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Löhe, Thomasius, Harleß
I. Johann Konrad Wilhelm Löhe »
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Vorwort.




 Es ist vielfach der Wunsch geäußert worden, daß die drei für die theologische Realencyclopädie von mir gezeichneten Lebensbilder: Löhe, Thomasius, Harleß besonders abgedruckt und dadurch einem größeren Leserkreis, vor allem in Bayern, zugeführt werden möchten. Um der Sache willen konnte ich diesem Wunsche nicht entgegen sein; nachdem er erfüllt ist, fühle ich mich zum wärmsten Danke verpflichtet gegen Herrn Professor D. Hauck als Herausgeber der theologischen Realencyclopädie für dessen lebhafte Vertretung dieses Wunsches wie gegen den Herrn Verleger für sein bereitwilliges Entgegenkommen zur Realisirung desselben.

 Sehr bedeutende Kräfte, aus der bayerischen Landeskirche hervorgegangen und in erster Linie ihr dienend, treten uns in den drei Lebensbildern entgegen. Löhe steht vor uns im Schmuck einer reichen charismatischen Begabung, eines genialen Schaffens auf dem Gebiete der christlichen Caritas, Thomasius in einer stillen, aber hochgesegneten, in unzählige dankbare Schülerherzen| eingezeichneten Lehrer- und Predigerarbeit, Harleß im Lichte besonderster, wundersam verschlungener Lebensführung, einer tiefgehenden theologischen und allgemein kirchlichen Wirksamkeit, eines thatkräftigen Einflusses auf die Geschichte zweier Fakultäten und zweier Landeskirchen.
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 Hervorragenden gottgeschenkten Kräften in ihrem Walten und Wirken auf dem Gebiete des göttlichen Reiches nachblicken zu dürfen, hat immer etwas Stärkendes und Erhebendes. Die vorliegenden Lebensbilder werden überdies manchem Diener und Gliede der bayerischen Landeskirche darum nicht unerwünscht sein, weil sie von selbst zu Geschichtsbildern, zum Spiegel der Geschichte derselben geworden sind. Von nichts bin ich so fern als von Überschätzung der Bedeutung meiner Landeskirche; vielleicht hat aber einiges von dem, was ich berichte, auch allgemeineres Interesse. Beim Blick auf die Kirche, der ich diene, freue ich mich der Continuität ihrer geschichtlichen Entwicklung. Es ist nicht an dem, daß, ehe Harleß an ihre Spitze trat, nur konfessionelle Wirrnis gewaltet. Längst hatten das alte Evangelium und kirchliches Bekenntnis in bestem Einklang ihre erneuernde Kraft entfaltet; ich selbst bin sieben Jahre vor Harleß’ Rückberufung nach Bayern ganz in derselben Weise, sachlich angesehen, wie es jetzt noch geschieht, mit dem vollen Bewußtsein einer Verpflichtung auf das Bekenntnis der lutherischen Kirche ordiniert worden. Ohne Frage hat Löhe das kirchliche Bewußtsein in Bayern mächtig gehoben, aber ebenso gewiß ist, daß er in einem spätern Stadium manche seiner früheren Anschauungen wesentlich modifiziert hat. Löhe hat zu meiner großen Freude auch in weiteren Kreisen als kirchliche Größe Anerkennung gefunden. Eine in Gießen gehaltene akademische| Festrede hat ihn unter den ehrwürdigen Zeugen werktätiger christlicher Liebe gepriesen. Professor Meuß in Breslau stellt ihm in einer kleineren Schrift das schöne, treffende Zeugnis aus, daß er in der Predigt „über die Gabe erhebender, anbetungsvoller Wirkung, dieser zwischen der dichterischen und prophetischen schwebenden Gabe in ausgezeichneter Weise verfügt habe.“ Löhe hat aber die wenigstens annähernde Verwirklichung seiner Ideale nicht in der Separation, sondern innerhalb einer Landeskirche erlebt. Die Erinnerung daran, daß ich in meinem früheren Amte als Konsistorialrat noch über ein Lustrum mit Löhe und zwar in tiefstem Frieden und vollster Harmonie amtlich und persönlich verkehrte, gehört zu meinen liebsten Erinnerungen. Herzlich dankbar bin ich Herrn Oberkirchenrat Lotze für seine freundliche schriftliche Bestätigung früherer mündlicher Äußerungen über Löhe’s Stellung zur Landeskirche, die ich S. 118 ff. anführen durfte. Niemand war mehr befähigt nach dieser Seite richtig zu urteilen als der Genannte, der zehn Jahre mit Löhe und zwar noch in der Zeit seiner vollen Kraft unmittelbar zusammengewirkt hat.
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 Ich habe aber zugleich immer wieder als Segen und Gewinn betrachtet, daß durch Harleß gewisse immer noch vorhandene Unklarheiten in dem Konfessionsstand der bayerischen Landeskirche ohne alle Gewaltsamkeit für immer und zwar nicht zur Störung, sondern zur Festigung des konfessionellen Friedens beseitigt worden sind. Ich freue mich aufrichtig über die volle ungeteilte Befriedigung der kleinen, aber durch ihre Vorgeschichte ehrwürdigen reformierten Kirche in Bayern hinsichtlich des gegenwärtigen Standes der Dinge. Sie ist nach Innen durchaus selbständig gestellt und erfreut sich zugleich eines äußern ordnenden| Schirmes durch das Regiment der weit größern Schwesterkirche. Diese selbst bringt das lutherische Bekenntnis zu nicht bloß rechtlichem, sondern auch thatsächlichem Ausdruck in Ordnung und Einrichtung nach allen Seiten hin, in Lehre, Kultus und Regiment, so daß sie hierin wohl von keiner der lutherischen Kirchen in Deutschland übertroffen wird. Daß alle ihre Glieder vom kirchlich lutherischen Prinzip durchdrungen seien, ist damit nicht gesagt und kann damit nicht gesagt sein. Denn die „Einigkeit des Glaubens und des Bekennens ist das Ziel, zu dem die Kirche die einzelnen Glieder heranbilden soll, aber nicht die Voraussetzung, von der sie auszugehen hat“, sagt Hermann Schmidt sehr wahr und richtig (Die Kirche. Ihre biblische Idee und die Formen ihrer geschichtlichen Erscheinung in ihrem Unterschied von Sekte und Härese S. 199). Ich kann nicht umhin, im Hinblick auf gewisse auch die bayerische Landeskirche bewegende Fragen, auf die dortigen, wie mir dünkt, ungemein zutreffenden Ausführungen hinzuweisen. Es ist mir unter allen Erfahrungen zu immer neuem erhebenden und stärkenden Bewußtsein geworden, welch reichen und herrlichen Schatz wir neben und nächst dem ewigen Gotteswort an einem sichern, klaren Bekenntnis, an dem schriftgemäßen Bekenntnis der lutherischen Kirche besitzen. Die vorliegende Schrift ist mir durchgängig eine Bestätigung hievon. Der stark gesetzliche Zug aber, dem manche Lutheraner sich hingeben, die eigentümliche Verwechslung von Heils- und Kirchenordnung, die Creierung eines Amts- und Kirchenbegriffs, der von dem Luther’s und der lutherischen Symbole sehr verschieden ist, die maßlose Überspannung des Gegensatzes gegen reformiertes und uniertes Kirchentum, das traurige Streben, jeden Unterschied zum Gegensatz| zu stempeln und diesen als fundamental ins Zentrum zu rücken, führen, wie klar vor Augen liegt, nicht zum Frieden. Man kann mit seinem innersten Leben und Wesen in lutherischem Bekenntnis wurzeln und doch zugleich freudigst die besondere Gabe anerkennen, die Gott der reformierten Kirche verliehen, den kirchen- und weltgeschichtlichen Segen, den Gott auf sie gelegt hat. Welch harte Urteile habe ich früher gerade in Bayern über die reformierte Kirche vernommen, und auch jetzt sind sie nicht ganz verstummt! Und doch hat die lutherische Kirche Bayerns von ihr keinen Nachteil, sondern namentlich durch den ehrwürdigen Krafft nur Segen empfangen. Man kann das Unionsprinzip, sofern es Neutralisierung der konfessionellen Unterschiede erstrebt, entschieden abweisen, und doch der sehr bedeutenden evangelischen und auch lutherischen Kräfte sich freuen, welche die größte deutsche Landeskirche durchziehen. Es ist wahrlich von Bedeutung, wenn dortige kirchliche Celebritäten sich offen zur lutherischen Abendmahlslehre bekennen, wie erst jüngst in einem vielgelesenen Erbauungsbuche wieder geschehen, oder am Sarge eines der größten Geister dieses Jahrhunderts den kleinen Katechismus Luther’s als das größte Volksbuch rühmen, das Deutschland besitzt. Auch Dorner spricht von der innern Katholizität, die der lutherischen Konfession beiwohnt (System der christlichen Glaubenslehre II, 876); Kähler will von lutherischer Grundauffassung aus die systematische Theologie behandelt wissen (die Wissenschaft der christlichen Lehre S. VII) und Voigt behauptet, daß in der Kultus- und Sakramentsfrage, vor allem der Abendmahlslehre die lutherische Konfession im Rechte sei der reformirten gegenüber (Fundamentaldogmatik S. 479). Auch in der reformierten Kirche| sind so manche Stimmen positivster Annäherung an die lutherische Wahrheit in den letzten Jahrzehnten laut geworden. Dem hochoriginellen Antistes von Schaffhausen, David Spleiß, bezeugt sein Biograph Stokar, daß er den Werth Luther’s und seiner Abendmahlslehre gar wohl zu schätzen wußte (S. 266), und Pfarrer Ecklin in Basel hat auf der evangelischen Allianz im Jahre 1879 das Ideal des Christentums unter anderem in der Herübernahme der Auffassung der Person Christi und besonders seiner Realpräsenz im Abendmahl, wie die lutherische Kirche sie bekennt, gesehen (siebente Hauptversammlung der evang. Allianz I, S. 8). Der bedeutendste und einflußreichste Theolog der reformierten Kirche in Amerika, Dr. Nevin, der vor einigen Monaten als 84jähriger Greis verstarb, stand der lutherischen Kirche sehr nahe und war dem bekannten entschiedenen Lutheraner, Professor Dr. Krauth innig befreundet. Vortrefflich hat er mit Berufung auf Luther und die Augsburger Konfession gegen methodistisch-schwärmerisches Revivalunwesen sich ausgesprochen.
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 Aus all dem ergibt sich für mich das Recht und die Notwendigkeit der Pflege einer irenischen Gesinnung angesichts der konfessionellen Gegensätze, des Bewußtseins einer in vielem und sehr wichtigem thatsächlich gegebenen evangelischen Gemeinschaft, aber zugleich auch der treuesten Bewahrung und Festhaltung des der lutherischen Kirche anvertrauten Gutes. Aus beiden bildet sich der ökumenische Charakter echt lutherischer Richtung. Die Eigentümlichkeit der lutherischen Kirche geht auch nicht in einer Summe als wahr und richtig aus der Schrift erkannter Lehrsätze auf; in ihrem Bekenntnis legt sich ein einheitlich geschlossener Organismus nicht bloß nach Seiten der Lehre im| strengsten Sinne des Wortes dar, sondern auch einer prinzipiellen Auffassung der kirchlichen Lebensfaktoren und ihres gegenseitigen Verhältnisses; es vollzieht sich hierinnen die wahre und richtige Synthese des objektiv kirchlichen und subjektiv persönlichen, des kirchlich sozialen und individuellen Moments. Wie viel hängt von der Vereinigung dieser Momente in dem Bestand und den Funktionen der Kirche für die Reinheit und Gesundheit christlicher und kirchlicher Lebensentwicklung ab! Daß das lutherische Bekenntnis auch aus den gegenwärtigen theologischen Kämpfen und Krisen, die ich mit aller Teilnahme verfolge, in neuer Festigung hervorgehen wird, zweifle ich keinen Augenblick. Ich kann aber nicht umhin, einem in der bayerischen Landeskirche unvergessenen Theologen, dem ehrwürdigen D. Harnack in Dorpat, meinen wärmsten Dank auszusprechen für das wohlthuend bekräftigende, ernst und gewichtig mahnende Wort, das er jüngst in dem II. Bande seiner Theologie Luther’s gesprochen. Ich stelle mir die Aufgabe einer lutherischen Landeskirche, die ich durchaus und nach allen Seiten in ihrer Eigenart und Selbständigkeit gewahrt wissen möchte, als eine sehr hohe und große vor. Daß die lutherische Kirche die ihr zugewiesene Aufgabe mehr als Landeskirche zu lösen im Stande ist, denn als Freikirche, unterliegt mir keinem Zweifel. Selbstverständlich urteile ich nicht über die Freikirche als solche ab; am wenigsten über die berechtigste und älteste Form derselben in Deutschland, die ohnedies eine mittlere Stellung zwischen Landeskirche und Freikirche einnimmt; ich freue mich auch von ganzem Herzen über die bedeutende Entwicklung der lutherischen Kirche in Amerika und verfolge sie mit regstem Interesse. Es beruht aber gewiß auf Blendung durch falsche Ideale, wie Geistliche und| Gemeindeglieder verschiedener dortiger Synoden selbst zugeben, wenn manche, auch landeskirchliche Lutheraner der Freikirche geradezu den Vorzug vor der Landeskirche einzuräumen scheinen. Die Schattenseiten der Freikirche liegen klar genug zutage. Ein so entschiedener und erleuchteter Lutheraner wie von Zezschwitz hat in einer Predigt ausgerufen: „Feindselige gehässige Verketzerung, vor allem von Seite derer, die uns ihre eigene Erstarkung verdanken! Am liebsten jagten sie die ganze deutsche Theologie als einen samaritischen Mischling weg vom Bau am Heiligtum unserer Kirche. – In der eigenen deutschen Heimath aber die heillose Zersplitterung in Separationen. Man muß sich besinnen auf Zahl und Verschiedenheit, auf Trennungsgründe und Losungsworte aller der getrennten Lutheraner in den verschiedenen Kreisen und Landeskirchen.“ Mein Ideal für die Gegenwart ist eine Landeskirche, in der alle kirchlichen Faktoren, theologische Fakultät, Kirchenregiment, Geistlichkeit, synodale Vertretung auf dem Grunde des lutherischen Bekenntnisses sich in wahrer Geisteseinheit begegnen. Möge die vorliegende Schrift zeigen, wie weit diese Einheit in der bayerischen Landeskirche thatsächlich gegeben ist und auf welchem Wege sie erreicht wurde! Mir liegt an dieser Einheit sehr viel auch um unserer Stellung willen zur katholischen Kirche, der wir zu zeigen haben, daß unsere Prinzipien gar wohl auch eine tiefe, durchschlagende Einheit vertragen. Wir haben auch nach dieser Seite hin eine Aufgabe zu erfüllen. Edelste Kräfte des Katholizismus werden durch nichts mehr befremdet und zurückgestoßen, als durch Protestantische Zerrissenheit. Wir haben unsere Aufgabe zu lösen dem gesammten Volksleben gegenüber; dieses Band dürfen wir nicht zerreißen, nachdem es der HErr der Kirche bis auf diese| Stunde zu unendlichem Segen für unser Volk in Gnade und Geduld aufrechterhalten. Gerade hierin besteht der Vorzug, aber auch die weit höhere und schwierigere Aufgabe der deutschen Landeskirche in Vergleich zu der Freikirche, sei es hier oder in Amerika. Denn auch die amerikanische Freikirche sammelt nur geringe Bruchtheile der deutschen Bevölkerung in ihren Bereich. Ich verkenne die Mängel meiner Landeskirche wahrlich nicht; gegen einen falschen Optimismus bin ich durch eine zwanzigjährige kirchenregimentliche Thätigkeit, durch eine fast ebenso lange pastorale Wirksamkeit und zwar größtenteils unter dem eigentlichen Volke gewappnet. Mir ist aber eine auf sicherer Bekenntnisgrundlage ruhende, in ein richtiges Verhältnis zum Staat gestellte, in innerer Freiheit und Selbständigkeit sich bewegende Landeskirche nicht etwa eine Art notwendigen Übels, das noch einigermaßen zu tragen ist, wie wenigstens früher in Bayern öfters geurteilt wurde, sondern ein hohes Gut, das aller Pflege und Hingebung würdig ist. Mitten im brennendsten Kampfe schrieb Professor Delitzsch an Löhe: „Es ist ein Verwerfungsgericht Gottes über ein Volk, wenn die lutherische Kirche Landes- oder Volkskirche zu sein aufhört.“ Wie die uns gestellte Aufgabe in erster Linie zu lösen ist, können die drei hier geschilderten Männer zeigen. Harleß’ Luthertum war aus einer seltenen wissenschaftlichen und ernstesten ethischen Vertiefung geboren, Thomasius war ein rastlos forschender Theologe, und dabei ein Mann des Glaubens und Gebets, Löhe hat lutherische Art vertreten in der Beweisung des Geistes und der Kraft, mit einem für den HErrn und sein Reich glühenden Herzen. Die thatsächliche Leistung einer Landeskirche ist ihre beste Apologie, und die beste Sorge für die Zukunft ist nicht die Entwerfung| verschiedener Zukunftspläne, am wenigsten wenn deren Verwirklichung auf uns selbst und unserer geringen Arbeit beruhen soll, sondern die Zusammenfassung aller Kräfte auf dem rechten Grunde für die kirchlichen Aufgaben und Ziele der Gegenwart.

 Gerne möchte ich mich in dieser Schrift auch im Geiste zusammenschließen mit Dienern und Gliedern unserer teuren Kirche, mit denen ich früher persönlich amtlichen Verkehr so oft in unvergessenen Stunden pflegen durfte, zusammenschließen zu unverbrüchlicher Treue gegen den HErrn und Seine Kirche, zu selbstverleugnendem Dienst unter den Mühen und Sorgen der Gegenwart, zu zukunftfroher Hoffnung.

 München, den 25. November 1886.

Der Verfasser. 



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