Textdaten
<<< >>>
Autor: Lukian von Samosata
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Lucius oder der Esel
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Neuntes Bändchen, Seite 1045–1090
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: J. B. Metzler
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Λούκιος ἢ Ὄνος
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[1045]
Lucius
oder der Esel.[1]

1. Ich machte einst eine Reise nach Thessalien, wo mein Vater mit einem gewissen Manne in Geschäften stand, die ich für ihn besorgen sollte. Ein Pferd trug mich und mein Gepäcke, und ein einziger Sklave folgte mir zu Fuße. So zogen wir unseres Weges, als mir mit einigen Leuten aus Hypata, einer Stadt Thessaliens, zusammentrafen, die eben im Begriffe waren, nach Hause zu reisen. Wir schloßen uns an sie an, und legten auf diese Weise den, sonst sehr beschwerlichen, Weg in leidlich kurzer Zeit zurück. Als wir schon ziemlich nahe an jener Stadt waren, fragte ich meine Thessalier, ob sie nicht in Hypata einen gewissen Hipparchus kennten, an den ich ein Empfehlungsschreiben hatte, und bei dem ich meinen Abstand nehmen wollte. Sie versicherten mich, ihn recht gut zu kennen, und bezeichneten mir seine Wohnung: auch sagten sie mir, daß er ein sehr wohlhabender Mann wäre, der übrigens aus übertriebener [1046] Sparsamkeit außer seiner Frau und einer einzigen Magd keinen Menschen im Hause habe. Wie wir Hypata erreicht hatten, wies man mich an einen Garten mit einem kleinen aber recht erträglichen Hänschen, wo Hipparch wohnte.

2. Meine Begleiter verabschiedeten sich hier von mir, und ich gehe auf die Thüre zu und klopfe. Es stand ziemlich lange an, bis man mich zu vernehmen schien: endlich erscheint die Frau. „Ist Hipparchus zu Hause?“ fragte ich. „Ja,“ war die Antwort. „Wer bist du? was ist dein Begehr?“ – „Ich habe einen Brief an ihn vom Sophisten Decrianus aus Paträ.“ – „Gut, warte ein wenig.“ Mit diesen Worten ging sie hinein und schloß die Thüre hinter sich zu, kam aber gleich darauf wieder heraus und hieß uns eintreten. Ich gehe also hinein, grüße und übergebe meinen Brief. Hipparch schien eben speisen zu wollen: er lag auf einem kleinen und schmalen Divan; neben ihm saß seine Frau, und vor ihnen stand ein, übrigens noch unbesetzter, Tisch. Nachdem er den Brief überlaufen hatte, sagte er: „Nun das ist ja schön von meinem lieben, vortrefflichen Decrianus, daß er mir seine guten Freunde so gerne anvertraut. Du siehst, Lucius, mein Häuschen ist zwar klein, und eigentlich nur für seinen gewöhnlichen Bewohner berechnet: allein du kannst es dir in ein großes Haus umwandeln, wenn du dich nur in seine Ungemächlichkeit zu schicken wissen wirst. Palästra![2] (so hieß seine Magd) zeige dem guten Freunde sein Zimmer, bringe auch seine Sachen, die er etwa bei sich hat, dahin, und führe ihn hernach in’s Bad; er wird müde seyn von der langen Reise.“

[1047] 3. Diesen Worten zufolge führte mich Palästra, ein artiges junges Mädchen, in ein kleines, aber sehr zierliches Gemach, und: „Hier,“ sprach sie, „auf diesem Bette wirst du schlafen: deinem Bedienten werde ich sein Lager nebenan zu rechte machen, und auch ein gutes Kopfkissen darauf legen.“ Nachdem ich ihr etwas Geld gegeben hatte, um Gerste für mein Pferd zu besorgen, gingen wir, uns zu baden. Inzwischen trug das Mädchen mein Gepäcke herein und legte es in mein Zimmer. Aus dem Bade begaben wir uns in’s Wohnzimmer zurück, wo mich Hipparchus freundlich empfing und neben sich Platz nehmen hieß. Das Essen war nichts weniger als kärglich, der Wein alt und sehr angenehm. Wie wir gespeist hatten, tranken und plauderten wir noch eine gute Weile zusammen, wie Dieß bei gastfreundlichen Mahlen Sitte ist: darüber ging der Abend hin, und wir legten uns hierauf zu Bette. Am folgenden Morgen fragte mich Hipparch, wohin ich nun weiter zu reisen gedächte, und ob ich nicht noch einige Tage bei ihm bleiben wollte? „Ich gehe nach Larissa,“ antwortete ich, „und bin gesonnen, höchstens ein Paar Tage mich hier zu verweilen.“

4. Das war aber nicht mein Ernst: vielmehr hatte ich mir fest vorgenommen, nicht eher diese Stadt zu verlassen, als bis ich meinen Wunsch erreicht hätte, eine von den Weibern zu finden, die mit Hülfe magischer Künste Menschen fliegen zu machen, oder zu versteinern, oder andere dergleichen wunderbare Erscheinungen herbeizuzaubern wüßten. Getrieben von dem Verlangen, ein Mirakel dieser Art zu Gesichte zu bekommen, lief ich in der Stadt umher, ohne noch zu wissen, wie ich es anzugehen hätte, um zu finden, was [1048] ich suchte. Wie ich so auf der Straße einherschlendere, werde ich eine noch ziemlich junge, und, nach ihrem ganzen Aufzug zu schließen, sehr reiche Frau gewahr, die gerade auf mich zugeht. Sie trug schön gestickte Kleider, einen ungemein reichen goldenen Schmuck, und war von einer sehr zahlreichen Dienerschaft begleitet. Als ich in ihre Nähe gekommen war, grüßte sie mich zuerst: ich erwiederte ihren Gruß, worauf sie anfing: „Ich bin Abröa, eine Freundin deiner Mutter, wie dir diese ohne Zweifel schon gesagt haben wird. Die Kinder meiner Freundin sind mir so lieb als meine eigenen. Willst du also nicht bei mir wohnen, mein Sohn?“ „Du bist sehr gütig,“ versetzte ich: „doch nehme ich billig Anstand, das Haus eines Mannes zu verlassen, der mich sehr freundschaftlich aufgenommen hat. Uebrigens werde ich wenigstens in Gedanken dein Gast seyn, vortreffliche Freundin!“ – „Wo wohnst du denn?“ fragte sie. „Bei Hipparchus.“ – „Dem Geizhalse?“ – „Sage das nicht, beste Frau. Gegen mich wenigstens hat er sich so freigebig, ja glänzend bewiesen, daß man ihm eher den Vorwurf machen könnte, er lasse zu viel aufgehen.“ Abröa lächelte und sagte, indem sie mich bei der Hand nahm und auf die Seite zog: „Nimm dich auf alle Weise vor seiner Frau in Acht: sie ist eine arge Hexe und dabei ein wollüstiges Weib, das ihre Augen auf alle jungen Leute wirft. Und Wer ihr nicht zu Willen ist, an dem rächt sie sich mit den Mitteln ihrer geheimen Kunst: auf diese Art hat sie schon Viele in Thiere verwandelt, Etlichen wirklich den Garaus gemacht. Du bist jung und hübsch, mein Kind: sie wird dich nur zu gerne sehen, und [1049] ein Fremder – das ist ja ein Ding, mit welchem man nicht viele Umstände macht.“

5. Nun hatte ich genug. Was ich also so lange suchte, war in meiner Wohnung. Ohne dieser Frau länger Gehör zu geben, verabschiedete ich mich und ging nach Hipparch’s Behausung. „Wohlan denn,“ sagte ich unter Weges zu mir selbst, „wenn du wirklich so begierig bist, ein Wunder zu sehen, so nimm dich zusammen und denke auf ein kluges Stückchen, zum Ziele zu gelangen. Versuche es – mache dich an die Magd, die Palästra: denn der Frau des guten Hauswirths mußt du hübsch vom Leibe bleiben. Aber dieser Palästra suche das Geheimniß abzuringen: es wird nicht fehlen, in ihren Armen wirst du hinter die Wahrheit kommen. Denn das Gesinde kennt immer das Gute und Böse seiner Herrschaft am besten.“ Unter solchen Selbstgesprächen kam ich nach Hause. Hipparch und seine Frau waren ausgegangen, aber Palästra war in der Küche mit Zubereitung der Abendmahlzeit beschäftigt.

6. Sogleich nahm ich davon Veranlassung, sie anzureden: „Wie reizend sich doch dein üppiger Wuchs bei’m Umrühren dieses Topfes ausnimmt, schöne Palästra! Wahrlich, meine Lenden gerathen in eine nicht minder lebhafte Bewegung. O Wer doch der Rührlöffel wäre!“ Das Mädchen, ein allerliebstes, gar muthwilliges Ding, versetzte: „Bleibe von meinem Topfe weg, Junge, wenn dir dein Leben lieb ist: er ist glühend heiß. Wenn du ihn anrührst, so wirst du dich verbrennen, daß dir kein Arzt und der Arzneigott selbst nicht wird helfen können. Nur ich, die dich verbrannt hat, wäre im Stande, dich zu kuriren; aber was das wunderbarste [1050] ist, ich würde dich immer noch kränker machen, und so schmerzhaft die Kur wäre, so würdest du sie doch so gerne aushalten, daß du dich lieber steinigen ließest, ehe du von den süßen Schmerzen dich losreißen wolltest. Ja lache nur! Glaube mir, du hast keine gemeine Köchin vor dir, die Nichts als diese schlechte Alltagskost zuzurichten wüßte; nein, auch das vornehmste und schönste Wildpret,[3] den Mann verstehe ich abzuthun, die Haut ihm abzustreifen und ihn gar zu machen: am liebsten aber wühle ich in seinen Eingeweiden und in seinem Herzen.“ „Du magst Recht haben,“ erwiederte ich: „denn noch bin ich dir nicht zu nahe gekommen, und schon hast du mich – nicht angebrannt, sondern, so wahr Jupiter lebt, über und über in Flammen gesetzt. Du hast einen unsichtbaren Feuerbrand durch meine Augen hindurch in meine Eingeweide geschleudert, und nun kochest und bratest du mich Armen, der dir doch Nichts zu Leide gethan. Aber nun kurire mich auch, um aller Götter willen, mit den schmerzhaft süßen Mitteln, von denen du sprachst. Sieh, du hast mich nun schon abgeschlachtet, jetzt ziehe mir vollends die Haut ab und mache mit mir, Was du willst.“ Da lachte das schelmische Mädchen laut auf und war von Stunde an die Meine. Wir verabredeten, daß sie jedesmal, wenn sie ihre Herrschaft zu Bette gebracht hätte, in mein Zimmer kommen und bei mir schlafen sollte.

7. Hipparch war jetzt nach Hause gekommen. Wir gingen in’s Bad, speisten sodann, und leerten unter traulichen Gesprächen fleißig unsere Becher. Endlich stelle ich mich schläfrig, [1051] stehe auf und begebe mich in mein Schlafgemach. Hier fand ich Alles auf’s Artigste zugerichtet. Die Schlafstätte meines Bedienten war vor die Thüre verwiesen. Neben meinem Bette stand ein Tisch mit einem Pokale, einem Kruge Wein und zwei Gefäßen mit warmem und kaltem Wasser, Alles die Veranstaltung meiner Palästra. Ueberdieß war das Bette mit einer Menge Rosen und Rosengewinden bestreut. Das Bankett war also in Bereitschaft, und ich erwartete ungeduldig meinen Zechkameraden.

8. Wirklich eilte sie herbei, nachdem sie zuvor ihrer Gebieterin bei’m Auskleiden behülflich gewesen war. Und nun brachten wir eine lustige Nacht unter Trinken, Küssen und Scherzen hin, wobei die gewandte Palästra bewies, daß sie ihren Namen nicht mit Unrecht führte.[4] – – – – –

11. Endlich fiel mir doch ein, mich nach der Sache zu erkundigen, um die es mir eigentlich zu thun war. „Hörst du, liebstes Mädchen, fing ich an, mache doch, daß ich einmal deine Frau zu sehen bekomme, wenn sie ihre Hexenkünste treibt und in verschiedene Gestalten sich verwandelt. Es ist schon lange mein Wunsch, solche Wunderdinge mitanzusehen. Oder noch besser, wenn du selbst mit Hexereien umgehen kannst, laß einmal vor meinen Augen irgend eine Verwandlung vorgehen. Denn ohne Zweifel bist du gleichfalls in der Zauberkunst sehr gut erfahren. Zwar hat mir das Niemand gesagt, aber mein Verstand gibt es mir; denn mich, den die Mädchen nur immer den Diamantenen nannten, der in seinem [1052] Leben nie ein weibliches Wesen zärtlich angesehen, mich hast du mit Hülfe deiner geheimnißvollen Kunst in Fesseln geschlagen und führst mich nun, überwunden im süßen Kampfe, gefangen!“ „Bilde dir nicht so närrisches Zeug ein,“ versetzte Palästra: „wo wäre eine Zauberformel so stark, den Liebesgott zu behexen, der selbst der größte Meister in dieser Kunst ist? Ich schwöre dir’s bei deinem Leben, Herzensjunge, ich schwöre dir’s hier bei diesem Rosenlager, das uns so selige Lust gab, ich weiß Nichts von diesen Dingen, ich habe kein Wort von Zauberformeln gelernt; denn meine Frau bewacht das Geheimniß ihrer Kunst mit ängstlicher Eifersucht. So wie sich aber ein günstiger Augenblick ergeben wird, so will ich versuchen, ob ich dir den Anblick meiner sich verwandelnden Gebieterin verschaffen kann.“ Damit beruhigte sie mich, und wir schliefen allmählig ein.

12. Es stand wenige Tage an, so brachte mir Palästra die Nachricht, daß ihre Frau gesonnen sey, in Gestalt eines Vogels zu ihrem Geliebten zu fliegen. „Nun, liebe Palästra,“ sprach ich, „nun ist ja der Zeitpunkt gekommen, wo du so gefällig seyn kannst, mir die Bitte um Erfüllung meines so lange gehegten Wunsches zu gewähren.“ „Verlaß dich drauf,“ versetzte sie, und als die Nacht angebrochen war, führte sie mich an die Thüre von ihrer Herrschaft Schlafgemach, und hieß mich durch eine schmale Ritze hineinsehen. Ich erblicke die Frau, wie sie sich eben entkleidet, sodann ganz nackt zur Lampe tritt, zwei Weihrauchkörner in die Lichtflamme wirft, und stehend eine lange Formel über dieselbe hinmurmelt. Hierauf öffnet sie eine Kapsel von ansehnlicher Größe, und nimmt von mehreren darin befindlichen [1053] Büchsen eine heraus. Was darin war, konnte ich nicht unterscheiden; dem Ansehen nach scheint es ein Salböhl gewesen zu seyn. Mit diesem rieb sie sich ein, von den Nägeln an den Füßen bis zum Kopfe, und plötzlich wuchsen ihr Gefieder und Flügel aus dem Leibe, ihre Nase wird zum knöchernen, krummen Schnabel, kurz sie erhält alle Merkmale eines Vogel, und dieser Vogel ist nicht mehr und nicht weniger als eine Nachtrabe. Kaum war die Verwandlung geschehen, so krächzte sie so abscheulich, wie nur immer ein Rabe kann, und flog auf und davon zum Fenster hinaus.

13. Mir war nicht anders, als hätte ich geträumt: ich traute meinen Augen nicht, und suchte mich unwillkührlich durch die Berührung derselben zu überzeugen, daß ich wirklich nicht schlief. Und als ich endlich glauben mußte, das Alles wachend gesehen zu haben, bat ich die Palästra, mich auch zu befiedern, und mit Hülfe jener Zaubersalbe fliegen zu lassen. Ich wollte nämlich durch diese Probe erfahren, ob durch die Verwandlung des Menschen in einen Vogel auch seine Seele zur Vogelseele wird. Das Mädchen schleicht in das Gemach und brachte die Büchse heraus. Ich werfe ungeduldig meine Kleider von mir, und schmiere mir den Leib tüchtig ein, aber – o Jammer, statt des Gefieders wächst mir ein Schwanz hinten heraus, die Finger und Zehen verschwinden, und statt ihrer erhalte ich vier förmliche Hufe. Hände und Füße werden zu den Füßen eines Viehes, Gesicht und Ohren verlängern sich, und wie ich mich recht von allen Seiten besehe, finde ich, daß ich ein Esel bin. Nicht einmal die menschliche Stimme war mir geblieben, um mich gegen Palästra beklagen zu können: nur indem ich die Unterlippe [1054] vorwärts hängen ließ, und den Kopf recht wie ein Esel zur Erde senkte, konnte ich ihr meine Niedergeschlagenheit darüber ausdrücken, daß sie statt eines Vogels einen Esel aus mir gemacht hatte.

14. Das Mädchen schlug sich mit beiden Händen vor die Stirne: „O ich Unglückliche!“ jammerte sie, „was hab’ ich angerichtet! In der Eile vergriff ich mich, weil eine Büchse aussieht wie die andere, und kam an die unrechte. Doch – was fällt mir ein? Beruhige dich, Geliebter! diesem Unglücke läßt sich abhelfen. Du darfst nur eine Anzahl Rosen essen, um dich sogleich deiner Viehheit zu entledigen, und meinen lieben Jüngling mir wieder zu schenken. Nur diese einzige Nacht noch gedulde dich in deiner Eselshaut, mein Schatz! Morgen mit dem Frühesten will ich eilen und dir Rosen schaffen: sie sollen dich gewiß wieder herstellen.“ Mit diesen Worten streichelte sie mir gar freundlich mein graues Fell und spielte mit meinen Ohren.

15. So sehr ich in allen Stücken Esel war, so blieb ich doch an Verstand und innerer Empfindung der alte Lucius, nur daß ich nicht sprechen konnte. Weidlich schimpfend in meinem Innern auf die Palästra und ihren fatalen Mißgriff, ging ich mit verbissenen Lippen in den Stall, wo mein Pferd und ein anderer natürlicher Esel, der dem Hipparch gehörte, stand. Wie diese meine Ankunft merkten, fürchteten sie ihren Heufraß mit dem neuen Gaste theilen zu müßen, und mit gesenkten Ohren schickten sie sich an, für ihren Bauch mit den Hinterfüßen sich zu wehren. Ich zog mich klüglich zurück, und blieb in ziemlicher Entfernung vor der Krippe stehen. Diese Scene brachte mich zum Lachen, aber ach! [1055] mein Lachen war ein rauhes Yha. „O der unseligen Neugierde!“ dachte ich bei mir selbst: „wie nun, wenn ein Wolf oder ein anderes reißendes Thier in diesen Stall käme? Ich schwebe in Todesangst, und habe doch Nichts verbrochen!“ Indem ich mir diese und ähnliche Gedanken machte, ahnete ich Aermster nicht, welches Unheil mir so nahe bevorstand.

16. Es war tiefe, stille Mitternacht, Alles um mich her lag in süßem Schlafe, da begann ein Geräusch außen an der Mauer, als ob Steine ausgebrochen würden. Es war wirklich so. Bald entstand eine Oeffnung, weit genug, um einen Menschen hindurch zu lassen; und in dem nämlichen Augenblicke schlüpft ein Mann herein, ihm folgen viele Andere, Jeder mit einem Säbel bewaffnet. Aus dem Stalle gehen sie in das Haus, binden den Hipparchus in seinem Schlafzimmer, hierauf die Palästra und meinen Bedienten, plündern sofort ganz ungestört das ganze Haus, und tragen Geld, Kleider und alle Sachen von Werth hinaus. Und wie endlich Nichts mehr zu stehlen übrig war, zogen sie mich und den andern Esel und das Pferd aus dem Stalle, legten uns Saumsättel auf, und beluden uns mit der ganzen Ausbeute ihres Raubes. Weil wir ganz schwer belastet waren, schlugen sie mit Prügeln auf uns los, um uns in Gang zu bringen, und trieben uns gerades Weges dem Gebirge zu, indem es ihnen darum zu thun war, auf einem wenig gangbaren Wege zu entkommen. Was das Pferd und der andere Esel dabei empfanden, weiß ich nicht: ich aber, unbeschlagen und der Anstrengung ungewohnt, wie ich war, glaubte auf dem steilen rauhen Felsenpfade unter meiner schweren Bürde zu erliegen. Ich stolperte einmal über das andere, aber zum [1056] fallen ließ man es nicht kommen: denn jedesmal war ein Kerl hinterher, und versetzte mir mit seinem Prügel einige derbe Streiche auf den Hintern. Mehr als einmal versuchte ich zwar O Kaiser zu rufen;[5] allein auch Dieß ward zu bloßen Eselsgeschrei: das O brüllte ich zwar laut und deutlich genug, aber der Kaiser wollte nicht heraus. Nichts desto weniger wurde ich für mein Schreien abgeprügelt, weil sie dadurch verrathen zu werden fürchteten. Da ich also sah, daß auch dieser Versuch vergeblich[6] war, beschloß ich in aller Stille vorwärts zu gehen, um mir wenigstens die Schläge zu ersparen.

17. Inzwischen war es Tag geworden, und wir hatten bereits mehrere Berge im Rücken, [als ich große Lust bekam, zum Frühstück[WS 1] einige wilde Rosenhecken, die am Wege standen, abzuweiden[7]]. Allein man hatte uns, um nicht aufgehalten zu werden, das Weiden am Wege durch angelegte Maulkörbe verleidet, und so mußte ich mir denn gefallen lassen, ein Esel zu bleiben. Gegen Mittag machten wir Halt bei einem Gehöfte, dessen Bewohner, wie sich sogleich zeigte, gute Freunde unserer Räuber waren. Sie begrüßten einander mit brüderlicher Zärtlichkeit; Jene nöthigten Diese einzutreten und setzten ihnen das Mittagessen vor. Wir Lastthiere erhielten Gerste, über welche sich meine Kameraden sogleich hermachten, während mich erbärmlich hungerte: denn rohe Gerste hatte ich meine Tage nie zu mir genommen. Wie [1057] ich mich nach Etwas umsehe, das ich fressen könnte, erblicke ich einen Garten hinter dem Hause, der außer vielem und schönem Gemüse auch Rosen zu enthalten schien. Ich schleiche mich also, während sie drinnen mit ihrer Mahlzeit beschäftigt sind, ganz unbemerkt in den Garten, um mich an dem Gemüse zu sättigen, hauptsächlich aber der Rosen wegen, von deren Fraß ich mir wieder meine menschliche Gestalt versprach. Mein Erstes war, als ich in den Garten kam, daß ich mir den Bauch mit Lattich, Rettichen, Eppichwurzeln und Anderem, was der Mensch roh zu essen pflegt, anfüllte: allein was ich für Rosen hielt, waren leider keine wirklichen, sondern die Blüthen des wilden Lorbers oder sogenannte Lorberrosen, für jeden Esel, so wie auch für die Pferde ein schlimmes Frühstück, indem diese Thiere, wenn sie davon fressen, auf der Stelle des Todes seyn sollen.

18. Indessen merkt der Gärtner Unrath, greift nach einem Knüttel, rennt in den Garten, und hat nicht sobald die Niederlage seiner Gemüsepflanzungen und den Zerstörer gesehen, als er mit der Hitze eines erbosten Hausherrn, der einen Dieb faßt, auf mich los fährt und mir Rippen, Schenkel, Ohren und Nase unbarmherzig zusammendrischt. Da konnt’ ich nicht länger an mich halten: ich schlage mit beiden Hinterfüßen aus, und werfe ihn rücklings in ein Salatbeet. So schnell ich konnte, galoppirte ich dem Gebirge zu: aber der Gärtner, wie er mich fliehen sah, schrie, man soll die Hunde loslassen. Auf dem Hofe befand sich nämlich ein Rudel starker Bärenbeißer. Ich sah wohl ein, daß diese mich in Stücke reißen würden, nach einigen Seitensprüngen entschloß ich mich also, dem Sprüchworte zu folgen: lieber [1058] rückwärts als schlecht vorwärts, und trabte wieder dem Gehöfte zu. Die Hunde, welche mich schon packen wollten, wurden zurück gerufen und wieder angebunden: mich aber prügelte man so unabläßig durch, daß ich vor Schmerz und Todesangst das gefressene Gemüse sammt und sonders fallen ließ.

19. Als die Stunde gekommen war, die Reise fortzusetzen, wurden die meisten und schwersten der gestohlenen Sachen mir aufgeladen, und nun sollte es vorwärts gehen. Allein ich hatte allen Muth verloren: die übermäßige Last und die Schläge hatten mich so erschöpft, der steinigte Weg meine Hufe so abgenutzt, daß ich beschloß, auf die Erde zu liegen, und mich lieber todt schlagen zu lassen, als wieder aufzustehen: zugleich versprach ich mir einen großen Vortheil von diesem Einfalle. Denn ich dachte, sie werden, ermüdet von meiner Halsstarrigkeit, meine Last unter das Pferd und den andern Esel vertheilen und mich als eine Beute der Wölfe hier liegen lassen. Allein – als ob ein neidischer Dämon meine Absicht durchschaut hätte – die Sache ging ganz anders. Der zweite Esel, der vielleicht den nämlichen Gedanken, wie ich, hatte, fällt plötzlich auf dem Wege hin. Das Erste war, daß man mit Prügeln auf ihn losschlug, um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Wie sie aber sahen, daß sich das arme Thier an die Schläge nicht kehrte, faßten ihn die Einen an den Ohren, die Andern am Schwanze, und versuchten so ihn aufzurichten. Auch das war vergeblich: der Esel lag da wie ein Klotz und streckte alle Viere von sich. Da meinten sie, es wäre unnütze Mühe, bei einem krepirten Esel sich aufzuhalten, und darüber die beste Zeit zur Flucht verstreichen zu lassen, und theilten also sämmtliches Gepäcke, das jener getragen, [1059] zu einer Hälfte mir, zur andern dem Pferde zu. Dem armen Gefährten meiner Gefangenschaft und Lastbarkeit hieben sie die Beine ab und warfen ihn noch zappelnd in einen[WS 2] Abgrund, und dieser Salto mortale machte ihm vollends den Garaus.

20. An diesem meinem Kameraden konnte ich sehen, wie etwa mein Plänchen abgelaufen wäre. Ich hielt also für das Beste, mich in die Umstände zu schicken und wacker vorwärts zu schreiten, zumal da ich hoffen durfte, endlich einmal an Rosen zu gerathen und mittelst derselben mir wieder zu mir selbst zu verhelfen. Aus dem Gespräche der Räuber vernahm ich, daß das Ende des Weges nicht weit mehr entfernt sey, und daß sie nicht eher als an dem Orte ihres Aufenthalts Halt machen wollten. Jetzt ging es, so schwer wir trugen, rasch vorwärts, und noch vor Abend waren wir zur Stelle. Im Hause war Niemand, als ein altes Weib, das vor einem großen Feuer saß. Die Räuber schafften Alles, was wir getragen hatten, hinein, und fragten darauf die Alte, warum sie hier müßig sitze, und das Mittagessen nicht zubereite? „Es ist schon alles in Ordnung,“ versetzte sie, „mehrere Brode, einige Fäßchen guten alten Weines und vortrefflicher Wildbraten.“ Sie bezeugten der Alten ihre Zufriedenheit, und nun legten sie ihre Kleider ab, salbten sich am Feuer, goßen sich hierauf warmes Wasser aus einem Kessel über den ganzen Leib, und verschafften sich auf diese Art ein Bad, das wenige Umstände erforderte.

21. Nach einiger Zeit kamen mehrere junge Bursche an mit einer Menge kostbarer Geräthschaften, silbernen und goldenen Gefäßen, Kleidern und Geschmeide. Nachdem sie dieß [1060] hineingeschafft hatten, wo der gemeinschaftliche Raub verwahrt wurde, wuschen sie sich ebenfalls. Hierauf ward reichlich gegessen und getrunken, und das Gespräch bei diesem Räubergelage wurde sehr lebhaft. Mir und dem Pferde schüttete die Alte Gerste vor, die das Pferd, das natürlicherweise in mir einen Theilnehmer besorgte, sehr gierig verschlang. Allein sobald ich sah, daß die Alte fort war, aß ich mich an den Broden satt, die ich in der Nähe vorfand. Am folgenden Morgen gingen sämmtliche Räuber ihrem Geschäfte nach, mit Ausnahme eines einzigen Burschen, der bei der Alten zu Hause bleiben mußte. Ich seufzte im Stillen über mein Schicksal, und besonders über die scharfe Wache, die ich bei mir hatte. Die Alte kümmerte mich wenig, denn aus ihrem Bereiche zu entkommen, wäre mir ein Leichtes gewesen: aber der junge Kerl, ein großer Bengel mit wildem Blick und einem Säbel an der Seite, verschloß jedesmal die Thüre sorgfältig.

22. Erst nach drei Tagen gegen Mitternacht kamen die Räuber wieder zurück, brachten aber diesesmal statt Gold und Silber und sonstiger Kostbarkeiten ein junges wunderschönes Mädchen in Thränen, mit zerfetzten Kleidern und verstörten Haaren, mit. Sie führten sie hinein, hießen sie auf einem Ruhepolster sich niederlassen und gutes Muthes seyn: die Alte sollte bei ihr bleiben und auf sie Achtung geben. Das arme Kind wollte weder essen noch trinken, antwortete auf Alles nur mit Thränen und zerraufte sich die Haare. Mir selbst, der ich in der Nähe an meiner Krippe stand, gingen vor Mitleid mit dem schönen Mädchen die Augen über. Die Räuber hielten inzwischen ihre Mahlzeit auf [1061] der Hausflur. Gegen Tagesanbruch kam Einer der Spione, welche die Straßen auszukundschaften hatten, mit der Nachricht, daß ein Reisender, der einen großen Reichthum mit sich führe, in der Nähe vorbeikommen werde. Die Bande machte sich unverzüglich auf die Beine, bewaffnete sich, legte mir und dem Pferde die Saumsättel auf und trieb uns heraus. Ich, der ich so unglücklich war, zu wissen, daß es einer gefährlichen Rauferei entgegen ging, schritt nur zögernd vorwärts; allein meine Räuber hatten Eile, und so setzte es eine tüchtige Tracht Schläge. Wie wir an der Straße angekommen waren, ließ der Reisende wirklich nicht lange auf sich warten. Die Räuber fielen über seinen Wagen her, hieben ihn und seine Dienerschaft nieder, und luden die kostbarsten seiner Effekten mir und dem Pferde auf: das übrige Gepäcke verbargen sie im Walde. Auf dem Rückwege stieß ich, durch Knüttelhiebe zur Eile genöthigt, den Huf so heftig an einen spitzigen Stein an, daß ich mich schmerzlich beschädigte und nur noch kümmerlich fortstolperte. Da hörte ich sie unter einander sagen: „Was sind wir für Narren, daß wir einen Esel füttern, der alle Augenblicke zu Boden fällt? Werfen wir die Bestie in die Felsschlucht, ehe sie uns Unheil bringt!“ „Ja,“ sagte ein Anderer, „hinunter mit ihm, er sey das Sühnopfer für unsere ganze Kompagnie!“ Wirklich schickten sie sich an, mich zu packen. Ich aber trat auf meinen wunden Fuß und lief, als ob er nicht mir gehörte; so sehr hatte mich die Todesangst meine Schmerzen vergessen gemacht.

23. Bei unserer Nachhausekunft nahmen sie unsere Ladungen ab, bewahrten Alles sorgfältig auf und lagerten sich [1062] sodann zur Mahlzeit. Mit Anbruch der Nacht aber machten sie sich wieder auf, um die im Walde zurückgebliebenen Sachen in Sicherheit zu bringen. „Wozu,“ hieß es, „sollen wir den elenden Esel da mitschleppen, der seinen Fuß nicht brauchen kann? Einen Theil des Gepäckes wollen wir selbst tragen, das Uebrige dem Pferde aufladen.“ Sie gingen also und nahmen blos das Pferd mit sich. Es war eine vollkommen mondhelle Nacht. „Unglücklicher!“ sagte ich zu mir selbst, „was bleibst du hier, bis du den Geiern und Raben zum Fraße vorgeworfen wirst? Hast du nicht gehört, was sie über dich beschlossen haben? Willst du denn durchaus in die Felsschlucht stürzen? Es ist Nacht; der Mond scheint so helle; die Räuber sind alle fort – auf! rette dich durch eilige Flucht aus der Gewalt dieser Mörder.“ Während ich so mit mir selbst beschäftigt bin, bemerke ich, daß man mich nicht angebunden hatte, sondern daß der Riemen, den ich gewöhnlich um den Hals trug, nebenan hing. Dieser Umstand reizte mich um so mehr, die Flucht zu ergreifen. Mit einem Satze sprang ich heraus und war schon an der Thüre, als die Alte, die mein Vorhaben merkte, mich bei’m Schwanze faßte und festhalten wollte. „Nun da hättest du den Schindanger zehenfach verdient, wenn du dich von einer solchen alten Vettel fangen ließest,“ dachte ich bei mir selbst und schleppte sie hinter mir her. Diese schrie ganz mörderisch nach der gefangenen Jungfrau um Hülfe. Augenblicklich erscheint Diese, und sieht nicht sobald die alte Hexe am Schwanze des Esels hängen, als sie sich zu einem Wagestücke entschließt, das einem beherzten jungen Burschen Ehre gemacht hätte. Sie schwingt sich im Nu auf meinen Rücken, treibt mich an, [1063] und ich, brennend vor Verlangen mich selbst und das schöne Mädchen zu retten, jage in vollem Galoppe mit ihr davon und lasse der Alten das Nachsehen. Die Jungfrau flehte zu den Göttern, ihre Flucht zu segnen und zu mir sagte sie: „Wenn du mich wieder zu meinem Vater zurückbringst, gutes Thier, so sollst du dein Lebenlang nicht mehr arbeiten dürfen, und jeden Morgen soll eine volle Metze Hafer dein Frühstück seyn.“ Ich, der seinen Mördern zu entrinnen hatte und von der Dankbarkeit seines Schützlings die beste Pflege hoffen durfte, dachte nicht mehr an meinen kranken Huf und rannte lustig von dannen.

24. Wie wir aber an einen Scheideweg kamen, siehe! da begegnen uns unsere Todfeinde auf ihrer Rückkehr, die im hellen Mondscheine ihre unglücklichen Gefangenen schon in der Ferne erkannt hatten. Sie liefen schnell herbei, hielten mich fest, und sagten: „He, schöne Jungfer, wohin in so später Nacht? Fürchtest du dich denn nicht vor Gespenstern, armes Närrchen? Aber komm’ nur mit uns, wir werden dich schon wieder zu den Deinigen zurückbringen.“ So sprachen sie mit teuflischem Lächeln. Mich wendeten sie linksum, und als ich meines verwundeten Fußes eingedenk wieder zu hinken anfing, sagten sie: „Ha, nun bist du aufeinmal wieder lahm, da man dich auf der Flucht erwischte? Und so lange du zu entkommen meintest, warst du doch schneller als ein Pferd, gerade als ob du Flügel hättest.“ Diese Worte begleitete der Knüttel so nachdrücklich, daß sein Zuspruch blutige Spuren auf meinem Dickbein zurückließ. Nach Hause gekommen, fanden wir die Alte mit einem Strick um den Hals an einem Felsen hängen. Ohne Zweifel hatte die Angst [1064] vor dem Zorne ihrer Herren über des Mädchens Flucht sie zu diesem verzweifelten Entschlusse gebracht. Die Räuber meinten, sie hätte klug gethan, schnitten sie ab und warfen sie sammt dem Strick in die Schlucht. Hierauf banden sie das Mädchen im Hause an, nahmen ihre Mahlzeit ein und zechten eine gute Weile.

25. Da kam denn das Gespräch auch auf das gefangene Mädchen. „Was fangen wir mit der Ausreißerin an?“ fragte einer derselben. „Was anders,“ sagte ein Zweiter, „als daß wir sie der Alten nachschicken? Wäre es auf sie angekommen, sie hätte uns um all unser Geld und Gut gebracht, und unser ganzes Handwerk den Leuten verrathen. Ja glaubt mir Kameraden, nicht einmal mit dem Leben wären wir davon gekommen, sobald es ihr gelungen wäre, ihre Heimath zu erreichen. Denn die Feinde würden ihre Maßregeln schon darnach genommen haben, um uns in unserem Neste zu überfallen und Keinen entrinnen zu lassen. Meine Meinung ist also, Rache zu nehmen an der gefährlichen Dirne. Sie sterbe, aber nicht blos den leichten Tod des Sturzes über die Felsen, sondern eine recht langsame und peinliche Todesart müßen wir für sie erdenken, eine Todesart, die ihr erst nach langen und unerträglichen Qualen den Garaus mache.“ Nun fragte sich’s also, was für ein Tod das seyn sollte. Da rief Einer: „Ich habe einen Gedanken Kameraden, den ihr gewiß sinnreich finden werdet. Unser fauler Esel, der sich jetzt lahm stellt und doch so flink auf den Beinen war, als es darauf ankam, der Dirne zu ihrer Flucht zu verhelfen, hat unstreitig den Tod verdient. Morgen schlachten wir ihn also ab, weiden ihn aus und quartiren hierauf unser artiges [1065] Jüngferchen in seinen Bauch ein, so daß sie nur, um nicht sogleich zu ersticken, mit dem Kopfe aus dem Esel heraussehen kann. Um sie noch besser zu verwahren, nähen wir den Bauch des Thieres fest zusammen, und werfen nun das Paar den Geiern vor, denen in ihrem Leben nie ein Schmaus dieser Art wird zubereitet worden seyn. Bedenkt einmal, Kameraden, was das eine Marter seyn muß, in dem Aas eines Esels eingesperrt zu seyn, dabei von der brennenden Sonnenhitze dieser Jahrszeit gebraten zu werden und unter den langsam tödtenden Qualen des Hungers und Durstes allmählig zu verschmachten, ohne seinen Tod beschleunigen zu können! Anderer Scheuslichkeiten gar nicht zu gedenken, die sie erfahren wird, wenn einmal der verwesende Esel die Luft vergiftet und von Würmern wimmelt. Zuletzt werden die Geier, wenn sie den Esel durchgefressen, auch an sie kommen und sie vielleicht noch lebendig zerfleischen.“

26. Alle begrüßten den gräßlichen Einfall als einen glücklichen Fund mit lautem Beifallsrufe. Aber ich seufzte tief auf – also geschlachtet sollte ich werden, sollte nach dem Tode, statt im Frieden zu ruhen, eine unschuldige verzweifelnde Jungfrau einschließen, um ihr Grab zu werden? – Inzwischen begann es zu tagen, und siehe! – plötzlich ist das Haus von einer Menge Soldaten umringt, die man unsern Schurken auf den Leib geschickt hatte. Ohne vielen Widerstand ließen sie sich sämmtlich in Ketten legen, um vor den obersten Beamten der Gegend geführt zu werden. Mit den Soldaten war auch der Verlobte des gefangenen Mädchens angekommen, denn er war es, der den Schlupfwinkel der Räuber ausgekundschaftet und der Obrigkeit angezeigt hatte. [1066] Dieser nahm also seine Geliebte, setzte sie auf meinen Rücken und trieb mich ihrer Heimath zu. Und wie uns die Leute des Dorfs, wo sie wohnte, von weitem sahen, und ich ihnen die frohe Kunde, daß alles gut gegangen, lustig zuwieherte, liefen sie herbei, begrüßten die Gerettete und führten uns wie im Triumph ihrer Wohnung zu.

27. Hier war das junge Mädchen so billig, Sorge für mich zu tragen, der ich ihr Mitgefangener und der Gefährte ihrer Flucht gewesen war, und mit ihr die Gefahr eines gemeinsamen Todes getheilt hatte. Ich fand bei meinen neuen Besitzern eine Metze Gerste zum Imbiß, und Heu, daß sich ein Kameel hätte satt fressen können. Uebrigens war ich jetzt mehr, als je, auf die Palästra erbost, daß sie mich in einen Esel, und nicht vielmehr in einen Hund verwandelt hatte. Denn ich sah jetzt Hunde in die Küche schleichen und sich weidlich gütlich thun, weil dort das Hochzeitmahl mit dem Aufwande zubereitet wurde, der von den reichen Eltern der Braut sich erwarten ließ. Einige Tage nach der Hochzeit, als die junge Frau gegen ihren Vater der Verbindlichkeit erwähnte, die sie für mich hätte, und den Wunsch äußerte mich angemessen belohnen zu können, befahl Dieser, mich in Freiheit zu setzen, und in Zukunft mit den Stutten auf die Waide gehen lassen. „Wie wohl wird es ihm seyn, meinte er, wenn er sich einmal nach Herzenslust unter freiem Himmel umtreiben, und seinen Muthwillen an den jungen Stutten auslassen kann!“ In der That hätte er es nicht besser treffen können, wenn er die Belohnung eines Esels zu bestimmen gehabt hätte. Er ließ einen seiner Roßhirten herbeirufen und übergab mich ihm zur Besorgung. Mich freute [1067] die Sache nur, insofern das Lasttragen jetzt ein Ende haben sollte. Nun ging’s hinaus auf den Maierhof meines Herrn; ich wurde zu den Stutten gestellt, und am andern Morgen trieb mich der Hirte zugleich mit denselben auf die Weide.

28. Allein auch hierin sah ich mich bald häßlich betrogen.[8] Der Roßhirt ließ mich noch einige Zeit, statt mich auszutreiben, zu Hause, wo mich Megapola, sein Weib, für die Mühle in Beschlag nahm, und den ganzen Bedarf an Waizen- und Gerstenmehl durch mich mahlen ließ. Ich war kein undankbarer Esel: so lange ich also blos für meine Herrschaft zu arbeiten hatte, ließ ich es mir gerne gefallen. Allein meine gestrenge Gebieterin erlaubte sich, meinen armen geplagten Nacken an die zahlreichen Bewohner der Nachbarschaft zu vermiethen, und ließ sich dafür mit feinem Waizenmehle bezahlen. Die Portion Gerste, die mir gebührt hätte, röstete sie jedesmal und verfertigte, nachdem ich sie gemahlen hatte, Kuchen daraus, die sie selbst verspeiste. Mein Futter war dafür die bloße Kleie. Traf sich’s auch bisweilen, daß mich der Hirt mit den Stutten auf die Weide trieb, so wurde ich von den Hengsten beinahe zu Tode gebissen und geschlagen. Denn da sie einen gefährlichen Nebenbuhler in mir argwöhnten, verfolgten sie mich auf’s Hitzigste, und schlugen mit beiden Hinterfüßen nach mir aus, so daß mir nichts fürchterlicher war, als diese pferdemäßige Eifersucht. So konnte es nicht fehlen, daß ich in Kurzem mager und elend werden [1068] mußte, da ich nirgends, weder in der Mühle, noch im Freien unter meinen erbosten Weidegenossen, eine gute Stunde hatte.

29. Den Gipfel aber erreichte mein Elend, wenn ich, was sehr häufig geschah, auf das Gebirge getrieben wurde, um Holz herabzutragen. Erst ging es auf einem sehr steilen, für meine unverwahrten Hufe doppelt beschwerlichen, steinigten Wege einen hohen Berg hinauf: zur Seite ging mir mein Treiber, ein ruchloser Junge, der mit immer neuen Martern mich bis zum Tode quälte. Ich mochte laufen, so schnell ich konnte, nichts desto weniger schlug er auf mich los, und zwar mit einem rauhen, knotigen Prügel unaufhörlich auf eine und dieselbe Stelle meines Schenkels, bis die Haut aufsprang, und nun richtete er alle Streiche um so mehr nur auf den wunden Fleck. Oben bekam ich jedesmal eine Ladung, an der ein Elephant zu tragen gehabt hätte; und so mißlich das Herabsteigen war, so setzte es doch auch hier wieder Schläge über Schläge. Neigte sich die Last auf die eine Seite und drohte herabzufallen, wo er denn einen Theil des Holzes von der schwereren auf die leichtere Seite hätte schaffen sollen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, so nahm sich der Bube diese Mühe nicht, sondern las große Steine vom Wege auf und beschwerte den leichtern, in die Höhe steigenden Theil damit, und ich armer Esel mußte noch zu meiner Holzlast für Nichts und wieder Nichts Steine herunterschleppen. Der Weg führte über ein fließendes Wasser: um seine Schuhe zu schonen, huckte sich also der Bursche jedesmal hinter die Holzbündel auf meinen Rücken, und ließ sich hinübertragen.

30. Fiel ich aber, von der Last und Erschöpfung niedergedrückt, je einmal zu Boden, dann erst ging es recht entsetzlich [1069] über mich her. Statt, wie er sollte, abzusteigen und mir zum Wiederaufstehen behülflich zu seyn, auch, wo es nöthig, einen Theil der Last mir abzunehmen, blieb er gemächlich sitzen und schlug mich mit seinem Knüttel so lange über Kopf und Ohren, bis die Schmerzen mich nöthigten, mich aufzuraffen. Noch ein anderes unerträgliches Leiden ersann mir sein bübischer Muthwille. Er band einige Händevoll spitziger Dornen in einen Bündel zusammen, und hing mir diesen unter den Schwanz, so daß, wie sich leicht denken läßt, die Stacheln mit jedem Schritte mich in das Hintertheil stachen und die Haut mir blutig ritzten. Ich konnte mich auf keine Weise dagegen sichern, da dieses verletzende Anhängsel zu gut an meinem Schweife befestigt war. Ging ich sachte, um das Anschlagen des freischwebenden Bündels weniger zu empfinden, so trieb mir der Prügel fast die Seele aus dem Leibe; wollte ich dem Prügel entlaufen, so waren die fatalen Dornen um so schärfer hinter mir her. Kurz, es war bei meinem Treiber ganz darauf abgesehen, wie er mich umbringen möchte.

31. Ein einzigesmal, da er mich auf alle Weise mißhandelte, riß mir die Geduld, und ich gab ihm einen derben Fußtritt; aber diesen Fußtritt vergaß er mir nicht wieder. Nach einiger Zeit sollte er einen gewaltigen Pack Werg nach einem benachbarten Maierhof transportiren: er zieht mich also aus dem Stalle, und schnallt mir den Pack fest auf den Leib, in der Absicht, mir damit einen heillosen Streich zu spielen. Wie ich mich eben in Bewegung setzen sollte, nimmt er heimlich ein brennendes Stück Holz vom Heerde und steckte es in einiger Entfernung von unserem Gehöfte in meinen [1070] Wergballen. Was war natürlicher, als daß Dieser im Augenblicke Flammen fing, und ich eine ganze Feuersbrunst aus meinem Rücken trug? Schon glaubte ich, bei lebendigem Leibe gebraten zu werden, als ich glücklicherweise neben der Straße eine tiefe Pfütze gewahr werde. Ich stürze mich in den Morast, wo er am tiefsten war, wälze mich darin mit meinem Werg nach allen Seiten hin und her, und so gelang es mir, den Brand meiner unheilvollen Bürde mit Koth zu löschen. Weil aber das Werg vom Schlamme gänzlich durchnäßt war, so war der Junge nicht im Stande, es von neuem anzuzünden: ich legte also den Rest meines Weges ohne weitere Gefahr zurück. Bei unserer Ankunft aber wußte der freche Bube die Lüge aufzubringen, als wäre ich absichtlich einer Feuerstelle zu nahe gekommen, um mich daran zu reiben. So war ich denn dieser Noth wider Verhoffen noch leidlich genug entkommen.

32. Aber ein andermal hatte mir der Schandbube ein noch schlimmeres Stückchen ausgesonnen. Er nahm mich mit auf’s Gebirge und belud mich mit einer großen Menge Holz, das er an einen benachbarten Bauer verkaufte. Hierauf trieb er mich leer wieder nach Hause und sagte bei’m Herrn abscheuliche Dinge über mich aus. „Herr,“ sagte er, „dieser Esel verdient nicht, daß wir ihn länger füttern: er ist über die Maßen träg und faul. Und jetzt trägt sich die Bestie mit einer ganz neuen Unart. So wie er ein Weib, ein schönes Mädchen oder auch einen hübschen Jungen zu Gesichte bekommt, schlägt er aus und rennt darauf los, gebehrdet sich wie der zärtlichste Liebhaber, beißt als ob er küssen wollte, und will ihnen mit Gewalt auf den Leib. Das kann dir [1071] noch schlimme Händel machen, Herr; denn er packt ohne Unterschied an, Wer ihm gefällt. Nur so eben, da ich ihm Holz aufgeladen hatte, sieht er eine Weibsperson auf’s Feld gehen: mein Esel schüttelt sich so, daß im Nu alles Holz zur Erde lag, wirft das Weib auf den Weg nieder, und wäre ich nicht mit mehreren Andern ihr zu Hülfe gekommen, ich glaube der saubere Liebhaber hätte sie zerrissen.“

33. „Wenn dem freilich so ist,“ sagte der Herr, „und der Esel nicht arbeiten mag, sondern in der Liebestollheit auf Menschen losgeht, so schlagt ihn ohne Weiteres todt: gebt seine Eingeweide den Hunden, und das Fleisch bewahrt für die Tagelöhner auf. Und wenn die Herrschaft fragt, was aus dem Esel geworden sey, so sagt nur, ein Wolf hätte ihn umgebracht.“ Eine größere Freude hätte dem Schindersjungen, dem Eseltreiber, nicht gemacht werden können: er wollte mir nun gleich den Treff geben. Aber zu meinem Glücke kam ein Bauer aus der Nachbarschaft dazu, der mich vom Tode rettete, wiewohl er es schlimm genug mit mir vor hatte. „O,“ rief er, „schlagt doch den Esel nicht todt, der zum Mahlen und Lasttragen noch immer gut genug ist. Der Sache läßt sich abhelfen. Wenn er in seiner geilen Wuth Menschen anfällt, so braucht ihr ihn ja nur zu kastriren; und sobald ihn sein verliebtes Temperament verlassen haben wird, wird er zahm seyn, wird zu Fleische kommen und desto größere Lasten auf seinem breiten Rücken tragen können. Wenn du es nicht selbst verstehst, diese Kur mit ihm vorzunehmen, Junge, so will ich in ein Paar Tagen wieder hierher kommen, und dann soll ein einziger Schnitt ihn frömmer machen als ein Lamm!“ Alle Anwesenden gaben diesem guten [1072] Rathe ihren Beifall. Ich aber jammerte im Stillen, daß ich das Mannhafte an meiner Eselsnatur einbüßen sollte: der Gedanke, ein Hämling zu werden, war mir unerträglich, und so beschloß ich entweder, nicht mehr zu fressen oder von einem Berge mich zu stürzen, um, wenn auch eines noch so kläglichen Todes, doch wenigstens ganz zu sterben.

34. Da kam mitten in der Nacht ein Mensch aus dem Dorfe auf unsere Maierei hinaus mit der Nachricht, die junge Frau, die neulich in den Händen der Räuber gewesen, und ihr Mann wären spät Abends am Ufer der See spatzieren gegangen, und von der plötzlich eintretenden Fluth ergriffen worden: ohne allen Zweifel hätten sie, da sie nicht mehr zum Vorscheine gekommen, ihren Tod in den Wellen gefunden. Sogleich faßten meine Leute den Entschluß, nun, da die neue Herrschaft ausgestorben, nicht länger in der Dienstbarkeit zu verbleiben, sondern mit allen Habseligkeiten, die der Hof enthielt, auf und davon zu gehen. Der Roßhirt nahm nun auch mich zur Hand, und lud mir und seinen Stutten so Vieles auf, als er nur immer zusammen bringen konnte. Ich meines Theiles, wiewohl ich eine rechte Eselslast auf dem Rücken hatte, war doch herzlich froh, daß meiner Kastration dieses Ereigniß in die Quere gekommen war. Wir hatten noch diese Nacht einen abscheulichen Weg zu machen, und kamen nach drei Tagen in die große und volkreiche Stadt Beröa in Macedonien.

35. Hier sollte, nach dem Beschlusse der Gesellschaft, das Ziel unserer Reise seyn. Sogleich ward eine öffentliche Versteigerung mit uns Thieren vorgenommen, und ein helltönender Ausrufer stellte sich mitten auf den Markt, um uns [1073] Stück für Stück auszubieten. Die Leute kamen herbei uns zu sehen, rissen uns die Mäuler auf und guckten jedem das Alter an den Zähnen ab; der Eine kaufte dieses der Andere jenes Pferd; nur ich war allein noch übrig, und schon sagte der Ausrufer zu meinem Hirten: „den nimm nur wieder nach Hause; du siehst ja, er allein hat keinen Liebhaber gefunden.“ Da führte mir die Laune des Geschicks, das so manche wunderliche Einfälle hat, am Ende noch einen Herren zu, wie ich mir ihn am wenigsten wünschte. Es war ein alter passiver Wollüstling, einer von Denen, welche mit der Syrischen Göttin auf Märkten und Dörfern umherziehen und die Göttin betteln zu gehen zwingen. An Diesen werde ich verkauft um den ansehnlichen Preis von dreißig Drachmen (13 fl.). Seufzend folgte ich meinem neuen Gebieter.

36. Wie wir an die Wohnung des Philebus (so hieß mein Käufer) gekommen waren, rief er schon vor der Thüre mit lauter Stimme: „Holla, Mädchen, ich habe zu eurer Bedienung einen schönen, starken Burschen gekauft, einen gebornen Kappadocier!“ Was er aber seine Mädchen nannte, war ein Trupp Lustknaben und Gehülfen bei dem Gewerbe des Philebus. Diese erhoben Alle ein freudiges Geschrei, weil sie glaubten, der Gekaufte wäre wirklich ein Mensch: wie sie aber in ihrem Sklaven einen Esel sahen, machten sie sich derb über den Alten lustig, und: „Ach,“ riefen sie mit Lachen, „hast du dir diesesmal statt eines Bedienten einen Bräutigam geholt, Allerschönste? Nun wohl bekomme die Hochzeit! Wirf uns nur recht bald Junge von dieser artigen Zucht.“

[1074] 37. Am folgenden Tage gingen sie an die Arbeit, wie sie’s nannten. Die Göttin ward herausgeputzt und auf meinen Rücken gesetzt. Darauf zogen wir aus der Stadt auf das Land, und so oft wir in ein Dorf kamen, mußte ich Götterträger[9] Halt machen. Der Chor der Flötenspieler fing zu blasen an, worauf der ganze Trupp, wie von Begeisterung ergriffen, die Mützen von sich warf, die Köpfe verdrehte, die Arme mit Säbeln sich verwundete, die Zungen herausreckte und auch diese blutig ritzte, so daß in Kurzem Alles von dem unsaubern Blute dieses Gesindels voll war. Ich sah das Alles anfänglich mit Zittern und Beben an, weil ich besorgte, die Göttin möchte auch Eselsblut vonnöthen haben. Nachdem sie sich nun zur Genüge zerschnitten hatten, sammelten sie von den umstehenden Zuschauern Obolen und Drachmen ein. Manche gaben noch obendrein getrocknete Feigen, ein Paar Käse, einen Krug Wein, und eine Metze Waizen oder Gerste für den Esel. Von diesen Einkünften nährten sie sich selbst, und bestritten den Aufwand, welchen der Kultus der Göttin, die ich trug, erforderte.

38. Einmal waren wir in ein Dorf eingefallen, wo meine Leute eines derben Bauerburschen habhaft wurden, den sie mit in ihre Herberge nahmen. Dort litten sie von ihm, was ihrem abscheulichen Cinädischen Geschmacke so sehr zusagte. Ueberwältigt vom Schmerze über meine Verwandlung, die mich bis jetzt so vieles Schändliche mitanzusehen und zu erdulden nöthigte,[10] wollte ich ausrufen: O grausamer Jupiter! [1075] allein statt dessen kam die Stimme eines Esels aus meiner Kehle und wieherte so laut, daß einige Bauern, die eben vorüber gingen, um einen verlornen Esel zu suchen, ohne Weiteres eintraten und mich holen wollten, als ob ich der ihrige wäre. Da trafen sie die saubern Gesellen an, wie sie eben das Unnennbare verübten, schlugen eine gewaltige Lache auf, liefen hinaus, und erzählten dem ganzen Dorfe, was die frommen Priester für Schweine wären. Diese, beschämt durch die häßliche Entdeckung, brachen sogleich in der nächsten Nacht auf, und als sie sich auf der einsamen Straße befanden, entluden sie ihren Zorn in den heftigsten Vorwürfen gegen mich, den Verräther ihrer Mysterien. So lange es noch bei Scheltworten blieb, konnte ich mir Alles gefallen lassen. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Sie nahmen mir die Göttin ab, und setzten sie auf die Erde, zogen mir die Decken herunter, banden mich hierauf an einen starken Baum und peitschten mit einer geknöchelten Geißel so unbarmherzig auf mich los, daß ich um ein Kleines den Geist aufgegeben hätte. „Merke dir’s für ein andermal,“ sagten sie, „und halte dein Maul!“ Sie sprachen sogar davon, nach erlittener Geißelung mich todtzuschlagen, weil ich sie in Schimpf und Schande gebracht und gemacht habe, daß sie das Dorf verlassen mußten, ohne noch einen Obolus verdient zu haben. Doch beschämte sie der Anblick ihrer Göttin, die auf der Erde lag und unvermögend gewesen wäre, ihre Reise fortzusetzen; und so ward mir das Leben geschenkt.

39. Nachdem sie mich also sattsam gegeißelt hatten, bekam ich meine Gebieterin wieder auf den Rücken, und die Reise ging weiter. Gegen Abend machten wir Halt bei dem [1076] Landgute eines reichen Mannes, der glücklicherweise anwesend war, und die Göttin mit vielem Vergnügen in seinem Hause aufnahm, auch sogar mit Opfern sie beehrte. Was ich hier für eine Gefahr ausgestanden, werde ich nie vergessen. Der Herr dieses Landgutes hatte von einem seiner Freunde die Keule eines wilden Esels zum Geschenke erhalten. Der Koch, der sie zubereiten sollte, war so nachläßig sie sich von Hunden, die in die Küche schlichen, stehlen zu lassen. In der Verzweiflung darüber, und in der Angst vor den peinlichen Strafen, die seiner warteten, war er schon im Begriffe, sich aufzuhängen, als seine Frau, für mich ein wahrer Unglücksvogel, zu ihm sagte: „Gib doch diesen trostlosen Gedanken auf, lieber Mann! Folge nur mir, und es soll alles gut gehen. Nimm den Esel der Cinäden hinaus an einen einsamen Ort, schlag’ ihn todt, schneide eine Keule von ihm ab und setze sie dem Herrn gebraten vor. Den Esel selbst kannst du ja in irgend einen Abgrund werfen, damit man, wenn man ihn nirgends findet, meine, er sey davon gelaufen. Du siehst, er ist wohl bei Leibe und schmeckt gewiß noch besser, als der wilde.“ „Vortrefflich, Weibchen,“ rief der Koch: „ich weiß kein besseres Mittel, mir die Geißel zu ersparen; drum frisch an’s Werk!“ Ich stand hart daneben, als der Koch von seinem Weibe diesen verfluchten Rath empfing.

40. Ich fasse also einen raschen Entschluß, dem Küchenmesser zu entgehen, reiße den Riemen, mit welchem ich angebunden war, entzwei, renne in vollen Sprüngen in das Zimmer, wo die Cinäden mit dem Herrn des Hauses zu Tische waren, und werfe, nach allen Seiten ausschlagend, [1077] Leuchter und Tische sammt Allem über den Haufen. Ich glaubte Wunder, was für ein kluges Stückchen das wäre, und dachte, der Hausherr würde mich nun gleich als ein unartiges Thier einsperren und wohl verwahren lassen. Allein mein Stückchen wäre mir bald sehr gefährlich geworden. Man hielt mich für wüthend, und griff nach Säbeln, Spießen, Stangen, und machte Miene mich umzubringen. Ich sah die Größe meiner Gefahr und laufe eilends in das Gemach, wo meine Leute übernachten sollten; diese sahen mich nicht sobald darinnen, als sie schnell die Thüre von außen verrammelten.

41. Am Morgen des folgenden Tages erhielt ich wieder, wie gewöhnlich, die Göttin aufgeladen, und zog mit meinen Landstreichern weiter, bis wir an einen sehr ansehnlichen, stark bevölkerten Flecken kamen. Hier geriethen sie auf den ganz neuen Einfall, den Leuten weiß zu machen, ihre Göttin bleibe nicht in der Wohnung eines Sterblichen, sondern müße ihr Quartier in dem Tempel der angesehensten Schutzgottheit des Ortes erhalten. Die guten Leute öffneten der fremden Göttin mit Freuden das Heiligthum ihrer eigenen Patronin, uns aber wiesen sie das Häuschen einer armen Familie zur Wohnung an. Nach einem Aufenthalte von mehreren Tagen an diesem Orte beschlossen meine Herren in die benachbarte Stadt zu gehen, und baten sich also ihre Göttin wieder aus, begaben sich aber selbst in das Innere des Tempels, um sie zu holen. Als ich sie auf meinem Rücken hatte, ging der Zug vorwärts. Im Tempel hatten diese Spitzbuben eines der Weihgeschenke, eine goldene Schale, gestohlen und unter den Kleidern ihrer Göttin hinausgetragen. Sobald die Leute im [1078] Dorfe diesen Diebstahl entdeckten, setzten sie uns zu Pferde nach, sprangen, als sie uns nahe genug waren, herab, und packten den Trupp mit den Worten: „Heraus mit der Schale, verruchte Tempelräuber!“ Sogleich durchsuchten sie Alles selbst, und fanden sie wirklich im Busen der Göttin versteckt. Hierauf wurden die schändlichen Buben gebunden in das Dorf zurückgeführt und in das Gefängniß geworfen: mir nahmen sie die Göttin ab, um sie in einem andern Tempel unterzubringen: das goldene Gefäß aber wurde der Schutzheiligen des Fleckens zurückgegeben.

42. Tages darauf beschloß man mich nebst den Geräthschaften der Gefangenen zu verkaufen. Ich ward von einem Bäcker aus dem nächsten Dorfe erstanden, der mich sogleich mit etlichen Maltern Waizen, die er hier gekauft hatte, belud, und auf einem sehr schlechten Wege nach seinem Dorfe trieb. Wie wir angekommen waren, führte er mich sogleich in das Mühlgewölbe, wo ich eine ziemliche Anzahl Kameraden und viele Mühlen traf, die sämmtlich von jenen getrieben wurden. Der übrige Raum war mit Mehlsäcken angefüllt. Mich, als neuen Ankömmling, der eine sehr schwere Ladung getragen und einen bösen Weg zurückgelegt hatte, ließ man von hier aus in den Stall gehen und ausruhen. Aber am folgenden Morgen wurde ich mit bedeckten Augen an den Mühlbengel gebunden und angetrieben. Wiewohl ich aus langer Erfahrung recht gut wußte, wie man mahlen soll, so stellte ich mich doch gänzlich unwissend. Allein ich betrog mich in meiner Rechnung. Ich konnte nicht sehen, daß sich die Mühlburschen mit Prügeln versehen hatten, und sich um mich herstellten: es kam mir also ganz unerwartet, als ich [1079] Streiche über Streiche empfing, dergestalt, daß ich mich jetzt so schnell als ein Kreisel um meine Mühle drehte. So hat man mich den Spruch gelehrt, daß der Knecht, um seine Schuldigkeit zu thun, nicht erst auf die Hand des Herren warten solle.

43. Bei diesem Geschäfte ward ich bald so mager und kraftlos, daß mein Bäcker für gut fand, mich wieder zu verkaufen, und so kam ich in den Besitz eines Gärtners, der einen Garten in der Nähe der Stadt gepachtet hatte. Unser Tagewerk war hier folgendes: jeden Morgen belud mich mein Herr mit Gemüsen, die ich zu Markte tragen mußte, und wenn er verkauft hatte, trieb er mich wieder in den Garten. Dort grub, pflegte, begoß er, indessen ich müßig stehen durfte. Gleichwohl wurde mir diese Lebensweise nachgerade unerträglich. Denn der Winter war inzwischen herangekommen und mein Gärtner hatte nicht einmal Geld genug, eine warme Decke für sich selbst, geschweige für mich, zu kaufen; der Weg, den ich täglich mit bloßen Hufen zu gehen hatte, war bald sehr morastig, bald rauh und gefroren; und zu allem Diesem hatten wir Beide nichts zu essen als elenden Salat, der eben so zähe als bitter war.

44. Eines Tages, als wir auf dem Rückwege in unsern Garten begriffen waren, begegnete uns ein sehr ansehnlicher Mann in militärischer Kleidung, welcher den Gärtner lateinisch anredete und fragte, wohin er mit dem Esel da wolle? Der Gärtner, der ohne Zweifel diese Sprache nicht verstand, gab ihm keine Antwort. Dieß nimmt der Fremde für eine Beleidigung, und versetzte dem Gärtner im Zorn einen Hieb mit seiner Peitsche. Sogleich packt ihn Dieser, unterschlägt [1080] ihm ein Bein, streckt ihn der Länge nach auf den Weg, und bläut ihn mit der Faust, mit Fußtritten, sogar mit einem Straßenstein auf’s Kläglichste durch. Anfänglich wollte sich der Andere wehren und drohte, seinen Degen ihm durch den Leib zu rennen, sobald er wieder auf die Beine käme. Aber mein Gärtner machte sich diese Erinnerung zu Nutze, reißt ihm den Degen aus der Scheide und wirft ihn weit weg; und nun prügelte er abermals auf ihn los, so daß der Andere, der es nicht länger aushalten kann, sich stellt, als hätte er unter den Schlägen seinen Geist aufgegeben. Nun wurde dem Gärtner auf einmal bange; er ließ den Geschlagenen liegen, wo er lag, nahm seinen Degen und ließ sich von mir nach der Stadt zurücktragen.

45. Wie wir dort angekommen waren, trug er die Besorgung seines Gartens einem seiner Kameraden auf, und weil er sich vor den Folgen des Vorfalls auf der Straße fürchtete, versteckte er sich und mich bei einem Bekannten, deren er mehrere in der Stadt hatte. Den folgenden Morgen, nachdem sie berathschlagt hatten, was zu thun war, verbargen sie meinen Herrn in einer Kiste, und mich schleppten sie an den Füßen die Treppe hinauf in eine Kammer des obern Stocks, die sie verschloßen. Inzwischen hatte sich der Soldat, wie man erzählt, mit Mühe von der Straße wieder aufgerafft, und war, freilich mit schwerem Kopfe, in die Stadt zurückgekommen, wo er sogleich seinen Kameraden erzählte, wie rasend ihm der Gärtner mitgespielt. Diese nahmen sich seiner an, machten unsern Schlupfwinkel ausfindig und erbaten sich die Hülfe der Ortsobrigkeit. (Angekommen vor unserer Wohnung) schickten sie einen Gerichtsdiener [1081] hinein mit dem Befehl, daß Alle, die darin wären, sogleich herauskommen sollten. Sie kommen, aber der Gärtner ist nirgends zu sehen. Ungeachtet die Soldaten behaupteten, der Gärtner und sein Esel müssen drin seyn, wiederholten Jene immer die Versicherung, daß kein lebendiges Wesen mehr im Hause sey. Dieß verursachte einen heftigen Wortwechsel und großen Zusammenlauf in dem engen Gäßchen. Da wollte ich unartiger und naseweiser Esel sehen, Wer denn die Schreier da unten wären, und stecke meinen Kopf oben zum Fenster hinaus. Wie sie mich sahen, ward das Geschrei noch größer: die Bewohner des Hauses waren also der Lüge überwiesen, die Gerichtspersonen verfügten sich in das Innere, durchsuchten alle Gemächer, und fanden endlich meinen Herrn in einer Kiste liegend. Dieser wird sogleich festgenommen und in’s Gefängniß abgeführt, um dort seinen Proceß zu erwarten. Ich aber werde herunter befördert und den Soldaten ausgeliefert. Alles Dieß geschah unter unbändigem Gelächter der Anwesenden über den Verräther aus dem Oberstocke, und ich ward so die Veranlassung, daß das Sprüchwort unter die Leute kam: der Esel schaut heraus.

46. Wie es am folgenden Tage meinem Gärtner erging, weiß ich nicht. Mich verkaufte der Soldat um fünfundzwanzig Attische Drachmen (11 fl.) an einen Mann von der Dienerschaft eines sehr reichen Herrn aus Thessalonik, der Hauptstadt Macedoniens. Dieser mein neuer Besitzer war Koch, und sein Bruder, der mit ihm in demselben Hause diente, Pasteten- und Honigbäcker. Beide Brüder wohnten und arbeiteten immer zusammen, und ihre Geschirre und Werkzeuge hatten sie gemeinsam. Auch ich ward in demselben Raume [1082] eingestellt, wo sie sich aufhielten. So oft die Mahlzeit ihres Herrn beendigt war, kamen sie mit vielen übrig gebliebenen Eßwaaren zurück; der Eine brachte Fleischspeisen und Fische, der Andere Kuchen und anderes Backwerk. Hierauf verschloßen sie die Thüre, ließen mich als Hüter aller dieser Herrlichkeiten zurück, und gingen, sich zu baden. Daß ich nun meiner Gerste den Abschied gab, läßt sich denken: seit so langer Zeit hatte ich keine menschliche Nahrung mehr genossen, ich gab mich also ganz dem Genuß Dessen hin, was meine Herren von ihren eigenen Kunstwerken erübrigt hatten. Bei ihrer Rückkunft wurden sie anfänglich Nichts von meiner Leckerei gewahr, weil der Speisen sehr viele waren, und ich noch mit einer gewissen Aengstlichkeit und Schonung genascht hatte. Allein je mehr ich mich von ihrer Verblendung versicherte, desto mehrere und desto bessere Bissen verschlang ich, so daß sie endlich ihren Verlust zu merken anfingen. Zuerst sah Einer den Andern mit argwöhnischen Blicken an, bald aber schalten sie sich in’s Gesicht „Betrüger, unverschämter Dieb!“ und von nun an hielten Beide ein scharfes Auge auf ihre Sachen und zählten jedes einzelne Stück sorgfältig.

47. Ich ließ mich Das nicht kümmern, sondern pflegte nur um so behaglicher des üppigen Wohllebens, so daß mein Leichnam von der gewohnten Kost in kurzem wieder recht stattlich, mein Fell glatt und glänzend wurde. Wie mich die guten Leute immer dicker und fetter werden sahen, während doch das Gerstenmaß immer voll blieb, argwohnten sie endlich meine Streiche. Sie stellten sich also, als ob sie in’s Bad gehen wollten und schloßen die Thüre hinter sich zu, sahen aber durch eine Spalte derselben, wie ich, ihre List nicht ahnend, [1083] aufstehe und meine Mahlzeit halte. Sie trauten ihren Augen kaum, als sie einen Esel so menschlich speisen sahen, und riefen ihre Cameraden zu der lustigen Scene herbei. Hier entstand denn ein so lautes Gelächter, daß der Herr auf den Lärm aufmerksam wurde und fragte, was es denn da draußen zu lachen gebe. Nachdem man ihm die Ursache gesagt, steht er von der Tafel auf, guckt ebenfalls durch die Spalte und sieht mir zu, wie ich eben ein tüchtiges Stück von einem Wildschwein versorge. Mit schallender Lache öffnet er die Thüre und tritt ein, während ich sehr erschrocken war, von dem Herrn des Hauses selbst als Dieb und Leckermaul betroffen worden zu seyn. Allein er fand die Sache äußerst drollig und befahl, mich in’s Speisezimmer zu bringen, und mir einen eigenen Tisch mit Speisen vorzusetzen, die sonst kein Esel zu fressen im Stande ist, z. B. Fleisch, Austern, würzige Brühen, einige Fische in Sardellensauce, andere in Oehl, Essig und Senf. Ich, wie ich merke, daß mich das Geschick so gnädig anlächelte, und daß, wenn irgend Etwas dieses Stückchen mein Glück machen müsse, stelle mich, so voll ich schon war, an den Tisch und fresse wacker drauf los. Der ganze Saal hallte wieder von wieherndem Gelächter. Da meinte Einer: „Dieser Esel trinkt gewiß auch Wein mit Wasser, wenn man ihm welchen vorsetzt.“ Sogleich gibt er Herr den Befehl, Wein zu bringen, und ich leere die Schaale auf Einen Zug.

48.[WS 3] Dieser reiche Herr, welcher in mir ein wahres Wunderthier erblicken mußte, ließ durch einen seiner Verwalter dem Koche das Doppelte Dessen, was ich ihn gekostet, ausbezahlen, und übergab mich einem jungen Freigelassenen, um [1084] mir solche Kunststücke beizubringen, von denen er sich die ergötzlichste Unterhaltung versprechen konnte. Der junge Mensch hatte leichtes Spiel: denn ich war sehr folgsam und in allen Stücken gelehrig. Zuerst mußte ich lernen, mich wie ein Mensch, der sich auf die Ellenbogen stützt, auf ein Sopha zu legen; alsdann lehrte er mich ringen und sogar tanzen, indem ich mich auf die Hinterbeine stellen mußte, und seine Fragen durch Nicken und Kopfschütteln bejahend oder verneinend beantworten, kurz lauter Dinge, die ich auch ohne Lehrmeister recht gut hätte machen können. Bald sprach man in der ganzen Stadt von Nichts, als von dem merkwürdigen Esel, der Wein trinken, Ringkünste machen, tanzen, auf vorgelegte Fragen durch passende Geberden antworten könne, und, wenn er zu trinken verlange, dem Mundschenken seinen Willen durch Blicke zu erkennen gebe. Alles Dieß ward als eine höchst seltsame Erscheinung angestaunt, weil man freilich nicht wußte, daß in dem Esel ein Mensch versteckt war. Ich hingegen ließ es mir, bei dieser Unwissenheit der Leute, ganz wohl seyn. Man hatte mich unter anderem auch gelehrt, einen sehr regelmäßigen Schritt anzunehmen, so daß sich mein Herr selbst von mir tragen ließ, um so mehr, als auch mein Gallop so sanft war, daß der Reiter nicht die geringste Unbequemlichkeit verspürte. Ich ward daher auf’s kostbarste aufgeputzt, erhielt prächtige Purpurdecken, einen mit Silber und Gold durchwirkten Zaum und ein Schellengehänge, das so lieblich tönte, wie die schönste Musik.

49. Menecles, mein Herr, der, wie gesagt, aus Thessalonik war hatte dieser seiner Vaterstadt ein Gladiatorenspiel zu geben versprochen, und war deswegen hierhergekommen, um [1085] gute Fechter zu erhalten. Diese hatte er jetzt in Bereitschaft, und nun ging die Abreise vor sich. Wir brachen Morgens auf. So oft eine rauhe Strecke kam, die im Wagen zurückzulegen beschwerlich war, trug ich den Herrn auf meinem Rücken. Wie wir nach Thessalonik kamen, war Niemand, der sich nicht beeilt hätte, mich zu sehen. Denn der Ruf von meiner Tanzkunst und meinen pantomimischen und gymnastischen Fertigkeiten war mir längst vorangegangen. Bei einem großen Gastmahle, das Menecles den vornehmsten Bewohnern der Stadt gab, ließ er mich auftreten, um die Gäste mit allen den wunderbaren Künsten, die ich wußte, zu unterhalten.

50. Manches schöne Stück Geld verdiente sich mit mir mein Lehrmeister, der junge Freigelassene. Er hielt mich eingeschlossen, und Jeder, der mich und meine unglaublichen Künste sehen wollte, mußte Eintrittsgeld erlegen. Die Leute brachten verschiedene Eßwaaren mit, hauptsächlich solche, von denen sie glaubten, daß ihnen die Eselsnatur am meisten widerstrebte. Ich hingegen aß Alles und Jedes, und indem ich so der Tischgenosse meines Herrn und anderen Vornehmen aus der Stadt war, wurde ich nach wenigen Tagen über die Maßen ansehnlich und fett. Da kam eines Tages eine sehr wohlhabende, gar nicht häßliche, fremde Frau, um mich speisen zu sehen, und fand ein solches Wohlgefallen an meiner Gestalt und an meinen außerordentlichen Talenten, daß sie sich förmlich in mich verliebte und meine nähere Bekanntschaft wünschte. Sie besprach sich darüber mit meinem Aufseher, dem sie eine sehr ansehnliche Belohnung zusagte, wenn er ihr gestatten wollte, eine Nacht mit mir zuzubringen. Dieser, der [1086] sich wenig darum bekümmerte, ob sie mit mir zum Ziele kommen würde oder nicht, willigte ein und ließ sich bezahlen.

51. Mit Anbruch der Nacht, als mich der Herr aus dem Tafelzimmer entlassen hatte, traf ich meine Gesellschafterin bereits in meinem Gemache wartend, wo die üppigsten Polster zu unserm Empfange bereit lagen. Sie übergoß mich mit köstlichen Essenzen, und verschwendete so zärtliche Liebkosungen an mich, der ich überdieß von dem alten Wein meines Herrn reichlich beträufelt war, daß ich meine anfängliche Aengstlichkeit und Blödigkeit bald überwand, und die völlige Zufriedenheit meiner neuen Pasiphaë mir erwarb.

52. Erst mit Tagesanbruch verließ mich die Unersättliche, nachdem sie noch mit meinem Aufseher über eine weitere Nacht um denselben Preis eins geworden war. Diesem war der reichliche Profit, den er sich dadurch auf meine Kosten verschaffte, eben so sehr als die Gelegenheit erwünscht, den Herrn mit einem ganz neuen Talente an mir bekannt zu machen. Er schließt sie also in der folgenden Nacht wieder mit mir ein, und während sich das wollüstige Weib diese Vergünstigung zu Nutz macht, läuft er zum Herrn, unterrichtet ihn, was eben vorgehe, und führt ihn, ohne daß ich es ahne, an die Thüre, wo er ihn durch eine Spalte den Zeugen unserer Vertraulichkeit seyn läßt. Der Herr fand so großen Gefallen an dieser Scene, daß er sogleich beschloß, mich dieselbe im Theater vor den Augen des ganzen Volks wiederholen zu lassen. Zu dem Ende legte er dem Freigelassenen über diese Sache Stillschweigen auf, um dem Publikum eine um so größere Ueberraschung zu bereiten, wenn ich am Tage der öffentlichen Vorstellung auf einmal mit einer Weibsperson erschiene [1087] und ganz unbefangen mit ihr den Zärtlichen spielte. Eine Verbrecherin, die verurtheilt war, den wilden Thieren vorgeworfen zu werden, wurde dazu ausersehen: man führte sie in mein Gelaß, wo sie mit Streicheln und Schmeicheleien mich zutraulich machen mußte.

53. Inzwischen kam der Tag heran, an welchem mein Herr seine Spiele geben wollte, und ich wurde nun folgendermaßen auf den Schauplatz gebracht. Man legte mich auf ein großes Tragbette, dessen Gestelle mit Indianischem Schildkrot und Gold eingelegt war, und jene Dirne mußte sich neben mich legen. So trug man uns mittelst einer besondern Vorrichtung in das Amphitheater und setzte uns unter lautem Beifallrufen und Händeklatschen der zahllosen Zuschauer mitten auf der Arena nieder. Jetzt wurde ein Tisch vor uns hingestellt und mit allen den Leckerbissen besetzt, die auf den Tafeln reicher Schlemmer zu finden sind. Zur Seite standen schöne Knaben, die uns Wein in goldenen Schaalen reichten. Hinter mir stand mein Aufseher, der mir zu speisen befahl. Allein mir war gar übel zu Muthe: einmal schämte ich mich, so unanständig vor aller Welt dazuliegen, sodann war mir todesbange, es könnte einem der Bären oder Löwen einfallen, mich zerreißen zu wollen.

54. Während Dessen geht ein Mensch mit einem Korbe voll Blumen an mir vorüber, unter welchen ich auch frische Rosen bemerke. Ohne mich einen Augenblick zu besinnen, springe ich auf und gehe auf die Blumen zu. Die Zuschauer glaubten, ich hätte mich nun zum Tanze erhoben. Ich aber durchsuche den Blumenkorb, lese sorgfältig die Rosen aus und verschlinge eine nach der andern. Noch konnten die Leute [1088] nicht begreifen, was ich damit wollte, als plötzlich die Thiergestalt wie eine Maske mir entfällt und verschwindet. Der Esel war nicht mehr, und statt seiner stand der leibhafte Lucius vor den bestürzten Zuschauern. Sie, die sich Nichts dergleichen konnten träumen lassen, erhoben jetzt einen entsetzlichen Tumult, und sämmtliche Anwesende theilten sich in zwei Meinungen. Die Einen hielten mich für einen gefährlichen Zauberer, der die böse Kunst verstehe, alle möglichen Gestalten anzunehmen, und verlangten, ich solle sogleich hier in dem Amphitheater verbrannt werden, Die Andern aber behaupteten, man müsse erst erwarten, Was ich zu sagen hätte, und die Sache untersuchen, ehe man aburtheilte. Ein Glück für mich war, daß der Präses der Provinz sich bei diesem Schauspiele befand. Ich lief also hinzu und erzählte ihm, indem ich von unten zu ihm hinauf sprach, wie die Magd einer Frau in Thessalien mich mit einem magischen Salböhl bestrichen und zum Esel gemacht hätte: zugleich bat ich ihn, mich so lange in Gewahrsam zu halten, bis ich ihm Beweise von der Richtigkeit dieser meiner Angabe würde geliefert haben.

55. Der Präfekt fragte mich nach meinem Namen, meinen Eltern, meinen etwanigen Blutsverwandten, und nach meiner Heimath. „Mein Vater, antwortete ich, heißt …[11] Ich heiße Lucius und habe einen Bruder mit Namen Gajus: die beiden übrigen Namen haben wir mit einander gemein. Ich bin Schriftsteller und Verfasser von geschichtlichen und andern Aufsätzen, mein Bruder ist Elegieen-Dichter und ein geschickter Wahrsager, Paträ in Achaja ist unsere Vaterstadt.“ [1089] „Ah, rief mein Richter, so bist du der Sohn eines meiner liebsten Gastfreunde, der mich einst sehr zuvorkommend in seinem Hause empfangen und mir viele Ehre angethan hat. Nun freilich, da du aus einer solchen Familie bist, sagst du gewiß die Wahrheit.“ Bei diesen Worten erhob er sich schnell aus seinem Sessel, umarmte mich unter vielen Küssen, und nahm mich mit in seine Wohnung. Inzwischen war auch mein Bruder in Thessalonik angekommen, der mich mit Geld und andern Bedürfnissen reichlich versorgte: und nun erklärte der Präfekt mich öffentlich vor allem Volke losgesprochen. Wir begaben uns hierauf an den Hafen, suchten und fanden ein Fahrzeug für die Heimreise, und ließen unser Gepäcke dahin bringen.

56. Noch glaubte ich der schönen Fremden, die sich in mich, den Esel, verliebt hatte, einen Besuch machen zu müssen, indem ich mir dachte, daß ich ihr jetzt, in Menschengestalt, nur desto besser gefallen werde. Sie empfing mich sehr gefällig, war, wie ich meinte, angenehm überrascht durch meine wunderbare Verwandlung, und lud mich ein, mit ihr zu speisen und die Nacht bei ihr zuzubringen. Ich gehorchte, denn ich hätte es für einen strafbaren Undank gehalten, wenn der nunmehrige Mensch ein Weib, das ihn als Esel schon so zärtlich geliebt, jetzt aus vornehmer Sprödigkeit vernachlässigen wollte. Ich speise also mit ihr, nachdem ich mich mit duftenden Oehlen reichlich gesalbt, und mit den Blumen, die mir jetzt die liebsten geworden, mit Rosen, denen ich meine Menschheit verdankte, bekränzt hatte. Und als es völlig Nacht geworden und es Zeit war, schlafen zu gehen, stehe ich auf, werfe meine Kleider von mir, und stelle mich hin wie ich [1090] bin, Wunder glaubend, wie viel ich bei der Vergleichung meiner jetzigen Gestalt mit dem ehemaligen Esel gewinnen würde. Das Weib aber, wie sie sieht, daß Alles an mir nur menschlich war, spuckte vor mir aus und sagte: „Wie, Unverschämter, du wagst es? Gleich packe dich aus meinem Hause, und schlafe wo du willst, nur[WS 4] nicht bei mir!“ Erschrocken fragte ich, womit ich es denn versehen hätte? Sie antwortete: „Nicht in dich, nein wahrlich nicht! sondern in den Esel war ich verliebt, und bei diesem habe ich damals geschlafen. Nun dachte ich, du werdest doch wenigstens das große Eselssymbol gerettet haben und auch jetzt noch bei dir führen. Statt dessen kommt der Kerl und ist aus einem schönen und tüchtigen Thier in einen armseligen Affen verwandelt!“ Sogleich rief sie ihren Bedienten, die mich auf die Schultern packen und zum Hause hinaustragen mußten. Da lag ich denn vor der verschlossenen Thüre, schön bekränzt und gesalbt, aber mutternackt auf der nackten Erde. Doch schlief ich bis zum Anbruche des Tages, wo ich zu Schiffe eilte und meinem Bruder lachend mein Abenteuer erzählte. Weil jetzt eben ein frischer Wind vom Lande her wehte, so lichteten wir die Anker, und nach wenigen Tagen waren wir in unserer Vaterstadt. Hier brachte ich Dankopfer und Weihgeschenke den schützenden Göttern dar, die mich aus gewiß nicht gemeinen Abenteuern, sondern aus so schweren Eselsnöthen, freilich spät erst und mit harter Mühe, doch endlich gerettet und wohlbehalten nach Hause geleitet haben.



  1. Ein schwerlich ächter Auszug aus einem verloren gegangenen Roman dieses Titels, der höchst wahrscheinlich unsern Lucian zum Verfasser hatte. Der vielgelesene Auszug verdrängte, wie es scheint, das ächte (von Appulejus in den Metamorphosen nachgebildete) Original.
  2. Die eigentliche Bedeutung von Palästra ist: die Ringschule.
  3. „Das vorn. – Wildbret“ Wieland.
  4. Ein Quid pro quo; darüber tadle mich, Wer die Stelle 8 – 10 übersetzen möchte.
  5. Wie Die zu thun pflegten, denen Gewalt geschah.
  6. ἂλλως.
  7. Der offenbar mangelhafte Text erforderte ungefähr eine Ergänzung, wie diese.
  8. Wörtlich: „Allein es sollte mir auch hierin, wie dem Candaules, ergehen.“ Inwiefern sich Dieser betrogen, s. bei Herodot I, 8. ff. Justin. I, 7.
  9. θεοφόρος.
  10. οἴων μέχρι καὶ νῦν, mit Jacob’s.
  11. Lücke im Text.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Frückstück.
  2. Vorlage: einem
  3. Vorlage: 49.
  4. Vorlage: nur, nur (korrigiert nach: Verbesserungen. S. 1900)