Lasterhafte werden oft durch Lasterhafte bestraft
Anna Roberin diente in einer kleinen Stadt
bey einem Handwerksmanne, der etwas
Geld besaß und sich etliche Kühe hielt. Für
diese mußte sie im Frühjahre und im Sommer
aus dem Felde und den Gemeindeplätzen
das Futter zusammen holen. Sie war
rasch und verwegen. Nicht zufrieden von
ihres Herrn Felde und den Gemeindeplätzen
das Futter zusammen zu bringen, gieng sie
auf das erste beste Grundstück wo sie etwas
antraf und stahl es weg, ganz unbekümmert
darüber daß solches unrecht sey. Ihre Herrschaft
war damit wohlzufrieden, daß sie
fast alle Tage reichliche Nahrung für das
Vieh brachte, lobte sie, und ließ ihr in vilen
Stücken ihren Willen; und auch andere
Leute des Orts rühmten sie als eine Magd
in der Stadt, die recht auf das Vieh hielt.
Maria eine andere Magd in der Stadt, ein
s[..]es und arbeitsames Mädchen war einmal
bey ihr und sprach: Sage mir nur, wo du
alle Tage so viel Futter herbringst? Ich
mag so fleißig suchen und sicheln als ich nur
will, so kann ich den Tag kaum halb so
viel heimbringen als du. Anna antwortete:
Man muß sehen, wo man was wegkriegen kan.
Maria. Ja, wenn man, wo man nur etwas
sieht wegnehmen wollte, so müßte ichs
ja zusammen stehlen? Anna. Was schadet
das! Man muß sich nur in Acht nehmen,
daß man nicht gekriegt wird; und gefaßt,
sie sollten einen auch einmal kriegen, so wird
man doch nicht gleich darum an den Galgen
kommen! Maria. Nun das kann und
will ich nicht. Gerne will ich so viel arbeiten
[38] als ich nur kann; aber das Stehlen ist mir
nicht möglich, meine Ältern haben mir einen gar
zu großen Abscheu davor beygebracht. Nun so
arbeite du Närrin dachte die Anna in ihren Herzen,
ich werde bey weniger Arbeit doch mehr gelobt
werden wie du. Sie trieb also ihren Muthwillen
mehrere Jahre ungescheut fort. Maria
konnte sich aber nicht entschließen, es wie sie zu
machen, und wurde, ob sie gleich ungleich arbeitsamer
und fleißiger war, dennoch getadelt.
Daher verließ sie das nächste Jahr die Stadt, und
zog wieder aufs Dorf. Anna heyrathete endlich
einen Wittwer in der Stadt, der sein eigen Haus,
und Feld in Pacht hatte, und bekam also ihre eigene
Haushaltung. Nun gieng es ihr eben wieder
so, wie es andern Leuten gegangen war. Wie sie
es andern gemacht hatte, machte man es ihr auch.
Wenn sie dachte, sie hätte recht schönen Klee und
Kohl im Felde stehen, so war, wenn sie hinauskam,
oft die Hälfte und noch mehr davon weggestohlen.
Sie mußte weit mehr Schaden leiden als
andere, ja wenn niemandem etwas wegkam oder
gestohlen wurde, so geschah es ihr. Denn einmal
gönnten es ihr mehrere mägde nicht, daß sie,
dem Anschein nach, so gut angekommen, und ein
so großes Glück gemacht habe, und dann entschuldigten
sie das Unrecht, welches sie derselben anthaten,
indem sie untereinander immer sagten: Die
hat gestohlen was brav ist, sie darf es also nicht
übel nehmen, wenn wir ihr wieder zusprechen
Maria heyrathete auch auf dem Dorfe, und kriegte
einen Mann, welcher einen hübschen Garten
und etwas Feld besaß; sie fand bey ihm ihr Brod
und ein zufriednes Leben. Nie wurde ihr leicht
etwas genommen. Als sich erstmals diese beyden
Frauen wieder sahen, gestand die Anna der Maria
offenherzig. „Es ist wahr, es kommt nichts
dabey heraus, wenn man so leichtsinnig ist, wie
ich sonsten war, ich muß jetzt genug dafür büßen.
Wenn ich Schaden leide an den Meinigen, so
sagt mir mein Gewissen nicht allein, das ist dir
eben recht, du hast es andern nicht besser gemacht;
sondern ich werde noch eben dadurch am meisten gekränkt,
daß es mir andere gönnen und noch dazu auslachen
und verspotten. Ach wie wohl hast du gethan,
daß du dich nicht entschließen konntest jemanden
etwas heimlich zu nehmen. – So ist
ein augenblicklicher, auch der größte Vortheil, oft
der größte Schaden und Verlust, welcher sich oft
gar nicht wieder ersetzen läßt, in dem folgenden
ganzen Leben.