Kunst und Kultur in Ahrenshoop, 1945

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Autor: Hans Brass
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Titel: Kunst und Kultur in Ahrenshoop, 1945
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Entstehungsdatum: 1945
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Kunst und Kultur in Ahrenshoop, 1945
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Einführung

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Der Artikel Kunst und Kultur in Ahrenshoop, 1945 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Kunst und Kultur in Ahrenshoop 1945 bis 1948“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von 1945. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

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[1]
Montag, 26. Nov. 1945.     

[...] [1]      Heute vormittag habe ich die ersten Schritte unternommen, um wieder zum Malen zu kommen. Ich habe alte Bilder vorgeholt, um die Keilrahmen neu zu verwenden, oder sie von Papenhagen passend zurechtschneiden zu lassen. Martha hat mir ein schönes Stück Leinewand gegeben, das ich für eine etwas größere Landschaft verwenden will. Für die anderen Bilder, die ich vorhabe, will ich die Rückseiten alter Bilder verwenden. Ich habe mir fünf Bilder vorgenommen, alles solche, die ich im vorigen Jahre bereits gemalt habe, die aber meiner Meinung nach noch nicht die letzte Fassung sind. Ich habe alle diese Bilder in diesen letzten Wochen oder gar Monaten im Geiste durchgearbeitet u. hoffe, etwas Gutes zu schaffen. – [...]

[2]
Freitag, 7. Dezember 1945.     

[...] [2]      Heute habe ich, bzw. Martha, meine schwarze Hose an den Sergeanten von Monheim verkauft. Er gab 450,– Mark in Alliiertem=Geld, 26 polnische Sloty u. 10 Tscherwonez. Wieviel das zusammen ist, weiß ich nicht. Die Hose war der Rest meines Smoking-Anzuges u. mindestens 20 Jahre alt, aber noch sehr gut, da ich sie sehr selten getragen habe. Der Sergeant versprach außerdem ein Stück Schweinefleisch, das er allerdings erst bringen will. Ich bin neugierig, ob er es tut.

     Es ist über Nacht Winter geworden. Es ist seit heute früh 1° Kälte u. diese Temperatur hält sich auch jetzt um 2 Uhr noch auf gleicher Höhe. Es hat über Nacht u. heute Vormittag bei leichtem Ostwind geschneit u. die Kinder haben ihre Schlitten vorgeholt. [...]

[3]
Sonnabend, 8. Dezember 1945.     

[...] [3]      Heute brachte mir Gräff Grundierfarbe. Ich will heute Nachmittag die Bilder grundieren u. Montag anfangen, zu malen. Auch Papenhagen hat mir den fünften Keilrahmen gebracht. [...]

[3]
Sonntag, 9. Dezember 1945.     

[...] [3]      Gestern habe ich die Leinewände grundiert. Die große Leinewand ist leider nicht ganz glatt geworden, weil darin zweierlei Material verwebt worden ist, daß verschieden aufgetrocknet ist. Ich habe versucht, den Rahmen auszukeilen u. es ist auch besser geworden, aber nicht einwandfrei. Ich hoffe, daß sich die Leinewand während des Malens langsam von selbst glattziehen wird. [...]

[3]
Montag, 10. Dezember 1945.     

[...] [3]      Heute habe ich endlich mit Malen begonnen. Ich habe zuerst das große Bild angefangen: flammend gelber Himmel, Meer – Kobaltblau – violett – gelb, Vordergrund gelb – rot – bis ins Braun. Davor über das ganze Bild hin ein Ast einer Krüppelkiefer. Das Bild ist in seiner Komposition verblüffend einfach u. so durchdacht, daß jeder Pinselstrich sitzt. Die Wochen, in denen ich täglich fast stets von 5 – 9 Uhr im Dunklen gesessen habe u. über dieses u. die anderen Bilder nachgedacht habe, machen sich jetzt [4] bemerkbar. Jede Form u. jede Farbe ist genau durchdacht u. es gibt nun beim Malen nicht die lästigen Probleme, die sonst erst während der Arbeit gelöst werden müssen u. oft eben nicht gelöst werden. Die Grundierfarbe, die mir Gräff zurechtgemacht hat, ist ausgezeichnet, es malt sich sehr leicht darauf. [...]

[5]
Sonntag „Gaudete!“ 16. Dez. 1945.     

[...] [6]      In dieser Woche hatte Martha viele Auseinandersetzungen mit dem sog. Antifaschistischen Ausschuß, der sich bemüßigt fühlt, für die Flüchtlinge zu Weihnachten etwas zu tun. Anstatt sich nun mit Martha in Verbindung zu setzen, die doch nun seit Jahren hier das Weihnachtsfest sozial organisiert, ist dieser Ausschuß unter Führung von Herrn Dr. Ziel u. Herrn v. Achenbach stur. Sie meinen, die BuStu. sei eine Privatsache, ihre Weihnachts=Aktion aber sei amtlich u. offiziell u. dürfe sich nicht mit Privatpersonen verbinden. Es offenbart sich da der ganze, sture, deutsche Amts=Standpunkt, diese dumme Arroganz beamteter Personen, die zu erhaben über die Fach= u. Sachkenntnisse von Privatpersonen sind, als daß sie sich ihrer bedienen würden. Dabei ist dieser sog. Ausschuß überhaupt garkeine amtlicher Organisation, er maßt sich nur amtliche Eigenschaften an. Der Ausschuß veranstaltet nun für sich eine Sammlung von Geld u. Sachen für Flüchtlinge, d.h., er läßt andere spenden, um sich dann mit dieser Spende dicke zu tun. Die gespendeten Gelder u. Sachen sollen die Flüchtlingen dann möglichst sang= u. klanglos zugestellt werden, denn Frau Burgartz, die mehrfach bei Martha war, um darüber zu reden, meinte, sie sei ein prosaischer Mensch u. habe keinen Sinn für Poesie, d.h. für Weihnachten. So kommt es also, daß Martha nun ihre Weihnachts=Aktion privat für sich allein durchführen wird, ebenso wird der Antifasch. Ausschuß seine Aktion durchführen, u. endlich wird Frau Marie Seeberg noch ein Krippenspiel für sich allein veranstalten. Also ganz deutsch: jeder für sich. – [...]

[7]
Montag, 17. Dezember 1945.     

[...] [7]      Am Vormittag war Peter Erichson aus Rostock da. Er ist schon seit einigen Tagen hier, war aber bisher unsichtbar. Er spielt natürlich im Kulturbund zur demokrat. Erneuerung in Rostock eine beachtliche Rolle. Seine Druckerei ist die einzige in Rostock, die von den Russen nicht angefaßt worden ist. Er sagte mir, daß im Hause des Kulturbundes vier Betten bereit stehen für Leute, die von auswärts kommen. Es gibt dazu Frühstück u. Lebensmittel=Karten, daß man Essen gehen kann. Ueberhaupt würde für Künstler das Aeußerste getan, auch Materialbeschaffung sei jetzt in Angriff genommen. Auch sagte er mir, daß jeder Künstler, der zur Sektion bildende Kunst im Kulturbunde gehört, automatisch Anspruch hat für die Schwerarbeiter-Lebensmittelkarte. Das war mir sehr wissenswert. Er sagte weiter, daß er in der nächsten Woche mit dem Geschäftsführer der Sektion hierher kommen würde, der Herr würde mir dann seinen Besuch machen. Es ist ein merkwürdig angenehmes Gefühl, daß ich jetzt plötzlich nicht mehr ganz allein dazustehen scheine, sondern daß es Leute gibt, die Wert darauf legen, daß ich als Künstler zu ihnen gehöre. So mag sich zum Schluß mein Jugendtraum von Künstlertum u. Kameradschaft vielleicht doch noch verwirklichen, nachdem ich daran bereits längst nicht mehr gedacht habe. [...]

[7]
Mittwoch, 19. Dezember 1945.     

[...] [8] daß die Westmächte keinesfalls gewillt sind, das von ihnen gehütete Geheimnis der Atombombe preiszugeben. Ueber diese wird sehr viel gesprochen. Es scheint als läge in dieser Erfindung eine ganz unermeßliche Gefahr für die ganze Welt, u. in der Tat: wer dieses Geheimnis besitzt, ist damit der Mächtigste. Es fragt sich nur, wie lange dieses Geheimnis geheim gehalten werden kann. Wenn zwei Gegner beide dieses Geheimnis besitzen, dann ist der der Mächtigste, welcher in der Lage ist, den anderen unversehens zu überfallen, in der Art, wie Japan es bei Pearl Harbur machte. Die Anwendung dieser Bombe aber bedeutet radikale Vernichtung. Die Atombombe in der Hand der Bolschewisten [9] dürfte dann in der Tat den Untergang der ganzen civilisierten Welt bedeuten, – aber wohl auch Rußlands selbst. Es sind das grauenvolle Perspektiven u. man denkt dabei nicht bloß an den Untergang des Abendlandes, sondern der ganzen Welt in ihrer jetzigen Gestalt. Es ist kein Wunder, daß die Staatsmänner der Westmächte mit höchster Sorge vor diesen Problemen stehen, aber eigenartig ist es, zu sehen, wie nur einige wenige Menschen wissend genug sind, um sich diese Sorgen überhaupt zu machen, die Masse der Menschen der ganzen Welt lebt sorglos dahin, obgleich die ganze Welt auf einem riesigen Pulverfaß sitzt. [...]

[9]
Donnerstag, 20. Dezember 1945.     

[9]      Heute wurde das Bild fertig. Ich bin sehr zufrieden. Grade eine Woche lang habe ich daran gemalt, doch muß man dazu rechnen, daß ich das Bild ja schon in kleinem Format u. unzureichend im vorigen Herbst gemalt habe u. außerdem in den täglichen langen Dunkelstunden reiflich durchdacht habe.

     Frau v. Achenbach war bei Martha u. hat nun endlich erklärt, warum ihr Mann sich so eigenartig benimmt. Als nämlich im Frühjahr die Anordnung herauskam, daß alle Menschen, die nicht nach Ahrenshoop gehören, den Ort verlassen müßten, habe ich natürlich auch Frau v. A. eine Aufforderung zugehen lassen, Ahrenshoop zu verlassen. Als sie dieser Aufforderung nicht nachkam, habe ich das mit Stillschweigen übergangen u. so getan, als hätte ich es nicht bemerkt. Herr v. A., anstatt diese meine freundliche Haltung anzuerkennen, ist vielmehr tödlich beleidigt, daß ich damals seine Frau, – er selbst war noch nicht hier –, überhaupt aufgefordert habe, Ahrenshoop zu verlassen. Ich glaube, daß dieser Herr damit vollauf gekennzeichnet ist. [...]

[10]
Mittwoch, 26. Dezember 1945.     

[...] [10] Auf dem Tisch stand eine kleine Vase mit einigen weißen Winterastern u. einigen kleinen Tannenzweigen, die in der matten Akku-Beleuchtung ganz entzückend aussahen. Ich holte einen Zeichenblock u. Kreide u. machte ein Skizze davon, die gleich die Natur so weit übertrug, daß ich glaube, danach ohne weiteres ein Bild malen zu können. [...]

[10] Martha brachte sogar eine veritable Bescherung zustande, indem sie aus Beständen der BuStu eine Papierschere mir Falzmesser, die ich so notwendig brauche, ferner eine Taschenuhr noch gefunden hatte, eine von den billigen Uhren, die wir früher einmal für die Sommergäste verkauften, um die eigenen Uhren zu schonen, die am Strande versanden. Diese Uhren gehen aber vorzüglich. Nachdem drei Uhren von mir, die Borchers zur Reparatur gehabt hatte, von den Russen gestohlen worden waren u. alles, was ich nun noch an Uhren [11] besaß, unzuverlässig oder ganz kaputt war, ist dies ein sehr willkommenes Geschenk. Ferner hatte M. auch noch einen kleinen Reisewecker gefunden, dazu noch zwei Paar wollene Socken, ein Stück Seife, und – das Erfreulichste: eine Kiste Zigarren, keine sehr hervorragende Qualität, aber schön groß von Format, wie ich sie so liebe. Diese Zigarren waren bei Fritz im Zimmer gewesen u. trugen den Vermerk: Für Oha von Fritz zu Weihnachten 1942. Sie waren damals vergessen worden u. nun wieder aufgetaucht u. nun eine ganz große Freude. – Mir selbst war es nur gelungen, ein Stück Speck im Tausch gegen Tabak für Martha aufzutreiben. [...]

[11] Nachher machte ich eine Kreideskizze von unserer Krippe, die ebenfalls so fertig ist, daß ich glaube, ohne weiteres daraus ein Bild machen zu können. Es scheint tatsächlich bei mir etwas ganz Neues eingetreten zu sein: die künstlerische Produktion verläuft mühelos u. ohne mühseliges Ringen mit Problemen. Es wäre ja wunderbar, wenn ich nun wirklich dahin kommen sollte, mit Vergnügen zu malen. Die maßlose Anstrengung, die mir das Malen früher bereitet hat u. die bis zur völligen körperlichen Erschöpfung ging, scheint einer bisher nie gekannten Leichtigkeit gewichen zu sein. [...]

[11]      Vom Kulturbund, Sektion für bildende Kunst, erhielt ich Nachricht auf meine Anfrage betr. Lebensmittel Karten. [12] Danach steht den bildenden Künstlern nur die Arbeiterkarte zu, nicht die Schwerarbeiterkarte. Hoffentlich wird das den Gemeinden nicht amtlich mitgeteilt, denn dann gehe ich meiner Schwerarbeiterkarte wieder verlustig. Ferner teilt mir die Sektion mit, daß ich nun doch Arbeiten oder Reproduktionen von solchen der Sektion einreichen müsse zwecks Aufnahme in die Sektion. Ich ersehe daraus, daß ich bisher lediglich in den„Kulturbund“ aufgenommen bin, nicht aber in die „Sektion für bildende Künste“, was natürlich allein von Wichtigheit ist für mich. Ich weiß nicht recht, was ich machen soll, denn es ist ja unmöglich, hier Bilder photographieren zu lassen. Ich könnte nur Reproduktionen von den Bildern 1918 – 1921 einsenden. Im übrigen finde ich es ziemlich seltsam, daß die Rostocker ein solches Verlangen an einen Künstler stellen, der schon vor 27 Jahren im Vorstande der Novembergruppe u. dort selbst in der Jury war. Wer sind denn die Leute in Rostock, die da die Jury ausüben? Es sind das doch Künstler, die selbst völlig unbekannt sind! [...]