Die Deportation nach Sibirien

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Titel: Die Deportation nach Sibirien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 739
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Informationen über die Verbannung nach Sibirien
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[739] Die Deportation nach Sibirien. Das riesige Land, das für die Weltwirthschaft wie für die wissenschaftliche Forschung von gleichem Interesse ist, hat neuerdings eine eingehende Darstellung erfahren in dem von Petri übersetzten russischen Werke von N. Jodrinzew „Sibirien“ (Jena, Costenoble). Von besonderem Interesse sind die Mittheilungen über die Deportation in jenes Land, über welche zum großen Theil in Deutschland noch unrichtige Anschauungen herrschen. Die Zahl der Deportirten beträgt in neuester Zeit jährlich 18000 bis 20000, während sie früher sich auf 8- bis 9000 belief. Die Deportation wächst in unglaublicher Weise an, man hat sich derselben im Interesse der Strafe und auch der Vorbeugung von Verbrechen und schließlich auch im Interesse der Kolonisation bedient. In der Regel glaubt man in Deutschland, daß nur politische und andere Verbrecher nach Sibirien verbannt werden; doch ein Register der Verbannten aus dem Jahre 1884 ergiebt, daß die große Mehrzahl auf Anordnung der Gemeinden dorthin verbannt werden. Die Zahl derartiger Verbannter erreicht die Ziffer von 4565, die fast doppelt so hoch ist als diejenige der nach Sibirien übergesiedelten Verbrecher; hierzu kommen die Vagabunden, deren Zahl sich auf 1467 beläuft. Es ist dies also eine bequeme Manier, sich die Unterstützungsbedürftigen vom Halse zu schaffen, und manche deutsche Gemeinde würde sich auch ein kleines Sibirien zu diesem Zwecke wünschen.

Die Frauen begleiten sehr oft ihre Männer, während das Umgekehrte in den seltensten Fällen geschieht: in jenem Register werden nur drei freiwillige Männer aufgeführt, die ein solches Opfer gebracht haben. Die Sterblichkeit unter den Frauen ist groß, ihr moralisches Verkommen während des Aufenthaltes bei den Verbannten sehr bemerkbar. Außerordentlich aber ist die Sterblichkeit der Kinder während der Reise: im Jahre 1874 wurden aus Moskau Arrestantenkinder entsandt, die an Masern erkrankt waren; diese Kinder verschleppten eine Masernepidemie; bei dem Mangel an medicinischer Hilfe auf den Barken und Dampfschiffen, auf den Etappenpunkten und während der Fußreise in Sibirien erlag die Hälfte aller Kinder dieser Krankheit.

Die Lage der Verbannten ist eine trostlose und elende: nur ein geringer Theil sind Hausbesitzer, die meisten Heimatlose, die in elenden Hütten wohnen, bei den Bauern arbeiten, von ihnen durch Vorschüsse in fortwährender Sklaverei gehalten werden. Suchen sie Arbeit bei den Goldwäschen, so geht es ihnen nicht besser. Das Verhältniß der Verbannten zu den Einheimischen ist ein sehr ungünstiges: jene gelten diesen als gebrandmarkte Verbrecher, mindestens als Leute von zweifelhafter Moralität. Die Versuche mit Strafkolonien hatten bisher nicht den gewünschten Erfolg. Wie viele entsprangen schon auf dem Wege, mehr als 15% von 120000! Im Ganzen hat die Verbannung nach Sibirien, die oft ohne Gesetz und Urtheil von der Willkür der Verwaltungsbehörden und der Gemeinden ausgeht, etwas Befremdendes für die im übrigen Europa herrschenden Anschauungen. †