Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängniß

Textdaten
<<< >>>
Autor: Unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängniß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, 35, 39, S. 332, 576, 643-644
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[332] Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängnis. Welch großes, unbeschreibliches und unermeßliches Unglück der Krieg ist, wie verheerend er in das Leben der Einzelnen und der Familien eingreift, das stellt sich uns lebhaft vor Augen, wenn wir sehen, daß heute, im zehnten Jahre nach unserm „letzten Kampf um den Rhein“, Einzelne und ganze Familien, die jener Krieg aus ihren Bahnen, aus gesicherten Stellungen gerissen, noch nicht wieder empor gekommen sind, zum Theil sogar, trotz aller Bitten und Mühen um Erwerbstätigkeit, in harter Bedrängniß leben.

Man braucht in dieser Klage nicht gleich eine Anklage gegen die bestehenden staatlichen und privaten Invaliden-Unterstützungsanstalten zu erblicken; denn die Unmöglichkeit, in der sich selbst die mit Mitteln reichlichst ausgerüsteten Anstalten dieser Art befinden, Allen, die es verdient haben, auch würdig zu helfen, liegt auf der Hand; dagegen soll man uns an den maßgebenden Stellen keinen Vorwurf daraus machen, daß wir beklagenswerthe Thatsachen nicht verschweigen und für Diejenigen, welche unter diesen Thatsachen leiden, ein Wort der Bitte aussprechen.

Ebenso wenig darf die Mahnung an eine noch unerloschene Pflicht gegen unsere Tapferen unterbleiben, die Mahnung an jene Pflicht der Dankbarkeit, die während der Gefahren und Triumphe des Krieges so oft und laut in allen Volkskreisen anerkannt, so bei mancher öffentlichen Feier jener Tage begeisterungsvoll beschworen worden ist. – Wir bieten in den nachstehenden Anliegen einer Anzahl unserer invalidgewordenen Kämpfer die Gelegenheit, jener Pflicht immer noch zu genügen. Namen nennen wir nicht, geben aber auf jede mit Bezeichnung der betreffenden Ziffern eingehende Anfrage die gewünschte Auskunft und theilen gleichzeitig die nöthige Adresse mit.

1) Arm und krank durch den Krieg. Ein Buchdrucker, jetzt einunddreißig Jahre alt, eilte vor zehn Jahren freiwillig zu den Fahnen, die nach Frankreich zogen, und kehrte aus dem Kriege mit schweren rheumatischen Leiden behaftet zurück. In jugendlicher Zuversicht, daß das Uebel sich legen werde, versäumte er die für Ansprüche an den Invalidenfonds festgesetzte Frist. Da er in seinem Berufe nicht mehr arbeiten konnte, suchte er in Bureaudiensten und als Corrector sich zu ernähren und verwandte seine letzten Ersparnisse auf eine Cur in Teplitz, die sein Leiden nicht hob; es kam noch ein Herzleiden hinzu, das ihn ganz erwerbsunfähig machte. Seitdem lag er, der früher seine alten, armen Eltern unterstützt hatte, diesen selbst zur Last, bis er im Armenhause seiner Vaterstadt, mit welchem das Stadtlazareth verbunden ist, Aufnahme fand. Arm und krank, so jung und den Tod vor Augen! Wer diesem Unglücklichen noch eine Freude gönnt, spende sie bald!

2) Invalid in Möhra. Früher Weber und Musikant, wurde dieser Mann bei Sedan schwer verwundet (die Kugel steckt noch in der Wunde); da er verheirathet und Vater von drei Kindern ist, so reichen die Invalidengelder nicht zur Ernährung seiner Familie hin, und er sucht, da seine Verwundung ihn an der Betreibung der Weberei hindert, eine Stelle als Aufseher, Portier oder dergl.

3) Barbier und Buchbinder. Theilnehmer an den Feldzügen von 1866 und 1870, wurde er nach dem letzten Ausfall vor Paris krank und in die Heimath beurlaubt. Da er als Barbier seine Kundschaft verloren, so suchte er seine Familie durch Buchbinderei zu ernähren; Concurrenz und Arbeitslosigkeit brachten jedoch ihn um Alles, sodaß er nun dringend um eine Stellung in einem Hause oder einem seiner Berufsgeschäfte bittet.

4) Durch den Krieg an den Bettelstab gekommen. Ein Ziegler, welcher 1859 in die Artilleriereserve trat, ernährte sich und seine rasch anwachsende Familie gut, bis er 1870 die Belagerung von Paris mitzumachen hatte. Dort hat er sich den Rheumatismus zugezogen, der ihn nach der Heimkehr sehr bald zu schwerer Arbeit unfähig machte, und da durch schwindelhafte Ueberproduction die Ziegelfabrikation zum Stillstand kam, so wurde der Unglückliche, mit sechs Kindern Gesegnete brodlos. Eine Stellung des Mannes als Fabrikaufseher, Hausdiener oder dergl. könnte die Armen retten.

5) Eisernes Kreuz und bittere Noth. Ein sächsischer Artillerist, welcher vom 1. Januar 1866 an fünfundeinhalb Jahr im activen Dienst gestanden, die Feldzüge in Oesterreich und Frankreich mitgemacht, in letzterem in den drei Schlachten von St. Privat, Sedan und Beaumont, in den Gefechten von Verdun und Nouart und in der Belagerung von Paris mitgekämpft und für seine Tapferkeit das Eiserne Kreuz zweiter Classe erhalten, wurde nach dem Feldzuge von einem so schweren Brustleiden ergriffen, daß er sein Schuhmacherhandwerk nicht weiter betreiben konnte und ihm eine gesetzliche Invalidenpension bewilligt wurde. Er erhält monatlich 15 Mark Pension, 6 Mark Kriegszulage und 6 Mark Anstellungsentschädigung, zusammen 27 Mark. Wie dankbar der Mann dafür auch ist, so ist es doch nicht seine Schuld, daß er, seine Frau und drei Kinder von dieser Einnahme nur kümmerlich leben können und eine Sorgfalt für seine Gesundheit dabei nicht möglich ist. Da aber selbst diese Einnahme mit Ende October 1881 aufhört, so bittet er dringend um eine leichte Beschäftigung im Wald oder sonst in freier gesunder Luft, um sich seiner Familie wenigstens noch einige Jahre erhalten zu können.

6) Landwirth und ledig. Ein dreiunddreißigjähriger, unverheiratheter Mann, dem am 6. August bei bei Wörth der rechte Unterschenkel zerschmettert worden war und der nach der Heilung mehrmals versuchte, als Verwalter zu dienen, aber wegen der Schwäche, welche die schwere Verwundung ihm zurückgelassen, diese Thätigkeit wieder einstellen mußte, wünscht jetzt, wo sein Zustand ein ziemlich kräftiger geworden, sich in seinem Berufe nützlich zu machen. Er bezieht zwar eine Invalidenpension von monatlich zwölf Thalern, würde aber einer Stellung als Landwirth, Verwalter, Aufseher oder Haushofmeister den Vorzug geben.

7) Ein Veteran der Feldzüge von 1866 und 1870 auf 1871; aus letzterem brachte er hartnäckigen Rheumatismus in beiden Armen heim, der ihm allerdings „saure Arbeit“ unmöglich macht, dagegen ihm gestattet, noch als Feldaufseher, Portier etc. zu dienen.

8) Einer von den Kämpfern vor Belfort im tiefsten Elend. Seines Zeichens ein Bergmann, zog er 1870 nach Frankreich mit und nahm an den Kämpfen bei Metz und 1871 an der dreitägigen Schlacht bei Belfort gegen Bourbaki Theil. Die furchtbaren Strapazen dieses Heldenkampfes an der Lisaine, der damals Deutschlands Rettung vor französischer Verwüstung war, sollte, wie vielen Anderen, auch diesem Manne verderblich werden, der kerngesund ausmarschirt war. Scheinbar kam er auch gesund heim, er stieg wieder in den Schacht, um sich freizuarbeiten von den Schulden, die seine Familie während des Krieges hatte machen müssen. Aber bald brach der bei Belfort gelegte Krankheitskeim in schweren Gichtleiden aus. Da auch er die rechte Meldungsfrist zur Invalidenpension versäumt hatte, so suchte er durch Schuhflicken die Seinen zu ernähren. Endlich ging auch das nicht mehr. Mit gichtgekrümmten Händen und Füßen ist der in der treuesten Ausübung seiner Pflicht für das Vaterland in solches Elend Gesunkene auf das Öffentliche Mitleid angewiesen. Ein Gensd'arm, welcher in hohem Auftrag ihn aufsuchte, ward beim Anblick des Mannes und seiner Familie so ergriffen, daß er aus der eigenen Tasche zwei Mark auf den Tisch legte. Und das ist Einer von Belfort!

9) Ein Jäger von St. Privat. Am 18. August 1870 wurde beim Sturm auf St. Privat ein Trompeter der sächsischen Jäger durch den rechten Oberschenkel geschossen. Nach achtmonatlichem Lazarethlager als Invalid entlassen, erhielt er eine Pension von monatlich einundzwanzig Mark gewährt. Da er damit auch Weib und Kind ernähren muß, so reicht es nicht zu, und so bittet er, da in Folge seiner Wunde und der Feldzugsstrapazen er das Musiciren lassen muß, ebenfalls um eine Stelle als Aufseher in einer Fabrik, als Hausmeister oder Aehnliches.

Wir wiederholen, daß wir die Namen dieser neun Invaliden auf Anfrage und nur brieflich mittheilen. [576] Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängniß. Zweite Folge. Im ganzen deutschen Reiche wird es wenige Orte geben, in welchen nicht die diesjährige, zehnte Feier des Sedanfestes mit Begeisterung begangen werden und zumeist, was das „Gelingen“ betrifft, „nichts zu wünschen übrig lassen“ wird; denn im Festefeiern sind wir ja stark. Wird man es uns verargen, wenn wir, um die Freude des Tages durch eine ernste Zugabe zu heben, gerade diesen Augenblick wählen, um einmal wieder an unsere armen, verlassenen Kriegs-Invaliden zu erinnern?

Das Sedanfest hat eine doppelte Bedeutung: wir feiern mit ihm den Sieg über Frankreich und die Wiedergeburt des deutschen Reiches. Sind zur Theilnahme an letzterem alle Deutschen verpflichtet, so wären doch wohl zur Mitfeier des Siegesfestes als solchen vor Allem alle Miterkämpfer jenes Sieges berufen. Vom kleinsten Orte bis zur größten Stadt sollte es keine Ausnahme von der Dankes- und Ehren-Verpflichtung geben, an diesem Tage Alle zur Mitfeier zu laden, welche in dem großen Kriege mitgekämpft haben. Wollen wir aber uns an die bis jetzt gefeierten Sedanfeste erinnern, so wird uns die Wahrheit beschämen, daß die Zahl Derjenigen, welche, mit dem Feldzeichen, ja mit dem Eisernen Kreuz auf der Brust, dem Festjubel zusehen mußten, weil sie zur Mitfeier zu arm waren, leider an vielen besonders größeren Orten, keine geringe war.

Wäre dies nicht traurige Thatsache, wie könnte es möglich sein, daß heute, nach zehn Jahren, die Noth so vieler Mitkämpfer und ganz besonders so vieler Invaliden jenes Krieges noch so groß ist? Es vergeht keine Woche, wo nicht der Redaction der „Gartenlaube“ die oft bittersten, von Obrigkeiten, Pfarrämtern und Aerzten als berechtigt anerkannten Klagen armer Invaliden zugehen, für die wir keine andere Hülfe, als die öffentliche Bitte haben.

Möchten doch alle Veranstalter und Theilnehmer an dem diesmaligen Sedanfeste sich der Pflicht der Dankbarkeit gegen die durch jenen Krieg um Gesundheit und Lebensglück gekommenen Mitkämpfer erinnern! Wenn sie sich bemühen, diese Männer aufzuspüren und ihnen die Theilnahme an dem Feste zu ermöglichen, so werden sie sich auch überzeugen, wo und wie sehr noch, aber auch wie leicht oft ihnen zu helfen ist. Die meisten der armen Invaliden suchen Arbeit, suchen eine Stelle, freilich in bedingter Wahl, wie sie die Rücksicht auf ihren körperlichen Zustand umgrenzt. Auch solche geeignete Stellen werden sich leichter finden, wenn man die Männer selbst kennen wird. Gewiß würde dann nicht so manche Familie durch die Noth aus einander gerissen – weil der Mann für das Vaterland seine Pflicht erfüllt hat.

Wir waren im Stande, an die Neun, für welche wir jüngst in Nr. 20 der „Gartenlaube“ gebeten, die Summe von 708 Mark als für sie uns zugekommene Gabe zu verteilen. Dagegen sind die Bitten um „Stellungen“ von wenig Erfolg gewesen. In der Hoffnung auf die herzerwärmende Wirkung des Sedanfestes legen wir eine neue Folge solcher Bitten dem deutschen Volke an’s Herz.

10) Ein Opfer der Belagerung von Paris. Mit dem Anhaltischen Infanterie-Regiment zog ein kerngesunder Reservist, Schuhmacher seines Gewerbes, 1870 nach Frankreich, focht vor Toul, bei Beaumont und Sedan und vor Paris (bei St. Denis), dann bei Orleans und Le Mans, von wo er abermals vor Paris kam. Hier packte ihn, noch im Januar 1871, zum ersten Male die Gicht so stark, daß er im März nach dem Wiesbadener Lazareth und von da in das Dessauer Reservelazareth geschafft werden mußte. Seine kräftige Natur schien über die Krankheit Herr geworden zu sein, und so heiratete er 1873 und betrieb sein Handwerk mit Glück. Erst 1875 brach das Leiden wieder aus, aber so heftig, daß er zwei Jahre lang arbeitsunfähig blieb und mit Frau und zwei Kindern total verarmte. Sein Handwerk kann er nun nicht mehr – eine Wächterstelle, die ihn oft von Nachmittags vier Uhr bis Morgens sechs Uhr auch im Winter an den Dienst im Freien fesselte, und durch deren Annahme er die ihm gewährte Pension der „Kaiser Wilhelm-Stiftung“ wieder verlor, drohte die Krankheit auf’s Neue hervorzurufen. Der Mann, der sich durch angenehmes Aeußere, Biederkeit und Solidität auszeichnet, könnte seiner Familie recht gut noch lange erhalten werden, wenn man ihn mit einer Stelle beglücken wollte, die ihm Bewegung im Freien und doch Schutz vor Ueberanstrengung und Erkältung böte. Man denkt bei Besetzung solcher Posten nur gar zu wenig an unsere Invaliden.

11) Durch den Krieg bis vor das Armenhaus gebracht. Ein baierischer Infanterist (vom 14. Regiment) zog als Sohn einer ziemlich wohlhabenden Bauernfamilie 1870 mit aus. Er war der Aelteste von noch neun meist unmündigen Geschwistern. Während des Feldzugs richteten Feuersbrunst, Hagelschlag sowie Krankheiten der überangestrengten Elten die Familie zu Grunde – und 1871 kehrte der Sohn, der die letzte Hoffnung und einzige Stütze des Hauses war, als ein Ganz-Invalide aus dem Kriege zurück und brachte nichts als – den Typhus mit in das Haus. Nun bezieht der junge Ganz-Invalide allerdings einundzwanzig Mark Pension – gewiß recht dankenswerth unter den nun einmal bestehenden deutschen Pensionsverhältnissen – aber die Rechnung bleibt dieselbe: daß dies für den Tag 70 Pfennig ausmacht, wenn der Monat nicht unglücklicherweise 31 Tage hat. Ein total Arbeitsunfähiger kann dabei nur das armseligste Leben fristen – und was wird aus der nicht durch seine Schuld, sondern durch sein Schicksal hülflosen Familie? Sie steht mit ihm – vor dem Armenhaus. Hilft Niemand?

12) Mit schwerem Brustleiden heimgekehrt, jetzt 35 Jahre alt und ebenfalls Pensionär von 21 Mark. Heimathbehörde und Arzt bezeugen dem Manne, daß eine Badecur ihm Linderung bringen kann – aber woher die Mittel nehmen? Er war ein geschickter Goldarbeiter; unser großer siegreicher Krieg hat ihn arm und elend gemacht.

13) Um ein Auge ärmer geworden. Für diesen Tapfern, der durch seine Verwundung bei Champigny, wo er als Artillerist im Feuer stand, das rechte Auge verloren, bittet sein eigener Bezirksfeldwebel nun eine Anstellung, welche ihm eine Beschäftigung gewährt, die er mit dem einen Auge ausführen kann, ohne es durch Erkältung ebenfalls zu gefährden, eine Stellung etwa als Fabrikaufseher. Der Mann hat Realschulbildung, kann also auch für schriftliche Arbeiten verwendet werden.

14) Auch Einer von Belfort, für den seine unglückliche Frau bittet. Kaufmann und jetzt zweiunddreißig Jahre alt, hat er sein kostbarstes Gut, seine Gesundheit, dem Vaterlande zum Opfer gebracht. Wie so viele unserer Bravsten, die in dem furchtbaren Winterfeldzuge und in der dreitägigen deutschen Thermopylen-Schlacht an der Lisaine Süddeutschland vor den Schaaren Bourbaki’s gerettet, hat auch er sich dort den Keim zu den heftigsten Rheumatismusleiden geholt. Gute Stellungen, ein eigenes Geschäft, das ersparte Vermögen – Alles fraß die Krankheit, und jetzt, wo die Anfälle ihm Ruhe lassen, seine Gesundheit hergestellt scheint, sind alle seine Bemühungen um eine Erwerbsstellung, bei Privaten und Behörden, vergeblich. Mit Lohnschreiberei muß der Arme sein und seiner Familie Leben zu fristen suchen. Und das ist auch Einer von Belfort – welches „Sedanfest“ wird er zu feiern haben?

15) Ein Mann mit Frau und drei Kindern. Bei Wörth durch einen Schuß in das linke Fußgelenk als „temporär ganz erwerbsunfähig“ Ganz-Invalide geworden, erhielt der Mann eine Pension von vierundfünfzig Mark. Da derselbe bei der zweiten „Superrevision“ nicht mehr an zwei Krücken, sondern an Stöcken gehen konnte, so wurde seine Pension um achtzehn Mark herabgemindert. Er bittet nun dringend, da er Weib und Kinder mit sechsunddreißig Mark monatlich unmöglich ernähren kann, um eine Stellung – „bei der er nicht viel zu gehen braucht“.

16) Der Letzte von Dreien. Im Westfälischer lebt ein greiser, fast erblindeter ehemaliger Bergarbeiter, welcher vor 1866 drei rüstige Söhne hatte. Der älteste war verheirathet und erfreute sich eines Kindes. Da bricht der Krieg von 1866 aus – der älteste und der zweite Sohn ziehen mit, und der erstere stirbt während des Feldzuges an der Cholera. Zurückgekehrt, heiratet der Zweite, um die nachgelassene Familie des Bruders zu versorgen, dessen Wittwe. Der Feldzug von 1870 ruft ihn mit dem jüngsten Bruder zusammen in’s Feld – er bleibt in einer Schlacht, und nun heiratet der anscheinend wohlbehalten zurückgekehrte dritte Bruder die zum zweiten Mal Verwittwete, deren Kinderzahl jetzt auf drei angewachsen ist. Da stellt sich bei dem Manne Krankheit als Folge der Kriegsstrapazen ein, und er ist unfähig, die Familie zu ernähren, welcher nun der alte, halb blinde Vater kärglich mit dem aushilft, was er mühsam genug durch Steineklopfen erwirbt – wahrlich, eine Familientragödie, wie sie so erschütternd die letzten Kriege nicht viele im Gefolge gehabt haben dürften.

17) Mit der Neigung zu Podagra-Anfällen aus dem letzten Kriege heimgekehrt, welche ihn zuweilen auf Monate für seinen Beruf untauglich machen, bittet ein Geometer um dauernde Verwendung. Er hat das Gymnasium absolvirt, auch kurze Zeit Chemie studirt. Nun liegt er seiner Mutter zur Last, nachdem er, auf Pensionirung untersucht, momentan gesund befunden und deshalb von der Unterstützung ausgeschlossen worden ist. [643] Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängnis. (Schluß der „Zweiten Folge“.)

18) Tapezier und Pionnier gewesen. Wieder Einer von den nicht Wenigen, welche, trotz ihrer braven Dienste, ihrer Verwundung im Kriege und bittern Noth in Folge des Kriegsdienstes, von der Pensionswohlthat ausgeschlossen sind, weil sie die Meldungsfrist versäumt haben. Der Mann, dem 4. Magdeburgischen Pionnier-Bataillon angehörig, wurde am 26. August am linken Oberschenkel verwundet, kehrte aber nach fünfwöchentlichem Lazarethlager zu seiner Truppe zurück, die eben vor Paris lag. Dort platzte ihm durch Ueberanstrengung die Muskelhaut am rechten Kniegelenk; trotzdem wohnte er, auf den Ausspruch des Arztes hin, mit in Binden gewickeltem Beine dem Feldzug ohne Unterbrechung bis zu Ende bei, kam aber mit einer zwei Faust dicken Geschwulst am Kniegelenk nach Hause. Im Vertrauen auf seine sonstige Gesundheit ging er wieder an sein Geschäft. Das Beinübel verschlimmerte sich jedoch und machte ihn endlich ganz arbeitsunfähig. Seine Bitte an das betreffende Bezirkscommando kam, wie bereits gesagt, zu spät; er erhielt, als gänzlich unbrauchbar im Dienst, seinen Abschied. All sein Hab und Gut fraßen die Cur und die Nothdurft, und das Letzte wurde ihm abgepfändet. Zu dem Muskelbruch, aus welchem sich nun Knochenstücke absonderten, kamen noch Brustleiden und rheumatische Schmerzen. Und in diesem Zustande soll der Mann sich, seine Frau und drei Kinder mit Arbeit ernähren! Nur die wohlthätige Fürsorge eines edlen Porcellanfabrikherrn in Moabit rettete bis jetzt die Familie vor dem Untergange. Hier thut Hülfe dringend noth. Wenn dem Mann zu seiner Genesung [644] verholfen und dann eine Stelle als Verwalter oder Portier herrschaftlicher Häuser verschafft würde, wobei er sich als geschickter Tapezier sehr nützlich machen würde, so könnte auch er sich den Seinen wohl noch lange erhalten.

19) Eine verlassene Krieger-Wittwe. Vor uns liegt das pfarramtlich beglaubigte Bittgesuch der Wittwe eines Kriegs-Invaliden, welcher in Frankreich verwundet worden und an den Nachwehen der erhaltenen Wunden gestorben ist. Die beklagenswerthe Frau, der man die Pension von fünfzehn Mark monatlich seitdem entzogen hat, heißt: Kunigunde Schlichter; dieselbe wohnt mit ihren vier Kindern in bitterster Noth zu Schoppershof bei Nürnberg und verdient, nach dem erwähnten Zeugniß, die Unterstützung wohlthätiger Vaterlandsfreunde. – – In Nordamerika bezieht bekanntlich jedes Kind eines im Kriege gefallenen Kämpfers Pension bis zu bestimmtem Alter!

20) Ein invalider Zimmermann. Bei Beaumont in die linke Hüfte verwundet, konnte der Mann in seinem Handwerk nicht wieder arbeiten; er erhält 21 Mark Pension und besitzt auch den Civilversorgungsschein, aber ohne einen Dienst erlangen zu können. Eine schwere Herzkrankheit seiner Frau stört ihn im sonstigen Erwerb. Giebt es keine Stellung für den Mann, der eine gute Handschrift schreibt und die Prüfung für das Steuer- und Postfach bestanden hat?

21) Ein preußischer Musketier in Gohlis bei Leipzig. In der 4. Compagnie des 1. Magdeburger Infanterie-Regiments Nr. 26 dienend, wurde er vor Toul von der Gicht befallen. Der kräftige Mann glaubte, durch das Marschiren von der Krankheit wieder befreit zu sein, doch brach dieselbe während der Belagerung von Paris von Neuem aus. Auch er versäumte die Anmeldungsfrist zum Pensionsgenuß und muß sich nun recht schwer durch das Leben helfen.

22) Da heutzutage Niemand sich der Einsicht verschließt, daß ohne das Jahr 1866 und seine militärischen Umwandelungen und Bündnisse in Deutschland unser Sieg von 1870 schwerlich so glänzend ausgefallen wäre, so wird auch ein Invalid von jenem ersten Wendejahre im deutschen Schicksal noch Berücksichtigung verdienen. Ein Mann des zweiten preußischen Garderegiments wurde bei der Erstürmung einer Batterie in der Schlacht bei Königgrätz im rechten Handgelenk verwundet und erwarb sich, da er trotz der Verwundung im Gefecht bis zu Ende aushielt, das Militärehrenzeichen. Die Verwundung hatte jedoch spätere Folgen, sodaß er im October 1869 als dauernd unbrauchbar vom Landwehr-Commando entlassen wurde. Nach vollendeter Heilung suchte er in seinem Berufe als Landwirth mit Realschulbildung wieder für sich und seine Familie (zwei Kinder) thätig zu sein, mußte aber so schwere Schicksalsschläge erleben, daß er jetzt mit der Noth um das tägliche Brod zu ringen hat. Für den gesunden Mann sollte es doch wohl eine landwirtschaftliche Stellung geben.

So haben wir denn zur diesjährigen Feier und Nachfeier des Sedanfestes (in Nr. 20, Nr. 35 und in dieser Nummer unseres Blattes) den deutschen Vaterlandsfreunden zweiundzwanzig arme hülfsbedürftige Mitkämpfer in harter Bedrängniß vorgeführt. Möge das Fest der zehnten Wiederkehr des Sedantages, nachwirkend, ihnen den Segen eines späten patriotischen Dankes bringen!