Textdaten
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Autor: Fr. Richter
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Titel: Lithauische Märchen I
Untertitel:
aus: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 87–93
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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[87]
Lithauische Märchen.
Von
Fr. RICHTER.
Der einäugige Riese.

Eines Tages landete ein Schiff an einer Insel. Der Herr des Schiffes begab sich, froh eine lange und mühselige Seereise überstanden zu haben, mit seinen Leuten an das Land. Um Essen zu kochen, wurde ein Herd von Steinen errichtet. Als die Aufschichtung der Steine soweit vorgeschritten war, sah man sich nach einem grossen, glatten Steine um, welcher die Herdplatte bilden sollte. Endlich fanden einige der Suchenden am Fusse eines Berges einen Stein, welcher zu dem gewünschten Zwecke sehr geeignet schien. Schnell riefen sie ihre Gefährten herbei, und alle schickten sich an, den Stein aufzuheben. Als dies glücklich geschehen war, sahen die Schiffer zu ihrem Erstaunen, dass der grosse, glatte Stein eine weite Oeffnung verdeckt hatte, welche jetzt sichtbar wurde. Schnell legten sie die Platte beiseite und stiegen, da breite Stufen die Oeffnung hinabführten, in die Höhlung des Berges hinunter. Bald wurden sie inne, dass sie sich in der Wohnung eines Riesen befanden. Dieselbe erwies sich als so gross, dass man vom Boden derselben nur mit Mühe bis hinauf zur Wölbung sehen konnte. In derselben befand sich eine Oeffnung, so dass durch sie das Tageslicht einfallen, der Rauch des Herdfeuers aber abziehen konnte.

Als sich der Schiffsherr und dessen Leute noch die Riesenwohnung besahen, erdröhnte plötzlich der Boden. Wenige Augenblicke darauf betrat ein Riese, so hoch wie ein Turm, die Steinstufen und stieg, nachdem er den Eingang wieder mit der Steinplatte verschlossen hatte, durch die Oeffnung hinab in den Berg. Darauf schichtete der Riese auf dem Herd einen ganzen Wald von Bäumen auf und entzündete dieselben. Bei dem Schein des Feuers sahen die Schiffer zu ihrem Entsetzen, dass das Ungetüm nur ein Auge hatte: das Auge aber stand mitten auf der Stirn. Voll Entsetzen suchten einige von den Schiffern zu entfliehen und eilten dem verschlossenen Eingange zu. Jetzt aber [88] erblickte sie der Riese, erfasste einen von ihnen und verzehrte den Zerdrückten wie einen kleinen Bissen. Die andern scheuchte er wieder in das Innere seiner Wohnung zurück.

Darauf schürte er das Feuer an, dass es lichterloh aufflammte. Die Riesenwohnung erdröhnte von dem Geprassel der Flammen und eine Feuerlohe, vermischt mit Dampf und Asche, stieg durch die Oeffnung im Gewölbe zum Himmel empor. Sodann begann der Riese seine Schafe zu melken, welche sich in einem Nebengelass in der Höhle befanden. Alsdann setzte er einen gewaltigen Kessel an das Feuer, um darin die Milch aufzukochen. Der Kessel war so gross wie ein Teich, und der Löffel wie eine Wanne, worin man Kinder badet. Kaum hatte die Milch aufgekocht, so trank sie der Riese, und als der Kessel leer war, legte er sich auf sein Lager von Moos und schlief bald darauf ein. Es währte nicht lange, so schlief er so tief und schnarchte so laut, dass der ganze Berg erzitterte.

Als die entsetzten Schiffer sahen, dass der Riese in Schlaf gesunken war, kehrte ihnen der Mut zurück. Der Schiffsherr entwarf sofort einen Plan zu ihrer Rettung. Er hatte eine grosse, eiserne Stange, den Bratspiess des Riesen, bemerkt. Schnell liess er die Spitze dieser Stange im Feuer des Herdes rotglühend machen, darauf stiess er sie mit Hilfe seiner Leute dem Ungetüm in das Auge. Das glühende Eisen zischte laut auf. Ein dicker Blutstrahl schoss aus dem Auge des Riesen hervor. Die niederfallenden Tropfen sengten wie glühendes Wasser, also dass die Schiffer sich eilig zu bergen suchten. Voll Wut sprang der Riese auf und brüllte vor Schmerz so laut, dass der ganze Berg einen Riss bekam: er erfasste das Eisen und warf den glühenden Bratspiess mit solcher Gewalt gegen die Wand des Berges, dass er dieselbe so leicht durchbohrte, als durchschiesse man mit einem Pfeile eine Scheibe von Papier. Dann tappte er mit den Händen die Wände und den Boden entlang, um die Missethäter zu fangen, die Schiffer und ihr Herr aber hatten sich im Schafstalle geborgen und entgingen so dem Riesen glücklich.

Da geriet dieser in eine furchtbare Wut; er ergriff das brennende Holz vom Herde und schleuderte es überall hin, um seine Feinde zu verbrennen. Aber statt dessen fing das Moos seines Lagers an zu brennen und bald füllte sich seine Wohnung mit so dichtem Rauch und Qualm, dass der Riese genötigt wurde, dieselbe zu verlassen. Er setzte sich vor dem Eingang derselben nieder und fühlte immer von Zeit zu Zeit darüber hin, dass ihm die Missethäter nicht entgingen. Aber der Schiffsherr ersann einen neuen Plan zur Rettung: er band einen jeden seiner Leute je unter einem Schafe fest, er selbst aber klammerte sich unter dem Leithammel an und entkam so, als die Schafe die Ställe verliessen, glücklich mit allen seinen Leuten dem wilden Riesen.

Als alle wieder auf dem Schiffe waren, konnte sich der Schiffsherr nicht enthalten, dem Riesen höhnende Worte zuzurufen. Dieser ergriff einen gewaltigen Felsblock und warf damit nach der Richtung hin, woher die Stimme gekommen war. Er traf auch so glücklich, dass der Felsblock den hintern Teil des Schiffes zerschmetterte und einige Mann [89]

der Besatzung erschlug. Nur mit Mühe gelang es dem Schiffer, sich mit dem Rest der Mannschaft auf dem schwer beschädigten Schiff zu retten.


Die Schwanfrau.

Einstmals war der Sohn eines Grafen auf der Jagd und ging dabei das Ufer eines Flusses entlang. Auf dem Flusse schwammen drei Schwäne. Es waren wunderschöne Tiere und an ihrem Gebahren merkte er, dass es mit ihnen nicht seine Richtigkeit habe. Die Schwäne blickten sich nämlich ängstlich um, ob sie niemand sehe. Der Sohn des Grafen versteckte sich hinter einem Gebüsch, voll Neugierde, was geschehen werde.

Als die Schwäne niemand erblickten, wurden sie ruhiger und der eine von ihnen sprach: „Die Zeit ist um, während welcher der Zauber volle Macht über uns hat; wenn jetzt jemand käme, so könnte er unsere Erlösung leicht vollbringen.“ Kaum hatte der Sohn des Grafen diese Worte gehört, so trat er aus dem Gebüsch hervor auf die Schwäne zu und sprach: „Ich habe Eure Worte gehört und bin bereit, Euch zu erlösen. Was habe ich zu thun?“

Darauf entgegnete derselbe Schwan, welcher zuerst gesprochen hatte: „Da Du unsere Worte gehört hast, ohne dass wir daran schuld sind, so können wir Dir auch alles andre sagen, was zu thun ist, um unsre Erlösung zu vollbringen. Gehe immerfort in den nahen Wald hinein, bis Du an einen Quell kommst: dann fülle aus demselben einen Schlauch mit Wasser. Sodann suche im Walde einen hohen Stein von weisser Farbe, den besprenge mit dem Wasser. Ist das geschehen, so werden wir Dir sagen, was weiter zu thun ist.“

Darauf schwammen die Schwäne von dannen, der Sohn des Grafen aber drang in den düstern Wald ein. In den hohen Bäumen rauschte der Wind, die Schlingpflanzen streckten ihre Arme nach ihm aus, in der Ferne liess sich das Krächzen eines Raben vernehmen, aber keine Furcht beschlich den jungen Mann, er drang immer tiefer in den Wald ein. Endlich fand er einen Quell, welcher lustig am Stamm einer uralten Eiche aus der Erde emporsprudelte und sein klares Wasser im moosumsäumten Bett dem fernen Flusse zusandte. Sofort schöpfte der Sohn des Grafen einen Schlauch mit Wasser und ging aus, den hohen Stein von weisser Farbe im Walde zu suchen. Sobald er ihn gefunden hatte, goss er Wasser darauf: alsobald fing der Stein an zu zischen, das Wasser dampfte auf, und der Stein zerfiel zu Staub und Asche. An der Stelle aber, wo der Stein gelegen hatte, entstand eine grosse Oeffnung, welche tief in die Erde hinabführte. Kaum war dies geschehen, so standen die drei Schwäne vor dem Sohne des Grafen. Einer von den Schwänen sprach zu ihm: „Reibe Deinen Leib mit dem Staube und der Asche von dem Steine hier ein, dann steige in die Oeffnung hinab. Bald wirst Du an eine verschlossene Thür kommen. Klopfe dreimal daran und sage, dass Du Einlass begehrst der Schwäne wegen. Man wird Dir öffnen. Dann wird Dir ein Riese entgegentreten und Dich zum Kampfe herausfordern. Lass Dich dreist in den Kampf [90] ein, denn Du wirst durch das Einreiben mit dem Staube und der Asche des Steines unverwundbar werden. Nach glücklich vollendetem Kampfe kehre hierher zurück: entreiss einem jeden von uns eine Feder, tauche sie in das Blut des Riesen, dann bestreiche uns damit und die Erlösung ist vollbracht.“

Nachdem sich der Sohn des Grafen den Leib mit dem Staube und der Asche eingerieben hatte, stieg er in die Oeffnung hinab, trat dem Riesen entgegen und kämpfte mit ihm. Da er unverwundbar war, so gelang es ihm endlich, dem Riesen nach hartem Kampfe die Todeswunde zu schlagen. Schnell stieg er wieder zum vollen Lichte des Tages empor, riss jedem Schwane eine Feder aus, tauchte sie in das Riesenblut und bestrich dann jeden der Schwäne damit. Alsobald standen drei holde Jungfrauen von blühender Schönheit vor dem Sohn des Grafen. Sie erzählten ihm, dass sie Prinzessinnen seien. Ein Zauberer habe sich um ihre Hand beworben, sie hätten die Bewerbung aber nicht angenommen. Da sei der Zauberer böse geworden und habe sie auf zehn Jahre in Schwäne verwandelt. Aber ihre Erlösung sei auch dann noch von den Bedingungen abhängig gewesen, welcher der Sohn des Grafen glücklich erfüllt hatte.

Dieser geleitete die drei Prinzessinnen an den Hof ihres Vaters, welcher ein mächtiger König war. Die Freude über die vollbrachte Erlösung war gross. Der Sohn des Grafen vermählte sich mit der wunderholden Prinzessin, welche als Schwan mit ihm gesprochen hatte. Nach dem Tode seines Schwiegervaters ward er König des schönen Landes und seine junge Gemahlin beschenkte ihn mit einer Reihe von Kindern, welche von blühender Gesundheit waren und zu kräftigen Jünglingen und holden Jungfrauen heranwuchsen.


Die Froschfrau.

Ein König hatte drei Dienstmannen, mit deren Treue und Ergebenheit er so zufrieden war, dass er ihnen gern eine grosse Freude gemacht hätte. Deshalb liess er sie vor sich bescheiden und sprach zu ihnen: „Suchet Euch jeder eine Frau unter den Töchtern meines Landes. Da Ihr mir so treu gedient habt, so will ich Eure Hochzeiten ausrichten.“

Die Dienstmannen gingen auf die Freite aus. Zwei von ihnen führten die schönsten Fürstentöchter des Landes heim, während der dritte sich mit einem Frosch vermählen musste. Der König hatte die Hochzeiten ausgerichtet, aber der Dienstmann hatte seine Froschfrau den Augen des Königs und der andern Menschen zu entziehen gewusst, so dass der König nichts von der sonderbaren Vermählung erfahren hatte.

Nun sprach eines Tages der König zu den drei Dienstmannen: „Welche von Euren Frauen das beste Hemde fertigt, deren Mann soll den dritten Teil meines Reiches haben.“ Die beiden schönen Fürstentöchter hatten von ihren Männern kaum die Worte des Königs vernommen, so gingen sie sofort an die Arbeit. Der Mann der Froschfrau aber sass traurig daheim und gedachte mit Schrecken der Zeit,

[91] wo er mit leeren Händen zum Könige kommen müsste. „Was hast Du?“ fragte ihn die Froschfrau, als sie die Traurigkeit ihres Mannes sah. „Ach,“ sprach der Mann, „Du kannst mir doch nicht helfen.“ „Wer weiss,“ gab die Froschfrau zur Antwort, „erzähle mir nur, was Dich bedrückt.“ Als sie alles vernommen hatte, sprach sie: „Heb mich auf das Fenstersims, dann sollst Du sehen, was ich kann.“

Kaum sass der Frosch auf dem Fenstersims, so spie er nach rechts und dann nach links und siehe da, auf dem Fussboden lag ein neues, schönes Hemd. Schnell eilte der Mann damit zum Könige. Diesem gefiel aber das Hemd gar sehr, denn es war viel feiner als diejenigen waren, welche die Fürstentöchter gefertigt hatten.

Nachdem der König dem Mann der Froschfrau den dritten Teil des Reiches zugesprochen hatte, sprach er zu den drei Dienstmannen: „Welche von Euren Frauen mir das beste Brot ausbackt, deren Mann erhält das zweite Drittel meines Königreiches.“

Diesmal glaubten die Fürstentöchter, sie würden den Preis davontragen, denn sie verstanden ausgezeichnetes Brot zu backen. Aber als die Froschfrau wieder von ihrem Manne gehört hatte, warum es sich handelte, sprach sie: »„Gieb mir Mehl und Wasser und lass oben in den Ofen ein Loch hauen. Dann setze mich auf den Ofen. Darauf lass den Ofen heizen. Sobald er ausgeheizt ist, hebe mich wieder herunter. Dann muss das Loch im Ofen wieder zugemauert werden.“

Alles geschah, wie es die Froschfrau angeordnet hatte. Als die drei Brote zu dem König gebracht wurden, zeigte es sich, dass das Brot der Froschfrau bei weitem das wohlschmeckendste war. Somit erhielt ihr Mann auch das zweite Drittel des Reiches,

Nun versprach der König das letzte Drittel seines Reiches demjenigen, dessen Frau ihm den besten Mantel schaffen werde.

Sobald die Froschfrau dies Versprechen des Königs gehört hatte, sprang sie hurtig zur Thür hinaus. Aber nach einigen Tagen kehrte sie mit dem schönsten Mantel von der Welt wieder zurück. Als ihr Mann damit zum Könige kam, nahmen sich die Mäntel der Fürstentöchter dagegen aus wie die Sterne gegen den Mond. Da sprach der König zu seinem Dienstmann: „Gut, Du erhältst das ganze Reich und sollst nach meinem Tode König sein. Nun hole mir aber auch Deine Frau herbei, damit ich sie kennen lerne.“ „Ach,“ Herr König, sprach der Mann, „meine Frau kann ich Euch nicht holen. Als Ihr uns auftrugt, dass wir uns vermählen sollten, habe ich nur einen Frosch zur Frau bekommen, und einen Frosch kann ich doch nicht vor Euch bringen.“

Aber der König bestand auf den Wunsch und so musste denn sein Dienstmann ausgehen, den Frosch zu holen. Da aber geschah ein seltsames Wunder. Sobald nämlich der Frosch über die Schwelle des Saales gehoben war, verwandelte er sich in eine junge Prinzessin von leuchtender Schönheit, also dass alle Frauen am Hofe von dem Glanze ihrer Schönheit verdunkelt wurden. Sie führte ihren überglücklichen Gemahl zum Könige und sprach zu ihm: „Ich danke Euch meine Erlösung. Ein böser Zauberer hatte mich in einen Frosch verwandelt, der Zauber war nur zu brechen, wenn mich ein König zu sehen verlangte. [92] Das hast Du gethan, und nun bin ich wieder glücklich. Dein Reich begehren wir nicht, denn mein Vater ist selbst ein mächtiger König, welcher sich nach mir sehnt und meinen Gatten willkommen heissen wird, denn er ist alt und wünscht einen Nachfolger zu haben.“

Nach diesen Worten zog das glückliche Paar von dannen.


Die Schlangenfrau.

Ein hochbetagter Bauer dachte daran, sein Haus und Erbe einem von seinen drei Söhnen zu übergeben. Deshalb liess er sie zu sich kommen und sagte: „Jetzt mögt Ihr in die Fremde ziehen und Euer Glück versuchen. In Jahr und Tag erwarte ich Euch zurück. Wer mir alsdann das beste Brot heimbringt, der soll das Haus haben und mein Erbe sein.“

Die beiden ältesten Brüder machten sich auf den Weg und nahmen im nächsten Dorfe Dienste an, der jüngste aber ging seines Weges, bis er in einen Wald kam. Endlich gelangte er an eine Hütte, deren Thür offen stand. Der junge Mann trat ein. Da sah er, wie mitten in der Stube auf einem Tische eine Schüssel stand; in der Schüssel lag eine Schlange. Die Schlange erhob das Haupt und fragte ihn nach seinem Begehr. „Ich suche einen Dienst,“ sprach der junge Mann. „Wenn das ist, so kannst Du bei mir bleiben,“ erwiederte die Schlange, „und meine Wohnung in Ordnung halten.“

Der junge Mann trat den Dienst an und verrichtete ihn ein Jahr in aller Treue. Darauf trat er zur Schlange und sagte ihr, dass er jetzt heimkehren wolle. Die Schlange fragte, welchen Lohn er für seine Dienste fordere. „Nichts,“ entgegnete der junge Mann, „doch sagte mein Vater, dass er demjenigen von uns Brüdern sein Haus geben wolle, der ihm das beste Brot heimbringen werde.“ „Wenn das der Fall ist, so backe Brot in dem Ofen,“ sagte ihm die Schlange. „Nimm dann von dem Brote, so viel Du willst, das übrige lass für mich zurück. Ausserdem kannst Du Dir, wenn Du fortgehst, aus der Kammer so viel schöne Kleider und prächtige Tücher holen, als Du willst.“

Sogleich machte sich der junge Mann an das Werk. Das Brot geriet ganz ausgezeichnet, er nahm davon einen Sack voll, das übrige liess er der Schlange. Die Kleider und Tücher waren kostbar und mit Gold durchwirkt: auch von diesen nahm er, so viel er tragen konnte, nachdem er selbst gleichfalls kostbare Kleidung angelegt hatte. Dann dankte er der Schlange, darauf trat er den Heimweg an. Unterwegs sah er einen Krug am Wege stehen. Er kehrte ein, um sich darin für die letzte Strecke des Heimwegs zu stärken. In dem Kruge befanden sich auch die beiden Brüder, welche gleichfalls auf ihrem Heimwege hier eingekehrt waren. Sie erkannten ihren Bruder nicht, lachten und spotteten über denselben und rühmten sich des Geldes, welches sie verdient hatten. Als sie sich auf den Weg machen wollten, kaufte jeder von ihnen ein Brot für den Vater zu Hause.

Darauf, nachdem sie aufgebrochen waren, folgte ihnen der [93] jüngere Bruder. Bald hatte er sie eingeholt. Diese kannten ihn immer noch nicht wieder, sondern hielten ihn für einen vornehmen Herrn. Der jüngste Bruder liess nun scheinbar aus Versehen ein golddurchwirktes Tuch fallen. Sogleich hob der älteste Bruder dasselbe auf und steckte es ein. Kurze Zeit darauf liess der jüngste Bruder ein zweites Tuch fallen. Kaum hatte der zweite Bruder das gesehen, so nahm er das Tuch an sich. Endlich kamen die drei zu Hause an. Hier gab sich der jüngste Bruder zu erkennen, und obgleich er die vielen kostbaren Kleider und golddurchwirkten Tücher hatte und das feinste Brot von der Welt heimbrachte, so klagten ihn doch seine Brüder des Betruges an. Deshalb sagte der Vater: „Ich will mich diesmal nicht entscheiden. Zieht wieder aus und wer dann in Jahr und Tag die schönste Frau heimbringt, der soll das Haus haben und mein Erbe sein.“

Die beiden Brüder nahmen wieder Dienste in dem Hofe, in welchem sie das Jahr zuvor gewesen waren; der jüngste aber kehrte zur Schlange in der Waldhütte zurück. Nachdem er derselben wieder ein Jahr gedient hatte, schickte er sich an heimzukehren. Die Schlange fragte ihn, was er an Lohn haben wolle. „Gar nichts,“ sagte der junge Mann, „nur hat mein Vater gesagt, dass derjenige das Haus haben und sein Erbe sein soll, welcher die schönste Frau heimbringt.“

„Bevor Du gehst,“ bat die Schlange, „thue mir noch einen grossen Gefallen. Heize den Ofen neunmal, dann wirf mich in denselben hinein. Darauf maure den Ofen zu. Dann wird ein furchtbares Geschrei darin entstehen, Du darfst den Ofen aber nicht öffnen. Erst wenn Dich eine freundliche Stimme ersucht zu öffnen, so schlage den Teil des Ofens ein, welchen Du zugemauert hast.“

Der junge Mann that alles, wie es ihm gesagt war. Wohl hörte er ein jammervolles Schreien im Ofen, aber er achtete nicht darauf und erst als eine zarte Stimme ihn bat: „Oeffne, bitte, den Ofen,“ da brach er die Vorderseite desselben ein. Kaum war dies geschehen, so kam aus dem Ofen eine prächtige Kutsche angefahren, welche von zwei feurigen Rappen gezogen wurde. In der Kutsche sass eine wunderholde Prinzessin. Diese begrüsste den jungen, schönen Mann und dankte ihm, dass er ihre Erlösung vollbracht habe. Dann forderte sie ihn auf, sogleich kostbare Kleidung anzulegen und sich zu ihr in die Kutsche zo setzen. Kaum war dies geschehen, so zogen die Rappen an und die Kutsche rollte dem Vaterhause des jungen Mannes zu. Dort waren schon die beiden ältern Brüder mit ihren hässlichen Weibern. Als der jüngste Bruder mit seiner holdseligen Prinzessin das Zimmer betrat, war des Staunens ob ihrer Schönheit kein Ende. Aber das schöne, junge Paar begrüsste nur den alten Vater, dann bestieg es wieder die Kutsche und fuhr zum Vater der Prinzessin, welcher ein mächtiger König war. Bald wurde die Hochzeit des jungen Paares mit grosser Pracht gefeiert.

Anmerkungen (Wikisource)

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Die Sagen und das Märchen sind auch als Einzeltexte verfügbar unter:

  1. Der einäugige Riese
  2. Die Schwanfrau
  3. Die Froschfrau
  4. Die Schlangenfrau