Kriegsminister Boulanger

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Titel: Kriegsminister Boulanger
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 739
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[739] Kriegsminister Boulanger. Von dem Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt: das ist ein bei unseren Nachbarn jenseit des Rheins in Schwang befindliches geflügeltes Wort; doch ebenso gut kann man sagen, daß dort auch oft nur ein Schritt ist vom Lächerlichen zum Erhabenen, und Mancher, den vielleicht anfangs der Spott der Menge begrüßt hat, richtet sich auf einmal auf einem geschichtlichen Piedestal auf. Zwischen diesen beiden Gegensätzen schwankt auch das Bild des französischen Kriegsministers hin und her, in welchem die Einen nur einen ruhmredigen Soldaten sehen, die Andern einen großen General und vielleicht sogar den Diktator der Zukunft. In hunderttausend Exemplaren ist seine illustrirte Lebensbeschreibung auf den Boulevards verkauft worden: er selber sah sich zuletzt durch die Angriffe der Presse genöthigt, den weiteren Verkauf dieser Broschüre, deren Verfasser jedenfalls dem Kriegsministerium nahe steht, dem Verleger zu verbieten: mit welchem Rechte, ist zweifelhaft. In dieser Broschüre wird der Held abgebildet hoch zu Roß, mit wallendem Federbusche, und in einem zweiten Bilde wird dargestellt, wie die Tonkintruppen vor ihm vorüber defiliren, wobei für den Präsidenten der Republik offenbar kein Platz vorhanden war. Beide Bilder sind in grellem Farbendruck ausgeführt; in ebenso grellen Farben ist der Text gehalten, welcher die Verdienste des Helden um das Vaterland schildert. Von seiner Persönlichkeit heißt es: „Von mittlerem Wuchse, kräftig gebaut, vereinigt General Boulanger in sich alle Merkmale der Jugend und der Kraft. Sein Antlitz athmet jene Kaltblütigkeit, von welcher er erst kürzlich neue Beweise gegeben; das blaue Auge ist lebhaft und klar, unter der scharfgeschnittenen Nase ragt ein dichter blonder Schnurrbart, in einen starken Vollbart übergehend, darunter ein Mund, der selten lächelt, es sei denn, daß der General sich als Familienvater zeigt; denn dieser kühne Soldat, dieser tapfere, mit Narben bedeckte Officier, welcher im Dienste so scharf, so rauh sein kann, ist der beste aller Väter und, wie alle Starken, nur schwach gegenüber seinen Kindern.“

Das ist der „erhabene“ Boulanger; daneben wird auch der „lächerliche“ auf den Boulevards verkauft, eine Schmähschrift mit Illustrationen, welche den General in verschiedenen Stellungen mit komischem Anstrich zeigen und außerdem die Schwankungen seines Herzens von Napoleon zu den Orleans und dann zur Republik in sinnbildlicher Weise sehr bezeichnend darstellen. Dies wankelmüthige Herz wird bei uns Deutschen einer scharfen Kritik begegnen: bei den Franzosen steht’s nicht so schlimm damit; denn die Meisten, die im öffentlichen Leben eine Rolle gespielt, haben ein ganzes Sündenregister von Wandlungen zu verzeichnen; wo die Staatsform selbst so oft umgestürzt wird, da werden ja die Diener des Staats immer in Mitleidenschaft gezogen und sie müssen, wenn sie ihre Stellen behaupten wollen, in die stets neuen Hochrufe mit einstimmen, die den wechselnden Staatsgewalten gebracht werden. Boulanger hat sich keinesfalls dadurch unmöglich gemacht, daß er seine früheren Beziehungen zum Herzog von Aumale verleugnete, während die monarchischen Blätter seine Briefe mit den Faksimiles seiner Handschrift zum Abdruck brachten: Briefe, in denen er für seine Beförderung sich um die Fürsprache des Herzogs bewirbt und ihm seinen Dank und seine dauernde Ergebenheit ausspricht. Das steht nun freilich nicht im Einklang mit der feindseligen Maßregel, daß er den Namen des Herzogs jetzt aus der Armeeliste ausstrich; doch weder Vergeßlichkeit noch Undank sind Todsünden in den Augen der Franzosen: dadurch verliert Boulanger nicht sein Ansehen, wenn sich auch eine Gegenpartei gebildet hat, die den stürmischen Hochrufen vor den Kasernen oder wo er sonst erscheint, ein Hoch auf Monseigneur, den Herzog von Aumale entgegensetzt. Sollte die Partei Gambetta’s und Ferry’s wieder ans Ruder kommen, so ist der volksthümliche General der Boulevards allerdings in seiner Stellung bedroht, wenn ihn auch die Pariser Radikalen, besonders der mächtige Clemenceau beschützten. Vorläufig ist der schnauzbärtige Haudegen, der gelegentlich in die Posaune der Patriotenliga stößt, in Paris sehr populär, und selbst der Präsident Grévy hat ihn durch Verleihung eines hohen Ordens ausgezeichnet, zum Dank für seine Verdienste um die Neugestaltung der Armee. †