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Titel: Kurze Procedur
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[752] Kurze Procedur. Alle Zeitschriften sind voll von Berichten über die Grausamkeiten, welche sich in dem gegenwärtigen furchtbaren Kampfe Russen und Polen einander zufügen. Es wird daher den Lesern der „Gartenlaube“ nicht uninteressant sein, wenn ihnen in ein paar Scenen, die, zwar an sich ohne historische Bedeutung, doch als Sittenbild der Zeit immerhin Beachtung verdienen, vor Augen geführt wird, wie vor hundert Jahren schon das russische Militär gegen die Polen zu Werke ging.

Der Zelotismus der Bischöfe von Krakau und Wilna trieb die Dissidenten (Griechen, wie Protestanten), deren Religionsfreiheit schon seit längerer Zeit auf das Aeußerste verkümmert worden war, massenhaft aus dem Lande. Rußland benützte den Vorwand, sich der Vertriebenen annehmen zu wollen, um sich in die polnischen Angelegenheiten thätig einzumischen. Dagegen widersetzte sich ein Theil des polnischen Adels und schloß, von Frankreich aufgehetzt und angestachelt, zu Bar, einem Städtchen der Ukraine, im Februar 1768 die bekannte Barer Conföderation, welche den ganz von russischem Einflusse beherrschten schwachen König Stanislaus August aus dem Hause Poniatowsky für abgesetzt erklärte und den Anstoß zu einem vierjährigen Kampfe mit Rußland gab.

In Posen stand als russischer Commandant der Oberst von Rönne. Die benachbarte Neumark war mit Pommern, die beide durch die vor wenigen Jahren erst beendeten Kriege mit Rußland und Schweden zum Theile verheert lagen, der Verwaltung Schönberg von Brenkenhof’s unterstellt, eines von Friedrich dem Großen aus Anhaltischen Diensten berufenen kenntnißreichen, energischen und zugleich menschenfreundlichen Mannes, welchem Preußen sehr viel verdankt. Eines Tages hielten die beiden Herren in dem unweit der Posenschen Grenze gelegenen kleinen Orte Zirke eine Zusammenkunft, um verschiedene Grenzstreitigkeiten und Competenzconflicte zum Austrage zu bringen.

Als Brenkhof mit Rönne beim Frühstücke saß, bat dieser den Gast um die Erlaubniß, eine kleine Execution vornehmen lassen zu dürfen. Brenkenhof, der keine Ahnung hatte, um was es sich dabei handelte, nickte zustimmend. Bald darauf wurde ein Marschall der gedachten Conföderation, welchen eine Truppenabtheilung des Obersten Tags zuvor gefangen genommen hatte, in das Zimmer geführt und genöthigt, sich auf einem ausgebreiteten Teppich hinzulegen. Vier Kosaken erhielten dann den Befehl, ihn mit dem Kantschu zu züchtigen. Brenkenhof, der sah, daß es dem Russen voller Ernst war mit der angekündigten „Execution“, machte ihm Vorstellungen über die wunderbare Art, wie er einen gefangenen General behandeln wollte.

Nach vielem Hin- und Widerreden ließ sich denn der Oberst besänftigen und bot seinem Gaste den Marschall zum Geschenk an, und zur großen Freude des Polen acceptirte Brenkenhof die seltsame Gabe.

Bald nachher trat der Letztere zufällig an ein Fenster des Gemachs, aus dem man in den Hof hinabblicken konnte. Dort hatten eben russische Fußcarabiniers einen Kreis geschlossen. Sämmtliche hielten den Hahn ihrer Gewehre gespannt. Ein paar Minuten später ritt ein Kosakenpiguet in den Hof, das vierzig Gefangene escortirte, die alsbald in den Kreis geführt wurden. Die Kosaken saßen ab, drei von ihnen setzten ihre Lanzen auf die Brust eines dieser Kriegsgefangenen und spießten ihn auf. Einem Zweiten und einem Dritten erging es nicht besser.

Das war Brenkenhof zu stark. Er schrie laut auf, öffnete das Fenster und gebot den Kosaken im Namen des Obersten einzuhalten in ihrer Henkerarbeit. Dann wandte er sich an seinen Wirth und forderte Auskunft, was dieser schauerliche Vorgang zu bedeuten habe. „Ich entledige mich meiner Gefangenen,“ war die Antwort.

„Aber ich bitte Sie,“ entgegnete Brenkenhof, „was ist dies für eine barbarische Methode, Krieg zu führen?“

„Was soll ich mit den Leuten anfangen?“ antwortete Rönne. „Ich habe keine Festungen, in denen ich sie interniren, und keinen Fond, aus dem ich ihren Unterhalt bestreiten kann. Ja, wenn sie Wort hielten; aber ich entlasse sie auf ihr Ehrenwort, nicht von Neuem gegen uns zu dienen, und bin gewiß, daß ich mich morgen oder übermorgen wieder mit ihnen herumschlagen muß. Also Sie sehen, es geht nicht anders!“

Da Brenkenhof wahrnahm, daß es dem Obersten blos darum zu thun war, seine Gefangenen loszuwerden, so bat er Rönne, sie ihm zu beliebiger Verwendung zuzuweisen, mit dem Versprechen, daß er sie an westphälische Regimenter absenden und damit den Russen unschädlich machen wollte.

Der Oberst ging den Handel ein und ließ die ihres nahen Todes schon Gewissen aus dem Kreise führen. Einige Tage später war Brenkenhof abermals bei Rönne zu Gaste und nahm diesem das Gelöbniß ab, bei seinem ganzen Corps zu befehlen, daß keine gefangenen Conföderirten mehr getödtet, sondern wiederum ihm überlassen würden. In Folge dieser Vereinbarung erhielt Brenkenhof noch 815 gefangene Polen, die er nach Küstrin bringen und daselbst vorläufig auf seine eigenen Kosten verflegen ließ.