Lenaus Braut
Lenaus Braut.
Unter den Stürmen des Frühlings ist Lenaus Liebe begraben worden, in den Schauern des Herbstes ist seine Braut aus dieser Zeitlichkeit geschieden; so ist dieses Jahr recht ein Jahr der Erinnerung an den edlen Dichter der Schwermuth und Liebesnoth, den nun schon seit vierzig Jahren die kühle Erde deckt. Als Sophie v. Löwenthal, Lenaus einzige und wahre Liebe, starb, haben wir den Lesern der „Gartenlaube“ von ihrem Leben und ihren innigen Beziehungen zu dem Dichter ausführlich erzählt (vergl. Nr. 33). Es scheint uns nur ein Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit zu sein, nun auch das Lebensbild der armen Dichterbraut an dieser Stelle aufzurollen.
Marie Behrend, so hieß die Braut Lenaus. Und indem ich diesen Namen hier nenne, überkommt mich ein seltsames Gefühl, von Wehmuth und Reue. Ich hatte einst diesen Namen in Deutschland öffentlich genannt – allerdings nicht aus Lust an Indiskretionen, sondern in dem festen Glauben, die Braut Lenaus weile längst nicht mehr unter den Lebenden. Das war vor etwa achtzehn Jahren. Ein Brief mit bittrer Klage und der Bitte, daß man ihren Schmerz und ihre Zurückgezogenheit nicht stören möge, belehrte mich eines anderen. Aber das Geschehene war nun nicht wieder gutzumachen. So bleibt mir nichts übrig, als diese Mahnung an weithin sichtbarer Stelle für alle diejenigen aufzuhängen, die sich mit den Herzensangelegenheiten unserer Dichter und großen Männer beschäftigen.
Marie Behrend war eine Frankfurterin und wurde im Jahre 1811 geboren, erreichte also dasselbe Alter wie Sophie Löwenthal, während Lenau selbst fast nur die Hälfte dieses Lebensalters beschieden war. Als Lenau Marie Behrend kennen lernte, war er bereits ein gebrochener, lebensmüder Mensch. Es war dies im Juli 1844 zu Baden-Baden. Und wir besitzen einen Bericht aus der Feder Berthold Auerbachs über „Lenaus letzten Sommer“, der gerade diese Episode besonders lebhaft und anschaulich darstellt, der uns auch den tiefen Zwiespalt in den Stimmungen des Dichters, in seinem Empfindungsleben und in seiner Weltanschauung aufdeckt, welcher die Zerstörung seines Geistes herbeiführen mußte.
Lenau war nach Baden-Baden gekommen, um dort seinen „Don Juan“ zu vollenden. Er wollte sein Künstlerauge an der [829] schrankenlosen Zügellosigkeit des Weltbadelebens weiden, um den letzten Schluß des Don Juanthemas mit all’ der Freiheit und Kühnheit dichten zu können, die diesem Vorwurf entspricht. Und siehe da, welch ein Gegensatz!
Auf seinem Wege erblühte die Blume der Liebe in reiner Holdseligkeit. „Der Dichter,“ so sagt Auerbach sehr schön, „der die Folgenreihen des fessellosen und pflichtlosen Genusses, den bewußten Taumel der Sinnenlust darstellen wollte, stand unversehens in allen süßen Schauern der reinen Liebe; Friedsamkeit und wohlig umhegtes Heim bauten sich vor ihm auf.“
Aber aus der Ferne tönten die Erinnerungen einer Vergangenheit an sein Ohr, die eben nicht Vergangenheit sein wollte. Und das war Lenaus trauriges Verhängniß . . .
So romantisch und seltsam jedoch des Dichters Schicksal war, die Geschichte seiner Brautwerbung ist eine recht prosaische, ja zum theil sogar noch darüber hinaus eine geradezu philisterhafte. Nicht im Waldesdunkel und nicht im Blitzeszucken, sondern an der Table d’hote im „Englischen Hof“ lernte Lenau Marie Behrend kennen. Und sie war keine Schwärmerin, kein phantastisches Mägdelein, sondern eine ernste, sinnige und sanfte Dame, schon über die ersten Mädchenjahre hinaus und im Kampfe des Lebens durch eine trübe, an dem Krankenbett des geliebten Vaters verbrachte Jugend erfahren und gefestigt. Der erste Eindruck, den sie auf Lenau machte, war gleichwohl – oder vielleicht gerade darum – ein ausgezeichneter. Wonnestrahlend kam er am andern Morgen zu Auerbach und erzählte ihm sein Abenteuer. Er hatte erfahren, daß die Damen – Mutter und Tante des Mädchens – schon am selben Tag abreisen wollten, und während Auerbach im Garten auf und ab wandeln mußte, schrieb Lenau auf seinem Zimmer jenes Gedicht an Marie Behrend in ein schnell herbeigeschafftes Exemplar seiner Dichtungen, das später aus dem Nachlasse veröffentlicht wurde:
„Mich ließ die Gunst des Augenblickes,
Ein flüchtig Lächeln des Geschickes,
Wie bis ins Herz Du schön, erkennen;
Leb’ wohl! Ich muß mich von Dir trennen!
Doch mildert’s mir Dein frühes Scheiden,
Wenn ich vom Glück, das mir entschwunden
– So schnell wie Du! – die heitern Kunden,
Und wenn ich darf den Ruf der Leiden,
Die singend mir das Herz zerrissen,
In Deinen lieben Händen wissen.“
Es war das letzte Liebeslied Nikolaus Lenaus. Und der Erzähler gesteht, daß er nie den Ton habe vergessen können, mit dem Lenau im Umschlag seiner frohen Stimmung am Abend desselben Tages plötzlich zu ihm sagte: „Brüderl! Das Licht geht aus!“ Er saß in sich zusammengekauert, hatte die beiden Hände zwischen die Kniee gepreßt und rief: „Das Licht geht aus!“
Aber ehe das Licht gänzlich verlosch, strahlte ihm noch einmal die Sonne vollen Liebesglückes und umglänzte mit ihrem letzten milden Abendroth das Haupt des schwermüthigen, unglücklichen Sängers.
Er hatte die Gewißheit, daß seine Liebe erwidert wurde, erlangt; und nun sproßte ein neuer Blüthenfrühling in ihm auf. Er machte Pläne für die Zukunft und schwärmte im Ausmalen eines still abgeschlossenen Lebensglückes. Alles Vergangene schien hinter ihm versunken; nur hier und da huschte noch ein Schatten vorüber, um rasch wieder zu verschwinden; sein ganzes Sinnen und Trachten war auf die künftige Gestaltung seines Lebens gerichtet. Es ist aber bezeichnend, daß bei all’ diesen Plänen eine durchaus verständige, ja fast nüchterne Berechnung vorherrschte. Lenau schien geradezu praktisch geworden zu sein. Wer ihn nicht schon gekannt, hätte ihn am Ende gar für geizig halten müssen. Denn neben der Freude an dem neu gefundenen Liebesglück spielte das Behagen eine wesentliche Rolle, nunmehr einen festen Halt und eine materiell gesicherte Lebensstellung zu erlangen. Ja, so klug war Lenau diesmal, daß er in seinen Briefen nach Wien – namentlich an Sophie – auch nicht ein Jota von seinen Plänen schrieb. Er handelte diesmal rasch und entschlossen, er berechnete alle Umstände geschickt und vernünftig – aber es war schon zu spät. Und er selbst fühlte es, als er nachher sagte: „Mein ganzes Unglück ist ein verfehltes Rechenexempel. Ich habe mich verrechnet. Ich wollte noch glücklich sein, und als ich das Glück erkannt, es mir schnell sichern . . . aber die alten Bande lassen mich nicht los.“
Schnell hatte Lenau, wie gesagt, den Entschluß gefaßt, sich zu verloben und die Freundin in Wien mit einer vollendeten Thatsache zu überraschen. Er reiste nach Frankfurt und dort fand die Verlobung statt. „Ueber mein ganzes Leben ist ein freudiger Friede gekommen,“ schrieb er von da aus an seine Stuttgarter Freunde, „wie ich ihn diesseits nicht mehr zu gewinnen hoffte.“
Aber dieser Friede war leider nur von kurzer Dauer, das Abendroth vor Sonnenuntergang. Zuerst war es die Sorge um die Zukunft, die seinen Liebesfrieden störte. Zwar hatte er mit Georg v. Cotta einen Vertrag abgeschlossen, der ihm 20 000 Gulden Honorar für seine Gedichte sicherte. Aber diese Summe reichte doch nicht hin, einen geordneten Hausstand zu begründen. Da war denn alle Hoffnung auf das Vermögen der Braut gerichtet. Leider erwies sich diese Hoffnung nur zu bald als trügerisch. „Eine Eröffnung der Brautmutter, welche einer unter gewöhnlichen Umständen reichlichen, unter den obwaltenden aber keineswegs [830] ausreichenden Mitgift erwähnte, riß Lenau zu einer Zeit, wo an einen Rücktritt nicht mehr zu denken war, aus seiner Hoffnung auf eine vollkommen gesicherte Zukunft.“ So berichtet Karl Evers, der Zeuge jener Brautfahrt des Dichters gewesen ist und der gleichfalls von dessen wechselnden Stimmungen in jener Zeit zu erzählen weiß. Hatte ihn doch am Verlobungstage die Frage eines Frankfurter Kaufmanns, eines Verwandten der Braut, was er denn eigentlich für eine Art Dichter wäre, ob ein Theater- oder Romanschreiber oder was sonst derlei, aufs tiefste und empfindlichste verletzt.
Dazu kam aber noch ein anderes und zwar das Wichtigste: die Furcht vor Wien. Es war eine recht traurige Reise, die der arme Bräutigam bald nach seiner Verlobung antreten mußte. Am 14. August war er in Wien und ging sofort zu Sophie. Ihre erste Frage lautete: „Niembsch, ist es wahr, was die Zeitungen von Ihnen melden?“
„Ja!“ erwiderte er, „doch wenn Sie es nicht wünschen, verheirathe ich mich nicht, ich erschieße mich dann aber auch!“
Es dauerte mehrere Tage, während welcher Lenau mit Sophie und ihrer Familie in Lainz bei Wien lebte, ehe eine Verständigung erzielt wurde. Nachdem er aber diese erreicht, war er von einer wahrhaft „funkelnden Freudigkeit“, die den Freunden allerdings schon befremdend erschien. Es blickte manchmal durch, als wäre die Lust und Laune etwas erzwungen. Er schien entschlossen, alle Hindernisse der Religion (Marie war protestantisch), des Vermögens etc. gewaltsam zu beseitigen. Als ihm ein Freund die verschiedenen Bedenken gegen diese Ehe vorhielt, stampfte er mit dem Fuße auf und rief: „Ich will aber glücklich sein!“
Und dann kam die Scheidestunde von Wien, von Sophie. Alle Zurückhaltung, alle guten Vorsätze fruchteten nichts. Der endlose Jammer der Trennung überwältigte die beiden so treu verbundenen Herzen. „Mir ist’s, als sollt’ ich Sie nie wiedersehen! Eins von uns muß wahnsinnig werden!“ rief Sophie aus. Lenau aber ermannte sich und mit dem feierlichen Schwur: „Dein fest und ewig!“ ging er von dannen.
Schon in seinem ersten Brief vom Schiffe aus giebt er den wehmüthigen Trennungsgedanken poetischen Ausdruck: „Wenn man von was recht Liebem geschieden ist und um das Verlorene trauert, so ist es gut, in einen Strom zu schauen, wo alles wogt, rauscht und schwindet, wie das Beste des Lebens. Diese Wehmuth hätte sich mir zu bitterer Qual gesteigert, wäre mir nicht mit den Wellen auch der Gedanke zugeschwommen, daß ich ja selbst bald auch so verrauschen werde und vergehen!“ Es ist seltsam, daß Lenaus letztes Gedicht genau denselben Gedanken ausdrückt. Da heißt es:
„Sahst du ein Glück vorübergeh’n,
Das nie sich wiederfindet,
Ist’s gut, in einen Strom zu seh’n,
Wo alles wogt und schwindet.
O, starre nur hinein, hinein,
Du wirst es leichter missen,
Was dir, und soll’s dein Liebstes sein,
Vom Herzen ward gerissen.
Blick’ unverwandt hinab zum Fluß,
Bis deine Thränen fallen,
Und sieh durch ihren warmen Guß
Die Fluth hinunterwallen.
Hinträumend wird Vergessenheit
Des Herzens Wunde schließen;
Die Seele sieht mit ihrem Leid
Sich selbst vorüberfließen.“
Man darf wohl ohne weites annehmen, daß dieses schwermüthige Lied das Empfinden des Dichters nach seiner Trennung von Sophie ausspricht; es trägt in der letzten Cottaschen Ausgabe das Datum des 25. Septembers, des Geburtstags Sophiens. „Die Leiden sind gesellig wie die Raben; sie kommen in schwarzen Scharen,“ schrieb er kurz darauf – in der That, eine seltsame Stimmung für einen Bräutigam, der der Erfüllung seines Lebensglücks entgegenreist.
Allerdings schien dieses Lebensglück, je näher er ihm zu sein glaubte, in immer weitere Ferne zu rücken. Verdrießlichkeiten der seltsamsten Art, Klatschgeschichten alter Blaustrümpfe, Schwierigkeiten bei Feststellung des Vertrags mit Cotta verbitterten die Stimmung des Dichters in bedenklicher Weise und beschleunigten den Ausbruch der Katastrophe, die alle gefürchtet, die er selbst geahnt und die nun mit Sturmesgewalt über Lenau hereinbrach.
Es war am 29. September, an einem Sonntag. Lenau saß mit seinen Stuttgarter Freunden beim Frühstück und las die eben aus Frankfurt und Wien eingelaufenen Briefe. Da fiel ihm das Gewicht seiner Lage schwer aufs Herz. Mit einem Aufschrei des höchsten Zorns und Kummers sprang er auf und im selben Augenblick fühlte er einen Riß durchs Gesicht. Er trat vor den Spiegel und sein verzerrtes Bild starrte ihm entgegen; der linke Mundwinkel war in die Höhe gezerrt und die rechte Wange war gänzlich starr und gelähmt bis ans Ohr. Dieser Schlaganfall war jedoch nur der Anfang des Leidens, das mit reißender Schnelligkeit den Geist des armen Lenau zerstörte.
„In meiner jetzigen Lage kann ich an ein Heirathen kaum denken,“ schreibt er fünf Tage später an Sophie. „Beinahe bin ich schon entschlossen – es fehlt nur noch sehr wenig – entschieden zurückzutreten. Wenn ich mir vorstelle, daß ich jetzt bald nach Frankfurt gehen soll, um dort von neuem über tausend Widerwärtigkeiten, die wie ein Gebirg von Glasscherben vor mir liegen, hinüberzuklettern, so schaudert mir.“
In den nächsten Briefen änderte sich allerdings wieder die Stimmung. Bald ist er voll freudiger Hoffnung auf ein volles Eheglück, bald von düsteren Ahnungen und schwarzen Gedanken erfüllt; heute will er endgiltig abschreiben, morgen geht ein zärtlicher Liebesbrief an die Braut ab. Nur in hellen Stunden fühlt er es klar: „Ein schlechter Ehekandidat bin ich jedenfalls!“
Aber diese hellen Stunden wurden immer seltener. Und in der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober brach die Tobsucht aus. „In dieser Nacht hab’ ich in einer schauerlichen Beleuchtung des Schicksals bis auf den Grund meines Herzens gesehen, daß meine ganze Seele Ihnen gehört auf ewig,“ schrieb er am folgenden Tag an Sophie. Soviel Kraft hatte er noch, den Anfall zu bewältigen. Freilich, auch diese Kraft nahm immer mehr ab und der Wahnsinn trat ein, der entsetzliche Wahnsinn, der nur selten noch lichteren Zwischenpausen Platz machte. In einem solchen lichten Augenblick, unmittelbar nach einem Aderlaß, rief er ein paarmal aus: „Heute kommt meine Braut!“ Niemand konnte daran denken, denn die Aerzte hatten wegen der befürchteten Aufregung davon abgerathen, der Braut irgend welche Mittheilung zu machen. Aber wie seltsam! Am selben Abend traf die Braut mit ihrer Mutter in Stuttgart ein. Auf die Kunde von Lenaus Erkrankung war sie im Eilwagen von Frankfurt abgereist. In Heidelberg mußte der Wagen auf die von Karlsruhe kommende Post warten, die Damen gingen in den Gasthof, Marie nahm eine Zeitung zur Hand, und ihr erster Blick fiel auf die lakonische Mittheilung: „Der Dichter Lenau ist wahnsinnig geworden und liegt in der Zwangsjacke.“
Am folgenden Morgen bestand Lenau darauf, seine Braut sehen zu wollen, obwohl ihm niemand deren Ankunft mitgetheilt hatte. Die Aerzte verboten jedoch entschieden, sie zu ihm zu lassen, weil sie von seiner Erregung das Aeußerste befürchteten. So weilte Marie einige Tage in Stuttgart, ohne ihren Bräutigam anders – als durch das Schlüsselloch gesehen zu haben! Und dieser Anblick soll ein so fürchterlicher gewesen sein, daß sie den Eindruck ihr Leben lang nicht verwinden konnte.
Alle, die Marie sahen, brachten ihr natürlich die wärmsten Sympathien, das innigste Mitgefühl entgegen. Alle stimmten auch darin überein, daß Lenau an der Seite dieser Frau sicher das Glück gefunden hätte, das er im Leben vergeblich gesucht hatte. Emma Niendorf beschrieb ihre damalige Erscheinung folgendermaßen: „Eine zarte Gestalt voll Anmuth; ein Oval, etwas Madonnenhaftes im Antlitz. Im Wesen sehr sanft und ruhig. Achtzehn Tage hatte sie Lenau im ganzen gekannt – achtzehn Tage und dann das ganze Leben einsam, zerstört, vernichtet . . . Lange faßten sie den Gedanken gar nicht, sie und ihre Mutter, die eine gar gute Frau sein muß. Jetzt meinte Marie, sie möge gar nicht hoffen, denn sie wolle diesen Schmerz nicht noch einmal durchringen; sie habe auf alles verzichtet, sie getraue sich nicht mehr, an Glück zu glauben.“
Und sie hatte recht. Vor ihrer Abreise aus Stuttgart war ihr noch der entsetzliche Anblick beschieden, von einem Fenster des Reinbeckschen Hauses aus ihren geliebten Lenau in einer [831] geschlossenen Kutsche an der Seite des berühmten Irrenarztes Hofrath Zeller in die Heilanstalt nach Winnenthal abführen zu sehen …
Auch in diesem Nervenasyl hatte Lenau oft noch lichte Augenblicke. In solchen erfreuten ihn die Briefe von Marie am meisten, während ihn die von Sophie aufs tiefste erregten, so daß ihm fortan nur die ersteren übergeben wurden. In einem der Briefe von Sophie kam der Vers vor:
„Duck dich und laß vorübergahn;
Das Wetter will sein’n Willen han.“
Lenau aber schrieb darunter mit flüchtigen Buchstaben: „Ich ducke mich nicht!!!“ Das „nicht“ dreimal unterstrichen.
Und er mußte sich doch ducken, obwohl er mit aller Macht gegen den tückischen Dämon ankämpfte, der sein Geistesleben zu vernichten drohte. Noch einmal, im Juli des folgenden Jahres (1845), kam Marie Behrend mit ihrer Mutter nach Winnenthal. Aber auch diesmal durfte sie Lenau nicht sprechen. Nur aus der Ferne sah sie ihn im Garten spazieren gehen. Und dann schied sie von dem Manne, dem sie ihr Herz und ihr Leben geschenkt hatte. Der Brautschleier ward ihr zum Witwenschleier und ihr ferneres Leben war in völliger Zurückgezogenheit nur der Erinnerung an den theuren Dichter geweiht.
Lenau gedachte ihrer in guten Stunden noch oft mit Liebe. Man erzählt, daß er sehr oft zu Damen, welche die Anstalt besuchten, sagte: „Wie Sie meiner Braut ähnlich sehen! Ach, wie Sie schön sind!“
„Was fällt Ihnen ein, lieber Lenau,“ erwiderte ihm einmal eine Freundin; „ich bin ja alt und gar nicht schön!“
Darauf antwortete der Dichter: „Man muß Sie nur sehen, wie ich Sie sehe, mit den Augen des Herzens.“
Ein Strahl aus den Augen dieser Dichtersonne war auch in das Herz der armen Marie gefallen und hatte ihr Lebensschicksal entschieden Er war aber auch voll genug, um ihr ein treues, unvergängliches Andenken in der Erinnerung aller derer zu sichern, die in Lenau den Dichter des ringenden Gedankens und der unendlichen Sehnsucht verehren.