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Autor: Isolde Kurz
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Titel: Lorenzo Magnificio
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50–51, S. 847–852, 863–868
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[847]

Lorenzo Magnifico.

Zur Auffindung seiner Grabstätte.
Von Isolde Kurz.
I.

Das Wappen der Medici.

Tausende von Pilgern besuchen jährlich die berühmte Grablege der Mediceer in der Kirche San Lorenzo zu Florenz, wo alle Glieder dieser an Ruhm und Größe einzigen Familie ihre letzte Ruhestatt gefunden haben. Man staunt Michelangelos unsterbliche Marmorgruppen in der „Neuen Sakristei“ („Sagrestia nuova“) an, die zwei wenig bedeutenden Epigonen des großen Geschlechtes gewidmet sind, man durchwandert nebenan die Fürstengruft mit ihrem höfisch leeren Prunk, wo die Großherzöge aus dem Hause Medici unter Porphyr und Lapis Lazuli den Schlaf der Vergessenheit schlafen, aber auf die Frage: Wo liegt der Mann, der seinem Zeitalter den Namen gab, wo ist Lorenzo Magnifico begraben? – auf diese Frage gab es bis vor wenig Wochen keine Antwort. Aus den Geschichtskunden des 15. und 16. Jahrhunderts wußte man nur, daß der Größte der Familie Medici wie alle seine Vorfahren in der Basilika von San Lorenzo bestattet worden sei, aber kein Mal, keine Inschrift bezeichnete die Stelle.

Zwar nahm man gemeinhin an, daß der porphyrne Sarkophag des alten Cosimo, des „Pater patriae“, in der „Alten Sakristei“ unter dem Boden der Kirche auch die Gebeine seiner beiden Enkel, des großen Lorenzo und des ritterlichen, bei der Verschwörung der Pazzi ermordeten Giuliano, umschließe, und noch Lorenzos jüngster Biograph, der hochverdiente A. von Reumont, trat dieser Annahme unbedenklich bei. Neuere Forscher dagegen wollten aus aufgefundenen Briefstellen auf eine andere Oertlichkeit schließen.

In der „Neuen Sakristei“ nämlich, gegenüber dem Altar, befindet sich eine langgestreckte Nische, die durch drei sitzende Marmorfiguren ausgefüllt ist: rechts und links die Heiligen Cosmus und Damianus, die Schutzpatrone des Hauses Medici, von den Bildhauern Montorsoli und Rafaello da Montelupo, und in der Mitte Michelangelos herrliche Madonna mit dem Kinde. Wie sie dastehen, auf einem langen formlosen Unterbau eine neben die andere geschoben, hat ihre Aufstellung etwas Gleichgültiges oder Provisorisches, das zu der wohldurchdachten Anordnung der Kapelle nicht passen will. Doch war gewiß noch keinem der Besucher eingefallen, hinter dem Postament, das nach dem Innern der Kapelle zu mit einer platten Marmortafel abgeschlossen ist, etwas Besonderes zu suchen. Dieser schmucklose Aufbau, hieß es nun mit einmal, umschließe die sterblichen Reste Giulianos und des großen Lorenzo, den die Geschichte den Prächtigen nennt.

Um dem Zweifel ein Ende zu machen, erteilte das Ministerium kürzlich den Befehl, an dieser Stelle nach den Gebeinen der Brüder Medici zu forschen.

Zu diesem Zwecke begab sich eine Kommission von Archäologen und Magistratspersonen am Morgen des 3. Oktober in die Gruftkapelle. Nachdem die drei Statuen entfernt waren und die deckende Steinplatte abgehoben, wurden in der ausgemauerten Höhlung zwei übereinanderstehende Särge oder, besser gesagt, zwei einfache hölzerne Laden von ungleicher Größe sichtbar. Die obere, nicht über einen Meter lange war noch in sehr gutem Zustand und trug mit Tinte geschrieben die Aufschrift: Giuliano di Piero di Cosimo dei Medici. Die untere längere war zermorscht und zerfallen, besonders der Deckel, auf dem Giulianos Sarg gestanden hatte, so daß eine Inschrift nicht mehr nachzuweisen war. Die Gebeine, die dieser Sarg enthielt, waren vermodert, aber der wohlerhaltene Schädel konnte nach den vorhandenen Bildnissen des Magnifico identifiziert werden, da die Linien völlig übereinstimmten; auch soll ein Knochenvorsprung unter der Nase, der für Lorenzos Physiognomie charakteristisch gewesen, an dem Schädel wahrgenommen worden sein.

Ueber die Gebeine Giulianos konnte kein Zweifel herrschen. Sie lagen, die Schenkelknochen über dem Brustkorb gekreuzt, in dem kleinen Behälter, in den sie offenbar bei Lorenzos Begräbnis gesammelt wurden, nachdem sie schon vierzehn Jahre im Grabe geruht hatten. Ihr Anblick mag auch damals dem Beschauer ein mitleidiges Entsetzen eingeflößt haben: bis heute zeigen sie deutlich die Spuren der Dolchstöße, unter denen der unglückliche Jüngling [848] am 26. April des Jahres 1478 in der Domkirche zu Florenz sein Leben verhauchte. Zwei breite und tiefe Einschnitte im Schädeldach, der eine seitlich, der andere über der Stirn, scharf abgegrenzt wie von der Schneide eines Rasiermessers, ein eben solches Loch in einem Schienbein lassen noch die Form der Mordwaffe erkennen und geben Zeugnis von der Gewalt, womit sie geführt wurde. Man weiß, mit welch rasender Wut die Verschworenen ihr Opfer anfielen: nachdem Bernardo Bandini ihm mit einem kurzen Schwert die Brust durchrannt hatte, warf sich Francesco de’ Pazzi, sein Anverwandter, über den Gestürzten und besäte den schon entseelten Leib solange mit Wunden, bis er sich selbft einen tiefen Stich in den Schenkel beibrachte.

Auch Giulianos Schädel war im übrigen trefflich erhalten und hatte bei der Ausgrabung noch alle Zähne. Doch war ein Gipsguß bei beiden nicht mehr ausführbar, man mußte sich beguügen, mehrere genaue photogrmphische Aufnahmen der einzelnen Schädel und der gesammelten Knochen zu machen, bevor man die edlen Reste in neue Holzsärge verschloß und sie der Gruft zurückgab, die sie namenlos durch vier Jahrhunderte geborgen hatte. In einem Glasbehälter wurde das Protokoll über die Gruftöffnung mit Namensunterschrift aller Anwesenden in Lorenzos Sarg gelegt und die Gruft wieder zugemauert. Die leeren Särge sind vorerst in einem Seitengelaß der Kapelle stehen geblieben, Giulianos Sargdeckel mit der Inschrift soll dem Museum von San Marco einverleibt werden.

Cosimo von Medici.

Wie es geschehen konnte, daß der Schleier der Vergessenheit sich so dicht über das Grab eines Herrschers spann, dessen Ruhm in vier Jahrhunderten nichts von seinem blendenden Glanze verloren hat, ist ein schwer zu lösendes Rätsel. Man wird annehmen dürfen, daß die Leiche Lorenzos nur provisorisch beigesetzt und die Ausführung eines Grabmals auf ruhigere Zeiten verschoben war. In dem Ungewitter, das gleich nach Lorenzos Tode die Familie Mediei in alle Winde zerstreute, hielten wohl die Ueberlebenden diese teuren Reste durch das Geheimnis am sichersten vor der Zerstörungswut der „Piagnonen“[1] geborgen, und die Gleichgültigkeit nachwachsender Geschlechter mag bald nicht mehr nach den Denkmalen einer schon sagenhaft werdenden Vergangenheit gefragt haben. Unerklärlich aber bleibt es, daß auch von Papst Leo X., dem Sohne Lorenzos, und später von Clemens VII., Giulianos illegitimem Sprößling, die den Bau der Gruftkapelle durch Michelangelo mit so großem Feuer betrieben, nicht vor allem die Gräber ihrer Väter der Verschollenheit entrissen worden sind.

*               *
*

Bisweilen gefällt es der Natur, ihre eigenen Grenzen zu erweitern und eine einzelne Persönlichkeit mit so überschwenglichen Gaben auszustatten, daß alle Kräfte ihres Zeitalters in ihr versammelt erscheinen. Einer dieser Hochbegünstigten war Lorenzo Magnifico. Beiläufig sei hier bemerkt, daß dieser Zuname erst von der Nachwelt auf Lorenzos Hochsinn, Prachtliebe und königliche Freigebigkeit bezogen wurde, ursprünglich war Magnificenz die Anrede an das nicht gefürstete Staatsoberhaupt, die schon den Vorgängern Lorenzos zukam.

Es ist bekannt, aus welch bescheidenen Anfängen die Familie Medici zu ihrer beispiellosen Größe emporgestiegen ist. Sie waren bürgerlicher Abstammung, ursprünglich Aerzte und Apotheker, wie der Name besagt, die goldenen Kugeln (Palle) ihres Wappens werden als Arzneipillen gedeutet. Im Handel reich geworden, traten sie bei dem Emporkommen der unteren Klassen mit wachsendem Ansehen und mit immer bedeutenderen persönlichen Zügen in den Vordergrund.

Goethes tiefer Ausspruch, daß eine Familie nicht gleich das Vollkommene im Guten oder Bösen hervorbringt, sondern erst durch eine Reihe gesteigerter Persönlichkeiten hindurchgehen muß, um endlich die „Wonne“ oder „das Entsetzen der Welt“ zu erzeugen, bewährt sich nirgends so augenfällig wie an dem Geschlechte der Medici.

Der Stammvater des Hauses, Giovanni di Averardo dei Medici, gemeinhin Giovanni di Bicci genannt, war noch völlig Privatmann, ein reicher Großhändler und Bankier, durch dessen Hände alle Geldgeschäfte Italiens gingen, vom größten Einfluß im Staate, ohne sich vorzudrängen, ein Freund des Volks, ein Vermittler und Wohlthäter. Im großen Gang der Uffizien zu Florenz ist sein Bildnis aufgehängt: ein ernstes eckiges Bauerngesicht mit dem Ausdruck von Klugheit uud zugleich von Redlichkeit. Hätte er in Bankos Zauberspiegel die Reihe seiner glorreichen Nachkommen vorüberziehen sehen, er würde die Fundamente, auf denen die künftige Größe des Hauses sich erheben sollte, nicht umsichtiger haben ausmauern können. So sammelt die Arbeitsbiene aus Naturtrieb das Wachs und baut die Zelle für die königliche Puppe, deren Ausschlüpfen sie selbst nicht mehr erleben wird. In dem warmen Interesse für die Fortschritte der Kunst, die er durch seine reichen Mittel unterstützte, tritt schon der Familienzug hervor, der den unsterblichen Ruhm der Mediceer begründet hat.

In seinem Sohne Cosimo wiederholen sich die Eigenschaften des Vaters, aber ins Großartige gesteigert und schon von dem bürgerlichen Hintergrunde abgelöst. Er spann ein Netz von Banken über die ganze abendländische Welt, die er von Florenz aus mit der Sicherheit eines heutigen Börsenkönigs, dem der elektrische Funke dienstbar ist, leitete. Durch Vorschüsse, die er nie zurückverlangte, machte er einen großen Teil seiner Mitbürger zu heimlichen Klienten der Medici. Die florentinischen Zustände waren derart, daß ein Mann von Cosimos Bedeutung seiner Existenz nicht sicher war, wenn er nicht die Hand am Steuer hatt. Cosimo brachte seine Anhänger in den Regierungspalast und ließ durch sie Gesetze geben. Nach Sturz und Verbannung kehrte er noch mächtiger zurück, denn Florenz hatte eingesehen, daß es seiner nicht mehr entraten konnte. Er wurde öffentlich mit dem Ehrentitel eines Pater patriae begrüßt und übte bis zu seinem Tod eine fast unumschränkte Gewalt.

Die Neue Sakristei in der Kirche San Lorenzo zu Florenz.
(Links die Nische, hinter deren Wand die Gebeine Lorenzos und Giulianos gefunden wurden.)

Doch wahrte er sein Leben lang ängstlich den Schein des Privatmannes und vermied in seinem Auftreten alles, was das [850] Gleichheitsgefühl seiner Mitbürger verletzen konnte. Von seinem ungeheuern Vermögen macht man sich einen Begriff, wenn man hört, daß Cosimo, als Venedig und Neapel gegen Florenz rüsteten, die feindlichen Staaten lahmlegte, indem er seine dort umlaufenden Gelder zurückzog und so durch eine einfache merkantilische Maßregel den Frieden erzwang.

Obgleich durch und durch Kaufmann und ganz in weitblickenden Unternehmungen lebend, hatte er doch die geistigen Güter als die höchsten erkannt und legte den Grund zu der berühmten mediceischen Kunst- und Büchersammlung. Selber ungelehrt, fand er im Umgang mit Gelehrten und Künstlern seine glücklichsten Stunden. Durch Gründung der Platonischen Akademie gab er kräftigen Anstoß zur Belebung der klassischen Studien, die, Hand in Hand mit den Künsten gehend, dem ganzen Jahrhundert seine wundersame Doppelphysiognomie von Gelehrtentum und jugendfrischer Schöpferkraft aufgeprägt haben.

Cosimo stärkte jedes Talent und förderte jede Kunst, doch entsprach seiner gebietenden Persönlichkeit am meisten die Architektur, die Lieblingskunst der Herrscher, die sich vor allen andern im Raume behauptet und den Triumph des Willens und Geistes über die Masse darstellt. Mit Brunellesco und Michelozzo, den beiden großen Baumeistern seiner Tage, lebte er in naher persönlicher Freundschaft und ein großer Teil der herrlichsten Bauten in und außerhalb Florenz ist eine Schöpfung Cosimos; auch ins Ausland, bis Paris, ja bis Jerusalem erstreckte sich seine Baulust. Der kolossale Aufwand, den er dafür machte, erregte seines noch großartigeren Enkels Lorenzo staunende Billigung.

Aber erst in Lorenzo erscheint die Absicht der Natur erreicht und die Höhe erklommen.

Haben seine Vorgänger sich mit zähen Wurzeln in dem heimischen Boden festgeklammert, so breitet Lorenzo tausend Aeste aus, auf denen die ganze Frühlingspracht der Renaissance mit ihrem berauschendsten Blütenduft und Vogelgeschmetter aufgeht. Unter ihm entfaltet sich ein Leben, das nur an der Blütezeit von Athen seinesgleichen hat.

Er wurde am 1. Januar 1449 als Sohn des tüchtigen, aber durch körperliche Gebrechen hintangehaltenen Piero de’ Medici und der geistvollen Lucrezia aus dem Hause Tornabuoni geboren. Er erhielt eine gelehrte Erziehung, die ihn zum gebildetsten unter den damals hochgebildeten Fürsten Italiens machte. Zugleich wurde er früh auf die Regentenlaufbahn vorbereitet und erwarb sich in den Geschäften des Hauses und des Staates den sichern Weltblick und die praktische Erfahrung. Die Gefährlichkeit des Lebens und die hohe Verantwortung, zu der jene außerordentlichen Menschen erzogen wurden, kürzten die Kindheit ab, und so ist es nicht auffallend, daß Lorenzo schon mit siebzehn Jahren als Abgesandter seines Vaters beim Papste und andern Souveränen die Interessen der Republik vertrat.

Zu den geistigen Vorzügen gesellten sich körperliche; er war über Mittelgröße, geschmeidig und kräftig, geübt in den Waffen, ein ausgezeichneter Reiter, auch Rossekenner und Jäger. Was ihm fehlte, war Regelmäßigkeit und Anmut der Gesichtsbildung, aber das geistige Leben seiner Züge machte alles gut: der rasche Witz, das tiefe Denken, der scharfe Blick über Menschen und Dinge hin. Durch die damalige Erziehung, die der äußeren Erscheinung so vorteilhaft war, wurde jeder Vorzug gehoben, jeder Mangel ausgeglichen. Von den Malern scheint keiner ihm völlig gerecht geworden zu sein, nur eine Maske in Marmor, von unbekannter Herkunft, die sich aber durch Einfachheit und Großheit als von Michelangelo stammend ausweist, giebt den ganzen Zauber wieder, den die unmittelbare Gegenwart ausgeströmt haben muß.

Nach denn Tode Pieros trat er als Einundzwanzigjähriger die Regierung an, ohne fürstliche Auszeichnung, doch als geborener Fürst und Herrscher. Wer auf seine Jugend gerechnet hatte, um durch ihn zu regieren, sah sich in der Erwartung getäuscht, denn Lorenzo nahm die Zügel fest in eigene Hände. Schon bei Pieros Lebzeiten hatte er Proben seiner Entschlossenheit gegeben, als er einen Handstreich der Gegenpartei, der auf den Untergang seiner Familie abzielte, durch rasches Eingreifen vereitelte. Unähnlich seinem Vater und Großvater, die sich vor allem bestrebt hatten, den Neid zu entwaffnen, entfaltete er die Pracht einer fürstlichen Haushaltung, und während er dem Namen nach nur der erste Bürger von Florenz war, verkehrte er auf gleichem Fuße mit den Potentaten Europas. Die fremden Fürstlichkeiten, die er als seine Gäste empfing, staunten über den Luxus edelster Art, über die unermeßlichen Schätze an Statuen, Gemälden, Vasen, Gemmen, Mosaiken, Miniaturen, Manuskripten, den Resten antiker Kunst, durch viele Jahre mit ungeheueren Kosten gesammelt, und den Werken der großen zeitgenössischen Meister, mit denen der Mediceische Palast in der Via Larga (heutigen Via Cavour) angefüllt war. Daneben schmeichelte er dem Schönheits- und Prachtsinn seiner Mitbürger durch Feste, Turniere und öffentliche Schaustellungen, deren Schilderungen jetzt wie die Märchen aus Tausend und einer Nacht anmuten.

Neben ihm stand Giuliano, sein um fünf Jahre jüngerer Bruder, mit dem ihn eine herzliche Neigung verband und der, wenn er sich an Vielseitigkeit der Begabung nicht mit Lorenzo messen konnte, ihn dagegen an Glanz der Erscheinung und an körperlichen Fertigkeiten weit übertraf. Was in Florenz durch Bildung und Geist, was durch Rang und Reichtum hervorragte, das sammelte sich um das mediceische Brüderpaar als den natürlichen Mittelpunkt. Ohne die republikanischen Formen zu verletzen, machte Lorenzo das ganze Staatsleben von seiner Person abhängig, so daß ihm zum Herrscher nichts fehlte als der Titel, nach welchem er niemals Verlangen trug.

Solche Machtstellung, wie sie nie ein florentinischer Bürger besessen hatte, erregte Verdruß und Neid. Man beschuldigte ihn, daß er der Tyrannis zustrebe; schon seine Heirat mit der Römerin Clarice Orsini aus dem mächtigen Baronengeschlecht hatte Anstoß erregt. Lorenzo mußte sich vorsehen, und indem er sich auf die niederen Klassen stützte, drückte er die großen Geschlechter, von denen ihm Gefahr drohte, zur völligen Einflußlosigkeit herab. Denn Ehrgeiz demütigte er durch geflissentliche Zurücksetzung und steigerte so die Unzufriedenheit, die in ihrem Schoß eine furchtbare Katastrophe zeitigte.

Unter den reichen Familien, die von alters her mit den Medici an Macht und Ansehen rivalisierten, war die der Pazzi eine der hervorragendsten. Der alte Menschenkenner Cosimo hatte den drohenden Konflikt vorausgesehen und ihn zu verhüten gesucht, indem er seine Enkelin Bianca, Lorenzos Schwester, mit Guglielmo de’ Pazzi vermählte; aber dieses Band war nicht stark genug, die Interessen der beiden Familien fest zu verknüpfen. Lorenzo verkehrte zwar auf dem Fuße verwandtschaftlicher Zuneigung mit Guglielmo und dessen Brüdern, aber er gönnte ihnen keinen Anteil an den Staatsgeschäften, zu denen sich jeder vornehme Florentiner durch die Geburt berechtigt glaubte. Die Pazzi zahlten ihm mit gleicher Münze zurück uud durchkreuzten, wo sie konnten, seine politischen Pläne. Vergebens suchte Giuliano, der die mildere Gemütsart des Vaters geerbt hatte, versöhnlich zu wirken, die Gegensätze spitzten sich immer schärfer zu. Ein ungerechtes Gesetz, durch welches die Pazzi einer ungeheuren ihnen zukommenden Erbschaft verlustig gingen, soll den heimlich wühlenden Haß vor allem genährt haben.

Guglielmos Bruder, der ehrgeizige und heißblütige Francesco de’ Pazzi, hielt sich infolge dieser ihm unleidlichen Verhältnisse von der Vaterstadt fern und trat in Rom, wo er einem großen Bankhaus vorstand, in nahe Beziehungen zu dem Grafen Riario, einem Neffen des Papstes. Dieser, durch den Papst mit den Herrschaften von Imola und Forli beschenkt, hegte seit lange Grenzerweiterungsgelüste, sah sich aber durch Lorenzos politisches Gleichgewichtssystem auf allen Seiten im Schach gehalten. Deshalb sann er darauf, die Herrschaft der Medici in Florenz zu stürzen, und fand an Francesco de’ Pazzi einen willigen Helfer. Ihnen schloß sich ein anderer erbitterter Gegner Lorenzos an, Francesco Salviati, der vom Papste gegen den Willen der Florentiner zum Erzbischof von Pisa ernannt, aber von diesen drei Jahre lang an der Ausübung seines Amtes verhindert worden war. Auch er saß grollend in Rom und wartete nur auf eine Gelegenheit, um sich an Lorenzo, in dem er die Verkörperung der florentinischen Politik erblickte, zu rächen.

Zunächst galt es, sich der Zustimmung des Papstes zu dem Attentat zu versichern. Dem turbulenten Sixtus IV., der immer bemüht war, aus den kleinen schutzlosen Staaten der Romagna unabhängige Fürstentümer für seine Verwandten zurecht zu schneiden, konnte ein Nachbar wie Lorenzo nicht behagen, dessen Vorsicht ihm allenthalben Riegel vorschob. Persönliche Zerwürfnisse waren noch in den letzten Jahren hinzugetreten uud hatten den Papst, der anfangs ein Gönner der Medici gewesen, so gegen Lorenzo in Harnisch gebracht, daß Graf Riario leichtes Spiel mit ihm hatte. Augenscheinlich hoffte man vermittelst der Pazzi sich der [851] florentinischen Republik zu bemächtigen und von da aus halb Italien zu unterwerfen. König Ferrante von Neapel scheint gleichfalls um den Plan gewußt zu haben und hätte vermutlich, falls er gelang, die andere Hälfte Italiens an sich gerissen.

Der Hauptmann Giovan Battista da Montesecco, päpstlicher Condottiere[2] und dem Grafen völlig ergeben, wurde ins Vertrauen gezogen und ihm die Ausführung des Handstreichs übertragen. Dieser, ein ruhiger und anständiger Mann, erhob Bedenken, aber Graf Riario wußte ihm Lorenzo als einen gefährlichen Feind des Papsttums hinzustellen, durch dessen Ränke er selbst an Besitz und Leben bedroht sei. Francesco de’ Pazzi und der Erzbischof versicherten ihm überdies, das Regiment der Medici sei in Florenz verhaßt und ihr eigener Anhang dort so mächtig, daß die ganze Stadt mit Jubel beistimmen werde, wenn der Streich gefallen sei. Eine Audienz beim Papste, wo er dessen persönlichen Befehl empfing, mußte das Gewissen des Bedenklichen vollends beschwichtigen.

Daß Lorenzo nicht der Mann war, sich lebend das Steuer entreißen zu lassen, begriff ein jeder, und sein Tod war von Anfang an eine beschlossene Sache. Aber auch in dem jüngeren Bruder, so sehr er freiwillig hinter Lorenzo zurücktrat, lebte der starke Geist seines Hauses, außerdem war er besonders beliebt und es lag auf der Hand, daß bei Lorenzos Tode das Volk sich alsbald um Giuliano als seinen Erben und Nachfolger scharen würde. Also kamen die Verschwvrenen beim Fortgang ihrer Beratungen zu dem Schluß, daß auch Giuliano fallen müßte.

Die Brüder zu treffen, schien ihnen nicht schwer, da beide gewohnt waren, unbegleitet und arglos unter ihren Mitbürgern umher zu gehen. Aber der zu erwartende Aufruhr im Volke machte militärische Unterstützung nötig, deshalb sollte Montesecco mit zwei anderen päpstlichen Condottieren eine ansehnliche Truppenmacht an den Grenzen der Romagna zusammenziehen, um auf den ersten Wink Florenz von drei Seiten überfallen zu können.

Lorenzo von Medici.

Diese Bewegungen zu maskieren und die militärischen Dispositionen in der Stadt vorzubereiten, begab sich Montesecco im April des Jahres 1478 nach Florenz. Ein Auftrag des Grafen führte ihn in die persönliche Gegenwart Lorenzos, mit dem er über einen vorgeschützten Kriegszug in der Romagna unterhandeln sollte. Der wahre Zweck war, Ort und Persönlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Lorenzo, der sonst so Scharfblickende, ließ sich völlig täuschen und mit einer Courtoisie, die den Abgesandten überraschte, stellte er aufs entgegenkommendste dem Grafen Riario seine Dienste zur Verfügung. Montesecco konnte in dem Manne, der ihn so wohlwollend empfing, den feindseligen Ränkeschmied, der ihm geschildert worden war, nicht erkennen und Lorenzos leutselige Umgangsformen, sein persönlicher Zauber, dem sich selten jemand entzog, machten einen so tiefen Eindruck auf den ehrlichen Kriegsmann, daß er fortan, wie es scheint, nur noch mit halbem Herzen bei der Sache war und ungern die weitere Verständigung unter den Verschworenen vermittelte.

Gleichzeitig war Francesco de’ Pazzi nach Florenz gereist, um seinen Oheim Messer Jacopo, das Haupt der Familie, für den Plan zu gewinnen. Der alte Herr hatte sich anfangs entschieden ablehnend verhalten und sträubte sich auch jetzt noch lange; erst als ihm durch Montesecco bestätigt wurde, daß der Papst selber hinter der Verschwörung stand, stieg auch ihm der Taumel zu Kopfe und er ließ sich in einen Anschlag verstricken, in dem für seine grauen Haare wenig Ehre zu holen war. Sein Beitritt zog den Rest der Familie Pazzi mit dem ganzen Anhang nach, ausgenommen Renato dei Pazzi, einen stillen Gelehrten, der das Attentat mißbilligte, und Guglielmo, Lorenzos Schwager, welcher gar nicht eingeweiht wurde.

Mittlerweile tauschte Graf Riario mit Lorenzo freundschaftliche Briefe und suchte ihn durch die Aussicht auf eine Versöhnung mit dem Papste nach Rom zu locken. Dort hätte er leichter mit ihm aufgeräumt und die Mitverschworenen hätten freie Hand bekommen, sich in Florenz Giulianos zu entledigen. Aber Lorenzo zögerte, zu kommen, und in nutzlosem Warten verstrich die Zeit. Schon wurde der Papst ungeduldig und klagte, sich mit eiteln Schwätzern eingelassen zu haben. Lange durfte nicht mehr zugesehen werden, denn die Verschwörung hatte unterdessen eine so große Ausdehnung angenommen, daß das Geheimnis nicht mehr sicher war, und ebensowenig konnte man erwarten, daß sich Lorenzo auf die Länge über die Rüstungen an der Grenze werde Sand in die Augen streuen lassen.

Endlich schien die Gelegenheit günstig. Der Papst hatte einem sechzehnjährigen Neffen des Grafen Riario, der in Pisa studierte, den Purpur verliehen. Diesen, der den Befehl hatte, sich ganz von dem Erzbischof leiten zulassen, holten die Verschworenen pomphaft nach Florenz und quartierten ihn in Messer Jacopos Landsitz auf Montughi, einem vor der Stadt gelegenen Hügel, ein. In seinem glänzenden Gefolge konnten sie ihre Leute und ihre Anstalten bergen; außerdem mußte der Gast, der als Kardinal und als Anverwandter des Papstes Anspruch auf Beachtung hatte, den Verkehr mit dem Hause Medici vermitteln.

Die Brüder luden ihn gleich zu einem festlichen Empfang auf ihre Villa bei Fiesole und dort sollte der Verabredung gemäß der Streich fallen, aber Giuliano, durch Unwohlsein verhindert, hielt sich ferne. So fiel der Anschlag ins Wasser, denn die Verschworenen wagten nicht, die Brüder gesondert anzugreifen, sie glaubten nur sicher zu gehen, wenn sie beide an einem Ort und in einer Stunde fassen konnten.

Nun wurde der 26. April als der Sonntag vor dem Himmelfahrtsfeste zur Ausführung anberaumt. Der Kardinal, ein willenloses Werkzeug, mußte den Brüdern ankündigen, daß er sie an diesem Tage in der Stadt besuchen und im Dom die Messe hören werde.

Im Palaste Medici wurde zu einem großen Festmahl gerüstet, das die glänzendste Gesellschaft von Florenz vereinigen sollte. Diesmal hofften die Verschwörer bestimmt, sich beider Brüder auf einmal zu versichern, und demgemäß wurden die Rollen ausgeteilt: Montesecco sollte den Streich gegen Lorenzo führen, der kräftigere Giuliano wurde Francesco de’ Pazzi und Bernardo Bandini, einem ruinierten Lebemann, der sich mit Leib und Seele den Pazzi verschworen hatte, zugeteilt, während der Erzbischof den Regierungspalast mit Bewaffneten überfallen und Jacopo de’ Pazzi mit den Seinigen durch die Straßen sprengen sollte, um das Volk zur Freiheit aufzurufen.

Aber es war, als ob ein Vorgefühl den arglosen Giuliano in diesen Tagen begleite. Als alles zum Schlage bereit war, ließ er sein Erscheinen bei Tafel absagen mit der Entschuldigung, daß er unpäßlich sei; in der Kirche jedoch, beim Hochamt, hoffe er nicht zu fehlen.

Die Nachricht, die Francesco am Vorabend den Verschworenen überbrachte, änderte abermals den ganzen Plan. Man saß noch tief in der Nacht beisammen und ratschlagte. Statt beim Gastmahl sollten die Brüder nun in der Kirche fallen, und der feierliche Augenblick der Wandlung wurde zum Signal gewählt. Diesen Anlaß ergriff Montesecco, um sich zurückzuziehen: er hatte als Dienstmann des Grafen den blutigen Auftrag übernehmen zu müssen geglaubt, als er aber zum Verrat die Tempelschändung [852] fügen sollte, ward ihm des Greuels zu viel und er verweigerte seinen Arm. Zwei Priester traten an seine Stelle: Antonio Maffei aus Volterra und Stefano da Bagnona, der letztere ein Hauslehrer der Pazzi. Diese waren der Kirchenluft gewohnt und deshalb, wie die alten Schriftsteller sich ausdrücken „ohne Scheu vor dem Heiligen“, aber sie hatten keine Uebung im Waffenhandwerk und der Rollenwechsel kam den Verschworenen teuer zu stehen.

Schon hatte Lorenzo den Kardinal an seinen Platz im Chor der Kirche unter der Kappel Brunellescos geleitet und das Hochamt begann, als die Mörder sich nach Giuliano umsahen. Abermals scheint den Unglücklichen sein guter Genius gewarnt zu haben: er war auch von der Messe weggeblieben. Da machten Francesco de’ Pazzi und Bermardo Bandini sich nach dem Palaste Medici auf, um ihn zu holen. Unter freundschaftlich dringlichen Bitten und Neckereien nahmen sie ihn in ihre Mitte und unterhielten ihn eifrig den ganzen Weg. Francesco, die Rechte der Verwandtschaft benutzend, umschlang ihn mit den Armen, um zu untersuchen, ob er keinen Panzer unter dem Wams trage. Giuliano, der sich noch immer unpäßlich fühlte, war gänzlich unbewehrt, selbft den Dolch, den er sonst bei sich zu tragen pflegte, hatte er zu Hause gelassen, so fern lag ihm der Gedanke an Gefahr.

Beide Brüder standen getrennt in der menschenüberfüllten, musikdurchrauschten Kirche, in dem Gedränge konnten die Mörder sich dicht an ihrer Seite halten. Das Glöcklein klingelte, der Priester erhob den Kelch, die Medici mit allem Volke beugten sich tief, da fuhr Bermardo Bandinis Schwert Giuliano in die Brust. Der Getroffene machte noch einen Schritt und stürzte dann zu Boden, nun versetzte Francesco de’ Pazzi ihm Stoß auf Stoß mit solcher Wut, daß er sich selbst mit dem Dolche tief in den Schenkel traf.

Gleichzeitig wehrte sich Lorenzo gegen die beiden Priester, die dem Blutgeschäft nicht gewachsen waren. Antonio Maffei hatte ihn mit der einen Hand an der Schulter gefaßt, um mit der andern sicherer zu treffen, als Lorenzo blitzschnell auffahrend seinen Mantel abriß, den linken Arm mit ihm umwand und die Stöße parierte, während er mit der Rechten den Dolch schwang. So schlug er sich durch seine Angreifer durch und suchte am Altar vorbei durch den Chor die Neue Sakristei zu erreichen. Da sah ihn Bandini und mit dem Schwert, das noch von dem Blut Giulianos troff, wollte er sich auf Lorenzo stürzen, aber Francesco Nori, ein Freund der Medici, sprang dazwischen und empfing statt seiner den tödlichen Streich. Unterdessen wurde Lorenzo von seinen Freunden umringt und in die Sakristei gerissen. Der Dichter Angelo Poliziano schlug die feste bronzene Thür zu, die, von Piero de’ Medici einst gestiftet, jetzt dem Sohn das Leben rettete. Lorenzo blutete aus einer leichten Halswunde, die von einem der ihn umringenden Freunde, aus Furcht, daß sie vergiftet sei, ausgesogen wurde.

Ein ungeheurer Lärm füllte das Gotteshaus, man sah Bewaffnete dahin und dorthin rennen, aber nur die Zunächststehenden wußten, was geschehen war. Draußen glaubte man, Brunellescos Riesenkuppel wanke. Innen war alles Geschrei und Verwirrung, die Verschworenen flohen, Guglielmo de’ Pazzi versicherte laut jammernd, daß er unschuldig sei. Der Kardinal Riario klammerte sich leichenfahl am Altar fest und konnte nur mit Mühe von den Priestern nach der Alten Sakristei geflüchtet werden – er soll nach jenem Schreckenstag nie wieder die natürliche Gesichtsfarbe zurückerhalten haben.

Sobald aber die Blutthat bekannt wurde, griff die ganze Stadt zu den Waffen, die Freunde der Medici drangen geschlossen in die Kirche und holten Lorenzo aus der Sakristei nach seiner Wohnung. Erst dort erfuhr er seines Bruders Los; man hatte ihn in einem weiten Bogen an dem blutüberströmten Leichnam vorbeigeführt.


[863]
II.

Unterdessen war auch die zweite Hälfte des frevlerischen Anschlags gescheitert.

Der Erzbischof hatte sich unter der Domthüre von Lorenzo verabschiedet und war dann mit einer starken Begleitung nach dem Regierungspalast geeilt, wo die Signoria eben bei der Tafel saß. Einen Teil seiner Leute ließ er unten mit der Weisung, beim ersten Lärm das Thor zu besetzen, die andern nahm er mit in den Palast und hieß sie in einem Nebengelaß warten, während er selbst zu der geforderten Unterredung bei dem Gonfaloniere[3] eingeführt wurde. Aber die Aufregung und das seltsame Betragen des Besuchers, der etwas Verwirrtes von einem päpstlichen Auftrag an die Signoria daher redete und dabei unruhig nach der Thüre blickte, als ob er jemand erwartete, machte den Gonfaloniere stutzig. Er eilte rasch zum Ausgang, stieß auf einen der Verschworenen, der eben herein wollte, warf diesen an den Haaren zu Boden und rief die Wache zusammen. Die im Nebenzimmer versteckten Begleiter wollten herausbrechen, allein sie saßen in einer Falle fest, denn die Thür, die hinter ihnen zugeschlagen war, hatte ein Geheimschloß, das nur die Beamten zu öffnen verstanden. Sie wurden samt dem Erzbischof, der zu entfliehen versuchte, festgenommen, und da die außen stationierte Mannschaft in den Palast eindrang, verteidigte die Signoria das obere Stockwerk mit Steinen und was ihnen zur Hand kam; selbst das Küchengeschirr mußte als Waffe dienen.

Francesco de’ Pazzi hatte sich mit seiner schweren selbst geschlagenen Wunde nach Hause geschleppt und versuchte noch zu Pferde zu steigen, um den Aufruhr in der Stadt zu leiten. Doch er war so erschöpft vom Blutverlust, daß er sich entkleidet aufs Bett werfen mußte. Statt seiner eilte der alte Messer Jacopo mit etwa hundert Mann auf die Piazza, um dem Erzbischof zu Hilfe zu kommen. Aber die Sache der Pazzi war schon verloren. Als er das Volk zur Befreiung von der mediceischen Herrschaft aufrufen wollte, wurde er mit Steinwürfen und mit dem Ruf: Palle! Palle![4] Nieder mit den Verrätern! empfangen. In allen Straßen rottete sich die Menge zusammen: das kleine Häuflein, das den Palast besetzte, mußte weichen und viele wurden auf der Flucht erschlagen.

Jetzt erst erfuhr die Signoria Giulianos Tod und Lorenzos Verwundung und nun gab es auch drinnen keine Schonung mehr. Man hieb die Gefangenen, und wessen man sonst von den Eindringlingen habhaft wurde, nieder oder stürzte sie durch die Fenster auf die Piazza hinab. Der Erzbischof mit seinem Bruder und andere Häupter der Verschwörung wurden an den hohen Kreuzstöcken des Palastes aufgeknüpft; man ließ ihm nicht einmal Zeit, sich des geistlichen Ornats zu entkleiden. Gleichzeitig erlitt Francesco de’ Pazzi, den man, wie er war, aus dem Bette gerissen und unter dem Wutgeschrei des Volks nach dem Palast geführt hatte, an der Seite des Erzbischofs dieselbe Strafe. Auf alle Schmähungen, mit denen er überhäuft wurde, antwortete er nur durch finstere Blicke und tiefe Seufzer und der wilde Trotz verließ ihn auch im Tode nicht. Von dem Erzbischof wird erzählt, daß er im Augenblick des Sterbens sich wütend mit den Zähnen in Francescos nackte Brust verbissen habe.

Draußen hatte unterdessen die Volksjustiz ihr grausiges Werk begonnen. Man sah zerstückte menschliche Glieder durch die Straßen geschleift, die beiden Priester, die Lorenzo angegriffen hatten, wurden von der Menge aus ihrem Klosterversteck herausgezerrt, [864] verstümmelt und getötet, auch die Personen aus dem Gefolge des Kardinals mußten bluten, dieser selbst saß gefangen im Regierungspalast und dankte nur der Verwendung Lorenzos das Leben. Die wildeste Jagd galt den Gliedern des Hauses Pazzi. Der alte Jacopo wurde auf der Flucht im Gebirge von den Bauern festgenommen, denn die Kunde von den Vorgängen in Florenz war schon bis dorthin gedrungen, und trotz seiner flehentlichen Bitten, ihn unterwegs zu töten, schleppten sie ihn schmachvoll nach der Stadt, wo er das Los seines Neffen teilte. Er hatte übrigens sein tragisches Ende geahnt und noch am Samstag, der jenem blutigen Sonntag voranging, alle seine Schulden bezahlt, auch, was er an fremden Waren zu Hause und auf dem Zollamt liegen hatte, mit auffallender Geschwindigkeit den Eigentümern zugestellt, um keine Unbeteiligten in seinen Ruin zu verwickeln. Die scheußlichen Beschimpfungen, die noch dem Leichnam des Unseligen von der vertierten Menge zugefügt wurden, gehören zu den widerlichsten Flecken, mit denen sich das sonst so menschliche und hochkultivierte florentinische Volk in jenen Schreckenstagen beschmutzt hat. Der völlig schuldlose Renato wurde gleichfalls aufgegriffen und büßte mit dem Tode, daß er Pazzi hieß. Nur Guglielmo konnte sich mit Hilfe seiner Gattin in Lorenzos eigenem Hause bergen.

Mehrere Tage dauerte das Würgen, bei dem gegen hundert Personen, teils durch Henkershand, teils durch die Wut der Massen, ihr Leben verloren. Lorenzo selber suchte dem Wüten Halt zu gebieten. Gleich nach dem Attentat war das Volk unter dem Palaste Medici zusammengeströmt, ein blutiges Haupt auf einer Pike tragend, und hatte den Geretteten zu sehen verlangt. Lorenzo erschien, den Hals von einer Binde umwickelt, und wurde mit stürmischem Zuruf begrüßt. Er dankte denen, die ihn gerettet, und bat dringend um Mäßigung. Die tobenden Freunde, sagte er, flößten ihm mehr Besorgnis ein als selbst die Tücke seiner Feinde. Er beschwor das Volk, seinen Zorn für die äußeren Gegner aufzusparen und die Sorge für die Bestrafung der schuldigen Mitbürger den Gerichten zu überlassen. Diese Anrede, seine Mäßigung, die überstandene Gefahr, das alles wirkte mächtig auf die Gemüter; die Bürgerschaft wetteiferte, ihm Gut und Blut zu Füßen zu legen, auch die Lauen waren gewonnen, und unter allen Schrecken dieses Tages durfte Lorenzo sich sagen, daß eine Stunde ihn von allen seinen inneren Feinden befreit hatte.

Das Haus der Signoria (Palazzo Vecchio) in Florenz.


Als die Volksrache gesättigt war, begannen die Gerichte zu arbeiten. Was vom Hause Pazzi noch übrig war, wurde eingekerkert oder verbannt, auch Guglielmo, Lorenzos Schwager, inbegriffen, ihre Güter wurden eingezagen, ihre Wappen, ihre Vorrechte, ihr Name selber aufgehoben. Mantesecco wurde nach einem umfassenden Geständnis, das den Papst schwer belastete, enthauptet. Nur Bermardo Bandini, Giulianos Mörder, hatte sich zu verbergen gewußt und entkam glücklich nach Konstantinopel; aber der Sultan, um Lorenzo zu ehren, sandte ihn in Ketten nach Florenz zurück, wo er noch ein Jahr später hingerichtet wurde. Zum ewigen Gedächtnis der Blutthat ließ man alle Teilnehmer der Verschwörung mit dem Strick um den Hals auf die Außenwände des Palazzo del Podestà (des heutigen Nationalmuseums) malen, als Hochverräter mit dem Kopf nach unten. Andere Künstler eiferten, den Geretteten zu feiern. Lebensgroße, sprechend ähnliche Wachsbildnisse von Lorenzo, zu denen Verrocchio die Zeichnung gemacht, wurden in Kirchen aufgestellt, eines davon trug die Kleider, in denen Lorenzo verwundet worden war. A. Pollajuolo schlug eine noch jetzt vorhandene Medaille mit den Köpfen der Brüder Medici, die auf einer Seite die Rettung Lorenzos, auf der andern den Tod Giulianos vor dem Chor der Kirche – mit den Umschriften Salus publica und Luctus publicus („Das Heil des Staats“ und „Das Unglück des Staats“) – darstellte. Angelo Poliziano öffnete den liedersüßen Mund und ergoß in lateinischen Epigrammen seinen Schmerz um den gefallenen Freund und seinen unversöhnlichen Haß gegen die schon gerichteten Mörder.

Vier Tage nach dem blutigen Ereignis wurde Giuliano, mit neunzehn Wunden bedeckt, zu Grabe getragen. Die Trauer um ihn war tief und allgemein. Die Jugend des Opfers, sein freundliches Wesen und seine offene Hand, wodurch er alle Herzen gewonnen hatte, der Glanz seiner Gestalt, die feine Bildung und ritterliche Tapferkeit, das alles kam zusammen, um aus Giuliano eine jener tragischen Jünglingsgestalten zu machen, deren Geschick noch die Nachgeborenen beweinen.

Unser Bildnis nach einem in Berlin befindlichen Porträt von Botticelli widerspricht der Schilderung nicht, die sein Freund, der Dichter Poliziano, von Giuliano de’ Medici hinterlassen hat: hoher Wuchs, kräftiger Gliederbau bei vorgewölbter Brust, dunkle Augen, schwarzes, lose aus der Stirn gestrichenes Haar und bleiche Hautfarbe. Trotz der Aehnlichkeit mit Lorenzo darf man ihm glauben, daß Giuliano der Idealtypus jugendlich männlicher Eleganz war, wie er jener Zeit vorschwebte, vorausgesetzt, daß man, wie jene Alten es thaten, die Schönheit nicht in der Regelmäßigkeit der Züge, sondern in der charakteristischen Durchbildung aller Formen sieht und die äußeren Vorteile einer edelgeborenen, völlig ausgebildeten Persönlichkeit dazu rechnet. Giuliano war ein leidenschaftlicher Jäger, in Strapazen abgehärtet und jeder Art von Sport ergeben, in der Liebe zu Kunst und Poesie zeigte er sich als ein echter Medici und besaß auch selbst eine poetische Begabung, die wohl der seines Bruders nicht gleichkam, aber jedenfalls über den Dilettantismus hinausging; von seinen Gedichten ist leider nichts erhalten. Es war natürlich, daß die florentinische Jugend an ihm als ihrem Vorbild hinaufsah, und viele legten bei seinem Tode Trauerkleider an.

Da er der Politik fern blieb, hat die Geschichte kaum mehr von ihm verzeichnet als sein gewaltsames Ende. – Eine um so tiefere Spur hat er in der Poesie seiner Tage zurückgelassen, denn eine der berühmtesten Dichtungen des Jahrhunderts, die „Giostra“[5] des Poliziano feiert Giulianos Waffenproben und seine Liebe zu der schönen Simonetta. Sehr anmutig wird seine erste Begegnung mit der Schönen bei der Verfolgung eines Hirsches geschildert: die reizende Jugendgestalt in einem lichten Sommerkleide Blumen pflückend; der Jüngling, der bis dahin in trotzigem Selbstgefühl die Liebe verschmäht hatte, von ihrem Anblick so verwirrt und hingerissen, daß ihm kaum die Zunge gehorcht, um schüchtern nach Namen und Herkunft zu fragen. Das Gedicht ist in großem Umfang angelegt, reißt aber plätzlich ab mit dem Hinweis auf ein hereinbrechendes tragisches Verhängnis, womit nur der bald darauf erfolgte Tod der schönen Simonetta gemeint sein kann.

Sie war von genuesischer Familie und vermählt mit Marco Vespucci, einem edlen Florentiner, dessen Vater Piero später in [865] die Verschwörung der Pazzi mit verwickelt und aus Florenz verbannt wurde.

Außer der großen Schönheit werden ihr seltene Geistes- und Herzensgaben und eine besondere Holdseligkeit im Umgang nachgerühmt, wodurch sie die Eifersucht entwaffnete und sich zu der Verehrung der Männer auch die der Frauen erwarb.

Von ihren Beziehungen zu Giuliano ist nichts weiter auf die Nachwelt gekommen als seine leidenschaftliche Verzweiflung bei ihrem vorzeitigen Sterben. Simonetta wurde durch eine zehrende Krankheit weggerissen und war auch im Tode noch so schön, daß man sie im offenen Sarg zu Grabe trug, um den Mitbürgern noch einmal ihren Anblick zu gönnen. Ihr Tod wurde als ein öffentliches Unglück betrauert. Der Gebieter der Stadt selber besang dieses vielbeweinte Ereignis in einem Cyklus formschöner Sonette, worin er sich selbst in die Empfindung des Liebenden zu versetzen sucht, der durch diesen Tod seiner Lebenssonne beraubt wurde. Ihm nach versuchten sich die Dichter des Mediceerhofs mit mehr oder minder Geschick in ähnlichen Totenklagen, aber alle übertraf Poliziano mit seiner herrlichen lateinischen Elegie, in der Simonettas Leichenzug ein Triumphzug wird.

Sie starb am 26. April 1476, also genau zwei Jahre vor dem Tage, wo Giuliano unter dem Altar von Santa Maria del Fiore den Mörderdolchen erlag. Ob es nicht das Bild der toten Simonetta war, was den Unglücklichen an jenem Gedenktag von dem lärmenden Festgelage, wo der Mord lauerte, zurückhielt und sein Geschick noch um ein kleines verzögerte? – Mit den Poeten haben die Maler gewetteifert, Simonettas Reize festzuhalten. Ihr Bildnis, von Botticclli für die Medici gemalt, hängt im Palazzo Pitti zu Florenz, ist aber nur aus dem Geschmack jener Zeit zu verstehen. Pollajuolo dagegen hat auf seinem schönen, jetzt dem Herzog von Aumale gehörigen Porträt die Gefeierte in einer Weise aufgefaßt, die auch dem modernen Schönheitssinn entspricht. –

Giuliano von Medici.

Bald nach Giulianos Ende enthüllte sich ein Geheimnis, an dessen Mitteilung ihn selbst der rasche Tod verhindert hatte. Der Architekt Antonio da San Gallo, sein Vertrauter, benachrichtigte Lorenzo, daß dem Verstorbenen ein natürlicher Sohn geboren sei, dessen Mutter dem Haus der Gorini angehöre und den er selbst aus der Taufe gehoben habe. Lorenzo suchte eilends den Knaben auf und nahm ihn auf den Wunsch seiner Mutter mit sich in den Mediceerpalast, wo er unter dem Namen Giulio mit Lorenzos eigenen Kindern heranwuchs. Dieser Giulio war es, der später unter dem Namen Clemens VIl. den päpstlichen Stuhl bestieg und schweres Unheil über seine Vaterstadt brachte.

Giulianos Schicksal hat viele Geister beschäftigt und ist noch in den letzten Jahren von Leoncavallo zu einer Oper „I Medici“ verarbeitet worden, in der historische Gründlichkeit und phantastische Willkür wunderlich streiten; das Musikdrama ist auch über einzelne deutsche Bühnen gegangen. Schlechter als bei diesem Modernen ist der unglückliche Giuliano bei dem Dichter Alfieri weggekommen, der ganz im Geiste des vorigen Jahrhunderts überall an Stelle der menschlichen Leidenschaften Prinzipien sah und daher in seiner bekannten Tragödie „Die Verschwörung der Pazzi“ das glänzende mediceische Brüderpaar als zwei tückische Tyrannen und die meuchlerische That der Pazzi als einen Akt heroischer Vaterlandsliebe darstellt. Wir Heutigen denken anders; wir wissen, daß jener Kampf keine freiheitliche Erhebung war, sondern nur die Verdrängung einer herrschenden Familie durch eine andere bezweckte, und daß es im höchsten Interesse des Friedens und der Kultur lag, daß das Steuer in den Händen des Würdigsten blieb.

Nach dem Untergang der Pazzi führten die päpstlichen Condottieren ihre Truppen, die schon die Grenzen der Toskana überschritten hatten, eiligst zurück. Aber Lorenzos Leben und Stellung war dadurch noch keineswegs gesichert. Papst Sixtus spie Feuer und Flammen und suchte jetzt durch offene Gewalt zu erlangen, was seinen Ränken mißglückt war. Die begütigenden Gesandtschaften der Florentiner wies er schroff zurück und nahm die Gefangenhaltung des Kardinals, die Hinrichtung des Erzbischofs und der anderen Geistlichen zum Vorwand für eine Bulle, in der Lorenzo, dieser „Sohn der Verdammnis“, nebst den Häuptern der Regierung aus der Kirche ausgeschlossen und ganz Florenz mit dem Interdikt bedroht wurde, wenn es den Verhaßten nicht in die Hände des Papstes ausliefere. Und da ihm die geistlichen Waffen nicht genügten, schloß Sixtus ein Bündnis mit dem König Ferrante von Neapel, erklärte Florenz den Krieg und warf die vereinigten Heere unter den besten Führern ins Toskanische. In der Kriegserklärung hieß es, daß der Feldzug des Papstes und des Königs nicht gegen die Republik, sondern nur gegen Lorenzo gerichtet sei; liefere man ihnen die Person des Medici aus, so solle der Friede nicht gestört werden. Die Bürgerschaft erklärte, daß sie bereit sei, mit Lorenzo zu stehen und zu fallen. Den Bannfluch wies die hohe florentinischc Geistlichkeit mit Hohn zurück und kündigte dem Papst als einem Verschwörer ihren Gehorsam. Doch wurde der Kardinal Riario, der vergeblich zu vermitteln gesucht hatte, unbeschädigt seinem Oheim zurückgegeben, welche Rücksicht den Florentinern schlecht bekam, denn nun brachen unverzüglich die Feindseligkeiten aus.

Savonarola.

Sie fanden Lorenzo nicht unvorbereitet. Hatte er bis zuletzt alles aufgeboten, um den Frieden zu retten, so übertraf er jetzt sich selbst im Organisieren der Verteidigung.

Frau und Kinder hatte er mit A. Poliziano als Hauslehrer auf ein sicheres Landgut geschickt, er selbst blieb in der bedrohten Stadt, wo jetzt auch die Pest ausgebrochen war, zurück und arbeitete rastlos.

Die Stadt wurde verproviantiert, alle festen Punkte verstärkt und neue gebaut, gegen Siena und im Mugellothal starke Posten vorgeschoben. Lorenzo war überall die treibende Kraft. Die Angehörigen der hingerichteten Verschwörer kettete er durch neue Wohlthaten an sich, kein Feind durfte ihm im Innern zurückbleiben. Gleichzeitig unterhandelte er unausgesetzt mit den auswärtigen Höfen.

Die Lage war schwierig, auf die Bundesgenossen kein Verlaß: die Venetianer, ein zähes, in selbstsüchtige Politik eingeschlossenes Jnselvolk, schickten unzulängliche Hilfstruppen und sahen kaltblütig zu, wie das Schicksal von Florenz sich gestalte; Mailand, das guten Willen hatte, stand wegen inneren Haders selbst in hellen Flammen.

In all diesen Sorgen blieb Lorenzo noch Zeit, der dichterischen Thätigkeit Polizians zu folgen, und er schrieb wohl auch selbst gelegentlich zwischen zwei Ratssitzungen eines seiner vortrefflichen Sonette nieder, ja er hatte noch gute Laune genug übrig, um den Klagen seines schwierigen Hauslehrers, der sich mit Madonna Clarice nicht stellen konnte, ein nachsichtiges Ohr zu leihen. Nichts zeichnet Lorenzo mehr aus als diese unwandelbare Sammlung inmitten der aufreibendsten Thätigkeit und die hohe Gelassenheit, mit der er jederzeit über den Stürmen des Augenblicks stand.

Der Krieg wurde von beiden Seiten nach damaliger Sitte [866] von bezahlten Condottieren geführt, die für die Sache, der sie dienten, kein Herz hatten und immer bereit waren, zu der Partei eines etwa besser zahlenden Gegners überzugehen. Jahrelang dauerte der Feldzug, bei dem wenig Blut vergossen, aber unendliches Elend über die betroffenen Landesstrecken gebracht wurde. Die Sienesen, den Florentinern von alters her übelgesinnt, öffneten dem Feinde den Paß ins Herz der Toskana und ein glänzender Sieg der Florentiner unter ihrem Feldhauptmann Roberto Malatesta am Trasimener See wurde durch die schrecklichen Verwüstungen des verbündeten Heeres im Chiana- und Elsathal zu nichte.

Ein Waffenstillstand enthüllte Lorenzo erst seine ganze Gefahr, denn nun wurde der Mißmut der Bürgerschaft laut. Die erschöpften Finanzen, die Stockung des Handels, die Verheerung des Landes, der ganze wirtschaftliche Niedergang mit Teuerung und Pest hatten die Begeisterung abgekühlt, man gab Lorenzo zu verstehen, daß, da dieser verderbliche Krieg um seinetwillen geführt werde, es nun an ihm sei, so oder so dem allgemeinen Elend ein Ende zu machen.

In dieser höchsten Not, wo nur ein Wunder retten konnte, griff der Bedrängte in seine eigene Brust und schöpfte dort einen jener Entschlüsse, die nur dem Genie, das sich auf einen starken Charakter stützt, gegeben sind.

Er wußte, daß auch Ferrante des langen Krieges überdrüssig war, und diese Gewißheit gab ihm den Mut, selbst nach Neapel zu gehen und sich in die Hände des Königs auszuliefern, um entweder als Bringer des Friedens zurückzukehren oder dort sein Leben zu lassen.

Das Wagnis war groß, denn über der Königsburg von Neapel schwebten noch die Schatten einer blutigen That: König Ferrante aus dem Hause Arragonien, dieser treuloseste und grausamste Despot in einer an Treulosigkeit gewohnten Zeit, hatte den berühmten Condottiere Jacopo Piccinino unter Freundschaftsversicherungen zu sich gelockt und ihn heimlich ermorden lassen. Wenn dies dem geladenen ahnungslosen Gastfreund geschehen war, welcher Behandlung durfte ein im offenen Krieg befindlicher Gegner gewärtig sein!

Aber Lorenzo vertraute auf sein internationales Ansehen, auf die Wirkung seiner Persönlichkeit, die noch jüngst den Mörderarm entwaffnet hatte, auf die Macht seiner Gründe und auf sein Glück.

In aller Stille verließ er die Stadt und teilte erst von unterwegs der Signoria seine Absicht mit. Wer am meisten Ehre genossen habe, schrieb er, dem gebühre es auch, die Gefahr aller auf sein Haupt abzulenken, und er, als der hauptsächlichste Stein des Anstoßes, sei am besten geeignet, die Gesinnungen des Königs an seiner eigenen Person zu erproben und mit einem Schlage die ungewisse Lage zu klären.

Da die Signoria den wagehalsigen Schritt nicht verhindern konnte, wollte sie Lorenzo wenigstens mit ihrer ganzen Autorität stützen und ernannte ihn deshalb zum offiziellen Gesandten der Republik.

In dieser Eigenschaft kam er in Neapel an und wurde dort mit fürstlichen Ehren empfangen. Der König sandte ihm Schiffe entgegen, alles strömte zusammen, den Mann zu sehen, um den der lange Krieg geführt wurde und der jetzt allein und wehrlos sich in die Höhle des Löwen wagte.

Lorenzo hatte seine Ueberredungskunst nicht überschätzt. Es gelang ihm schnell, den König von den Vorteilen einer gemeinsamen Politik zu überzeugen, und er wurde mit höchster Auszeichnung in Neapel behandelt; aber gleichwohl hielt der ränkevolle Monarch ihn drei volle Monate in Ungewißheit zurück, während heimlich die Agenten des Papstes geschäftig waren, ihn zu verderben.

Lorenzo ließ sich keine Unruhe merken; er lebte auf großem Fuße, gewann den Hof durch seine Geselligkeit, das Volk durch fürstliche Geschenke und wurde der populärste Mann in Neapel. Da in dieser langen Zeit in Florenz alles ruhig blieb und Ferrante nun einsah, daß der Medici eine Macht war, auf die man bauen konnte, entließ er ihn mit einem ehrenvollen Friedensbündnis in der Tasche.

Mit grenzenlosem Jubel wurde der Heimgekehrte in Florenz empfangen. Der Andrang um ihn war so ungeheuer, daß die nächsten Freunde ihm nur aus der Ferne mit Augen und Händen zuwinken konnten. Ganz Italien atmete auf, und als bald danach ein Türkeneinfall in Otranto die Fürsten zur Einigkeit zwang, ließ sich auch der grollende Papst durch gute Worte vollends versöhnen.

Noch zwölf glückliche Regierungsjahre folgten auf diese Stürme.

Aus den Blättern der Geschichte, soviel sie von Lorenzo de’ Medici berichten, tritt sein Bild nicht voll heraus. Um seine Größe zu ahnen, muß man in Florenz gelebt haben, wo man auf Schritt und Tritt den Spuren seines Wirkens begegnet und von wo die geistigen Keime damals über die ganze Welt hinausflogen. Zwar gebaut hat er lange nicht so viel wie sein Großvater Cosimo, die Zeiten waren dafür zu unruhig; aber was er für Malerei und Skulptur that, ist kaum zu überblicken; andere, daniederliegende Kunstzweige wurden durch ihn aus der Vergessenheit hervorgeholt, die verschüttete antike Welt ans Licht gezogen.

Eine Geselligkeit wie die seines Hauses hat es kaum jemals in der Welt wieder gegeben. Da wußte man nichts von Etikette und nichts von Unterwürfigkeit: Lorenzo war nur ein Bürger wie die andern. Die angeborene Feinheit und die hohe Bildung der Nation erlaubten die vollkommenste Natürlichkeit. Zwischen den Diplomaten und hohen Geistlichen bewegten sich Dichter, Künstler, Gelehrte im zwanglosen Verkehr, und die widerstreitendsten Elemente hielt der einzige Mann durch seine Persönlichkeit zusammen.

Kein begabter Mensch hat seinen Weg gekreuzt, der durch ihn nicht Anregung und Förderung gefunden hätte. Indem er auf die Art eines jeden einging und sich selbst ihre Launen gefallen ließ, um nur ihr Schaffen nicht zu stören, mehrte ihr Ruhm den seinigen.

Doch nicht nur die fertigen Talente wurden begünstigt, Lorenzo wußte auch die keimenden zu entdecken und heranzuziehen. Die mediceischen Gärten nebst dem angrenzenden Kasino wurden die Schule einer neuen Künstlergeneration, und es ist nicht der kleinste Ruhm Lorenzos, daß fast alle, die aus dieser Anstalt hervorgingen, sich später als bedeutende Menschen auswiesen. Auch der fünfzehnjährige Michelangelo fand dort liebevolle Pflege seines Talentes und wurde täglicher Gast an Lorenzos Tafel, wo die berühmtesten Männer Italiens beisammen saßen. Die Hausordnung war merkwürdig. Es gab keine Rücksicht auf Rangstufen und Alter, wer zuerst kam, setzte sich neben den Hausherrn und für etwa nachkommende Höhergestellte wurden keine Umstände gemacht. Der Same, der bei diesem Verkehr unter die Jugend gestreut wurde, brachte dem folgenden Jahrhundert seine überreichen Früchte. Hätte Lorenzo, als seine Reste nach vierhundertjühriger Ruhe jüngst ans Licht gefördert wurden, aus den leeren Augenhöhlen noch einen Blick auf die von Michelangelos Meisterhänden geschmückten Wände der Mediceerkapelle werfen können, wie würde er sich über die Größe des Schützlings gefreut haben, den er als Kind aus allen andern herausgefunden hatte!

Zu den nächsten Vertrauten, die mit Leidenschaft an ihm hingen und denen Lorenzo lebenslang ein standhafter, immer hilfreicher Freund war, gehörten vor allen die Dichterbrüder Pulci, der oft genannte Angelo Poliziano und das glänzendste Meteor dieses Kreises, der schöne blutjunge Fürst Pico von Mirandola, der freiwillig das Hofleben mied, um sich ganz den Studien zu widmen, und der mit zwanzig Jahren für den größten Gelehrten seiner Zeit galt.

Aber in Lorenzo selbst war die Naturkraft am stärksten. Von seiner poetisch begabten Mutter hatte er die „Lust am Fabulieren“ geerbt und seine Dichtungen gehören zum Trefflichsten und zum Originellsten, was das Jahrhundert hervorgebracht hat. Unähnlich andern Fürsten, die im poetischen Wettbewerb höfischer Schmeichelei den Lorbeer danken, verjüngte er die Poesie, die in Gelehrsamkeit zu ersticken drohte, durch frischen Natursinn und wurde der Schöpfer einer neuen freieren Litteraturgattung, zu der keiner seiner Mitstrebenden ohne ihn den Weg gefunden hätte.

Heitere ländliche Idyllen, ergreifende geistliche Gesänge, übermütige Tanzlieder, die durch ihre frische Sangbarkeit noch heute lebendig sind, entquellen diesem vielseitigen Talent in gleich starkem Strome, während eine rastlose praktische Thätigkeit jede Minute seines bewegten Lebens ausfüllte – er schrieb täglich bis zu zehn ja zwanzig Briefe. Neben den Regierungssorgen und einer verwickelten Verwaltungsmaschinerie, deren kleinstes Detail durch seine Hände ging, neben der Erledigung von Besuchen, Briefen, Bittschriften, Geschenken, die aus aller Herren Ländern fortwährend an ihn kamen, hatte er noch Zeit zu ernsten philosophischen Studien, [867] und die von Cosimo gegründete Platonische Akademie erreichte unter Lorenzo ihre höchste Blüte.

Es ist der merkwürdigste Zug dieser unvergleichlichen Natur, daß er auf keinem Gebiete Dilettant war, sondern „für jede Thätigkeit, die er ergriff, geboren schien“.

Vom Kaufmann war keine Faser mehr in ihm und den ungeheuren ererbten Besitz konnte er nur noch verschwenden, freilich für die edelsten Ziele der Menschheit. Es kam ein Augenblick, wo die große mediceische Bank vor dem Ruin stand und wo Staatsgelder zu Hilfe genommen werden mußten. Diesen Vorwurf teilt Lorenzo mit Perikles.

Als Herrscher kann man ihn den ersten modernen Staatsmann nennen, weil bei ihm zuerst die Rücksicht auf dauernden Kredit den augenblicklichen Vorteil überwog. Seine Politik lebte nicht von der Hand in den Mund, sondern schuf bleibende Zustände über die ganze Halbinsel. Von Blut hielt er die Hände rein – so weit es ein Herrscher in jenen gewaltsamen Zeiten konnte. Auch den Ueberlebenden der Pazzi[6] milderte er bald ihr hartes Strafurteil und hob es mit der Zeit ganz auf.

Doch da bekanntlich nichts schwerer zu ertragen ist als eine Reihe von guten Tagen, so stiegen nun aus dem Schoße des Friedens und der allgemeinen Wohlfahrt selbst die Wolken herauf, die den kommenden Sturm in sich trugen.

Die alte Einfachheit der Sitten war geschwunden; mit der höheren Bildung und dem rascheren Umlauf des Geldes entwickelten sich Luxus und Verfeinerung, jenes weiche Element, in dem die Kunst ihre üppigsten Blüten treiben kann, das aber zugleich die Korruption und alle Keime der Entartung zeitigt. Man hört noch heute den Vorwurf wiederholen, daß Lorenzo absichtlich sein Volk durch rauschende Feste betäubt, durch Genüsse entnervt habe, um ihm den Verfall seiner Freiheit zu verbergen. Aber diese Freiheit hatte schon vor Lorenzo nur noch der Form nach bestanden und die Verderbnis wäre auch ohne ihn gekommen, denn sie war der allgemeine Zug der Zeit. Ihn selber rissen Prachtliebe und Genußfreude hin, als er den florentinischen Karneval, jenes Abbild der antiken Saturnalien, ins Leben rief, und er mischte sich selber zwanglos fröhlich in die glänzenden, von Künstlern arrangierten Maskenzüge. Für sie dichtete er die berühmten Karnevalsgesänge, durch deren jauchzenbe Lebenslust sich ein Refrain schon wie eine leise Ahnung vom nahen Ende all dieser Herrlichkeit zieht – [7]

Chi vuol esser lieto, sia!
Di doman non c’ è certezza.

Doch was für ihn selbst nur ein Ausspannen aus ernster aufreibenber Arbeit bedeutete, das wurde bei andern, denen dieses Gegengewicht fehlte, zur Uebersättigung und inneren Leere.

Das Sterbehaus Lorenzos zu Careggi.

Ein Rückschlag mußte kommen und Lorenzo hatte ihn selber eingeleitet, als er auf Wunsch seines Freundes Pico von Mirandola den Dominikanermönch Girolamo Savonarola als Prediger aus Ferrara nach Florenz berief.

Dieser, ein asketischer Visionär von beschränktem Gesichtskreis aber glühenber Seele, riß zuerst von allen verdeckten Schäden die Hülle. Im Klosterhof von San Marco unter einem Rosenbaum, von dem noch heute ein später Setzling grünt und treibt, predigte er unter ungeheurem Zudrang aller Stände gegen die einreißende Sittenverderbnis. Damals, im Beginn seiner Laufbahn, als ihm seine phantastischen Visionen den Kopf noch nicht verrückt hatten, war sein Streben ein verdienstliches; er wollte die gesunkene Kirche reformieren und die öffentliche Moral heben. Man war zwar noch nicht in den Zeiten der Borgia, aber nahe davor, Prunksucht und Genußsucht zerrütteten die Gesellschaft, die Geistlichkeit gab selbst das Beispiel, Treue und Glauben waren aus der Welt geschieden, das Schönheitsgesetz, das nur erlauchte Naturen binden kann, ließ die große Herde der Menschen ohne Halt. Das letzte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts war ein fin de siècle, neben dem das unsrige ein sehr spießbürgerliches Gesicht hat. Die Sehnsucht nach der Wiederkehr einer reineren, strengeren Welt, wäre es auch auf Kosten aller Genüsse, selbst der edelsten, der des Geistes, schlich durch die besseren Gemüter.

Auf diesen Boden fielen wie ein Gewitterregen die Mahnungen Savonarolas und seine Ankündigungen eines nahen furchtbaren Strafgerichts. Italien horchte hoch auf bei diesem neuen Ton; es fühlte sich erschüttert und glaubte an den Propheten.

Lorenzo, in dessen tiefer Seele auch die religiöse Saite klang, suchte sich ihm anfangs zu nähern, aber der Fanatiker stieß die dargebotene Hand zurück. Geschenke, mit denen Lorenzo nach wie vor das Kloster bedachte, warf er ihm von der Kanzel herab als Bestechungsversuche vor. Ein guter Wächterhund, sagte er mit Anspieluag darauf, belle den Dieb, der seinen Herrn bestehle, an, auch wenn er ihm einen Knochen vorwerfe. Der Dieb an seinem Herrn war für ihn Lorenzo, den er öffentlich als Urheber der Sittenverderbnis und als Tyrannen anklagte.

Lorenzo blieb gelassen; er war zu stolz, den Ferraresen von dem Posten, auf den er ihn gestellt hatte, zu entfernen. Die Gegensätze lagen damals so nahe beisammen, daß Lorenzos ergebenste Freunde zugleich Freunde des Mönches sein konnten, gewiß ein Zeichen, daß es mit der „Tyrannis“ nicht schlimm bestellt war.

Naturen wie die Lorenzos verzehren sich rasch. Im Beginn der Vierziger stehend, mag der einst so kräftige Mann, der auf Turnieren gesiegt hatte, wohl dem von uns mitgeteilten Bilde geglichen haben, über dessen geneigter Haltung und sinnender Miene schon die Schatten des frühen Todes zu liegen scheinen.

Im April des Jahres 1492 verschlimmerte sich das Magenleiden, das ihn seit längerer Zeit quälte so, daß er seinen Landsitz zu Careggi, das alte Sterbehaus der Mediceer, nicht mehr verlassen konnte. Die Mischung von zerstampften Perlen und Edelsteinen, die ihm ein in Eile vom Herzog von Mailand gesandter Arzt dort bereitete, war jedenfalls nicht geeignet, das Ende aufzuhalten.

Schwere Sorgen trübte seinen frühen Lebensabend: durch die Orsinische Heirat war ein fremder Blutstropfen in die Familie gekommen, sein ältester Sohn Piero hatte mehr vom römischen Feudalherrn an sich als vom florentinischen Bürger und versprach ein schlechter Steuermann für das Schiff zu werden, dessen schwieriger Kurs nur durch die Weisheit und Erfahrung des Vaters regiert werden konnte.

In den letzten Stunden wollte der Sterbenbe seine beiden Vertrautesten, Pico von Mirandola und Angelo Poliziano, um sich haben. Mit ihnen redete er in ungetrübter Heiterkeit von ihren gemeinsamen Studien und von der angelegten Bibliothek, die er wünschte vollendet ihnen hinterlassen zu können.

Aber noch eine andere Gestalt tauchte an Lorenzos Sterbelager auf, düster wie die Verkörperung des dem Mediceischen Hause drohenden Geschicks: der Mönch Savonarola. Was ihn nach Careggi geführt, was die beiden zusammen geredet, ist ungewiß. Man sagt, er sei von Lorenzo selbst gerufen worden und habe nach empfangener Beichte den Sterbenden aufgefordert, seinem Volke die Freiheit wiederzugeben, worauf Lorenzo stumm den Kopf nach [868] der Wand gedreht und jener sich, ohne Absolution zu erteilen, entfernt habe.[8]

Lorenzo starb am 8. April 1492 im nicht vollendeten dreiundvierzigsten Lebensjahr. Sein Tod war wie der Cäsars von Naturphänomenen begleitet, die als Wunderzeichen gedeutet wurden. Ein unerhörter Sturmwind raste über Florenz, der Blitz schlug ein Stück der Domkuppel herunter, die Löwen, die auf Staatskosten gehalten wurden, zerfleischten sich gegenseitig, man wollte Stimmen in den Lüften gehört haben, ein leuchtender Feuerstreif stand unbeweglich über Careggi und erlosch, als Lorenzo den Geist aushauchte.

Kaum war der Damm zerrissen, der den allgemeinen Hader so lange zurückgestaut hatte, so war es, als sollte das Chaos hereinbrechen. Piero wirtschaftete in den Tag hinein, ohne auf die letzten Ermahnungen seines Vaters und auf die Zeichen der Zeit zu achten; nach innen gewaltsam, nach außen zweideutig, stellte er die politischen Traditionen seines Hauses geradezu auf den Kopf. Die entzweiten Fürsten Italiens riefen zu ihrem Unheil französische Waffen herbei, dazwischen donnerte Savonarola und kündigte den Anfang vom Ende an. Die Beängstigung ward allgemein, Lorenzos Freunde starben rasch im Kummer weg, die Ueberlebenden klammerten sich an Savonarola. Seltsame Visionen schreckten auch unbeteiligte Zuschauer. Einem harmlosen Musiker an Pieros Hofe erschien bei Nacht der tote Lorenzo mit schmerzverstörtem Gesicht und schwarzen zerrissenen Gewändern, durch welche die Haut schimmerte, und befahl ihm, seinem Sohne Piero zu sagen, sein Sturz sei nahe, bald werde er von Florenz vertrieben sein, um nicht zurückzukehren. Der Mann, der die Lebenden offenbar noch mehr fürchtete als die Toten, wollte trotz Michelangelos dringendem Zuspruch nicht reden. Da erschien ihm die Gestalt zum zweitenmal, gab ihm zum Beweis ihres Daseins einen heftigen Schlag ins Gesicht und wiederholte den Befehl. Jetzt rannte der arme Musikus sinnlos vor Schreck nach Careggi, um den Gebieter zu suchen, der ihm unterwegs mit seinem Gefolge entgegengeritten kam. Piero hörte die Geschichte an und fand sie spaßhaft; die ganze Gesellschaft lachte den Geisterseher aus. – Michelangelo floh entsetzt aus dem Hause, das er dem Untergang verfallen sah.

Kaum ein paar Wochen vergingen, so war die Prophezeiung des Traumgesichts erfüllt. Piero mußte aus seiner Vaterstadt flüchten, um in der Fremde zu sterben, seine Brüder und Freunde irrten im Exil. Florenz ward ein Gottesstaat mit Jesus Christus als Gonfaloniere. Auf der Piazza gingen die Eitelkeiten der Welt[9], darunter unschätzbare Kunstwerke und ein Teil von Lorenzos herrlicher Büchersammlung, der seine letzte Sorge gegolten hatte, in Rauch und Flammen auf. Freilich sollte der Brand, den er entfacht hatte, am Ende den Propheten mit verzehren.

Als die Toskana nach unendlichen Nöten schließlich unter einer mediceischen Dynastie die Ruhe wiederfand, da war Florenz nicht mehr die Heimat der Freiheit und der Kunst. Der Stamm des großen Lorenzo war durch Verwandtenmord ausgetilgt, ein anderer Zweig der Familie Medici hielt das Scepter in Händen, der seinen Ursprung von dem Bruder des alten Cosimo ableitete und mit Eifersucht auf den Ruhm seiner großen Vorgänger sah. Mit Hofceremoniell und Maitressenkabalen beschäftigt, hatte er keine Zeit, dem Größten, der den Namen Medici geführt hat, eine würdige Ruhestatt zu schaffen.

Auch jetzt soll nur eine schlichte Inschrift im Stein die Stelle kenntlich machen, die die Reste des erlauchten Brüderpaares birgt – eine weise Enthaltung, denn welcher Schmuck vermöchte Den zu ehren, dessen Denkmal unvergänglich in der Kulturgeschichte der Menschheit aufgerichtet steht!


  1. Anhänger Savonarolas.
  2. Anführer von Söldnerscharen.
  3. Gonfaloniere = das nominelle Staatsoberhaupt.
  4. Feldgeschrei der mediceischen Partei, auf die Kugeln des Wappens bezüglich.
  5. Turnier.
  6. Die Familie existiert noch heute.
  7. Ein Vers, unübersetzbar in seiner Einfachheit. Der Sinn ist:

    Freue sich wer kann des Lebens
    Keiner kennt die nächste Stunde.

  8. Diese unverbürgte Ueberlieferung wird durch innere Unwahrscheinlichkeit widerlegt. Was wollte Savonarola sagen? Kein Mann, und wäre er der mächtigste, kann durch Wort oder Federstrich einem Volke die Freiheit geben, das nicht im Mark seiner Knochen diese Freiheit mit sich trägt.
  9. Le vanità. Man schichtete einen mächtigen Scheiterhaufen auf und verbrannte Gemälde, Bronzen, Bücher, Gobelins, Masken und Putzgegenstände, während Mönche und Weltkinder psalmodierend um das Feuer tanzten.