Textdaten
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Titel: Liszt in Berlin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 218–219
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[218] Liszt in Berlin. Niemals hat ein musikalischer Virtuose, ein junger Meister solche Lorbeern geerntet, solche Begeisterung erweckt wie Franz Liszt in seiner glänzenden Konzertperiode von den Jahren 1840 bis 1847. Und in dieser Periode bildet wiederum sein Aufenthalt in Berlin 1842 den glänzendsten Abschnitt. In der eingebenden Biographie „Franz Liszt“ von L. Ramann, von deren zweitem Band die erste Abtheilung vorliegt (Leipzig, Breitkopf und Härtel), findet sich eine Darstellung aller Huldigungen, welche Franz Liszt damals in der preußischen Hauptstadt zu Theil wurden – und diese Darstellung ist um so interessanter, als sie zugleich eine Charakteristik jener Zeit ist. Nach der Thronbesteigung des kunstsinnigen Königs Friedrich Wilhelm IV. regte sich nicht nur neues politisches Leben, auch eine Begeisterung für die Kunst, die nicht recht wußte, wohin sie sich wenden sollte, ob sie mit dem König für Ludwig Tieck und die Romantiker und Bauten des Mittelalters schwärmen, ob sie sich für die Sänger der politischen Freiheit wie Georg Herwegh, der ja auch von dem König empfangen worden war, enthusiasmiren sollte. Und in diese Epoche allgemeiner geistiger Erregung fiel die Kunstreise von Liszt und sein Aufenthalt in Berlin; und da das Klavier ein neutraler Boden war, so wandte sich ihm die ganze in Fluß gekommene Bewegung zu, alle Parteien vereinigten sich in der Bewunderung des Virtuosen und die ganze nervöse Erregtheit jener Epoche kam dabei mit ins Spiel.

Wenn wir heute von jenen Huldigungen lesen, so erregen sie bei uns ein Gefühl der Verwunderung. Vom 27. Dezember 1841 bis 2. März 1842 gab Liszt mehr als 20 Konzerte, eine Weltlitteratur in Noten. Die Kritik war überschwenglich. Rellstab rühmte seine scharf ausgeprägte Rhythmik, seine flammenden Accente,. sein Zusammenfassen der Ton- und Satzgruppen zu Gedankengängen, seine märchenhafte Technik, die jede Nüance der Empfindung vom seelischen Hauch bis zur höchsten Gluth und Gewalt der Leidenschaft wiedergab. Oktaven, Doppelgriffe, Passagensprünge aller Art habe er mit einer Hand ausgeführt, wie mit zwei Händen, mit einer Sicherheit und Leichtigkeit, die man bisher nicht für menschenmöglich gehalten. Der vierte Akt von Meyerbeers „Hugenotten“ wurde am Klavier im weißen Saale des Königsschlosses vorgespielt. Liszt vertrat hierbei den instrumentalen Theil und spielte ihn aus der Partitur, jede Hand ein Orchester! Nur zwölf Konzerte gab er für sich, die übrigen zu wohlthätigen Zwecken. Drei derselben hatte er der studirenden Jugend gewidmet. Bei ihr hatte er eine Begeisterung erweckt, die zu solchem Sturm anschwoll, daß, als er nach einem Konzert, um nach Hause zu fahren, seinen Wagen bestieg, die Studentenschaft die Pferde ausspannte und ihn unter lautem Hochruf der umstehenden und bis zum Hôtel ihn begleitenden Volksmassen nach Hause fuhr. Er verkehrte mit den ersten wissenschaftlichen und künstlerischen Größen der Hauptstadt; besonders aber zeichneten ihn der Hof und König Friedrich Wilhelm IV. aus.

Darüber erfahren wir einige wenig bekannte Anekdoten. Der König hatte ihm nach einem Konzert im Opernhaus einen kostbaren Brillantring durch seinen Adjutanten überreichen lasten. Brillanten waren das bei jedem Virtuosen gebräuchliche Geschenk des Hofes. Liszt aber hielt sich für etwas Höheres als die gewöhnlichen Virtuosen: er sah in diesem Geschenk eine Beleidigung und warf das kleine Etui in die Koulissen mit den Worten. „Ich brauche ja so etwas nicht!“ Noch ehe der Kavalier, der das Geschenk überreicht hatte, den Vorgang begriff, sprang eine Dame aus den Koulissen hervor und reichte ihm das Etui mit dem Ausruf: „Herr Liszt – aus lauter Freude lassen Sie ja das Geschenk aus den Händen fallen!“ Diese Geistesgegenwart Charlotte von Hagens rief seine Besonnenheit zurück und sich gegen den Kavalier wendend, sprach er:

„Majestät sind sehr gütig gegen mich.“

Vor der gefeierten Schauspielerin aber verbeugte er sich ehrerbietig und zog ihre Hand an seine Lippen mit den Worten.

„So eine wohlthätige Hand muß man segnend küssen.“

Das Etui aber nahm er nicht. Später verlieh ihm der König den Orden Pour le mérite, der weder vorher noch nachher einem Virtuosen zu Theil geworden.

Es hatte sich das Gerücht verbreitet, Liszt habe mit einem sehr glücklichen Spieler, dem Baron von Rosenberg, gespielt und sei von diesem ruinirt worden. Eines Abends wurde er in das Palais der Prinzeß Wilhelm, der jetzigen Kaiserin-Wittwe, befohlen, die ihn in ihrem Wohnzimmer empfing, ihn fragte, ob ihm nichts fehle, ob er nicht der Freunde bedürfe, er habe Verluste gehabt. Liszt war sehr erstaunt, und sein Erstaunen wuchs, als ihm die Prinzessin ein Portefeuille einhändigte, das ihn aus seiner Verlegenheit und von Rosenberg befreien würde. Das Portefeuille enthielt 20 000 Thaler. Nun klärte sich die Sache auf, und Liszt erklärte, daß er ein Gelübde gethan, nie um Geld zu spielen.

In Berlin reihte sich Fest an Fest. Konzerte, Aufführungen im Opern- und Schauspielhaus, Privatgesellschaften hatten nur Werth, wenn [219] Liszt anwesend war. Man konnte Konzertanzeigen lesen mit der Bemerkung: Liszt wird anwesend sein. Familien, die er besuchte, bewahrten Tassen und Gläser, aus denen er getrunken, als Reliquien. Die Akademie der Künste ernannte ihn zu ihrem Mitglied, die Vorstände der von ihm bedachten Wohlthätigkeitsanstalten bereiteten ihm Ueberraschungen. Einmal erhielt er einen Morgenbesuch von einhundert Kindern, von denen keines über sechs Jahre alt war; sie wollten ihm im Namen von tausend anderen Kindern danken, reichten ihm Kränze und streuten ihm Blumen. Ein Hauptfest war das Festmahl im Jägerschen Saal, an welchem sich die angesehensten Männer der Künste und Wissenschaft betheiligten. Die Festlichkeit gipfelte in einer Ehrengabe, die Liszt von einer Deputation überreicht wurde, welche aus Vertretern der in Berlin gepflegten Künste, dem Maler Wach, dem Architekten Steir, dem Bildhauer Rauch und den Musikern Meyerbeer und Mendelssohn, bestand. Das Geschenk war ein goldenes Medaillon, das nach einer in Paris auf Liszt geprägten, aber sehr vergrößerten Medaille angefertigt war; dem Genius, dem Künstler von Geist und Gemüth, dem Ehrenmanne von Gesinnung und Charakter war es gewidmet. Am Tage seiner Abreise erwartete ihn ein mit sechs Schimmeln bespannter Wagen; der Künstler wurde unter dem Jauchzen der Menge fast die Treppe hinabgetragen und in den Wagen gehoben, wo er zwischen den Senioren der Studentenschaft Platz nahm. Dreißig einspännige Wagen mit Studirenden und zahllose andere folgten ihm; Volksgedränge überall, nicht nur Straßen und Plätze, auch die Fenster der Häuser waren besetzt, aus denen Kränze und Sträuße ihm zuflogen, und selbst die Chaussee draußen bis zur „neuen Welt“ war mit einer großen Menschenmenge bedeckt.

Rellstab nannte Liszts Aufenthalt in Berlin ein Ereigniß des öffentlichen Lebens. Ein Vergleich zwischen damals und jetzt mag uns zeigen, daß wir jetzt ein wahrhaftes öffentliches Leben besitzen und bei aller Anerkennung des künstlerischen Verdienstes solche übertriebene Huldigungen für einen Meister des Klavierspiels eine Unmöglichkeit geworden sind.
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