Kapitel II Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Erster Teil, Kapitel III
Kapitel IV
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[63]

III.


 „Ich höre rauschende Musik, das Schloß ist
 Von Lichtern hell. Wer sind die Fröhlichen?“
 Schiller.[1]


Der Saal des Rathauses, wohin die Angekommenen geführt wurden, bildete ein großes, längliches Viereck. Die Wände und die zu der Größe des Saales unverhältnismäßig niedere Decke waren mit einem Getäfel von braunem Holz ausgelegt, unzählige Fenster mit runden Scheiben, worauf die Wappen der edlen Geschlechter von Ulm mit brennenden Farben gemalt waren, zogen sich an der einen Seite hin, die gegenüberstehende Wand füllten Gemälde berühmter Bürgermeister und Ratsherrn der Stadt, die beinahe alle in der gleichen Stellung, die Linke in die Hüfte, die Rechte auf einen reichbehängten Tisch gestützt, ernst und feierlich auf die Gäste ihrer Enkel herabsahen. Diese drängten sich in verworrenen Gruppen um die Tafel her, die, in Form eines Hufeisens aufgestellt, beinahe die ganze Weite des Saales einnahm. Der Rat und die Patrizier, die heute im Namen der Stadt die Honneurs machen sollten, stachen in ihren zierlichen Festkleidern mit den steifen, schneeweißen Halskrausen wunderlich ab gegen ihre bestaubten Gäste, die, in Lederwerk und Eisenblech [64] gehüllt, oft gar unsanft an die seidenen Mäntelein und samtenen Gewänder streiften. Man hatte bis jetzt noch auf den Herzog von Bayern gewartet, der, einige Tage vorher eingetroffen, zu dem glänzenden Mittagsmahl zugesagt hatte; als aber sein Kämmerling seine Entschuldigung brachte, gaben die Trompeten das ersehnte Zeichen, und alles drängte sich so ungestüm zur Tafel, daß nicht einmal die gastfreundliche Ordnung des Rates, die je zwischen zwei Gäste einen Ulmer setzen wollten, gehörig beobachtet wurde.

Breitenstein hatte Georg auf einen Sitz niedergezogen, den er ihm als einen ganz vorzüglichen anpries. „Ich hätte Euch“, sagte der alte Herr, „zu den Gewaltigen da oben, zu Frondsberg, Sickingen, Hutten und Waldburg, setzen können, aber in solcher Gesellschaft kann man den Hunger nicht mit gehöriger Ruhe stillen. Ich hätte Euch ferner zu den Nürnbergern und Augsburgern führen können, dort unten, wo der gebratene Pfau steht, – weiß Gott, sie haben keinen übeln Platz, – aber ich weiß, daß Euch die Städtler nicht recht behagen, darum habe ich Euch hieher gesetzt. Schauet Euch hier um, ob dies nicht ein trefflicher Platz ist? Die Gesichter umher kennen wir nicht, also braucht man nicht viel zu schwatzen. Rechts haben wir den geräucherten Schweinskopf mit der Zitrone im Maul, links eine prachtvolle Forelle, die sich vor Vergnügen in den Schwanz beißt, und vor uns diesen Rehziemer, so fett und zart, wie auf der ganzen Tafel keiner mehr zu finden ist.“

Georg dankte ihm, daß er mit so viel Umsicht für ihn gesorgt habe, und betrachtete zugleich flüchtig seine Umgebung. Sein Nachbar rechts war ein junger, zierlicher Herr von etwa 25 bis 30 Jahren. Das frischgekämmte Haar, duftend von wohlriechenden Salben, der kleine Bart, der erst vor einer Stunde mit warmen Zänglein gekräuselt worden sein mochte, ließen Georg, noch ehe ihn die Mundart davon überzeugte, einen Ulmer Herrn erraten. Der junge Herr, als er sah, daß er von seinem Nachbar bemerkt wurde, bewies sich sehr zuvorkommend, indem er Georgs Becher aus einer großen silbernen Kanne füllte, auf glückliche Ankunft und gute Nachbarschaft mit ihm anstieß und [65] auch die besten Bissen von den unzähligen Rehen, Hasen, Schweinen, Fasanen und wilden Enten, die auf silbernen Platten umherstanden, dem Fremdling aufs Teller legte.

Doch diesen konnte weder seines Nachbars zuvorkommende Gefälligkeit noch Breitensteins ungemeiner Appetit zum Essen reizen. Er war noch zu sehr beschäftigt mit dem geliebten Bilde, das sich ihm beim Einzug gezeigt hatte, als daß er die Ermunterungen seiner Nachbarn befolgt hätte. Gedankenvoll sah er in den Becher, den er noch immer in der Hand hielt, und glaubte, wenn die Bläschen des alten Weines zersprangen und in Kreisen verschwebten, das Bild der Geliebten aus dem goldenen Boden des Bechers auftauchen zu sehen. Es war kein Wunder, daß der gesellige Herr zu seiner Rechten, als er sah, wie sein Gast, den Becher in der Hand, jede Speise verschmähe, ihn für einen unverbesserlichen Zechbruder hielt. Das feurige Auge, das unverwandt in den Becher sah, der lächelnde Mund des in seinen Träumen versunkenen Jünglings schien ihm einen jener echten Weinkenner anzuzeigen, die auf feingeübter Zunge den Gehalt des edlen Trankes lange zu prüfen pflegen.

Um der Ermahnung des wohledlen Rates, den Gästen das Mahl so angenehm als möglich zu machen, gehörig nachzukommen, suchte er auf der entdeckten schwachen Seite dem jungen Mann beizukommen. Es war zwar gegen die Gewohnheit des jungen Ulmers, Wein zu trinken, aber dem jungen Mann zulieb, der etwas so Hohes und Gebietendes an sich hatte, mußte er schon ein Übriges thun. Er schenkte sich seinen Becher wieder voll und begann: „Nicht wahr, Herr Nachbar, das Weinchen hat Feuer und einen feinen Geschmack? Freilich ist es kein Würzburger, wie Ihr ihn in Franken gewohnt sein werdet, aber es ist echter Ellfinger aus dem Ratskeller und immer seine achtzig Jahre alt.“

Verwundert über diese Anrede, setzte Georg den Becher nieder und antwortete mit einem kurzen „Ja, ja –“ Der Nachbar ließ aber den einmal aufgenommenen Faden nicht so bald wieder fallen. „Es scheint“, fuhr er fort, „als munde er Euch doch nicht ganz, aber da weiß ich Rat. Heda! gebt eine Kanne Uhlbacher hieher. – Versuchet einmal diesen, der wächst zunächst an [66] des Württembergers Schloß; in diesem müßt Ihr mir Bescheid thun: Kurzen Krieg, großen Sieg!“

Georg, dem dieses Gespräch nicht recht zusagte, suchte seinen Nachbar auf einen anderen Weg zu bringen, der ihn zu anziehenderen Nachrichten führen konnte: „Ihr habt“, sprach er, „schöne Mädchen hier in Ulm, wenigstens bei unserem Einzug glaubte ich deren viele zu bemerken.“

„Weiß Gott“, entgegnete der Ulmer, „man könnte damit pflastern.“

„Das wäre vielleicht so übel nicht“, fuhr Georg fort, „denn das Pflaster Eurer Straßen ist herzlich schlecht. Aber sagt mir, wer wohnt dort in dem Eckhaus mit dem Erker, wenn ich nicht irre, schauten dort zwei feine Jungfrauen heraus, als wir einritten.“

„Habt Ihr diese auch schon bemerkt?“ lachte jener, „wahrhaftig, Ihr habt ein scharfes Auge und seid ein Kenner. Das sind meine lieben Basen mütterlicherseits, die kleine Blonde ist eine Besserer, die andere ein Fräulein von Lichtenstein, eine Württembergerin, die auf Besuch dort ist.“

Georg dankte im stillen dem Himmel, der ihn gleich mit einem so nahen Verwandten Mariens zusammenführte. Er beschloß, den Zufall zu benützen, und wandte sich, so freundlich er nur konnte, zu seinem Nachbar: „Ihr habt ein paar hübsche Mühmchen, Herr von Besserer …“

„Dieterich von Kraft nenne ich mich“, fiel er ein, „Schreiber des Großen Rates –“

„Ein paar schöne Kinder, Herr von Kraft; und Ihr besuchet sie wohl recht oft?“

„Jawohl“, antwortete der Schreiber des Großen Rates, „besonders seit die Lichtenstein im Hause ist. Zwar will mein Bäschen Bertha etwas eifersüchtig werden, denn, im Vertrauen gesagt, wir waren vorher ein Herz und eine Seele, aber ich thue, als merke ich es nicht, und stehe mit Marien um so besser.“

Diese Nachricht mochte nicht so gar angenehm in Georgs Ohren klingen, denn er preßte die Lippen zusammen, und seine Wangen färbten sich dunkler.

[67] „Ja, lachet nur“, fuhr der Ratsschreiber fort, dem der ungewohnte Geist des Weines zu Kopfe stieg, „wenn Ihr wüßtet, wie sie sich beide um mich reißen. Zwar – die Lichtenstein hat eine verdammte Art, freundlich zu sein, sie thut so vornehm und ernst, daß man nicht recht wagt, in ihrer Gegenwart Spaß zu machen, noch weniger läßt sie ein wenig mit sich schäkern wie Bertha; aber gerade das kommt mir so wunderhübsch vor, daß ich elfmal wiederkomme, wenn sie mich auch zehnmal fortgeschickt hat. Das macht aber“, murmelte er nachdenklicher vor sich hin, „weil der gestrenge Herr Vater da ist, vor dem scheut sie sich, laßt nur den einmal über der Ulmer Markung sein, so soll sie schon kirre werden.“

Georg wollte sich nach dem Vater noch weiter erkundigen, als sonderbare Stimmen ihn unterbrachen. Schon vorher hatte er mitten durch das Geräusch der Speisenden diese Stimmen zu hören geglaubt, wie sie in schleppendem, einförmigem Ton ein paar kurze Sätze hersagten, ohne zu verstehen, was es war. Jetzt hörte er dieselben Stimmen ganz in der Nähe, und bald bemerkte er, welchen Inhaltes ihre eintönigen Sätze waren. Es gehörte nämlich in den guten alten Zeiten, besonders in Reichsstädten, zum Ton, daß der Hausvater und seine Frau, wenn sie Gäste geladen hatten, gegen die Mitte der Tafel aufstanden und bei jedem einzelnen umhergingen, mit einem herkömmlichen Sprüchlein zum Essen und Trinken zu nötigen.

Diese Sitte war in Ulm so stehend geworden, daß der hohe Rat beschloß, auch an diesem Mahl keine Ausnahme zu machen, sondern ex officio einen Hausvater samt Hausfrau aufzustellen, um diese Pflicht zu üben. Die Wahl fiel auf den Bürgermeister und den ältesten Ratsherrn.

Sie hatten schon zwei Seiten der Tafel „nötigend“ umgangen, kein Wunder, daß ihre Stimmen durch die große Anstrengung endlich rauh und heiser geworden waren und ihre freundschaftliche Aufmunterung wie Drohung klang. Eine rauhe Stimme tönte in Georgs Ohr: „Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?“ Erschrocken wandte sich der Gefragte um und sah einen starken, großen Mann mit rotem Gesicht, [68] – ehe er noch auf die schrecklichen Töne antworten konnte, begann an seiner andern Seite ein kleiner Mann mit einer hohen dünnen Stimme:

„So esset doch und trinket satt,
Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat.“

„Hab’ ich’s doch schon lange gedacht, daß es so kommen würde“, fiel der alte Breitenstein ein, indem er ein wenig von der Anstrengung, mit welcher er den Rehziemer bearbeitet hatte, ausruhte.

„Da sitzt er und schwatzt, statt die köstlichen Braten zu genießen, die uns die Herren in so reichlicher Fülle vorgesetzt haben.“

„Mit Verlaub“, unterbrach ihn Dieterich von Kraft, „der junge Herr ißt nichts, er ist ein Zechbruder und trefflicher Weinschmecker; hab’ ich’s nicht gleich weg gehabt, daß er gerne zu tief ins Glas guckt? Darum tadle ihn keiner, wenn er sich lieber an den Uhlbacher hält.“

Georg wußte gar nicht, wie er zu dieser sonderbaren Schutzrede kam; er war im Begriff, sich zu entschuldigen, als ihn ein neuer Anblick überraschte. Breitenstein hatte sich jetzt über den Schweinskopf mit der Zitrone im Maul erbarmt, hatte die Zitrone geschickt aus dem Rachen des Tieres operiert, und begann mit großem Behagen und geübter Hand die weitere Sektion vorzunehmen; da trat der Bürgermeister auch zu ihm, und eben, als er an einem guten Bissen kaute, hub er an: „Warum eßt Ihr denn nicht, warum trinkt Ihr denn nicht?“ Dieser sah den Nötigenden mit starren Blicken an, zum Reden hatten seine Sprachorgane keine Zeit. Er nickte daher mit dem Haupte und deutete auf die Reste des Rehziemers; der kleine Mann mit der Fistelstimme ließ sich aber nicht irre machen, sondern sprach freundschaftlichst:

„So esset doch und trinket satt,
Was der Magistrat Euch vorgesetzt hat.“

So war es nun in den „guten alten Zeiten!“ Man konnte sich wenigstens nicht beklagen, nur zu einem Schauessen geladen [69] worden zu sein. Bald aber bekam die Tafel eine andere Gestalt. Die großen Schüsseln und Platten wurden abgetragen und geräumigere Humpen, größere Kannen, gefüllt mit edlem Weine, aufgesetzt. Die Umtränke und das in Schwaben schon damals sehr häufige Zutrinken begann, und nicht lange, so äußerte auch der Wein seine Wirkungen. Dieterich Spät und seine Gesellen sangen Spottlieder auf Herzog Ulerich und bekräftigten jeden Fluch oder schlechten Witz, den einer ausbrachte, mit Gelächter oder einem guten Trunke. Die fränkischen Ritter würfelten um die Güter des Herzogs und tranken einander das Tübinger Schloß im Weine ab. Ulerich von Hutten und einige seiner Freunde hielten in lateinischer Sprache eine laute Kontroverse mit einigen Italienern wegen des Angriffs auf den römischen Stuhl, den kurz zuvor ein unberühmter Mönch in Wittenberg unternommen hatte; die Nürnberger, Augsburger und einige Ulmer Herren, die sich zusammengethan hatten, waren über den Glanz ihrer Republiken in Streit geraten, und so füllte Gelächter, Gesang, Zanken und der dumpfe Klang der silbernen und zinnernen Becher den Saal.

Nur am obern Ende der Tafel herrschte anständigere, ruhigere Fröhlichkeit. Dort saßen Georg von Frondsberg, der alte Ludwig Hutten, Waldburg Truchseß, Franz von Sickingen und noch andre ältliche, gesetzte Herren.

Dorthin wandte jetzt auch der Bundeshauptmann Hans von Breitenstein, nachdem er sich genugsam gesättiget hatte, seine Blicke und sprach zu Georg: „Das Lärmen um uns her will mir gar nicht behagen; wie wäre es, wenn ich Euch jetzt dem Frondsberger vorstellte, wie Ihr in den letzten Tagen gewünscht habt?“

Georg, dessen Wunsch schon lange war, dem Kriegsobersten bekannt zu werden, stand freudig auf, um dem alten Freunde zu folgen. Wir werden ihn nicht tadeln, daß sein Herz bei diesem Gange ängstlicher pochte, seine Wangen sich höher färbten, seine Schritte, je näher er kam, ungewisser und zögernder wurden. Wen haben nicht in seiner Jugend, wenn er einem glänzenden, ruhmbekränzten Vorbild nahte, ähnliche Gefühle bestürmt? Wem sank da nicht sein eigenes Ich zur Unbedeutendheit zusammen, [70] während der Gefeierte zum Riesen wuchs. Georg von Frondsberg galt schon damals für einen der berühmtesten Feldherren seiner Zeit. Italien, Frankreich und Deutschland erzählten von seinen Siegen, und die Kriegskunst wird ihn ewig in ihren Annalen nennen, denn er war der Stifter und Gründer eines geordneten, in Reihen und Gliedern fechtenden Fußvolkes. Sagen und Chroniken erhielten das Bild dieses Helden bis auf unsere Tage, und wer gedenkt nicht unwillkürlich jener Homerischen Helden, wenn er von diesem Manne liest: „Er war so stark an Gliedern, wenn er den Mittelfinger der rechten Hand ausstreckte, daß er damit den stärksten Mann, so sich steif stellte, vom Platz stoßen, ein rennendes Pferd beim Zaum ergreifen und stellen, die großen Büchsen und Mauerbrecher allein von einem Ort zum andern führen konnte?“ Zu ihm führte Breitenstein den Jüngling.

„Wen bringt Ihr uns da, Hans?“ rief Georg von Frondsberg, indem er den hochgewachsenen, schönen, jungen Mann mit Teilnahme betrachtete.

„Seht ihn Euch einmal recht an, werter Herr“, antwortete Breitenstein, „ob Euch nicht beifällt, in welches Haus er gehören mag?“

Aufmerksamer betrachtete ihn der Feldhauptmann, auch der alte Truchseß von Waldburg wandte prüfend sein Auge herüber. Georg war schüchtern und blöde vor diese Männer getreten; aber sei es, daß die freundliche, zutrauliche Weise Frondsbergs ihm Mut machte, sei es, daß er fühlte, wie wichtig der Augenblick für ihn sei, er bekämpfte die Scham, den Blicken so vieler berühmter Männer ausgesetzt zu sein, und sah ihnen entschlossen und mutig ins Gesicht.

„Jetzt, an diesem Blick erkenne ich dich“, sagte Frondsberg und bot ihm die Hand, „du bist ein Sturmfeder?“

„Georg Sturmfeder“, antwortete der junge Mann, „mein Vater war Burkhardt Sturmfeder, er fiel, wie man mir sagte, in Italien an Eurer Seite.“

„Er war ein tapferer Mann“, sprach der Feldhauptmann, dessen Auge immer noch sinnend auf Georgs Zügen ruhte, „an manchem warmen Schlachttag hat er treu zu mir gehalten, wahrlich, [71] sie haben ihn allzufrühe eingescharrt! Und du“, setzte er freundlicher hinzu, „du hast dich eingestellt, um seiner Spur zu folgen? Was treibt dich schon so frühe aus dem Neste und bist kaum flick[2]?“

„Ich weiß schon“, unterbrach ihn Waldburg mit rauher, unangenehmer Stimme, „das Vögelein will sich ein paar Flöckchen Wolle suchen, um das alte Nest zu flicken!“

Diese rohe Anspielung auf die verfallene Burg seiner Ahnen jagte eine hohe Glut auf die Wangen des Jünglings. Er hatte sich nie seiner Dürftigkeit geschämt, aber dieses Wort klang so höhnend, daß er sich zum ersten Male dem reichen Spötter gegenüber recht arm fühlte. Da fiel sein Blick über Truchseß Waldburg hin durch die Scheiben auf jenes wohlbekannte Erkerfenster; er glaubte Mariens Gestalt zu erblicken, und sein alter Mut kehrte wieder. „Ein jeder Kampf hat seinen Preis, Herr Ritter“, sagte er, „ich habe dem Bund Kopf und Arm angetragen; was mich dazu treibt, kann Euch gleichgültig sein.“

„Nun, nun!“ erwiderte jener, „wie es mit dem Arm aussieht, werden wir sehen, im Kopfe muß es aber nicht so ganz hell sein, da Ihr aus Spaß gleich Ernst macht.“

Der gereizte Jüngling wollte wieder etwas darauf erwidern, Frondsberg aber nahm ihn freundlich bei der Hand: „Ganz wie dein Vater, lieber Junge, nun du willst zeitlich zu einer Nessel werden[Hauff 1]. Und wir werden Leute brauchen, denen das Herz am rechten Flecke sitzt. Daß du dann nicht der letzte bist, darfst du gewiß sein.“

Diese wenigen Worte aus dem Munde eines durch Tapferkeit und Kriegskunst unter seinen Zeitgenossen hochberühmten Mannes übten so besänftigende Gewalt über Georg, daß er die Antwort, die ihm auf der Zunge schwebte, zurückdrängte und sich schweigend von der Tafel in ein Fenster zurückzog, teils um die Obersten nicht weiter zu stören, teils um sich genauer zu überzeugen, ob die flüchtige Erscheinung, die er vorhin gesehen, wirklich Marie gewesen sei.

[72] Als Georg die Tafel verlassen hatte, wandte sich Frondsberg zu Waldburg: „Das ist nicht die Art, Herr Truchseß, wie man tüchtige Gesellen für unsere Sache gewinnt, ich wette, er ging nicht mit halb so viel Eifer für die Sache von uns, als er zu uns brachte.“

„Müßt Ihr dem jungen Laffen auch noch das Wort reden?“ fuhr jener auf, „was braucht es da? er soll einen Spaß von seinem Oberen ertragen lernen.“

„Mit Verlaub“, fiel ihm Breitenstein ins Wort, „das ist kein Spaß, sich über unverschuldete Armut lustig zu machen, ich weiß aber wohl, Ihr seid seinem Vater auch nie grün gewesen.“

„Und“, fuhr Frondsberg fort, „sein Oberer seid Ihr ganz und gar noch nicht. Er hat dem Bunde noch keinen Eid geleistet, also kann er noch immer hinreiten, wohin er will; und wenn er auch unter Euren eigenen Fahnen diente, so möchte ich Euch doch nicht raten, ihn zu hänseln, er sieht mir nicht darnach aus, als ob er sich viel gefallen ließe!“

Sprachlos vor Zorn über den Widerspruch, den er in seinem Leben nie ertragen konnte, blickte Truchseß den einen und den andern an, mit so wutvollen Blicken, daß sich Ludwig von Hutten schnell ins Mittel warf, um noch ärgeren Streit zu verhüten: „Laßt doch die alten Geschichten!“ rief er. „Überhaupt wäre es gut, wir heben die Tafel auf. Es dunkelt draußen schon stark, und der Wein wird zu mächtig. Dieterich Spät hat schon zweimal des Württembergers Tod ausgebracht, und die Franken dort unten sind nur noch nicht einig, ob man seine Schlösser niederbrennen oder verteilen soll.“

„Laßt sie immer“, lachte Waldburg bitter, „die Herren dürfen ja heute machen, was sie wollen, Frondsberg wird ihnen doch das Wort reden.“

„Nein“, antwortete Ludwig Hutten; „wenn einer von so etwas reden darf, bin ich es, als der Bluträcher meines Sohnes; aber ehe noch der Krieg erklärt ist, müssen solche Reden unterbleiben. Mein Vetter Ulerich spricht mir auch zu heftig mit den Italienern über den Mönch von Wittenberg, und er verschwatzt sich zu sehr, wenn er in Zorn geratet. Laßt uns aufbrechen.“

[73] Frondsberg und Sickingen stimmten ihm bei, sie standen auf, und als die nächsten um sie her ihrem Beispiel folgten, war der Aufbruch allgemein.



  1. „Wallensteins Tod“, 5. Aufzug, 4. Auftritt.
  2. flügge.

Anmerkungen (Hauff)

  1. [166] Es sind dies Frondsbergs eigene Worte, die er zu Götz von Berlichingen sprach, und die dieser in seiner Geschichte (Seite 83) anführt.
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