Land und Leute/Nr. 2. Acht Tage im altenburger Lande

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Titel: Land und Leute. Nr. 2. Acht Tage im altenburger Lande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, 4, S. 37–39, 50–51
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 2
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[37]
Land und Leute.
Nr. 2. Acht Tage im altenburger Lande.

Altenburger.
Ehemann.      Mädchen.      Braut.      Bursche.      Ehefrau.

In dem Schaufenster eines Kunsthändlers der Passage St. Hubert in Brüssel sah ich einst mehrere Bilder ausgehängt, welche eine dichte Gruppe Neugieriger vor dem Gewölbe versammelt hatten. Es waren bunte und sehr sauber und fein ausgeführte Abbildungen der Nationaltrachten verschiedener Völker, die das Interesse der Vorübergehenden so erregt hatten. Baskische Ziegenhirten, italienische Bauermädchen, donische Kosaken, griechische Klephten und türkische Pascha’s hingen im bunten Durcheinander mit –: [38]Mais de quelle nation ou de quel pays donc ceux-ci?“ fragte in dem Augenblick eine junge Dame ihren Begleiter und deutete dabei auf einige männliche und weibliche Figuren, die ersteren in langen, schwarzen, grün gefütterten Röcken, kurzen, bis an die Knie reichenden, bauschigen, schwarzen Hosen, weißen Strümpfen und Schuhen, und die letzteren in bunter, seltsamer Tracht mit einer Art Küraß vor dem Busen.

Ce sont probablement des turcs ou quelque autre race d’hommes du Levante“ antwortete der Herr und wischte sein Augenglas ab, um die vermeintlichen Türken näher zu betrachten. Ich weiß nicht, was für ein Gesicht der Brüsseler gemacht haben würde, wenn ich ihn plötzlich unterbrochen und gesagt hätte: „Entschuldigen Sie, mein Herr, diese Leute da sind keine Türken, sondern eine Art Landsleute Ihres guten Königs Leopold,“ jedenfalls aber würde er ein sehr ungläubiges Lächeln zu unterdrücken versucht haben.

Wie? Leute mit dieser wunderlichen, seltsamen Tracht, die man wohl hie und da beim Karneval und auf Maskeraden erblickt, Männer mit diesen langen schwarzen und langen weißen Röcken, mit diesen bauschigen, kurzen, ledernen Hosen, mit diesen engen, dicht anliegenden hohen Stiefeln und diesem kleinen, runden Hütchen auf dem kurzgeschnittenen Haupthaar, und Frauen und Mädchen mit diesen bunten, um die Stirn und das Haar gewundenen Tüchern, mit diesem steifen, vielfarbigen Brustlatz, der die Brust wie ein Panzer verhüllt, mit diesen kurzen, faltigen, bis an die Knie reichenden Röcken, mit diesen langen, weißen, feindurchbrochenen Strümpfen und glänzend schwarzen Schuhe von sämischem Leder – noch einmal– Leute in dieser ungewöhnlichen Tracht sollten inmitten Deutschlands leben? – Ungläubig schüttelt der Ausländer, wenn er dies hört, den Kopf und glaubt am Ende gar, man wolle ihn narren und doch hat die Sache ihre Richtigkeit und doch giebt’s im Innern Deutschlands, an den Ufern der Pleiße, zwischen den Grenzen der Königreiche Sachsen, Preußen, des Großherzogthums Weimar und des Fürstenthums Reuß einen Volksstamm von vielleicht einigen sechzigtausend Köpfen, welche nicht nur diese originelle Tracht tragen, sondern auch eben so wunderliche, originelle Sitten und Gebräuche haben, die sie, von den Vorfahren ihnen überliefert, in Mitten einer, alle Ursprünglichkeit verwischenden und alle Eigenthümlichkeiten aufhebenden Civilisation zum großen Theil treu bewahrt haben und sie noch heutigen Tags pflegen und üben. –

Die deutschen Touristen und Reisenden sind sonderbare Leute. Um originelle, nationale Sitten und Trachten zu sehen, flüchten sie sich aus dem Gewühl der großen Städte des platten Landes hinunter nach Italien, in die apulischen Gebirge oder zu den Basken, in die Thäler der Pyrenäen oder gar zu den Beduinen in der Sahara, während in dem Herzen Deutschlands, zwischen dem 50. und 52. Grad nördlicher Breite ein Volksstamm hauset, dessen Sitten und Trachten zum Wenigsten eben so ursprünglicher Natur, als die irgend eines, den wir in weiter Entfernung aufsuchen, wir meinen die altenburgische Bauernschaft, diesen letzten, unvermischten Rest der alten Sorben-Wenden.

Ich war noch ein junger Student, als ich einst eine kurze Zeit unter diesem Völkchen weilte, aber die Bilder, die ich da gesehen, haben sich meiner Erinnerung so tief eingeprägt, daß sie noch heute in bunten, frischen Farben vor dem inneren Auge stehen.

Der rauhe, scharfe Nordwind strich schon über die gelben Stoppelfelder der fruchtbaren, wellenförmigen Ebene, als wir in das Dorf, wo uns der Gastfreund wohnte, hineinfuhren. Der erste Anblick schon zeigte von der Behäbigkeit und Wohlhabenheit dieser Bauern, die in ihren weißen, weiten, gefältelten Hemdärmeln, ihren kurzen, schwarzen, ledernen Pumphosen, das runde, schwarze Filzhütchen auf dem Kopf und die Thonpfeife zwischen den Zähnen, vor ihren Gehöften standen, und sich in ihrer eigenthümlichen Mundart von ihren bäuerlichen Arbeiten unterhielten. – Da sah man keine alten, zerfallenen, mit Stroh oder Schindeln gedeckten Hütten, keine verwilderten, mit Unkraut überwucherten, von zerbrochenen Stacketen oder verfaulten Zäunen umschlossenen Gärtchen, kein mageres, dürftiges Vieh in wüstem Durcheinander auf unreinlichem Hof, keine unsauberen, verkommenen Menschengestalten, wie sie wohl hie und da in manchen ländlichen Bezirken dem Auge entgegentreten. Alle die Bauernhöfe an den beiden Seiten der Dorfgasse waren gar stattliche, steinerne, mit rothen Ziegeln gedeckte Gebäude, mit zierlichen, reinlich gehaltenen Gärtchen daneben, in denen noch bunte Herbstblumen, Astern und Georginen blühten. Frische, muntere Mädchengesichter mit glänzenden Wangen, um die Stirn ein farbiges kattunenes oder seidenes Tuch, mit auf den Nacken herabfallenden Zipfeln, geschlungen, sahen aus den Fenstern oder standen an den Zäunen der Gärtchen und unten, von der Dorfgasse herauf, trieben die Kühjungen braune, glänzende, fette Rinder, die von der Weide auf den Wiesen kamen, in die einzelnen, von dem eigentlichen Bauernhof abgesonderten Viehhöfe.

„Ihr kommt zu rechter Zeit,“ sagte unser Freund uns die Hand zum Willkommen reichend, „denn morgen zum „Durstig“ (Donnerstag) ist große Hochzeit, meines Nachbars Jüngster, der „Malcher“ (Melchior) freit die „schüne Bille“ in -dorf.“ Die „schüne Bille" sollte schöne Sybille heißen. „Wir gehören zur „Freundscht“ (Freundschaft) und Ihr könnt als Trollgast mitgehen.“

Eine altenburgische Bauernhochzeit! Wahrlich, wir konnten dem Zufall danken, der uns zu so glücklicher Stunde herführte. Kaum warf am andern Morgen die Herbstsonne ihr mildes Licht durch die von Weinranken überzogenen, runden Fensterscheiben auf die großblumigten Kattunvorhänge des hohen Himmelbettes, in dem wir im Gastzimmer schliefen, als rauschende Musik von der Dorfgasse herauf ertönte, Pistolenschüsse die Luft erschütterten und rasselnde Wagen mit muthigen, laut wiehernden Pferden bespannt, zur Dorfgasse heraufrollten. Als wir mit dem Gastfreund aus dem Thor des Gehöftes traten, herrschte schon lautes, buntes Durcheinander vor dem Hause des Nachbars, dessen Sohn der Bräutigam war. Da saßen auf hohen, kräftigen, prächtig aufgeschirrten, braunen und schwarzen Hengsten, von deren Köpfen rothe, gelbe, blaue, orangefarbene Bänder niederflatterten und deren lange Schweife in grüne Laubguirlanden und bunte Blumensträußer eingebunden waren, stattliche Bauern in jener schon beschriebenen Tracht, das heißt in langen, kurztaillen, schwarzen, mit grünem Flanell gefütterten Röcken, weiten, schwarzledernen, bis an das Knie reichenden Hosen, und hohen, enganschließenden Stiefeln, kleine Blumenbouquets auf den runden Filzhütchen. Musikanten in grünen Tuchspenzern und denselben Unterkleidern, wie sie die Reiter hatten, standen vor dem Gehöfte und schmetterten aus ihren Trompeten und Posaunen lustige Tänze und Volksmelodien in die frische, herbstliche Morgenluft hinaus, während buntgekleidete Frauen und Mädchen, deren Tracht wir später ausführlicher beschreiben werden, in der großen Wohnstube an breiten, schneeweiß gescheuerten eichenen Tischen bei Kaffee und Kuchen saßen.

Vor dem Thor des Gehöftes aber stand zwischen zwei großen Körben die kleine „Mäd“ (die kleine Magd) und vertheilte ganze Berge voll breiter- und Sternkuchen an die sie umringende, schreiende und jubelnde Dorfjugend. Unterdessen kamen immer mehr Hochzeitsgäste in bebänderten und mit Guirlanden verzierten Wagen unter lustigem, übermüthigem Gejodel die Dorfgasse heraufgefahren – denn der Bräutigam und die Braut hatten ein große „Freundscht“ – und der Zug setzte sich endlich, nachdem sich auch die zuletzt Gekommenen mit kaltem Braten und Geflügel, Bier, Schnaps, Kaffee und Kuchen gestärkt, in Bewegung. Voran auf einem mit Laubwerk, bunten, seidenen Bändern, Herbstblumen und Flaggen geschmückten Wagen saßen die Musikanten und spielten lustige Weisen auf. Dann hoch zu Roß: der Festordner und Leiter des Ganzen, der Hochzeitbitter. Von der Spitze seines hohen Hutes, an dessen hinterer Krempe zwei große, grüne, mit Blumen durchflochtene Kränze befestigt waren, flatterten seidene weiße, rothe und grüne Bänder, unter welche sich auch ein einziges schwarzes gemischt hatte; ein Zeichen, daß eins von den Aeltern des Brautpaars – es war die Mutter des Bräutigams – gestorben sei. In der Linken hielt er einen kurzen, braunen Stab, während aus der Brusttasche der langen, feintuchenen, schwarzen Kappe der Zipfel eines zierlich zusammengelegten, buntseidenen Taschentuchs stutzerhaft heraushing.

In früheren Zeiten war das Amt eines Hochzeitbitters ein sehr gesuchtes und noch einträglicher als jetzt. Hinter dieser wichtigen Person unseres Festzuges ritt zwischen seinen zwei Brüdern, ein Blumenbouquet im Knopfloch und einen Rautenkranz mit einem Sträußchen auf dem Hütchen, der glückliche, rothwangige Bräutigam, dem die übrigen Bauern gleichfalls zu Pferde folgten.

Den Männern folgten die, welche himmlische Rosen in’s irdische Leben flechten: die Frauen und die Mädchen, oder vielmehr [39] die Hormtjungfern in ihrem strahlenden, phantastischen Schmuck. „Hormtjungfern?“ – Wer sind diese räthselhaften Jungfrauen, was bedeutet dieses seltsame Wort? Nun, die Hormtjungfern sind eben frische, blühende, rosige Mädchengestalten, welche die Braut zum Altare geleiten und die ihren Namen von dem blitzenden, funkelnden Kopfputz, den sie auf dem Haupt tragen, von dem „Hormt“ – ein altes wendisches Wort – haben. Dieses Hormt, welches von den altenburgischen Bauernmädchen, aber nur von den Mädchen, nicht von den Frauen, bei Kindtaufen und Hochzeiten getragen wird, ist eine Art runder Schachtel – möchten wir fast sagen – mit purpurrothem Sammet überzogen, an welchem eine Menge kleiner silbernen Tafeln mit silbernen Knöpfchen, an denen wieder kirschblätter-ähnliche, vergoldete Schildchen hängen, befestigt sind. Am Hintertheil dieses seltsamen Kopfputzes gehen zwei aus den Haaren des Mädchens geflochtene und mit farbigem Sammetband umwundene Zöpfe, zwischen denen ein Kränzchen aus Silberlahn sitzt, bogenförmig empor und farbige Glaskorallen erhöhen den Glanz dieses funkelnden und bei der leisesten Bewegung des Hauptes klingenden und tönenden phantastischen Kopfputzes. Ein buntfarbiges Mieder von Seidenzeug, mit jenem überzogenen, seltsamen, pappenen Küraß, der als Vorstecklatz dient, ein engärmliches Jäckchen von gleichem Stoff, wie der des Mieders, ein kurzer, bis zur Wade reichender, buntcarrirter, sehr faltiger Rock, unter welchem coquett die gestickten, mit Goldfäden durchwirkten Strumpfbänder, und die weißen, durchbrochenen Strümpfe hervorschimmern und kleine, zierliche Saffianpantoffeln, die einen netten, wohlgeformten Fuß bedecken, vollendeten den Anzug dieser Mädchen, der zugleich, mit Ausnahme des Hormt ihre gewöhnliche Sonntagstracht ist. Denn die während der Werkeltage besteht, wenn auch Form und Schnitt gleich sind, doch aus geringeren Stoffen.

Die Arrieregarde des Zugs endlich bildeten wieder Bauern auf ihren mit rothem, gelbem, grünem Riemenzeug geschirrten Pferden. So geordnet, brach die Karavane auf und brauste unter Sang und Klang und Gejodel durch mehrere Dörfer, die man passiren mußte, ehe man in das Heimathsdorf der Braut kam.

In jedem Dorf kamen die Einwohner aus ihren Häusern, brachten Bier, Branntwein und kalte Speisen, mit denen sie gastfreundlich die durchziehenden Hochzeitsgäste bewirtheten. Vor noch gar nicht langer Zeit gab es dabei noch mehr Formen und Ceremonien. – Drei bis vier Reiter sprengten dem Zuge voraus, hielten auf dem freien Platz in dem Dorf, welches der Hochzeitszug passiren mußte, an, erhoben sich in dem Sattel und frugen mit lauter, weit hinschallender Stimme: ob es ehrlichen Leuten erlaubt sei, hier einzusprechen, ihre Geschäfte zu verrichten und sich mit Speise und Trank zu erquicken und dann ungehindert ihres Wegs zu ziehen, auf welche ernsthafte und förmliche Anrede eine ebenso ernsthafte Antwort nach hergebrachter Form gegeben wurde. – Vom Morgenwind herübergetragene Glockenklänge, die verkünden sollten, daß heute eine Trauung stattfinde, sagten uns, daß wir uns dem Heimathsdorf der Braut näherten. – Noch eine Biegung der Straße, und die rothen Giebel der Häuser glänzten dem Blick entgegen. Frischen Athem holten die Musikanten, lauter erscholl ihre Fanfare und unter brausendem Jubel und Jodeln stürmte der Zug der Gäste zu Roß und Wagen in’s Dorf. Am Hause der Braut standen die Aeltern und Verwandten zum Gruß und zur Bewillkommnung bereit, und nach einem rasch verzehrten Frühstück ging es zur Kirche.

Voran wieder die Musikanten, einen lustigen Hochzeitsmarsch blasend, dann der Brautführer und die Braut mit dem Hormt, ihr zur Linken der Küster mit einem Rosmarinstengel und einem buntseidenen Tuch in der Hand, und dicht hinter ihr der glänzende Schwarm der Hormtjungfern und die übrigen weiblichen Hochzeitsgäste. – In ähnlicher Ordnung, ebenfalls mit Musikanten an der Spitze, zog der Zug des Bräutigams einher, nur daß dieser von einem sogenannten Brautdiener geleitet wurde. Nach Beendigung der kirchlichen Ceremonie, bei welcher unter Anderem die Brautleute einen Mahlschatz unter sich wechselten, der aus einer Reihe an einer grünseidenen Schnur befestigter alter Henkel-Speciesthaler bestand) ging es in derselben Weise zurück in's Hochzeitshaus. –

[50] Sollen wir noch das nun folgende, wahrhaft homerische Gastmahl – das letzte Epitheton in Bezug auf die Massenhaftigkeit der Gerichte gebraucht – diese Menge Schüsseln und Pfannen voller Gänse, Enten, Karpfen, Schinken, Hasen, Kalbs- und Schöpskeulen, diese Ströme von Bier, rothem und weißen Branntwein, schildern? Diese Pyramiden von Asch- oder Sternkuchen? Sollen wir von den Freuden des Tages sprechen, von dem „Rummelpuff,“ diesem grotesken Tanz, der jetzt nur noch in der Tradition, in der Erinnerung lebt, dessen Charakter aber man vielleicht schon aus dem Namen errathen kann? Die Feder bebt zurück vor solcher Aufgabe.

Drei Tage ging es so fort unter Saus und Braus, am dritten Tage aber, als der Neumond in vergangener Nacht am Himmel gestanden, nahm die hübsche, junge Frau Abschied von ihren Aeltern, ein großer hamburger Wagen mit Blumen und Kränzen geschmückt und mit den Hochzeitsgeschenken beladen, fuhr vor, und hinauf kletterte die junge Frau, sich oben ehrbarlich und züchtig neben das nußbraune Spinnrad und den Flachsrecken – den alten klassischen Symbolen der Häuslichkeit – setzend.

So feiert der altenburgische Bauer seine Hochzeiten. Wir betonen absichtlich das Wort: Bauer. Denn auch diese ländliche Bevölkerung hat ihre Rangunterschiede, und ein Fremder, der auf einem altenburger Jahrmarkt vielleicht alle diese Männer in altenburgischer Bauerntracht und diese Frauen und Mädchen in ihren kurzen, bunten, faltigen Röcken, bunten Kopftüchern, Brustlatz und weißen Strümpfen für Angehörige ein und derselben Klasse halten würde – wäre in einem gewaltigen Irrthum befangen. – Wie die alte Bevölkerung Attika’s ihre drei Klassen, ihre Eupatriden, Geomoren und Demiurgen, wie Rom seine Classes und Centuriones hatte, um nicht von den Unterschieden der germanischen Völker zu sprechen, so hat auch diese altenburgische Bauernschaft ihre verschiedenen Abstufungen oder Kasten. Zuerst kommen die Bauern χατ έξοχήν die Bauern genannt, die Bauern oder Anspanner, auf sie folgen die Gärtner oder Hand-, auch Kuhbauern genannt, und zuletzt schließt sich an diese beiden die Klasse der Häusler, auch schlechthin die „Kleinen“ genannt. Den Kern der Bevölkerung aber bildet die erste Klasse, die der Bauern oder Anspanner, die den letzten Namen davon führen, daß sie zur Bewirthschaftung ihrer Felder neben dem gewöhnlichen Zugvieh an Rindern auch und insbesondere Pferde benutzen, nach deren Zahl – die wieder von der Größe des Grundbesitzes, von der Menge der zu einem Gut gehörigen Hufen oder Acker abhängig – die Anspanner wieder in Zwei-, Drei-, Vier-, Fünf-, auch wohl Sechsspänner theilt. Diese Bauern oder Anspanner sind es, von deren Reichthum und Behäbigkeit, deren hohem Spiel, insbesondere dem sogenannten „Scatspiel,“ dessen Vaterland Altenburg sein soll, von deren Festlichkeiten, wie eine oben geschildert worden, sich die Leute im Land umher wunderbare Dinge erzählen. Manches davon mag wohl übertrieben sein, indessen ist auch viel Wahres darunter. Wohlhabend sind diese Anspanner fast alle, und daß Viele von ihnen, die mit dem großen Kober von geflochtenem Stroh über [51] dem grünen Tuchspenzer zum Wochenmarkt nach „Almerg“ (Altenburg) gehen, wohl schwerlich mit manchem Rittergutsbesitzer tauschen, der in eleganter Chaise fährt, ist gewiß. Die Bauern wissen das aber auch, und deshalb sehen sie auch darauf, daß Grund und Boden, der den Hauptbestandtheill ihres Reichthums bildet, zusammenbleibt und nicht „verzettelt“ wird. Ein Bauers- oder Anspannersohn oder eine Tochter aus einem solchen Gut wird daher auch selten eine Mesalliance schließen, das heißt, ein Mädchen oder einen Burschen aus der Klasse der „Kleinen,“ der Häusler, heirathen; sie freien meistens untereinander, so daß Besitz zu Besitz kömmt. –

So fließt das Leben des altenburger Bauers ruhig und behaglich dahin, und auf ihn vor Allem konnte man jene Worte des Horaz: Beatus ille, qui procul negotiis paterna rura bobus exercet suis (Glücklich derjenige, der fern von den Staatsgeschäften seine heimathlichen Fluren mit seinen Stieren pflügt) anwenden. Neigt sich endlich seine Lebensbahn abwärts, bleichen sich seine Haare, werden die Glieder matt und schlaff, dann sieht er sich nach einem Nachfolger in der Wirthschaft um, und gewöhnlich – doch nicht immer – ist es der jüngste Sohn, dem er das Anwesen übergiebt, während er für sich und die alternde Gattin nur eine Leibzucht, wie es das gemeine deutsche Recht nennt, oder einen Auszug, wie es hier heißt, behält. Die Extreme berühren sich, Freud’ und Leid liegen im Leben oft nur wenige Stunden aus einander, und oft ist kaum der Jubel der Festtage verhallt und schon mischen sich in den verklingenden Freudenlärm die Seufzer und Klagen der Trauer.

Es war wenige Tage nach jener eben geschilderten Hochzeit, als in dem Dorfe, in dem wir weilten, ein junges, hübsches Mädchen, die schöne Marie oder „schüne Mareige,“ wie die Leute sagten, starb. Auf der Hochzeit hatte sie noch lustig mitgetanzt und gescherzt und gelacht hatte sie wie die Anderen, vielleicht so gar noch etwas übermüthiger – und nun war sie plötzlich gestorben, mit einem Mal „war es über sie gekommen,“ und in wenig Stunden war sie gesund und munter und todt und kalt. Die Leute meinten, sie wäre immer so vollblütig gewesen und es müßte wohl ein „Herzschlag“ sie getroffen haben. Am Begräbnißtag hatte es den ganzen Morgen geregnet, und erst um Mittag brach die Herbstsonne durch das graue, trübe Gewölk. – Zugleich tönte das Sterbegeläute von dem Kirchthurm, und die Leidtragenden fingen an sich in dem Hause zu versammeln. In der Oberstube stand der offene Sarg zwischen Kränzen und Blumenstöcken, und darin lag in ihrem Sonntagsmieder, das buntseidene Tuch um das dunkelblonde Haar geschlungen, eine Citrone mit schwarzen Stecknadeln in der Hand, die schöne „Mareige,“ bleich wie eine Lilie und kalt wie Marmor. – Während die Angehörigen und Freunde die weinenden Aeltern trösteten, nahte sich unter Vortragen des Kreuzes mit dem Heilandsbild und unter dem Singen eines Chorals die Schuljugend, den Schulmeister und Pfarrer an ihrer Spitze. – Vor dem Gehöfte stellte sie sich auf, und als das Lied geendet und die Leiche herunter vor die Hausthür getragen worden war, stieg der Pfarrer auf die „Häufte,“ wie man die Erhöhung vor dem Hause nennt, und hielt eine kurze Rede an die Leidtragenden, in welcher er den Aeltern Trost zusprach und den Anwesenden für ihre Theilnahme dankte. Dann wurde der Sarg zugeschraubt und unter Gesang und Glockengeläute bewegte sich der Zug, während zur Rechten und Linken der Bahre junge Mädchen – die Freundinnen der Verstorbenen – mit Kränzen und Blumenstöcken gingen, nach dem Friedhof. Beim Eintritt in die Kirche setzten die Träger die Bahre zur Erde; es wurde gesungen, gebetet und der Segen gesprochen, wobei – es ist dies eine alte, hergebrachte Sitte, wie alle diese Gebräuche – die nächsten Anverwandten der Verstorbenen sich dicht zusammen auf eine Bank setzten, nicht mit sangen, sondern das Gesicht auf die Kirchenstände niederlegten. Die Männer darunter behielten auch – während die Uebrigen das Haupt entblößten – während des ganzen Gottesdienstes und selbst beim Segensspruch die Hütchen auf dem Kopf. Früher trugen die die Leiche begleitenden Frauen besondere schwarze Trauermäntel und Schleier, doch ist diese Tracht jetzt so ziemlich überall verschwunden und die Frauen gehen in ihrer gewöhnlichen Tracht, nur daß diese bei solcher Gelegenheit von schwarzem Trauerkattun ist und die bunten, grellen Farben wegfallen. – Unter Absingen eines Grabliedes wurde der Sarg in’s Grab gesenkt, drei Hände voll Erde darauf geworfen, ein Vaterunser gebetet – und dann ging es wieder in’s Trauerhaus, wo eine Trauermahlzeit die traurige Feierlichkeit beschloß.

Doch hinweg mit den trüben Bildern! Wir sprachen oben von dem Spiel der Bauern. – Manches, was man sich davon erzählt, gehört in’s Reich der Fabel oder doch wenigstens, wenn es überhaupt vorgekommen, zu den seltenen Fällen, so z. B. daß die Bauern unter sich um Laubthaler nach der Elle, vierzehn Stück auf die Elle gerechnet, spielen sollten, indessen hoch gespielt wird, und daß beim allgeinemen „Landfressen,“ wie da zu Lande die Kirmse genannt wird, Scat den Point zu einem Zwanzigkreuzer gespielt wird – das ist keine.

Da dies Spiel außerhalb Sachsens und Thüringens wenig bekannt sein wird, so wollen wir für die dieses Spiels unkundigen Leser nur so viel bemerken, daß dies ein ziemlich hoher Satz ist, und Einer, falls er Unglück hat oder sonst ungeschickt spielt – das Spiel ist nämlich kein Glücksspiel im strengen Sinn des Worts, sondern beruht mit auf Combinationen der Spieler – wohl ein paar hundert Thaler den Abend verspielen kann. So leidenschaftlich die Bauern aber auch dies Spiel lieben, so ruhig, so unverwüstlich gelassen sind sie im Fall sie verlieren, und mit einem guten oder schlechten Witzwort trösten sie sich oder Andere.

Wir sahen einst in Baden-Baden einen französischen Chevalier am Rouge et Noir, der, nachdem er im Ganzen vielleicht dreihundert Franken verloren, so außer sich gerieth, daß er seine Manschetten mit den Zähnen abbiß, sich die Haare zerraufte und endlich unter fortwährenden Ausbrüchen von Wuth und Aerger davon lief – und dann sahen wir wieder zu einem Volksfest, zu einem Vogelschießen in einer thüringischen Stadt einen altenburger Bauer in einer Spielbude eine Stunde lang Speciesthaler um Speciesthaler verlieren, so daß er zuletzt immer tiefer in die weiten Taschen der bauschigen Hosen greifen mußte. Endlich – es mochte vielleicht der achtzigste Speciesthaler sein, den die gefräßige, habsüchtige Harke des Spielers eingezogen, schienen die Thaler entweder ein Ende zu nehmen oder der Bauer war des Hineingreifens in die Tasche überdrüssig, denn mit einem Male brachte er ein kleines, ledernes, schmutziges Schnürbeutelchen hervor, und es auf den grünen Tisch legend, sprach er: „Gält’s uder gält’s nich?“ (Gilt es oder gilt es nicht?) Der Spieler, der nicht wußte, was in dem Beutelchen war, zögerte anfangs, den Satz anzunehmen und wollte wenigstens wissen, was oder wieviel in dem Beutel wäre, der Bauer aber wiederholte hartnäckig die obige Frage. „Nun meinetwegen, so soll es gelten,“ sagte endlich von der Begierde besiegt der Spieler. – Die Kugel drehte sich und – der Bauer hatte dieses Mal gewonnen. Gelassen löste er nun die Schnüre seines Beutelchens und zählte dem erbleichenden Spieler vierzig neue, unbeschnittene Dukaten vor, die den Einsatz gebildet hatten. Verzweiflungsvoll zahlte der Spieler den Gewinn aus, der Bauer aber strich ihn ruhig ein, wünschte dem Croupier „gute Verrichtung,“ und alle weiteren Versprechungen und Lockungen zu bleiben, waren umsonst – er ging.

Doch der gegebene Raum nöthigt uns hier die Skizze zu schließen, und nur eine kleine historische Notiz sei noch gestattet.

Die altenburger Bauern sind nicht germanischer Abstammung, sondern gehören zu den Sorben-Wenden, welche einst die Länder bis zur Saale inne hatten. Deutsche Ansiedler und vor Allem die Errichtung deutscher Markgrafschaften drängten diesen slawischen Völkerstamm immer weiter zurück, und nur die auf iz, itzsch u. s. w. endenden Namen von Ortschaften zeigen, daß in diesen Gegenden slavische Völker gehaust. Während so das Germanenthum das slavische Element sich überall unterwürfig machte oder da, wo dieses nicht nachgab, vernichtete, und während überall die Besiegten in den Siegern aufgingen, das heißt, sich vollständig germanisirten – wir sprechen jetzt natürlich von den Gegenden an der Saale und Pleiße – erhielt sich trotz aller Anfechtungen im Pleißengau, das heißt, in demselben Bezirk, den die altenburger Bauern noch heute bewohnen, ein Rest von Sorben-Wenden, und wie diese in so vielen Dingen ihren alten Sitten und Gebräuchen treu geblieben, wie viele von ihren deutschen Nachbarn sie unterscheidende nationale Gewohnheiten sie sich erhalten haben – das versuchten wir in vorstehender Skizze zu schildern.