     Die Linde blühte, die Nachtigall sang,
Die Sonne lachte mit freundlicher Lust;
Da küßtest du mich, und dein Arm mich umschlang,
Da preßtest du mich an die schwellende Brust.

5
     Die Blätter fielen, der Rabe schrie hohl,

Die Sonne grüßte verdrießlichen Blicks;
Da sagten wir frostig einander: „Lebwohl!“
Da knixtest du höflich den höflichsten Knix.


     XXIII.

     Wir haben viel für einander gefühlt,
Und dennoch uns gar vortrefflich vertragen.
Wir haben oft „Mann und Frau“ gespielt,
Und dennoch uns nicht gerauft und geschlagen.

5
Wir haben zusammen gejauchzt und gescherzt,

Und zärtlich uns geküßt und geherzt.
Wir haben am Ende, aus kindischer Lust,
„Verstecken“ gespielt in Wäldern und Gründen,
Und haben uns so zu verstecken gewußt,

10
Daß wir uns nimmermehr wiederfinden.

[88]

     XXIV.

     Ich glaub’ nicht an den Himmel,
Wovon das Pfäfflein spricht;
Ich glaub’ nur an dein Auge,
Das ist mein Himmelslicht.

5
     Ich glaub’ nicht an den Herrgott,

Wovon das Pfäfflein spricht;
Ich glaub’ nur an dein Herze,
’nen andern Gott hab’ ich nicht.

     Ich glaub’ nicht an den Bösen,

10
An Höll’ und Höllenschmerz;

Ich glaub’ nur an dein Auge,
Und an dein böses Herz.

[89]

     XXV.

     Du bliebest mir treu am längsten,
Und hast dich für mich verwendet,
Und hast mir Trost gespendet
In meinen Nöthen und Aengsten.

5
     Du gabest mir Trank und Speise,

Und hast mir Geld geborget,
Und hast mich mit Wäsche versorget,
Und mit dem Paß für die Reise.

     Mein Liebchen! daß Gott dich behüthe,

10
Noch lange, vor Hitz’ und vor Kälte,

Und daß er dir nimmer vergelte
Die mir erwiesene Güte.

[90]

     XXVI.

     Die Erde war so lange geitzig,
Da kam der May, und sie ward spendabel,
Und alles lacht, und jauchzt, und freut sich,
Ich aber bin nicht zu lachen kapabel.

5
     Die Blumen sprießen, die Glöcklein schallen,

Die Vögel sprechen wie in der Fabel;
Mir aber will das Gespräch nicht gefallen,
Ich finde Alles miserabel.

     Das Menschenvolk mich ennuyiret,

10
Sogar der Freund, der sonst passabel; –

Das kömmt, weil man Madame tituliret
Mein süßes Liebchen, so süß und aimabel.

[91]

     XXVII.

     Und als ich so lange, so lange gesäumt,
In fremden Landen geschwärmt und geträumt;
Da ward meiner Liebsten zu lang die Zeit,
Und sie nähete sich ein Hochzeitkleid,

5
Und hat mit zärtlichen Armen umschlungen,

Als Bräut’gam, den dümmsten der dummen Jungen.

     Mein Liebchen ist so schön und mild,
Noch schwebt mir vor ihr süßes Bild;
Die Veilchenaugen, die Rosenwänglein,

10
Die glühen und blühen, jahraus jahrein.

Daß ich von solchem Lieb konnt’ weichen,
War der dümmste von meinen dummen Streichen.

[92]

     XXVIII.

     Die blauen Veilchen der Aeugelein,
Die rothen Rosen der Wängelein,
Die weißen Lilien der Händchen klein,
Die blühen und blühen noch immerfort,

5
Und nur das Herzchen ist verdorr’t.


     XXIX.

     Die Welt ist so schön und der Himmel so blau,
Und die Lüfte die wehen so lind und so lau,
Und die Blumen winken auf blühender Au’,
Und funkeln und glitzern im Morgenthau’,

5
Und die Menschen jubeln wohin ich schau’, –

Und doch möcht ich’ im Grabe liegen,
Und mich an ein todtes Liebchen schmiegen.

[93]

     XXX.

     Mein süßes Lieb, wenn du im Grab,
Im dunkeln Grab wirst liegen,
Dann steig’ ich langsam zu dir hinab,
Und will mich an dich schmiegen.
 

5
     Ich küss’, ich umschlinge, ich presse dich wild,

Du Stille, du Kalte, du Bleiche!
Ich jauchze, ich zitt’re, ich weine mild,
Ich werde selber zur Leiche.

     Die Todten stehn auf, die Mitternacht ruft,

10
Sie tanzen im luftigen Schwarme;

Wir beide bleiben in der Gruft,
Ich liege in deinem Arme.

     Die Todten stehn auf, der Tag des Gerichts
Ruft sie zu Qual und Vergnügen;

15
Wir beide bekümmern uns um nichts,

Und bleiben umschlungen liegen.

[94]

     XXXI.

     Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Höh’.
Ihn schläfert; mit weißer Decke
Umhüllen ihn Eis und Schnee.

5
     Er träumt von einer Palme,

Die, fern im Morgenland,
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.


     XXXII.

     Schöne, helle, goldne Sterne,
Grüßt die Liebste in der Ferne,
Sagt daß ich noch immer sey
Herzekrank und bleich und treu.

[95]

     XXXIII.[WS 1]

     (Der Kopf spricht:)
     Ach, wenn ich nur der Schemel wär’,
Worauf der Liebsten Füße ruhn!
Und stampfte sie mich noch so sehr,
Ich wollte doch nicht klagen thun.

     (Das Herz spricht:)

5
     Ach, wenn ich nur das Kißchen wär’,

Wo sie die Nadeln steckt hinein!
Und stäche sie mich noch so sehr,
Ich wollte mich der Stiche freu’n.

     (Das Lied spricht:)
     Ach, wär’ ich nur das Stück Papier,

10
Das sie als Papillote braucht!

Ich wollte heimlich flüstern ihr
In’s Ohr, was in mir lebt und haucht.

[96]

     XXXIV.

     Seit die Liebste war entfernt,
Hatt’ ich ’s Lachen ganz verlernt.
Schlechten Witz riß mancher Wicht,
Aber lachen konnt’ ich nicht.

5
     Seit ich sie verloren hab’,

Schafft’ ich auch das Weinen ab.
Fast vor Weh’ das Herz mir bricht,
Aber weinen kann ich nicht.


     XXXV.

     Aus meinen großen Schmerzen
Mach’ ich die kleinen Lieder;
Die heben ihr klingend Gefieder
Und flattern nach ihrem Herzen.

5
     Sie fanden den Weg zur Trauten,

Doch kommen sie wieder und klagen,
Und klagen, und wollen nicht sagen
Was sie im Herzen schauten.

[97]

     XXXVI.

     Ich kann es nicht vergessen,
Geliebtes, holdes Weib,
Daß ich dich einst besessen,
Die Seele und den Leib.

     Den Leib möcht’ ich noch haben,
Den Leib so zart und jung;
Die Seele könnt Ihr begraben,
Hab’ selber Seele genug.

     Ich will meine Seele zerschneiden,
Und hauchen die Hälfte dir ein,
Und will dich umschlingen, wir müssen
Ganz Leib und Seele seyn.

[98]

     XXXVII.

     Philister in Sonntagsröcklein
Spazieren durch Wald und Flur;
Sie jauchzen, sie hüpfen wie Böcklein,
Begrüßen die schöne Natur.

5
     Betrachten mit blinzelnden Augen

Wie Alles romantisch blüht;
Mit langen Ohren saugen
Sie ein der Spatzen Lied.

     Ich aber verhänge die Fenster

10
Des Zimmers mit schwarzem Tuch;

Es machen mir meine Gespenster
Sogar einen Tagesbesuch.

     Die alte Liebe erscheinet,
Sie stieg aus dem Todtenreich,

15
Sie setzt sich zu mir und weinet,

Und macht das Herz mir weich.

[99]

     XXXVIII.

     Manch Bild vergessener Zeiten
Steigt auf aus seinem Grab,
Und zeigt wie in deiner Nähe
Ich einst gelebet hab’.

5
     Am Tage schwankte ich träumend

Durch alle Straßen herum;
Die Leute verwundert mich ansah’n,
Ich war so traurig und stumm.

     Des Nachts da war es besser,

10
Da waren die Straßen leer;

Ich und mein Schatten selbander,
Wir wandelten schweigend einher.

     Mit wiederhallendem Fußtritt’
Wandelt’ ich über die Brück’;

15
Der Mond brach aus den Wolken,

Und grüßte mit ernstem Blick’.

[100]

     Steh’n blieb ich vor deinem Hause,
Und starrte in die Höh’,
Und starrte nach deinem Fenster, –

20
Das Herz that mir so weh’.


     Ich weiß du hast aus dem Fenster
Gar oft herabgeseh’n,
Und sah’st mich im Mondenlichte
Wie eine Säule steh’n.

[101]

     XXXIX.

     Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

5
     Das Mädchen heurathet aus Aerger

Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

     Es ist eine alte Geschichte,

10
Doch bleibt sie immer neu;

Und wem sie just passiret,
Dem bricht das Herz entzwey.

[102]

     XL.

     Freundschaft, Liebe, Stein der Weisen,
Diese dreye hört’ ich preisen,
Und ich pries und suchte sie,
Aber ach! ich fand sie nie.


     XLI.

     Hör’ ich das Liedchen klingen,
Das einst die Liebste sang,
So will mir die Brust zerspringen,
Vor wildem Schmerzendrang.

5
     Es treibt mich ein dunkles Sehnen

Hinauf zur Waldeshöh’,
Dort löst sich auf in Thränen
Mein übergroßes Weh’.

[103]

     XLII.

     Mir träumte von einem Königskind’,
Mit nassen, blassen Wangen;
Wir saßen unter der grünen Lind’,
Und hielten uns liebumfangen.

5
     „Ich will nicht deines Vaters Thron,

Ich will nicht sein Scepter von Golde,
Ich will nicht seine demantene Kron’,
Ich will dich selber, du Holde!“

     Das kann nicht seyn, sprach sie zu mir,

10
Ich liege ja im Grabe,

Und nur des Nachts komm’ ich zu dir,
Weil ich so lieb dich habe.

[104]

     XLIII.

     Mein Liebchen, wir saßen beisammen,
Traulich im leichten Kahn.
Die Nacht war still, und wir schwammen
Auf weiter Wasserbahn.

5
     Die Geisterinsel, die schöne,

Lag dämm’rig im Mondenglanz;
Dort klangen liebe Töne,
Und wogte der Nebeltanz.

     Dort klang es lieb und lieber,

10
Und wogt es hin und her;

Wir aber schwammen vorüber,
Trostlos auf weitem Meer.

[105]

     XLIV.

     Aus alten Mährchen winkt es
Hervor mit weißer Hand,
Da singt es und da klingt es
Von einem Zauberland’:

5
     Wo bunte Blumen blühen

Im goldnen Abendlicht’,
Und lieblich duftend glühen,
Mit bräutlichem Gesicht;

     Und grüne Bäume singen

10
Uralte Melodein,

Die Lüfte heimlich klingen,
Und Vögel schmettern drein;

     Und Nebelbilder steigen
Wohl aus der Erd’ hervor,

15
Und tanzen luft’gen Reigen,

Im wunderlichen Chor;

[106]

     Und blaue Funken brennen
An jedem Blatt und Reis,
Und rothe Lichter rennen

20
Im irren, wirren Kreis;


     Und laute Quellen brechen
Aus wildem Marmorstein,
Und seltsam in den Bächen
Stralt fort der Wiederschein.

25
     Ach! könnt’ ich dorthin kommen,

Und dort mein Herz erfreu’n,
Und aller Qual entnommen,
Und frey und selig seyn!

     Ach! jenes Land der Wonne,

30
Das seh’ ich oft im Traum,

Doch kommt die Morgensonne
Zerfließt’s wie eitel Schaum.

[107]

     XLV.

     Ich hab’ dich geliebet und liebe dich noch!
Und fiele die Welt zusammen,
Aus ihren Trümmern stiegen doch
Hervor meiner Liebe Flammen.

     *     *     *     

5
     Und wenn ich dich geliebet hab’,

Bis in meiner Todesstunde,
So nehm’ ich mit in’s ew’ge Grab
Die große Liebeswunde.


     XLVI.

     Am leuchtenden Sommermorgen
Geh’ ich im Garten herum.
Es flüstern und sprechen die Blumen,
Ich aber wandle stumm.

5
     Es flüstern und sprechen die Blumen,

Und schau’n mitleidig mich an:
Sey unserer Schwester nicht böse,
Du trauriger, blasser Mann.

[108]

     XLVII.

     Es leuchtet meine Liebe,
In ihrer dunkeln Pracht,
Wie’n Mährchen traurig und trübe,
Erzählt in der Sommernacht.

5
     Im Zaubergarten wallen

Zwey Buhlen; stumm und allein;
Es singen die Nachtigallen,
Es flimmert der Mondenschein.

     Die Jungfrau steht still wie ein Bildniß,

10
Der Ritter vor ihr kniet.

Da kommt der Riese der Wildniß,
Die bange Jungfrau flieht.

     Der Ritter sinkt blutend zur Erde,
Es stolpert der Riese nach Haus;

15
Wenn ich begraben werde,

Dann ist das Mährchen aus.

[109]

     XLVIII.

     Sie haben mich gequälet,
Geärgert blau und blaß,
Die Einen mit ihrer Liebe,
Die Andern mit ihrem Haß.

5
     Sie haben das Brod mir vergiftet,

Sie gossen mir Gift in’s Glas,
Die Einen mit ihrer Liebe,
Die Andern mit ihrem Haß.

     Doch die mich am meisten gequälet,

10
Geärgert und betrübt,

Die hat mich nie gehasset,
Und hat mich nie geliebt.

[110]

     XLIX.

     Es liegt der heiße Sommer
Auf deinen Wängelein;
Es liegt der Winter, der kalte,
In deinem Herzchen klein.

5
     Das wird sich bey dir ändern,

Du Vielgeliebte mein!
Der Winter wird auf den Wangen,
Der Sommer im Herzen seyn.


     L.

     Wenn zwey von einander scheiden,
So geben sie sich die Händ’,
Und fangen an zu weinen,
Und seufzen ohne End’.

5
     Wir haben nicht geweinet,

Wir seufzten nicht Weh und Ach!
Die Thränen und die Seufzer,
Die kamen hintennach.

[111]

     LI.

     Sie saßen und tranken am Theetisch,
Und sprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl.

5
     Die Liebe muß seyn platonisch,

Der dürre Geheimrath sprach.
Die Räthin lächelt ironisch,
Und dennoch seufzet sie: Ach!

     Der Domherr öffnet den Mund weit:

10
Die Liebe sey nicht zu roh,

Sie schadet sonst der Gesundheit.
Das Fräulein lispelt: wie so?

     Die Gräfin spricht wehmüthig:
Die Liebe ist eine Passion!

15
Und präsentiret gütig

Die Tasse dem Herren Baron.

[112]

     Am Tische war noch ein Plätzchen;
Mein Liebchen, da hast du gefehlt.
Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,

20
Von deiner Liebe erzählt.


     LII.

     Vergiftet sind meine Lieder;
Wie könnt’ es anders seyn?
Du hast mir ja Gift gegossen
In’s blühende Leben hinein.

5
     Vergiftet sind meine Lieder;

Wie könnt’ es anders seyn?
Ich trage im Herzen viel Schlangen,
Und dich, Geliebte mein.

[113]

     LIII.

     Mir träumte wieder der alte Traum:
Es war eine Nacht im Maye,
Wir saßen unter dem Lindenbaum,
Und schwuren uns ewige Treue.

5
     Das war ein Schwören und Schwören auf’s Neu’,

Ein Kichern, ein Kosen, ein Küssen;
Daß ich gedenk des Schwures sey,
Hast du in die Hand mich gebissen.

     O Liebchen mit den Aeuglein klar!

10
O Liebchen schön und bissig!

Das Schwören in der Ordnung war,
Das Beißen war überflüssig.

[114]

     LIV.

     Ich steh’ auf des Berges Spitze,
Und werde sentimental.
„Wenn ich ein Vöglein wäre!“
Seufz’ ich viel tausend Mahl.

5
     Wenn ich eine Schwalbe wäre,

So flög’ ich zu dir mein Kind,
Und baute mir mein Nestchen
Wo deine Fenster sind.

     Wenn ich eine Nachtigall wäre,

10
So flög’ ich zu dir, mein Kind,

Und sänge dir Nachts meine Lieder
Herab von der grünen Lind’.

     Wenn ich ein Gimpel wäre,
So flög’ ich gleich an dein Herz;

15
Du bist ja hold den Gimpeln,

Und heilest Gimpelschmerz.

[115]

     LV.

     Mein Wagen rollet langsam
Durch lustiges Waldesgrün,
Durch blumige Thäler, die zaubrisch
Im Sonnenglanze blüh’n.

5
     Ich sitze und sinne und träume,

Und denk’ an die Liebste mein;
Da grüßen drey Schattengestalten
Kopfnickend zum Wagen hinein.

     Sie hüpfen und schneiden Gesichter,

10
So spöttisch und doch so scheu,

Und quirlen wie Nebel zusammen,
Und kichern und huschen vorbey.

[116]

     LVI.

     Ich hab’ im Traum’ geweinet,
Mir träumte du lägest im Grab’.
Ich wachte auf, und die Thräne
Floß noch von der Wange herab.

5
     Ich hab’ im Traum’ geweinet,

Mir träumt’ du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.

     Ich hab’ im Traum geweinet,

10
Mir träumte du wärst mir noch gut.

Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Thränenflut.

[117]

     LVII.

     Allnächtlich im Traume seh’ ich dich,
Und sehe dich freundlich grüßen,
Und lautaufweinend stürz’ ich mich
Zu deinen süßen Füßen.

5
     Du siehst mich an wehmüthiglich,

Und schüttelst das blonde Köpfchen;
Aus deinen Augen schleichen sich
Die Perlenthränentröpfchen.

     Du sagst mir heimlich ein leises Wort,

10
Und giebst mir den Strauß von Zypressen.

Ich wache auf, und der Strauß ist fort,
Und ’s Wort hab’ ich vergessen.

[118]

     LVIII.

     Das ist ein Brausen und Heulen,
Herbstnacht und Regen und Wind;
Wo mag wohl jetzo weilen
Mein armes, banges Kind?

5
     Ich seh’ sie am Fenster lehnen,

Im einsamen Kämmerlein;
Das Auge gefüllt mit Thränen
Starrt sie in die Nacht hinein.


     LIX.

     Der Herbstwind rüttelt die Bäume,
Die Nacht ist feucht und kalt;
Gehüllt im grauen Mantel,
Reite ich einsam im Wald!

5
     Und wie ich reite, so reiten

Mir die Gedanken voraus;
Sie tragen mich leicht und luftig
Nach meiner Liebsten Haus.

[119]

     Die Hunde bellen, die Diener

10
Erscheinen mit Kerzengeflirr;

Die Wendeltreppe[2] stürm’ ich
Hinauf mit Sporengeklirr.

     Im leuchtenden Teppichgemache,
Da ist es so duftig und warm,

15
Da harret meiner die Holde –

Ich fliege in ihren Arm.

     Es säuselt der Wind in den Blättern,
Es spricht der Eichenbaum:
Was willst du, thörigter Reiter,

20
Mit deinem thörigten Traum?

[120]

     LX.

     Es fällt ein Stern herunter
Aus seiner funkelnden Höh’;
Das ist der Stern der Liebe,
Den ich dort fallen seh’.

5
     Es fallen vom Apfelbaume

Der weißen Blätter viel;
Es kommen die neckenden Lüfte,
Und treiben damit ihr Spiel.

     Es singt der Schwan im Weiher,

10
Und rudert auf und ab,

Und immer leiser singend
Taucht er in’s Fluthengrab.

     Es ist so still und so dunkel!
Verweht ist Blatt und Blüth’,

15
Der Stern ist knisternd zerstoben,

Verklungen das Schwanenlied.

[121]

     LXI.

     Der Traumgott bracht’ mich in ein Riesenschloß,
Wo schwüler Zauberduft und Lichterschimmer,
Und bunte Menschenwoge sich ergoß
Durch labyrinthisch vielverschlungne Zimmer.
Die Ausgangspforte sucht der bleiche Troß,
Mit Händeringen und mit Angstgewimmer.
Jungfrau’n und Ritter ragen aus der Menge,
Ich selbst bin fortgezogen im Gedränge.

     Doch plötzlich steh’ ich ganz allein, und seh’,
Und staun’, wie schnell die Menge konnt’ verschwinden,
Und wandre fort allein, und eil’, und geh’
Durch die Gemächer, die sich seltsam winden.
Mein Fuß wird Bley, im Herzen Angst und Weh,
Verzweifl’ ich fast den Ausgang je zu finden.
Da komm’ ich endlich an das letzte Thor;
Ich will hinaus – O Gott, wer steht davor!

[122]

     Es war die Liebste, die am Thore stand,
Schmerz um die Lippen, Sorge auf der Stirne.
Ich soll zurückgehn, winkt sie mit der Hand;
Ich weiß nicht ob sie warne oder zürne.
Doch aus den Augen bricht ein süßer Brand,
Der mir durchzuckt das Herz und das Gehirne.
Wie sie mich ansah, streng und wunderlich,
Und doch so liebevoll, erwachte ich.


     LXII.

     Die Mitternacht war kalt und stumm;
Ich irrte klagend im Wald herum.
Ich habe die Bäum’ aus dem Schlaf’ gerüttelt;
Sie haben mitleidig die Köpfe geschüttelt.

[123]

     LXIII.

     Am Kreuzweg wird begraben
Wer selber sich brachte um;
Dort wächst eine blaue Blume,
Die Armesünderblum’.

     Am Kreuzweg stand ich und seufzte;
Die Nacht war kalt und stumm.
Im Mondschein bewegte sich langsam
Die Armesünderblum’.


     LXIV.

     Wo ich bin mich rings umdunkelt
Finsterniß, so dumpf und dicht,
Seit mir nicht mehr leuchtend funkelt,
Liebste, deiner Augen Licht.

     Mir erloschen ist der süßen
Liebessterne goldne Pracht,
Abgrund gähnt zu meinen Füßen –
Nimm mich auf, uralte Nacht!

[124]

     LXV.

     Nacht lag auf meinen Augen,
Bley lag auf meinem Mund,
Mit starrem Hirn und Herzen
Lag ich in Grabesgrund.

5
     Wie lang kann ich nicht sagen

Daß ich geschlafen hab’;
Ich wachte auf und hörte
Wie’s pochte an mein Grab.

     „Willst du nicht aufstehn, Heinrich?

10
Der ew’ge Tag bricht an,

Die Todten sind erstanden,
Die ew’ge Lust begann.“

     Mein Lieb, ich[3] kann nicht aufstehn,
Bin ja noch immer blind;

15
Durch Weinen meine Augen

Gänzlich erloschen sind.

[125]

     „Ich will dir küssen, Heinrich,
Vom Auge fort die Nacht;
Die Engel sollst du schauen,

20
Und auch des Himmels Pracht.“


     Mein Lieb, ich kann nicht aufstehn,
Noch blutet’s immerfort,
Wo du in’s Herz mich[4] stachest
Mit einem spitz’gen Wort’.“

25
     „Ganz leise leg’ ich, Heinrich,

Dir meine Hand auf’s Herz;
Dann wird es nicht mehr bluten,
Geheilt ist all sein Schmerz.“

     Mein Lieb, ich kann nicht aufstehn,

30
Es blutet auch mein Haupt;

Hab’ ja hinein geschossen
Als du mir wurdest geraubt.

     „Mit meinen Locken, Heinrich,
Stopf’ ich des Hauptes Wund’,

35
Und dräng’ zurück den Blutstrom,

Und mache dein Haupt gesund.“

[126]

     Es bat so sanft, so lieblich,
Ich konnt’ nicht widerstehn;
Ich wollte mich erheben,

40
Und zu der Liebsten gehn.


     Da brachen auf die Wunden,
Da stürzt’ mit wilder Macht
Aus Kopf und Brust der Blutstrom,
Und sieh! – ich bin erwacht.

[127]

     LXVI.

     Die alten, bösen Lieder,
Die Träume schlimm und arg,
Die laßt uns jetzt begraben,
Holt einen großen Sarg.

5
     Hinein leg’ ich gar manches,

Doch sag’ ich noch nicht was;
Der Sarg muß seyn noch größer
Wie’s Heidelberger Faß.

     Und holt eine Todtenbahre,

10
Von Brettern fest und dick;

Auch muß sie seyn noch länger
Als wie zu Maynz die Brück’.

     Und holt mir auch zwölf Riesen,
Die müssen noch stärker seyn

15
Als wie der starke Christoph,

Im Dom zu Cöln am Rhein.

[128]

     Die sollen den Sarg forttragen,
Und senken in’s Meer hinab;
Denn solchem großen Sarge

20
Gebührt ein großes Grab.


     Wißt Ihr warum der Sarg wohl
So groß und schwer mag seyn?
Ich legt’ auch meine Liebe
Und meinen Schmerz hinein.

Anmerkungen

  1. Vorlage: schluchsen (s. Verbesserungen)
  2. Vorlage: Wandeltreppe (s. Verbesserungen)
  3. Vorlage: lch (s. Verbesserungen)
  4. Vorlage: mir (s. Verbesserungen)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: XXXII.