<<< Das Bagno >>>
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aus: Landstreicherleben
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Neuntes Kapitel


Das Bagno


Das Bagno von Brest liegt am Hafen. Pyramiden von Flinten und zwei Kanonen, die vor den Toren aufgepflanzt starrten, wiesen den Eingang. Ich wurde nacheinander von allen Wachen durchsucht. – Die frechsten Verurteilten gestanden mir, es sei ihnen unmöglich gewesen, beim ersten Anblick dieses Ortes des Elends eine fürchterliche Aufregung zu unterdrücken. Jeder Saal enthielt achtundzwanzig lange Pritschen, auf denen sechshundert Bagnosträflinge in Ketten lagen. Die langen Reihen von roten Röcken, rasierten Köpfen, hohlen Augen, bedrückten Gesichtern, das unablässige Geklirr der Ketten, – alles wirkte zusammen, um die Seele in einen dunklen Schauder zu versetzen.

Der Verurteilte fühlt, daß er sich hier vor niemandem zu schämen hat. Jeder stellt sich so, als sei er ein größerer Verbrecher und wilderer Zyniker als seine Kameraden, oft nur, um den groben Quälereien der Gefährten zu entgehen.

Ein ehemaliger Bischof hatte alle Ausbrüche der verworfenen Spaßhaftigkeit der Bagnosträflinge zu erdulden. Sie nannten ihn nur „Ehrwürdiger Vater“. Sie forderten seinen Segen für alle möglichen Obszönitäten und Schweinereien. In jedem Augenblick zwangen sie ihn, sein früheres Amt durch ruchlose Worte zu entheiligen. Dadurch, daß er seine Gotteslästerungen immer von neuem wiederholte, wurde er endlich die Quälereien los. Später wurde er Kantinenwirt des Bagno. [135] Man nannte ihn immer noch „Ehrwürdiger Vater“, aber man bat ihn nicht mehr um Absolution. Er hätte mit Flüchen geantwortet.

… Zu der Zeit, als ich ins Zuchthaus von Brest eingeliefert wurde, herrschte dort die Hochblüte der Übelstände und Mißbräuche. Die Zustände, die dort bestanden, waren für mich nur ein Grund mehr, meinen Aufenthalt abzukürzen.

Das erste, was man in einem solchen Fall zu tun hat, ist, sich der Verschwiegenheit seines Gefährten zu versichern, mit dem man zusammengekettet ist. Mein Paargefährte war ein ehemaliger Weinbauer aus der Gegend von Dijon, ein Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, der wegen wiederholten Einbruchdiebstahls zu vierundzwanzig Jahren Bagno verurteilt war: ein Trottel, den das Elend und die schlechte Behandlung vollkommen verblödet hatten. Unter dem Stock gekrümmt, schien er überhaupt nur noch so viel Intelligenz übrig behalten zu haben, wie nötig war, um mit der Behendigkeit eines Affen oder eines Hundes auf den Pfiff des Stockknechts zu reagieren. Ein solches Individuum war für mich nichts, denn ich brauchte zur Verwirklichung meines Planes eine Person, die vor der Aussicht auf Prügelstrafe nicht zurückschreckte – die Verwaltung hat stets den Stock in Bereitschaft für die Arrestanten, die im Verdacht stehen, eine Flucht begünstigt, oder zumindest davon Kenntnis gehabt zu haben.

Um meinen Burgunder Nachbar loszuwerden, heuchelte ich zunächst eine Unpäßlichkeit, und man koppelte mich mit einem zusammen, der etwas schwächlich war. Als ich mich von meiner angeblichen Krankheit wieder erholt hatte, gab man mir zum Paargefährten einen armen Teufel, der zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt war, weil er in einem Kloster Hühner gestohlen hatte.

Dieser hatte doch noch wenigstens etwas Energie. Als wir uns zum erstenmal unter vier Augen befanden, sagte er zu mir:

„Höre mal, Kamerad, du hast, wie’s mir scheint, keine Lust, [136] hier grau zu werden … Sei doch offen zu mir … Du wirst es nicht zu bereuen haben …“

Ich gestand ihm, daß ich die Absicht hatte, bei der ersten besten Gelegenheit auszurücken.

„Gut!“ sagte er, „wenn ich dir einen Rat geben darf, so walze davon, bevor diese Rhinozerosse von Stockdienern sich deine Visage gemerkt haben. Aber der gute Wille allein macht’s nicht … Hast du Moneten?“

Ich sagte, ich hätte etwas Geld in meinem Etui. Dann meinte er, er würde mir leicht die Kleider eines Sträflings aus einem anderen Zug verschaffen können; um aber allen Verdacht abzulenken, sei es nötig, daß ich zuerst eine „Einrichtung“ kaufte, als Mann, der darauf ausginge, sich sein Leben möglichst angenehm zu machen. Diese „Einrichtung“ bestand aus zwei Holzschüsseln, einem kleinen Weinfäßchen, einer Art von Polsterkissen, um das Reiben der Ketten zu mildern, und einer mit Werg gefüllten Matratze.

Wir waren an einem Donnerstag, am sechsten Tage nach meiner Einlieferung ins Bagno; am Sonnabend … hatte ich einen Matrosenanzug und zog ihn gleich unter meine Arrestantenkleidung an. Während ich den Verkäufer dieses Anzuges bezahlte, sah ich, daß er rings um die Handgelenke tiefe Brandwunden hatte. Ich erfuhr dabei, daß er im Jahre 1774 zu lebenslänglicher Galeerenstrafe verurteilt worden war; in Rennes hatte er die Feuerfolter erduldet, ohne jedoch den Diebstahl, dessen er angeklagt war, einzugestehen. Erst nach der Bekanntmachung des Kodex vom Jahre 1791 hatte er eine Umwandlung seiner Strafe zu vierundzwanzig Jahren Zwangsarbeit erwirkt.

Am folgenden Tag zog die Abteilung, in der ich mich befand, auf einen Kanonenschuß zur Arbeit nach dem Pumpwerk – diese Arbeit hörte nie auf. An der Pforte untersuchte man, wie üblich, unsere Fesseln und unsere Kleider. Da ich dies wußte, so hatte ich mir auf den Matrosenkittel in der Gegend der Brust [137] eine Blase aufgeklebt, die ich in Fleischfarbe bemalt hatte. Ich ließ dann Kittel und Hemd absichtlich offen, und so dachte kein Wächter daran, mich genauer zu untersuchen. Auf diese Weise kam ich anstandslos durch.

Wir kamen ans Pumpwerk … Mein Kamerad und ich zogen sich hinter einen Bretterhaufen zurück, wie, um ein Bedürfnis zu befriedigen. Meine Fesseln waren am Abend vorher durchsägt worden; der Kitt, der die Spuren der Säge verbarg, wich der ersten Anstrengung. Frei von Ketten, entledigte ich mich schleunigst der Arrestantenkleidung. Unter der Ledermütze setzte ich die Perücke auf, die ich mir von Bicêtre mitgebracht hatte.

Dann gab ich meinem Kameraden die kleine Belohnung, die ich ihm versprochen hatte, und schlich mich hinter einem Stapel von Balken davon.