Textdaten
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Autor: Julius von Wickede
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Titel: Kriegsbilder aus der Krim
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1–3; 10–12, S. 5–7; 27–28; 41–44; 133–135; 147–149; 160–162
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[5]
Kriegsbilder aus der Krim.
Aus dem Tagebuche eines französischen Kavallerie-Kapitains, mitgetheilt
von Julius von Wickede.

Chasseurs d’Afrique auf Vorposten.

So ein tüchtiges Reitergefecht, wo es Mann gegen Mann geht, die Trompeten schmettern, die Säbel klirren, die muthigen Rosse wiehern, einzelne Pistolenschüsse dazwischen knallen, ist doch für den Soldaten ein schöner Augenblick, und je häufiger man Gelegenheit hatte, selbst ein Kämpfer in einem solchen zu sein, desto mehr steigert sich die Lust daran. Auf Algeriens Boden hatten wir uns unzählige Mal mit Kabylen und Hajuten, den braunen Wüstensöhnen des marokkanischen Reiches, herumhauen müssen, hier in diesem Feldzuge gegen die Russen war uns aber bisher noch keine rechte Gelegenheit dazu geworden. Was fluchten und wetterten da Manche der alten, langgedienten Reiter meiner Escadron und meinten, es sei eine Schande, daß sie ihre Säbel mit so besonderer Sorgfalt scharf geschliffen hätten, ohne daß ihnen nur noch eine Gelegenheit geworden, einen einzigen tüchtigen Hieb damit zu thun. Mit jubelnder [6] Freude ward daher der Befehl begrüßt, daß wir uns nach der Krim einschiffen sollten, denn dort mußten wir sicher mit russischer Kavallerie zusammenkommen, und konnten derselben zeigen, daß wir Chasseurs d’Afrique unser Soldatenhandwerk gut verständen, und dem alten Rufe der französischen Tapferkeit keine Schande machten.

Eine englische Fregatte nahm uns in Varna, diesem verdammten Nest, auf, um uns mit sammt unseren Rossen nach der Krim zu bringen. Die Einschiffung von 140 maurischen Hengsten, unter denen viele böse Pferde waren, die so von dem Transport aus Algerien her eine große Abneigung gegen Alles, was einem Schiffe nur ähnlich sieht, zeigten, dazu noch bei ziemlich stürmischem Wetter und hochgehender See, ist keine kleine Arbeit. Meine Chasseurs zeigten aber einen solchen Eifer, und die englischen Matrosen, die dabei helfen mußten, eine so große Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit, daß die ganze Einschiffung von Statten ging, ohne daß ein einziges Pferd uns dabei verunglückte. Den besonders bösen Hengsten wurden die Augen mit einer Kappe verhüllt, Maulkörbe, die von Stricken geflochten waren, angelegt, daß sie nicht beißen konnten, ein[WS 1] Hinterfuß kreuzweis durch einen starken Riemen mit dem einen Vorderfuß gefesselt und so das Thier in das Boot, was uns an die Fregatte hinanruderte, geschoben. Einzelne kleine Unfälle kamen hierbei freilich vor, und an Biß- und Quetschwunden und blauen Flecken, welche manche Reiter erhielten, war kein Mangel, sonst aber ging Alles ohne Unfall von Statten. Auf der Fregatte selbst war ein Hebezug an der einen Rae angebracht, von dem ein Seil bis in das Boot hinunter ging. Dem Pferde wurden nun zwei starke breite Gurte um den Leib gelegt, eine Winde auf dem Verdeck des Schiffes von einem Dutzend rüstiger Matrosen gedreht, und im Nu schwebte das Pferd hoch oben in der Luft und wurde auf diese Weise, ohne daß es den mindesten Widerstand leisten konnte, in den Raum des Fahrzeuges hinuntergelassen. Hier waren Ställe gezimmert worden, der Boden mit fußhohen weichen Sand belegt, und so konnten es denn unsere Rosse schon einige Tage aushalten. Angreifen thut übrigens jede Seereise die Pferde ungemein, viel mehr, als wenn man sie noch so sehr am Lande gebraucht.

Welche tüchtige Seeleute die Engländer übrigens sind, und wie groß die Ordnung und strenge Disciplin am Bord ihrer Schiffe ist, konnten wir so recht bei Gelegenheit dieser Ein- und Ausschiffung unserer Pferde und während der vier Tage, die wir bei der Ueberfahrt von Varna nach Balaklava am Bord der Fregatte zubrachten, bemerken. Bei Gott, es war wirklich eine wahre Freude, mit anzusehen, wie fleißig und ausdauernd diese braven Burschen in ihren rothwollenen Hemden arbeiteten und besonders auch, welche große Liebe für die Pferde sie an den Tag legten. Dabei war eine auffallende Ruhe und Ordnung auf der ganzen Fregatte und es wurde nicht der zehnte Theil so viel hin und her gerufen, und die Mannschaft sprang lange nicht so oft in und aus dem Takelwerk, wie auf dem großen französischen Handelsschiff, was uns aus Algier bis nach Varna gebracht hatte. Merkwürdig gut vertrugen sich unsere Chasseurs mit den englischen Matrosen, und es herrschte eine so warme Freundschaft zwischen denselben, wie ich solche in Algier zwischen dem Soldaten unseres Landheeres und den Matrosen der Flotte niemals gefunden habe. Zwar war die gegenseitige Conversation nur sehr mangelhaft, da unsere Leute kein Englisch, die Engländer aber wieder kein Französisch sprechen konnten, und beschränkte sich auf einige Phrasen, unter denen das „à votre santé, bon camerade“ die häufigste war; aber dies that der warmen Freundschaft sonst weiter keinen Abbruch.

Arm in Arm wanderten Chasseurs und Matrosen häufig umher, und wer nur noch einen Tropfen Rum oder Wein in seiner Feldflasche hatte, der theilte denselben gewiß mit seinem neuen Freunde. Auch jetzt hier in dem Lager vor Sebastopol hat diese auffallend gute Kameradschaftlichkeit zwischen den englischen Matrosen und unseren Chasseurs d’Afrique noch keinen Abbruch erlitten. Erstere, die hier mehrere Batterien bedienen, besuchen uns häufig in unseren Zeltlagern, und haben besonders ihre Freude an den maurischen Hengsten unserer Leute.

Da unsere Hengste mit ihren Reitern ja fast beständig in Algerien zusammen bivouakiren, und maurische Rosse, wenn man sie nur einigermaßen gut behandelt, gewöhnlich eine große Gelehrigkeit und dabei Anhänglichkeit an ihre Reiter zeigen, so können von denselben Viele Kuststücke machen, wie man solche sonst nur im Circus der Kunstreiter sieht. Dies gewährt nun den englischen Matrosen das größte Vergnügen, wenn sie solche Kunststücke abgerichteter Hengste mit ansehen können. Oft ein paar Dutzend dieser stämmigen Burschen mit ihren breiten, von Sturm und Wetter gerötheten Gesichtern, eine Pelzkappe auf dem krausen blonden Haar, die Hände in die weiten Taschen ihrer plumpgeformten blauen Friesjacken, eine kleine, schwarzgerauchte Pfeife im Munde, stehen gaffend und staunend umher, und machen ihrer Freude in brüllendem Gelächter oder lautem, stürmischem Jubelruf Luft, wenn irgend so ein gelehriger Hengst frei herum galoppirt, auf Commando seines langjährigen Reiters Sachen apportirt, sich todt stellt und plötzlich wieder aufspringt, und was dergleichen müßige Spielereien mehr sind. Kommen aber Chasseurs von uns in die englischen Batterien, die von den Matrosen bedient werden, so drängen sich ihnen von allen Seiten neue Freunde, ihre Rumflaschen in der Hand, entgegen, und es wird ihnen so viel und so herzlich zugetrunken, daß sie nur zu oft in stark schwankenden Schritten diese Orte der unbegrenzten Gastfreundschaft wieder verlassen konnten.

Auf der englischen Fregatte selbst, auf welcher wir die Ueberfahrt machten, waren wir fünf Offiziere meiner Escadron zu Mittag stets die Gäste des commandirenden Kapitains, eines noch ziemlich jungen und dabei sehr liebenswürdigen Mannes. Die Tafel war stets mit dem größten Glanze servirt, das Tischzeug feinster Damast, die Bestecke schweres Silber, und auch die fünf bis sechs Gänge, die des Kapitains Koch bereitet hatte, ließen nichts zu wünschen übrig. Als Wein wurde vortrefflicher Bordeaux, dann Portwein und zuletzt Champagner servirt, und sprachen wir der Flasche ziemlich stark zu, so daß unsere Diners häufig von vier Uhr Nachmittags bis acht Uhr Abends währten. Was soll man auf einem Schiffe als bloßer Passagier auch wohl anders beginnen, als möglichst viel schlafen und dann recht lange bei Tische sitzen. Trotz dieser sehr guten Bewirthung, die wir Alle hatten, denn auch unsere Leute, die während der Ueberfahrt auf Kosten der englischen Regierung verpflegt wurden, hatten das beste Rindfleisch, Reis, Brot und Kaffee vollauf, waren wir Alle sehr erfreut, als wir in dem Hafen von Balaklava die Anker warfen.

Ungleich geschwinder wie das Einschiffen ging das Ausschiffen unserer Pferde von Statten, und besonders auch unsere Soldaten, die gar nicht erwarten konnten, den Boden der Krim zu betreten, beeilten sich dabei auf eine Weise, wie ich solche nie vorher gesehen habe. Die Pferde wurden einfach in das Meer hineingelassen, und mußten dann einige 50 bis 60 Schritte schwimmen, bis sie an das Ufer kamen, was auch ohne die mindesten Unfälle geschah. Wie neubelebt waren aber die Pferde, als ihre Hufe nun erst den festen Boden berühren konnten, tanzten muthig umher, und bliesen schnaubend die Nüstern auf, gleich als wollten sie die milde und sonnige und dabei doch so frische und belebende Oktoberluft der Krim in vollen Zügen einathmen, Und auch meine Chasseurs waren so munter und ausgelassen und sangen und jubelten, daß es für einen Offizier eine wahre Freude war, sich unter so kriegsmuthigen Leuten zu befinden. So wie ein Boot das Land berührte, und die Dreinsitzenden heraussprangen, thaten sie dies gewiß nicht, ohne in den lauten Jubelruf: „vive l’empereur“ auszubrechen, dem häufig dann noch ein nicht minder begeistertes: „en avant pour la gloire et l’honneur de la France“ folgte. Am Ufer aber wimmelte es von mannigfachen Zuschauern, die neugierig dem Schauspiel unserer Ausschiffung zusahen, und laut ihre Freude über unsere zierlichen und muthigen und dabei wieder so frommen und gelehrigen afrikanischen Hengste äußerten. Französische Soldaten aller möglichen Waffengattungen, untermischt mit englischen Infanteristen, Kavalleristen und Artilleristen bildeten den Haupttheil der Zuschauer; dann aber auch zahlreiche Matrosen der vielen englischen und französischen Kriegs- und Handelsschiffe, und Gott weiß, was für Leute noch sonst alle sich hier zusammengefunden haben mochten. Die Franzosen begrüßten uns mit einem lauten „vivent les braves chasseurs d’Afrique“ und bezeugten uns auch sonst ihre große Freude, daß wir endlich angekommen waren, da an Reiterei bisher ein großer Mangel beim Heere war, und auch die Engländer jubelten und riefen ein Hurrah über das andere. Besonders unsere Pferde schienen den Engländern sehr zu gefallen, und sie standen stets in dichten Kreisen darum herum, streichelten sie, gaben ihnen Brot zu fressen und gar häufig konnte man ein „very good, very good“ von denselben hören. Als mein [7] „Ali“, ein prächtiger Rapphengst, obgleich schon über 12 Jahre alt, den ich einst von einem Beduinen aus der berittenen Leibwache Ab-del-Kader’s gekauft hatte, an das Land gebracht war, und das schöne edle Thier an der Hand seines Führers herumtanzte, und den Schweif fast gerade in der Luft trug, kam ein Offizier der englischen Husaren zu mir, und bot auf der Stelle 200 Napoleonsd’ors, wenn ich ihm den Hengst überlassen wollte, was ich aber lachend abschlug, da er mir für keinen Preis feil sein wird.

Auf so heitere und belebte Weise betraten wir zuerst den Boden der Krim unweit Balaklava, und konnten diese Landung zugleich als ein gutes Vorzeichen der weiteren günstigen Ereignisse, die uns dort noch begegnen würden, ansehen. Da in der engen und von Menschen aller Art überfüllten Stadt kein Unterkommen für uns war, so marschirten wir sogleich aus derselben fort und schlugen ungefähr 1/4 Meile davon unser erstes Bivouak auf. Es war ein sehr lustiges Bivouak, was mir stets unvergeßlich bleiben wird, und wenn nur alle ferneren Bivouaks, die wir noch in der Krim verbringen sollten, diesem ersten gleichen, könnten wir schon zufrieden sein, Aber – es sollte bald ein ganz gewaltiger Unterschied kommen! An Lebensmitteln und guten Getränken, die wir zuletzt noch am Bord der Fregatte mit echt englischer Freigebigkeit auf zwei Tage erhielten, war kein Mangel, und ebenso hatte der gefällige Kapitain derselben, der überhaupt nichts wie Güte und Freundlichkeit für uns war, unseren Leuten gestattet, sich einen kleinen Vorrath an Kohlen vom Schiffe mit fortzunehmen, sobald er erfahren, daß wir gleich ein Bivouak beziehen sollten. Um übrigens diesem englischen Fregattenkapitain wieder einen kleinen Beweis unserer Freundschaft zu geben, so hatten wir Offiziere der Escadron später einen echten Damascener-Säbel aus Constantinopel kommen lassen und hatten ihm denselben überreicht.

Die erste Nacht, in der wir bivouakirten, war prächtig, sternenklar und dabei von einer Milde, die ganz an das Klima von Algerien im Herbste erinnern konnte. Um ihre kleinen Kohlenfeuer, auf welche sie bisweilen dürres Gras oder Reisig, die sie sich zusammengesucht hatten, warfen, daß die Flammen hoch in die dunkle Nacht hineinloderten, hatten sich die Chasseurs gelagert und brieten das gute englische Fleisch, was sie erhalten, an den Ladstöcken ihrer Karabiners und machten aus dem Rum einen so starken Punsch, wie er in Algier zu den Seltenheiten gehörte, und ließen dabei jene alten vielgeliebten Soldaten- und Lagerlieder in mehr lauten wie gerade harmonischen Chören in die Nacht hineinschallen. Um uns herum standen unsere treuen Rosse und wieherten vor Freude, daß sie wieder auf dem weichen Erdboden und nicht mehr im engen Schiffsraume standen, und wälzten sich oft mit sichtlichem Behagen auf dem Rasenboden umher, was sie im Schiff, wo sie so eng an einander standen, daß sie sich nicht legen konnten, hatten entbehren müssen. Wir Offiziere, die wir mehrere Besuche von uns näher befreundeten Kameraden anderer Regimenter unserer Armee erhalten hatten, lagerten um ein besonders großes Wachtfeuer. Pierré, mein gewandter Kammerdiener und Koch in einer Person, hatte uns mit seiner unvergleichlichen Feldkochkunst, die er in einem zehnjährigen Campagneleben in Algerien genugsam erprobt, vortreffliche Hammelfleisch-Cottelets auf dem Roste gebraten, dann aus Reis, Zucker und einem Glase eingemachter Himbeeren eine Mehlspeise bereitet, und war später eifrig beschäftigt, einen großen Feldkessel voll sogenannten schwedischen Punsch, dessen Recept der schlaue Bursche sich von dem Koche des englischen Fregattenkapitains zu verschaffen gewußt hatte, mit der großen Geschicklichkeit, die er in allen solchen schätzenswerthen Dingen besaß, in beständiger angenehmer Wärme zu erhalten. So ein guter schwedischer Punsch, wenn die Ingredienzien dazu echt sind, ist das vortrefflichste Getränk, was man in einer kühlen Nacht auf dem Bivouak nur genießen kann, und die Bereitung desselben ist nicht die schlechteste Frucht, welche unser jetziges inniges Bündniß mit den Engländern uns gebracht hat. Ebenso lustig und durch und durch kriegsmuthig wie unsere Leute, wenn auch wohl nicht stets auf so geräuschvolle Weise, waren wir Offiziere daher auch an unserem Bivouakfeuer und verbrachten die erste Nacht auf krim’schem Boden auf die angenehmste Weise.

Ein merkwürdiger Vorfall, der mir unvergeßlich bleiben wird, ereignete sich übrigens noch in dieser Nacht. In meiner Escadron diente gewiß über zwölf Jahre schon ein kleiner gewandter, rothköpfiger Irländer mit einem unaussprechlichen Namen, daher er auch nur Jean-Jean genannt und zuletzt auch so in allen Listen eingetragen wurde. Dieser Jean-Jean war vor dem Feinde der beste Soldat von der Welt und hatte schon wiederholt in größeren und kleineren Gefechten die glänzendsten Beispiele des größten persönlichen Muthes und dabei einer seltenen Körperkraft und Gewandtheit gezeigt. So geht noch in der Escadron die Erzählung herum, daß er einst im Gefechte zu Pferde einem Kabylen den Kopf mit seinem Säbel so glatt herunter gehauen habe, wie es der geschickteste Scharfrichter nicht besser vermocht. Auch sonst war er im Dienst anstellig und zuverlässig und ein vortrefflicher Pferdewärter, so daß der fuchsrothe Hengst, den er ritt, mit der Treue eines Hundes ihm überall hin folgte. Bei diesen so sehr guten Eigenschaften wäre er schon längst zum Korporal befördert worden, wenn er nicht die üble Gewohnheit gehabt hätte, dem Branntwein bisweilen zu stark zuzusprechen und dann im trunkenen Zustande allerlei Händel anzufangen. Nicht allein hatte er sich dadurch die Ansprüche auf die Galons des Korporals für immer verscherzt, sondern auch wiederholt schon strenge Strafen zugezogen, was aber niemals geholfen hatte, obschon er oft Besserung versprochen.

Als meine Escadron nun den Befehl erhielt, sich in Algier einzuschiffen, lag Jean-Jean gerade ziemlich verletzt im Hospital. Er hatte sich aus Freude bei der Nachricht, daß unsere Escadron mit gegen die Russen marschiren sollte, einen starken Rausch angetrunken, und war in diesem Zustande in den Stall zu den Pferden gegangen, dort seiner Gewohnheit nach die Trunkenheit auszuschlafen. Statt sich aber bei seinem Hengste, der ihn kannte und ihm nichts that, hinzulegen, hatte er sich versehen, war zu einem äußerst bösen Rosse gekommen und von diesem in der Dunkelheit arg zerbissen und zerschlagen worden, so daß er über und über bepflastert im Hospital lag. Obgleich es mir nun verdrießlich war, gerade einen so erprobten Feldsoldaten zurücklassen zu müssen, wollte ich ihn doch in diesem Zustande natürlich nicht mitnehmen, Jean-Jean, der eine gar zähe Natur hatte, und schon einen tüchtigen Puff aushalten konnte, kam aber zu mir gehumpelt, den linken Arm noch in der Binde, die Nase ganz mit einem großen Pflaster bedeckt, und bat so inständig, ihn doch jetzt gleich mitzunehmen, und versprach mit allen möglichen französischen und irländischen Flüchen und Betheuerungen eine so gründliche Besserung, daß ich endlich nachgab und ihn sogleich mit an Bord des Transportschiffes nahm. Hier besserte er sich denn auch von Tage zu Tage mehr, und als wir in Varna an das Land stiegen, war Arm und Fuß so weit wieder hergestellt, daß er vollkommen allen Dienst verrichten konnte. Nur seine Nase blieb von dem Biß des Hengstes für immer breit und gequetscht, was zwar seiner so schon nicht sonderlichen Schönheit großen Abbruch that, sonst aber weiter für den Dienst nicht schadete.

Wir waren jetzt kaum einige Stunden in unserem Bivouak bei Balaklava eingerückt, als ein englischer Husar zu mir kam und mich nach seinem Bruder frug, der in meiner Escadron dienen sollte. Den Jean-Jean mußte der meinen, denn niemals sah ich zwei so große Aehnlichkeiten wie zwischen diesem englischen Husaren und dem Genannten. Ganz die kleine, untersetzte Gestalt, das breite, sommersprossige Gesicht mit den brennendrothen Haaren und dem schlau-behaglichen Ausdruck der kleinen wasserblauen Augen. Wäre dem Jean-Jean seine Nase noch ganz gewesen, ich hätte ohne Weiteres geglaubt, er sei dieser englische Husar, der sich mit solcher Vermummung einen Scherz habe machen wollen.

In demselben Augenblick kam aber auch dieser, der mit seinem Hengste nach einem kleinen Bache gegangen war, denselben dort zu tränken, wieder zurück, und die beiden Zwillingsbrüder, denn solche waren es, die sich seit einem Dutzend Jahren nicht mehr gesehen hatten, begrüßten sich zwar auf sehr herzliche, dabei aber doch ungemein komische Weise. Die Nacht blieb dieser englische Husar, der übrigens auch schon ein langgedienter, und wie es schien, ungemein tüchtiger Soldat war, bei seinem Bruder am Bivouakfeuer sitzen, und das edle Bruderpaar feierte die Freude des Wiedersehens dadurch, daß Beide zusammen sich einen tüchtigen Rausch antranken, so daß die übrigen Chasseurs sie auf ein Strohbund trugen, damit sie denselben dort einträchtig neben einander ausschlafen konnten. In Betracht der mildernden Umstände, unter denen dies geschah, drückte ich für diesmal ein Auge bei diesem Vergehen zu und schenkte dem Jean-Jean die Strafe, die er sonst sicherlich dafür bekommen hätte.

[27] Es mochten nun ungefähr fünf bis sechs Tage nach unserer Landung bei Balaklava vergangen sein, als meine Escadron den Befehl erhielt, eine größere Recognoscir-Patrouille zu unternehmen, bei welcher wir die Wahrscheinlichkeit hatten, mit der russischen Kavallerie, von der wir bisher nur einzelne Vedetten aus der Ferne gesehen, zusammen zu kommen. Es war eine unendliche Freude bei meiner gesammten Mannschaft, als dieser Befehl bekannt wurde, denn zu sehr brannten Alle vor Ungeduld, sich endlich einmal mit der russischen Reiterei messen zu können. Hätte man jedem einzelnen Chasseur zehn Napoleond’ors dafür versprochen, wenn er von dieser Expedition zurückbleiben wollte, ich glaube kaum, daß sich in meiner ganzen Escadron ein Mann gefunden, der dies um solchen Preis gethan.

Wir waren bei dieser Patrouille wohl schon an 11/2 Stunden in das Innere des Landes hineingeritten, und hatten außer einigen Kosaken, die sich bei unserer Annäherung aber stets schnell zurückzogen, noch keinen Feind weiter gesehen, so daß meine Chasseurs nicht wenig mißvergnügt darüber waren, und unzählige Flüche ausstießen. Der Allerungeduldigste war aber Jean-Jean, der seinem Zorn auf eine so komische Weise Luft machte, daß ich wiederholt darüber lachen mußte.

Endlich, als ich schon wieder umkehren lassen wollte, denn meine Recognoscirung wäre fast zu weit ausgedehnt worden, kam eine größere Masse russischer Reiterei langsam auf uns zugeritten. Es waren reguläre Uhlanen, ungefähr wohl in gleicher Stärke, wie wir selbst, dazu noch an vierzig bis funfzig Kosaken. Die Russen schienen die Absicht zu haben, unserm Angriff entgegen zu kommen, und so war denn endlich die so lange ersehnte Aussicht zu einem Gefechte vorhanden. Eine große Freude hatten wir darüber, und ich selbst hatte Mühe, die allzu hitzige Kampflust meiner Leute zu zügeln. Nach und nach hatten wir im langsamen Tempo den Russen uns wohl bis auf 5 bis 600 Schritte genähert, und ich ließ das Signal zum Trabe und bald darauf auch zum Galopp von dem Trompeter blasen. Bei Gott, was war dies für ein schöner Augenblick, als die Trompetentöne so hell und verlockend schmetterten, unsere Säbel blinkten, und meine Leute ein lautes, jubelndes „vive l'empereur!“ den Feinden entgegenriefen! Die russischen Uhlanen gaben sich nun den Anschein, als wollten sie mit eingelegten Lanzen unserer Attaque entgegenkommen; allein plötzlich machten sie vor uns Kehrt, und gingen in vollem Galopp zurück. In demselben Augenblick[WS 2] sah ich aber auch, daß vier russische Geschütze der reitenden Artillerie, die bisher in einer Schlucht verborgen gewesen waren, plötzlich aus derselben hervor und den Uhlanen zur Hülfe angejagt kamen. Jetzt galt es, meine Chasseurs, die in möglichster Eile hinter den russischen Uhlanen dreinjagten, um dieselben noch einzuholen, wieder zurückzuerhalten, da sonst die Feinde ihren Zweck, uns einen Hinterhalt zu legen, vollkommen erreicht hätten. Der Trompeter mußte das Signal zum Appel blasen, was er wirklich ungemein ungern that, und ich ordnete die Glieder wieder zum langsamen Zurückgehen.

Zwei russische Uhlanen, die mit ihren Pferden gestürzt waren, hatten meine Chasseurs bei dieser kurzen Verfolgung gefangengenommen, und dazu noch ein sehr gutes Offizierpferd, welches ohne Reiter auf uns zugelaufen kam, erbeutet. Jean-Jean, auf seinem schnellen Rothfuchs, wie immer mit der Vorderste im Gefechte, hatte den Einen dieser russischen Uhlanen, der sich einen Augenblick noch mit der Lanze gegen ihn vertheidigte, gefangen genommen, und war nicht wenig erfreut darüber, daß er der erste Soldat in unserer ganzen Escadron gewesen, der einen Russen zum Gefangenen gemacht.

In demselben Augenblick, wo der lustige Irländer aber noch hierüber lachte und schwatzte, und seinem Gefangenen, einem mit mehreren Medaillen gezierten Soldaten, gutmüthig seine Branntweinflasche hingereicht hatte, damit dieser durch einen tüchtigen Zug daraus sich über sein Schicksal bestens trösten möge, krachte eine Kartätschensalve, welche die vier feindlichen Kanonen abgefeuert hatten, gegen uns. Die Entfernung der Geschütze war aber noch zu groß, und die Kugeln schlugen gewiß noch an 50 bis 60 Schritte von uns in den Boden. Eine derselben mußte von Ungefähr dort so an einen Stein angeprallt sein, denn sie flog in schiefer Richtung und traf den Jean-Jean so mitten in der Brust, daß derselbe auf der Stelle todt von seinem Fuchs stürzte, und keinen Laut mehr von sich geben konnte. Ich kann nicht leugnen, daß es mir sehr Leid that, gerade meinen lustigen Irländer verlieren zu müssen, so häufig erzürnt ich auch manchmal mit Recht über denselben gewesen war.

Um nun mehr aus dem Bereiche der russischen Geschütze, hinter denen sich die Kosaken und Uhlanen wieder gesammelt hatten, fortzukommen, ging ich mit meiner Escadron im langsamen Trabe zurück. Die Kanonen der Feinde folgten uns in gleichem Tempo, und gaben uns auch später nochmals eine Salve, die aber nicht den mindesten Schaden that. Jetzt waren die Uhlanen auch wieder kühner geworden und rückten uns näher, so daß ich Kehrt machen und dieselben auf kurze Strecke verfolgen ließ. Dem Flanqueurzug meiner Escadron, der mit den schnellsten Pferden beritten war, befahl ich aber, die russischen Uhlanen so weit wie möglich zu verfolgen, und setzte mich selbst an dessen Spitze, während ich meinem ersten Lieutenant die Führung der übrigen Escadron, die langsam zurückging, übergab. Dies Manöver glückte uns endlich und wir holten die acht russischen Uhlanen, die am Schlechtesten beritten waren, ein und bevor ihre Kameraden ihnen noch zur Hülfe gekommen waren, hatten wir sie nach kurzer und schwacher Gegenwehr, wobei nur ein Chasseur leicht durch einen Lanzenstich in der Schulter verwundet war, niedergehauen und vier ihrer Pferde erbeutet. Der übrige Theil der russischen Kavallerie wandte sich jetzt zwar wieder gegen uns Flanqueurs, aber es war uns auf unsern flüchtigen maurischen Hengsten gar leicht, denselben zu entkommen, und den zurückgebliebenen Theil der Escadron zu erreichen.

Da die Russen abermals Kehrt machten, der Abend auch schon allmälig herandämmerte, so gingen auch wir in unser Lager zurück, in welches wir sieben erbeutete Pferde und zwei gefangene Uhlanen mit zurückbrachten. Die Leiche des gefallenen Jean-Jean, welche seine Kameraden auf dem Pferde mitgenommen hatten, begruben wir am andern Morgen mit allen militairischen Ehren, da es ja der erste Soldat war, den unsere Escadron in diesem Feldzuge gegen den Feind verloren hatte.

[28] Als ich einige Tage darauf einem Offizier des englischen Husarenregiments, bei dem der Bruder des Jean-Jean diente, den Tod desselben mittheilte, sagte der mir, daß auch dieser an demselben Tage in einem kleinen Scharmützel, das sie ebenfalls mit den russischen Vorposten gehabt hätten, geblieben sei. Es war doch ein merkwürdiger Zufall, daß diese beiden Zwillingsbrüder hier an ein und demselben Tage in der Krim vor dem Feinde bleiben mußten, der Eine als Chasseur d'Afrique, der Andere als englischer Husar, nachdem sie sich kurz zuvor nach vieljähriger Trennung auf einige Stunden wieder gesehen hatten.

Ein paar Tage nach diesem kleinen Vorpostengefechte zwischen uns und den russischen Uhlanen, hatte unsere Infanterie einen größeren Kampf mit den Russen, dem ich als Volontair mit beiwohnte, zu bestehen. Bei Gott, es war eine wahre Freude, einige Kompagnien von unseren Zuaven bei dieser Gelegenheit zu sehen, und ich beneidete förmlich ihre Offiziere, daß sie solche tapfere Burschen in das Feuer führen durften. Ich war früher gerade mit diesen Zuaven-Kompagnien unweit Setif in Algerien mehrere Wochen lang im Bivouak gewesen, hatte sie dann aber seit 1851 nicht wieder gesehen, wie gerade jetzt in diesem Augenblick, wo die Kompagnien in das feindliche Feuer hineinmarschiren sollten. Fast alle die älteren Soldaten, und bei den Zuaven trifft man stets sehr viele derselben, erkannten mich augenblicklich wieder, und da zwischen uns Chasseurs d'Afrique und den Zuaven stets eine Art von Rivalität stattfindet, so schmeichelte es jetzt ihrer Eitelkeit sehr, daß ich gekommen war, ihren Angriff mit anzusehen.

Voyez, voyez le capitaine des chasseurs d'Afrique“ rief es laut in den Gliedern, als ich mit dem mir näher befreundeten Kommandanten des Bataillons an dieselben herantrat, und ein häufiges: „Soyez le bien revu chez nous mon capitaine!“ erscholl mir aus dem Munde der Soldaten entgegen.

Man hätte es in der That diesen Zuaven-Kompagnien nicht anmerken können, daß sie in den nächsten Augenblicken so recht auf die gefährlichsten Stellen des ganzen Gefechtes hinmarschiren sollten, so munter ging es bei ihnen zu. Das lachte und pfiff und trällerte in den Gliedern und machte Witze und trieb Possen aller Art, daß selbst die Offiziere nur mit Mühe den nöthigen Ernst behaupten konnten. Besonders ein kleiner Affe, den ein Zuave angekettet auf seinem Tornister trug, war der Gegenstand unerschöpflicher Scherze für die umherstehenden Rotten. Das Thierchen, dem man eine Art mit Flitterkram bunt aufgeputzter russischer Generalsuniform angezogen hatte, mochte sich in dem Lärmen, denn die feindlichen schweren Geschütze krachten von den Forts von Sebastopol laut genug herüber und Kanonenkugeln saus’ten häufig über die Köpfe der Soldaten hinweg, die mit spöttischem Lachen dieselben begrüßten, sehr unbehaglich fühlen, und schnitt nun in seiner Angst so unbeschreiblich komische Gesichter, daß selbst der ärgste Murrkopf herzlich darüber lachen mußte.

Desto muthiger aber zeigte sich Bim-Bim, der wohlbekannte kleine Bulldogge der einen Zuaven-Kompagnie, der schon in Algerien so vielen Gefechten mit beigewohnt, und auch den berühmten Sturm an der Alma mitgemacht hatte, Der Hund stand wie gewöhnlich neben dem Signalisten der Kompagnie und bellte muthig die in seiner Nähe in der Luft sausenden Kanonenkugeln an. Oft blickte er den Signalisten an und schaute förmlich nach dessen Trompete hin, ob er dieselbe nicht bald an den Mund setzen und das ihm längst bekannte Signal zum Avanciren blasen würde. So wie dies geschieht, macht Bim-Bim seiner Freude durch einige hohe Sprünge und ein lautes Gebelle Luft und springt dann unverzagt der Kompagnie mitten in den stärksten Kugelregen voran. Der Hund ist schon zwei Mal in Algerien verwundet worden, ohne daß seine Kampflust dadurch im Mindesten geschwächt worden ist.

Viele Zuaven vertreiben sich die Zeit des Wartens auch mit Gesang, und besonders ihr Leiblied:

 „L’as tu vue,
L’as tu vue,
La casquette
Du père Bugeaud?

was ich in Algerien so unzählige Male von ihnen gehört hatte, erscholl in lautem mächtigem Chor. Nicht so laut, aber sonst nicht minder feurig, sangen auch mehrere Soldaten die Parisienne:

 „Par la voix du canon d’alarme,
La France appelle ses enfants,
Allons dit le soldat aux armes
!“

obgleich dieser Gesang, wie auch der der Marseillaise, jetzt nicht mehr im Heere gesungen werden soll. Nun, vor einem hitzigen Gefecht nimmt man es freilich nicht so genau!

Der Kanonendonner von den russischen Forts hatte schon eine ganze Weile gedröhnt, als endlich auch für die Zuaven der so lange ersehnte Befehl zum Vorrücken kam. „Les Zouaves en avant!“ rief ein in vollem Galopp ansprengender Adjutant schon in der Ferne, und ein jubelndes „vive l’empereur!“ der Kompagnien, was durch all den Kanonendonner hervortönte, war die Antwort darauf. Im Sturmschritt ging es nun vorwärts, wobei ich leider die Tapfern nicht mit begleiten durfte, wie ich so gerne gethan, und bald konnte man ihre ersten Salven, womit sie die russischen Truppen, die den Ausfall unternommen hatten, empfingen, hören. Lange sich mit dem Schießen aufzuhalten, ist aber nicht nach dem Geschmacke der Zuaven, und so warfen sich denn auch diesmal die Kompagnien unter lautem Schlachtgeschrei mit den Bayonnetten auf die Feinde.

Ungefähr zehn Minuten dauerte das Handgemenge, und die bunten Turbane der Zuaven waren mit den blinkenden Pickelhauben der russischen Grenadiere in einem dichten Knäuel untermischt; man hörte zwar bisweilen noch einzelne Schüsse knallen, doch waren die blitzenden Bayonnete die Hauptwaffen, mit der die Gegner einander sich bekämpften, dann wich die graue Linie der Russen immer mehr zurück, während unsere Soldaten derselben ziemlich schnell nachfolgten. Die Tapferkeit der Zuaven hatte auch diesmal wieder, wie fast immer, den Sieg davon getragen, und mit empfindlichem Verluste waren die Gegner wieder zurückgetrieben worden.

[41] Bald darauf kamen denn auch unsere Kompagnien wieder zurückmarschirt. Man sah es den Soldaten wohl an, daß sie soeben aus einem ernsthaften Handgemenge zurückkehrten. Manchem derselben lief das Blut aus kleinen Wunden, die so unbedeutend waren, daß sie dadurch noch nicht zum Verlassen der Glieder gezwungen waren; Andere hatten mehr abbekommen, und mußten von ihren Kameraden zurückgeführt, ja selbst getragen werden, da sie nicht mehr ohne Hülfe gehen konnten. Unter Letzteren war ein noch sehr junger Zuave, ein Bürschlein von kaum zwanzig Jahren, so ein echtes pariser Kind, wie man deren so viele in diesem Kriege findet. Ihm war ein Fuß von einer russischen Kugel zerschmettert. Trotz dieser bedeutenden Verwundung verlor das Bürschlein, welches von zwei Kameraden auf ihren Gewehrläufen herbeigetragen wurde, doch keinen Augenblick seine gute Laune.

Zu dem Kommandanten des Bataillons, der mitleidsvoll an ihn herantrat, um sich nach seiner Wunde zu erkundigen, meinte er lachend: „Verzeihen Sie, mein Herr Kommandeur, daß ich liegen bleibe, wenn ich mit Ihnen spreche, aber diese Russen haben schon dafür gesorgt, daß ich mein Lebtag nicht wieder auf zwei Füße zu stehen komme,“ und so scherzte und witzelte er fort, bis er nach der Ambulance gebracht wurde.

Unter den Verwundeten befand sich auch Bim-Bim, der Kompagniehund, dem ein Russe mit dem Bayonnett das eine Ohr aufgeschlitzt hatte. Es schien wirklich, als fühle der Hund, daß er auch in diesem Gefecht sich eine Auszeichnung erworben habe, so gesetzt marschirte er einher, und ließ sich später seine Wunde von einem Zuaven ruhig verbinden, ohne nur den mindesten Schmerz dabei zu äußern. Einige sechzig bis siebzig russische Soldaten hatten unsere Truppen bei dieser Gelegenheit gefangen genommen, und da ich damals noch nicht so viele Russen gesehen hatte, wie jetzt der Fall, so interessirte es mich, dieselben näher zu betrachten. Es waren meist mittelgroße, nicht sehr kräftig aussehende Menschen mit breiten, häßlichen Gesichtern, die sich fast bei Allen so sehr glichen, daß man kaum einen Unterschied wahrnehmen konnte. [42] Ihre Uniformirung bestand in einem langen grauen Mantel, der bis an die Knöchel ging, und einem plumpen Lederhelm mit gelber Spitze und dem russischen Doppeladler vorne als Schild. Alles Lederzeug war sehr gut, die übrige Bekleidung und Ausrüstung aber schlecht gemacht. Die gefangenen Russen schienen gar nicht mißvergnügt über ihr Schicksal zu sein, und besonders, als ihnen Weißbrot und Branntwein in ziemlich beträchtlicher Menge gereicht wurde, zogen sie ihre breiten Gesichter in sehr vergnügliche Mienen und wollten Allen die Hände küssen, was den Zuaven viel Spaß machte.

Unter den Gefangenen war auch ein russischer Kapitain vom Generalstabe, ein sehr hübscher, stattlicher junger Mann, der sich mit der größten Tapferkeit vertheidigt und sich erst dann zum Gefangenen ergeben haben sollte, als ihm ein sehr gewandter Zuave mit seinem Gewehr den Degen aus der Hand geschlagen. Dieser russische Kapitain, der eine ersichtlich niedergedrückte Stimmung hatte, sprach so gut französisch, wie ein geborner Pariser, und zeigte sich überhaupt als ein Mann von vieler Bildung und Erziehung, Wir Offiziere waren ungemein artig gegen ihn, und der General Bosquet lud ihn sogleich ein, sein Diner in seiner Lagerhütte einzunehmen. Ueberhaupt wurden alle Gefangene von uns Offizieren wie auch von unseren Soldaten auf das Beste behandelt, und ich glaube kaum, daß jemals nur irgend ein unwürdiges Betragen gegen dieselben vorgekommen ist. Nur die afrikanischen Tirailleure, die wir bei uns haben, sollen hie und da eine Ausnahme machen, und ihre wilde, bestialische Natur auch hier nicht verleugnen, können aber der strengsten Strafe ganz sicher sein, wenn sie bei irgend einer Rohheit oder Grausamkeit gegen Gefangene ertappt werden.

Einige Tage später, als dies Gefecht der Zuaven, dem ich als Zuschauer beiwohnte, war das bekannte Reitergefecht, welches die Engländer bei Balaklava gegen die Russen hatten. Bei Gott, wie haute die englische Reiterei dabei drein, es war nicht möglich, sich muthiger zu schlagen, wie diese braven Leute es hier thaten. Die ganze Anordnung des Gefechtes war eine völlig unüberlegte, und Hunderte von braven Kavalleristen wurden nutzlos dem Tode geopfert, aber der Muth und die Kraft der Einzelnen konnte gar nicht größer sein, wie sie sich hier bei dieser Gelegenheit in so recht glänzendem Lichte zeigte. Es sah wirklich von dem Standpunkte aus, von wo wir, die wir die Eskorte des Generals Raglan bildeten, dem Gefechte zuschauten, als ob das kleine Häuflein der englischen Reiterei, was sich in vollem Galopp mitten in die große dunkle Masse der russischen Kavallerie hineinstürzte, völlig von derselben verschlungen würde. Mit meinem Handfernglas konnte ich das Ganze sehr deutlich erkennen, und gewiß an fünf Russen kamen stets auf einen Engländer, so groß war die Uebermacht der Ersteren. Wir glaubten sicher, auch kein Mann der englischen Brigade würde davon kommen, aber siehe da, schon nach einigen Minuten hatte sich dieselbe durch die sich ihr entgegenstellenden feindlichen Regimenter durchgearbeitet und die russische Aufstellung durchbrochen. Der lebhafteste Enthusiasmus herrschte über diese heldenmüthige That unserer edlen Bundesgenossen bei allen unsern Leuten, und unwillkürlich brachen wir Zuschauer alle in den lautesten Jubel aus, und „vivent, vivent les braves Anglais“ ertönte fort und fort aus den Reihen unserer Leute. Hätte der strenge Befehl uns nur nicht an dem Platze festgebannt, wie unendlich gerne wären wir mit den Engländern zusammen geritten, und hätten den Ruhm und die Ehre des Tages mit denselben getheilt. Furchtbar war aber der Verlust, welchen die tapfere englische Reiterei in diesem Gefechte hatte, und kaum die Hälfte der Leute, die am Morgen aufsaßen, war am Abend noch in den Gliedern. Die schönen, hohen Blutpferde, mit denen die gesammte englische Kavallerie beritten ist, waren über und über mit Schaum bedeckt, ihre Flanken bluteten von den heftigen Sporenstößen ihrer Reiter, mit denen diese sie in das heftige Batteriefeuer der Russen hineingetrieben hatten, und viele zeigten die Spuren von Streifhieben und anderen Verwundungen, welche sie im Kampfe bekommen.

Nicht minder erschöpft und hart mitgenommen, wie ihre Pferde, sahen die Reiter selbst aus. Die Helmbüsche und Kämme hingen halb zerhauen herab, von den Epaulettes fehlte die Hälfte, die Uniformen hatten Schlitze und Löcher in Menge aufzuweisen und gar mancher tapfere Sohn Altenglands blutete aus noch nicht verbundenen Wunden. Welche Lücken zeigten sich aber in den Gliedern, wie arg waren die Schwadronen zusammengeschmolzen! Und doch sah diese so arg mitgenommene englische Reiterei in dem Augenblick ungemein stolz und schön aus, und ihr Anblick mußte jeden wahren Krieger mit der lebhaftesten Begeisterung erfüllen. Das Gefühl des Sieges, der Zufriedenheit mit der vollbrachten That, prägte sich deutlich in dem Gesicht jedes einzelnen Reiters aus, und gab der ganzen Schaar ein unbeschreiblich stolzes Ansehen. Unsere französischen Soldaten, bei der großen Lebhaftigkeit, mit der sie Alles erfassen, konnten ihrer stürmischen Begeisterung für diese englische Reiterei gar keine Grenzen setzen, und wohl niemals ist fremden Waffenthaten eine unbefangenere und aufrichtigere Anerkennung gezollt worden, wie es von uns an diesem denkwürdigen Schlachttage geschah, Das „vivent les braves Anglais, vivent nos braves camerades–“Gerufe wollte an dem Tage gar nicht aufhören, und wo meine Chasseurs nur einen englischen Reiter erblickten, da verfehlten sie nicht, Alles anzuwenden, um ihre unbedingte Freude über das muthige Benehmen dieser zwei englischen Kavallerie-Brigaden auszudrücken. Von allen Seiten erboten sich Freiwillige aus unseren Korps, in das englische Lager zu gehen, um dort zu kochen, Holz herbeizuschleppen, kurz, alle möglichen derartigen Dienste zu verrichten, damit es die Soldaten daselbst an diesem Abend ja recht bequem hätten, und sich von den Strapazen des heutigen Gefechtes vollkommen wieder erholen könnten. Noch spät in der Nacht brachte eine Patrouille von meiner Eskadron einige versprengte englische Dragoner mit, die alle leicht verwundet waren, und auf eine sehr kühne Weise mit sammt ihren Rossen sich wieder aus der russischen Gefangenschaft befreit hatten, zu uns, und dieselben blieben die Nacht in unserm Lager. Was meine Chasseurs diesen Engländern nur an den Augen absehen konnten, thaten sie denselben zu Gefallen, und Jeder brachte gewiß das Beste, was er an Speise und Trank nur irgendwie besaß, für diese geehrten Gäste herbeigeschleppt, so daß diese beinahe des Guten zu viel genossen hätten. So ein englischer Soldat hat aber in der Regel einen guten Magen und kann Quantitäten an Speisen und noch mehr an starken geistigen Getränken zu sich nehmen, die Einem mit Recht in Erstaunen zu setzen vermögen. Auch die englischen Offiziere huldigen den Tafelfreuden gern und viel, und wir Franzosen sind in der Regel ungleich mäßiger wie diese.

Hier müssen aber diese wohlgenährten Engländer gar große Entbehrungen leiden, und obgleich sie mit Geld ungleich besser versehen sind wie wir, und ihrer Regierung wohl fünf Mal mehr Kosten verursachen, wie bei uns der Fall, so leben wir doch ungleich besser. So tapfer diese Engländer aber auch in der Schlacht sind, so gewaltig unbeholfen und ungeschickt zeigen sie sich in allen sonstigen militairischen Verrichtungen, die ein Soldat im Felde verstehen muß, und es ist darin gar kein Vergleich zwischen ihnen und unseren Soldaten. So war ich kürzlich einige Stunden auf einer englischen Feldwache, die von Dragonern und Grenadieren der Garde, lauter hohen, kräftigen Gestalten, besetzt war. Die Soldaten hatten alle eine starke Ration von Reis, getrocknetem Rindfleisch, Gewürzen und Rum bei sich, und meine Chasseurs wären in Algerien überglücklich gewesen, wenn sie nur alle Sonntage so viele und gute Lebensmittel geliefert bekommen hätten. Diese englischen Soldaten stellten sich aber so unglaublich ungeschickt im Kochen an, daß sie keine einzige ordentliche Speise zu Stande brachten, und Viele nur ihr Fleisch, was sie einigermaßen geröstet hatten, ohne Weiteres zu ihrem Brote verzehrten, den guten Reis aber fortwarfen. Natürlich war die Mannschaft sehr hungrig, deshalb in steter schlechter Laune, und statt zu singen und Witze zu machen, wie es unsere Soldaten beständig auf den Feldwachen thun, brummten und fluchten sie fortwährend, oder suchten Hunger und Langeweile durch möglichst langes Schlafen zu vertreiben. Dabei war die ganze Feldwache an einem so ungünstigen Platze wie nur irgend möglich aufgeschlagen, obgleich man ungefähr fünfzig Schritte davon einen ungleich besseren Ort dazu hätte finden können. Auch die beiden englischen Offiziere, welche hier befehligten, verstanden von allen militairischen Sachen so wenig, daß jeder Korporal meiner Eskadron sie unbedingt darin weit übertroffen hätte. Es waren Beides sehr vornehme junge Männer von dem größten Muthe und vielen sonst gewiß trefflichen Eigenschaften, aber Offiziere in dem Sinne, wie wir Franzosen es verstehen, waren es nicht, und sie machten auch gar kein Hehl daraus. Komisch war auch ihre Verzweiflung über das in der That fast ungenießbare Essen, was ihre Bedienten ihnen trotz des silbernen Besteckes gekocht hatten. Ein Huhn, welches sie für [43] theures Geld erkauft, war total verbrannt, der Reis steinhart gekocht, und die Fleischklöße in der Suppe glichen eher Kartätschenkugeln wie menschlichen Nahrungsmitteln, und es hätte in der That ein Straußenmagen dazu gehört, um dieselben zu verdauen. Brot und trefflicher Madeira, an dem die ungeschickten Bedienten glücklicher Weise nichts verderben konnten, mußten den Hauptbestandtheil des ganzen Mahles bilden.

Da die Engländer am anderen Tage noch auf der Feldwache blieben, so machte ich mir den Spaß, und schickte drei oder vier gewandte Chasseurs meiner Escadron zu ihnen hinaus, damit diese bei der Bereitung der Speisen helfen sollten, Nun nahm die Sache denn gleich eine ganz andere Wendung, und mit denselben Rationen bekamen die Engländer eine Mahlzeit, wie sie solche ihrer Versicherung nach noch nicht wieder gehabt hatten, seitdem sie Portsmouth verlassen. Meine Chasseurs hatten zuerst das gesalzene Fleisch, wie es sich gehört, recht tüchtig ausgewässert und dann eine Bouillon daraus gekocht, die zusammen mit dem Reis eine so kräftige Suppe, wie man sie nur wünschen konnte, abgab, das Fleisch dann in kleine Quarree’s geschnitten und mit Brot, Gewürz und Rum zusammen recht geschmort, so daß es eine ganz wohlschmeckende Speise abgab. Den beiden englischen Offizieren hatten sie eine Wildente am Spieße gebraten, und dann aus Reis, Zucker und Madeira eine sehr wohlschmeckende Mehlspeise bereitet. Die ganz davon entzückten englischen Offiziere hatten meinen Chasseurs einen Napoleonsd’or als Trinkgeld geben wollen, diese hatten aber – was mich ungemein freute – zu viel militärischen Stolz besessen und gesagt, man möge das Geld nur in das Lazareth für die Verwundeten senden, sie seien französische Soldaten und bedürften desselben nicht. –

Eine sehr blutige Schlacht war die bei Inkerman, und die unerschütterliche Tapferkeit der englischen Soldaten hat sich dabei so recht im glänzendsten Lichte gezeigt. Die Russen hatten anfänglich mit einer mehr wie dreifachen Uebermacht die englischen Bataillone angegriffen, und doch wichen und wankten dieselben nicht und hielten wie die Mauern die so heftigen feindlichen Angriffe aus. Die große Körperkraft, welche viele englische Soldaten besitzen, ist ihnen hier bei Inkerman vortrefflich zu Statten gekommen, denn es ist großentheils ein Kämpfen Mann gegen Mann gewesen. Von dieser Körperkraft einzelner englischer Grenadiere wurden uns aus glaubwürdigem Munde manche ganz erstaunliche Beispiele erzählt. So hat z. B. ein englischer Korporal, der sein Gewehr schon verloren hatte, einen wüthenden Sprung auf einen russischen Offizier gemacht, und bevor dieser mit seinem Säbel einen Hieb führen konnte, denselben wie ein Wickelkind auf beiden Armen hoch in der Luft gehalten und ihn dann auf die Bayonnette seiner eigenen vorwärts stürmenden Soldaten geschleudert. Diese sind vor einem solchen eigenthümlichen Wurfgeschoß zurückgeschreckt und in’s Stutzen gekommen, so daß die übrigen englischen Grenadiere dadurch Zeit gewannen, sich zu sammeln und eine kräftige Bayonnettattaque auf die Russen zu machen. Ein anderer Engländer, den ich später selbst sah, wirklich auch ein Mann von wahrhaft riesenhaftem Körperbau, hat mit den Händen mehrere Kanonenkugeln, die auf dem Boden lagen, ergriffen und auf die gegen ihn anstürmenden Feinde geworfen, bis es ihm gelungen, sich wieder eines anderen Bayonnetts zu bemächtigen. Seine Kameraden sagen aus, daß sie Augenzeugen gewesen, wie dieser eine Grenadier allein über zehn Russen getödtet oder schwer verwundet habe. Ueberhaupt war an mehreren Stellen des Schlachtfeldes ein förmliches Morden gewesen, und die Leichen, und zwar durchschnittlich in dem Verhältniß von einer englischen zu drei russischen, lagen in ganzen Haufen über einander. Kolben und Bayonnette hatten hier am Mörderischsten gehaust, und die meisten Leichen ihre Todeswunden von diesen Waffen erhalten. Viele russische Leichen fand ich, denen der Schädel durch einen Kolbenschlag zerschmettert oder die Brust mit dem Bayonnette durchbohrt war, während die der Engländer großentheils mehrere Wunden zeigten. Vorzüglich wirksam hatten sich übrigens bei diesem Handgemenge die Revolvers, welche fast alle englischen Offiziere bei sich führten, gezeigt.

So hat ein englischer Kapitain durch drei hinter einander folgende Schüsse mit seinem Revolver drei russische Soldaten niedergestreckt. Zwei andere Kameraden derselben, die gar nicht haben begreifen können, daß man mit der kleinen Pistole hinter einander mehrere so sicher treffende Schüsse thun könne, ohne sie vorher wieder zu laden, haben darauf ganz bestürzt ihre Gewehre fortgeworfen und sich dem Engländer als Gefangene ergeben. Trotz dieses ungemein heldenmüthigen Widerstandes hätten die Engländer am Ende dennoch der russischen Uebermacht unterliegen müssen, wenn unsere französischen Truppen denselben nicht mit so großer Schnelligkeit zur Hülfe gekommen wären. Noch niemals habe ich gesehen, daß Truppen so schnell unter den Waffen standen, wie in dem Augenblick, als unser Lager durch die Nachricht alarmirt wurde, daß die Russen mit großer Uebermacht unsern englischen Bundesgenossen angegriffen hätten. Es war eine Schnelligkeit, ein Eifer unter den Soldaten, daß die Offiziere wahrlich nicht nöthig hatten, dieselben noch mehr anzuspornen. So wie die Bataillone nur in etwas geordnet waren, und es bedurfte kaum einiger Minuten hierzu, ging es im Laufschritt dem Kampfplatze zu, der uns durch den lauten Kanonendonner und den Schlachtenlärm so deutlich bezeichnet war, daß man ihn nicht verfehlen konnte. Voran, wie immer bei solchen Gelegenheiten, wieder die Zuaven, die mit ihrer großen körperlichen Ausdauer und Gewandtheit nicht marschirten, sondern förmlich liefen. „Vivent les braves Anglais, en avant vite – vite – vite en avant Zouaves!“ ertönte es unablässig aus den Reihen derselben. So wie sie so weit in die Nähe der Russen gekommen waren, daß ihre Salve von Wirkung sein konnte, gaben sie dieselbe, und nun ging es ohne Weiteres, ohne sich Zeit zum Wiederladen der Gewehre zu lassen, mit dem Bayonnette auf die Feinde los. Wenn unsere Zuaven und Chasseurs auch lange nicht die Körperkräfte der Engländer besitzen, so sind sie dafür doch ungleich behender und im Bayonnettiren geübter, und daher nicht minder gefährliche Gegner wie diese. So haben sie denn furchtbar zwischen den Russen aufgeräumt und wesentlich mit zum Gewinnen dieser blutigen Schlacht beigetragen.

Wir Chasseurs d’Afrique waren leider nur in viel zu geringer Anzahl gegenwärtig, um die vielen Tausende der russischen Reiterei, die in zweiter Linie aufmarschirt stand, angreifen zu können, wie denn auch das Terrain theilweise sehr ungünstig für die Kavallerie sich zeigte. Einzelne Dienste geleistet haben wir übrigens dennoch, und manche meiner Reiter fanden Gelegenheit, sich auszuzeichnen. So besonders auch ein alter Korporal, der schon von 1830 her beständig in Algerien diente, und den früher die Reiter des Abd-el-Kader einmal so zusammengehauen hatten, daß sein Gesicht von den vielen Kreuz- und Quernarben ganz wie zerhackt aussah. Auf seinem Rappenhengst, einem wüthenden Thier, mit dem Keiner in der ganzen Escadron fertig werden konnte, stürzte sich dieser Korporal mitten in eine russische Infanterieabtheilung hinein, gleich als wolle er freiwillig den Tod da suchen, obgleich dies gar nicht in seiner Absicht lag. Einige andere Chasseurs kamen ihm zur Hülfe, und ihre Säbel wußten so tüchtig um sich zu schlagen, und die Hengste, die hochauf sich bäumten und mit den Vorder- und Hinterfüßen um sich hieben, leisteten bei diesem Kampfe so treffliche Dienste, daß die ganze russische Infanterieabtheilung theils zersprengt, theils aber auch niedergehauen oder gefangen genommen wurde.

So glückte es unsern vereinten Bemühungen, denn es war auch kein einziges Truppenkorps, was nicht mit der äußersten Kraftanstrengung kämpfte, nach blutiger Gegenwehr die Russen endlich vollständig von dem Schlachtfelde zu vertreiben, obschon ihre Uebermacht eine so ungemein bedeutende war. Leider war nur unsere Kavallerie an Zahl zu schwach, um eine nachdrückliche Verfolgung der geschlagenen Feinde damit unternehmen zu können, sonst hätte sich der geordnete Rückzug derselben entschieden in die wildeste Flucht verwandeln müssen. Einzelne Gefangene machten wir übrigens noch eine ganze Menge und erbeuteten auch viele Munition, Waffen u. s. w. Unbeschreiblich war übrigens die stürmische Freundschaft, mit der am Abend dieses Schlachttages von Inkerman die Engländer und Franzosen bei allen Begegnungen sich begrüßten. Selbst die oft sehr steifen und hölzernen englischen Offiziere hatten ihre sonstige Förmlichkeit ganz verloren, waren so herzlich und entgegenkommend wie nur möglich und übertrafen uns Franzosen hierin. Habe ich doch selbst gesehen, daß ein englischer Stabsoffizier dem Kommandanten eines Zuavenbataillons um den Hals fiel und ihn küßte und herzte als wenn es sein bester Freund wäre, obschon er ihn früher niemals gesehen hatte. Andere englische Offiziere verschenkten ihre Uhren, Ringe, Pfeifen, kurz Alles, was sie nur an derartigen Dingen bei sich führten, an französische Soldaten, die sich besonders ausgezeichnet hatten. [133] Eine lange Zeit voller Kriegsleben und Kriegslust liegt wieder hinter mir, nachdem ich mein letztes Briefpaquet dem Schiff in Kamiesch anvertraute, um es sicher nach la belle France zu befördern. La belle France, welche Erinnerungen der Jugendzeit weckt doch stets dieser Name in mir, und welche Gefühle werden dabei wach, die ich längst schon vergessen glaubte. Zehn Jahre [134] ist es her, seit ich unsere schöne Seine nicht mehr sah, zehn Jahre, seit mir die gute Schwester den letzten Wein von unserem eigenen Rebhügel kredenzte und auf eine glückliche Wiederkehr als Colonel mit mir anstieß. Und eben so lange ist es her, als wir damals aus dem Hafen von Toulon ausfuhren, um nach Algerien, unserm neuen Bestimmungsort uns zu begeben.

Ich sehe diesen Morgen noch so vor mir, als wenn derselbe erst gestern gewesen! Wie glänzten die weißen Mauern des Arsenals von Toulon in dem hellen Scheine der aufgehenden Sonne, und der Pulverdampf aus den Geschützen, mit denen unsere Fregatte, die seitdem auch schon den Untergang in den Wellen gefunden hat, ihren Abschiedsgruß donnerte, kräuselte sich in so leichten, bläulich weißen Ringeln über die klare Meeresfläche hin, wie der geübteste Raucher im besten Kaffeehause von Algier solche nicht regelmäßiger aus seinem Tschibuke zu blasen versteht. Und wie nun die Geschütze donnerten, und die mächtigen Schaufelräder sich zu drehen anfingen, und der Küstenlootse auf dem Radkasten seine Befehle zum Wenden des Schiffes durch sein Sprachrohr brüllte, da riefen wir, die wir in einer Gruppe auf dem Verdeck standen, aus lauter Brust unser „vive la France, vive la patrie,“ und unser Louis B. fing mit seinem Basse an zu singen:

Par la voix du canon d´alarme
La France appelle ses enfants,
C’est ma mère etc. etc.

und jubelnd brüllten wir, so gut es gehen wollte, mit, und suchten die Trauer des Abschiedes vom Vaterlande unter Lachen und Singen zu verbergen. Unserer eilf Kameraden waren wir, damals lauter junge, kräftige Brigadiers und Sergeantmajors, die wir uns hatten freiwillig zu den Zuaven und Chasseurs d’Afrique versetzen lassen, weil es uns langweilte, stets auf den Kasernenhöfen von Frankreich Parademärsche zu üben, und für Louis Philipp, dem Könige der Banquiers, Patrouillen zu machen. Von allen diesen eilf guten Kameraden, die wir damals so frisch und munter den Hafen von Toulon verließen, und sämmtlich den festen Wunsch hegten, nur mit den Obersten-Epaulettes wieder dahin zurückzukommen, sind, so viel ich weiß, nur noch drei am Leben. Einer ertrank beim Baden in der Seybouse, unweit Constantine, ein anderer starb an der Cholera, sechs aber fielen unter den Waffen für den Ruhm und die Ehre der französischen Armee, wie es unsere verfluchte Pflicht auch ist. Drei davon sind hier in der Krim schon darauf gegangen, wobei ich besonders den Louis B. tief bedauere, der als Capitain der Zuaven bei Inkerman zusammen gehauen ward, zwei wurden uns bei den Kämpfen in Algerien getödtet, und erinnere ich mich noch, welche Rachbegierde uns Alle erfüllte, als wir den von den Hajuten schmählichst verstümmelten Körper des armen J., der wenige Tage vorher Sous-Lieutenant geworden war, entdeckten. Bei den Beinen hatten ihn diese braunen Schufte an einen Orangebaum aufgehängt, ihm den Unterleib aufgeschnitten, die Augen ausgestochen und die Finger als Cigarren in den Mund gesteckt, so daß der Arme gewiß furchtbare Todesqualen hatte ausstehen müssen. Nun wir rächten ihn denn auch gehörig und von den Hajuten, die in den nächsten Tagen uns Chasseurs d’Afrique in die Hände fielen, erhielt sicherlich keiner Pardon, sondern wir hauten das Gezücht zusammen, als wenn es Ratten wären. Und jetzt gar der lustige George G., der stets behauptet hatte, er würde noch einmal als Marschall von Frankreich sterben, mußte in diesem verwünschten Juni-Aufstand 1848 in Paris, wohin ihn der General Cavaignac mitgenommen hatte, auf so elende Weise von so einem kleinen Pariser Gassenjungen getödtet werden. Wer weiß, ob der Bursche, der damals meinen Freund erschoß, sich jetzt nicht unter diesen Zuaven befindet, die so eben vor meiner Zeltthür herumlungern und sich trotz Regen und Wind die Zeit, bis die Reihe zum Brotfassen an sie kommt, nach gewohnter Weise mit den lärmendsten Spielen vertreiben. Jetzt würde vielleicht derselbe Bursche, der damals einen der bravsten Officiere, die das französische Portepée trugen, so ruhig niederschoß, als sei derselbe eben nur ein Sperling, sich keinen Augenblick bedenken, mitten in den dicksten Haufen der Russen hineinzuspringen und sein Leben tausendmal zu wagen, blos um etwa einen verwundeten Offizier, der ihn sonst weiter gar nicht sonderlich kümmert, zu retten. Es ist ein eigenes Volk diese pariser Straßenjungen, muthig wie die Löwen und stets guter Laune, aus denen man ganz vortreffliche Soldaten machen kann, wenn man es versteht sie unter recht scharfer Zucht zu halten und ihren Ehrgeiz zu erwecken. Die Zuaven nehmen dieselben gern, und mein guter Alphons hatte gewiß stets mehrere Dutzende von diesen pariser Taugenichtsen, die er aber recht scharf zu halten wußte, in seiner Kompagnie. Wir bei den Chasseurs d’Afrique haben im Allgemeinen mit Recht ein großes Vorurtheil gegen sie, und nehmen dieselben nur höchst ungern auf. Die Kerle sind so windbeutelig und flatterhaft, und achten nicht genug auf ihre Pferde, um gute Kavalleristen zu sein. Und gar nun wenn Mädels in der Nähe sind, oder es Gelegenheit giebt, tüchtig Wein zu trinken oder irgendwie einen Unfug anzustiften, da könnte man bei Jedem dieser Pariser nur einen eigenen Brigadier hinstellen, der aufpaßte, daß er sein Pferd gut wartete.

Doch wohin komme ich denn diesmal mit meiner Schreiberei! Da will ich Euch etwas von unserm Leben in der Krim erzählen und gerathe auf Erinnerungen, wie ich zum letzten Mal vor zehn Jahren von dem schönen Frankreich Abschied nahm und nun gar auf diese Pariser Gamains und ob man aus denselben gute Chasseurs d’Afrique heranzubilden vermöge, was Euch doch am Ende verzweifelt wenig interessiren kann. Aber auf was verfällt ein Mensch nicht, wenn er mit gequetschtem Fuß, so daß er nur mühsam am Stocke herumgehen, oder sich nicht in den Sattel schwingen kann, allein in einer elenden Baracke sitzt, während alle Kameraden im Dienst fort sind. Es ist mir wahrlich vor ein paar Tagen verflucht schlecht gegangen und ich bin jetzt doch endlich unserm Doktor in die Hände gefallen, der meinen linken Fuß umpflastert hat, als wäre derselbe ein Wickelkind irgend einer ehrsamen Bürgersfrau in Tours, die ihren Gatten nach einem Dutzend von Jahren mit dem ersten zarten Sprößling ihrer ehelichen Liebe beglückte. Und wahrlich, sündhafte Quantitäten von Cognac, denn anderer Spiritus war nicht zu haben, sind dazu verwandt worden, meinen Fuß täglich einigemal damit einzureiben. Mein alter Pierre, der diesen Liebesdienst der Einreibung mir erweisen mußte, brummte nicht wenig in seinen schon grauen Bart und meinte ein und das andere Mal, es sei eine Schande, daß man solch’ edle Flüssigkeit wie dieser echte Cognac (er war auch verdammt theuer und in Bordeaux kostet die Flasche nicht ein Viertheil so viel wie hier in Kamiesch) dazu verwende, um ein Bein von außen einzureiben, statt von innen heraus den Magen damit zu erwärmen. Hätte der dicke Dr. H. mit seiner goldenen Brille auf der Nase nicht so verdammt scharf dabei aufgepaßt, ich glaube wirklich, mein alter Grognard wäre der Versuchung nicht widerstanden, ein geschicktes Taschenspieler-Meisterstück zu versuchen, die Flaschen zu verwechseln und mir die gequetschte Stelle anstatt mit Cognac, mit Wasser aus der Tschernaja einzureiben. Nun wer weiß ob das Mittel nicht eben so gut genützt hätte? Doch mag dies nun der Cognac, den ich auch übrigens von innen tüchtig gebrauchte, oder irgend etwas anderes gethan haben, mein Fuß ist glücklicher Weise wieder ziemlich gesund, und morgen oder doch wenigstens übermorgen hoffe ich mich in den Sattel meines Ibrahim, der unterdeß auch schon ganz ungeduldig geworden ist, schwingen zu können, um meinen Dienst bei den äußersten Vorposten, wo augenblicklich meine Schwadron liegt, wieder anzutreten. Da wird es denn hoffentlich auch nicht an Abwechslung fehlen, und wir werden uns so recht nach Herzenslust mit diesen Russen herumhauen können.

Um Euch aber zu erzählen, wie ich denn zu meinem arg gequetschten Fuß kam, so geschah die ganze Sache eigentlich nur aus Uebermuth. Es waren nämlich einige Eskadrons englischer Husaren aus Ostindien zu uns gekommen, tüchtige Kerle, die mir weit besser gefielen, wie dies sonst mit der übrigen englischen Kavallerie, mit der wir hier zusammengetroffen sind, der Fall war. Man sah es den Leuten an, daß sie ein langjähriges Kriegsleben in Ostindien durchgemacht hatten, und dabei ganz andere Feldsoldaten geworden waren wie diese vornehmen englischen Gardekavalleristen, so prächtig dieselben sonst auch aussehen mögen und so muthig sie sich bei Balaklava im vorigen Herbst geschlagen haben, was man ihnen nicht abstreiten kann, obgleich es mich eigentlich ärgert, daß ich ihnen solch Lob nachrühmen muß. Denn die Offiziere sind sonst verzweifelt hölzerne und hochmüthige Herren, die sich viel auf ihre vornehmen Namen und vollen Geldbeutel einzubilden scheinen, und zu denen wir Offiziere der Chasseurs d’Afrique daher nicht sonderlich paßten, wenn wir auch äußerlich ganz [135] artig mit einander waren. Desto bessere Kameradschaft hatten wir aber bald mit diesen aus Ostindien gekommenen Husarenoffizieren gemacht, und auch unsere Leute verkehrten gern mit der Mannschaft dieses Regiments, unter der sich viele altgediente Veteranen befanden, die theilweise schon an 15–20 Jahre unausgesetzt im Felde gestanden hatten. Allzuviel verständigen konnten sich freilich unsere meisten Chasseurs nicht mit diesen englischen Husaren, und das gegenseitige Zutrinken aus den mit Rum gefüllten Feldflaschen mußte häufig die sonstige Unterhaltung ersetzen. Merkwürdig bleibt es aber doch, daß wir mit diesen Ostindiern jetzt hier in der Krim zusammen kommen. So war ich mit einem Kapitain häufig auf Feldwache, der hatte vor einem Jahre noch in den schönsten Theilen von Ostindien sich mit den Maratten oder wie dies braune Gesindel dort heißen mag, herumgeschlagen und ich mich ganz hinten in Algerien mit den maurischen Stämmen aus dem Innern von Afrika, und jetzt fechten wir hier zusammen in der Krim und hauten lustig auf diese flachsköpfigen Russen, die Gott weiß woher anmarschirt gekommen waren. Und wer weiß ob wir nicht im nächsten Jahr da oben in der Ostsee sind, und mit den Schweden zusammen auf diese Russen oder Preußen dreinhauen. Nun, uns soll es recht sein, wohin der Kaiser befiehlt, marschiren wir, und je länger der Krieg dauert und je mehr Feinde es giebt, desto besser ist es, denn desto schneller geht das Avancement.

Aber seht, ich will Euch erzählen, wie ich meine Quetschung erhielt, und komme da wieder auf allerlei Abwege.

Mit drei von diesen Husaren-Offizieren, und vier oder fünf von uns französischen Offizieren von den Zuaven und Chasseurs d’Afrique, dann noch zwei Sardiniern, prächtigen Kerlen, die man mit wahrem Vergnügen Kameraden nennen kann, hatten wir ein großes Bankett zusammen veranstaltet. Hoch, sehr hoch ging es dabei her, denn wir feierten den Sieg bei der Tractirbrücke,wo wir alle zusammen recht tüchtig im Feuer gewesen waren, und die russischen Kugeln uns so dicht um die Ohren summten, wie in Algerien oft die Mosquitos.

In Kamiesch hat sich jetzt ein Haufen von Kaufleuten aus allen möglichen Nationen angesiedelt, aber lauter verworfenes Gesindel, was Einen prellt, ärger noch wie es die Malteser in Algier bei einem Neuling nur versuchen können, von denen man aber sonst ganz gute Sachen erhält. Wein haben die Kerle, der nicht schlecht ist, und ihr Cognac ist erste Qualität, freilich sündhaft theuer. Bei einem tüchtigen Trinkgelage kann oft in einer einzigen Nacht eine halbe Monatsgage darauf gehen, und auf Kreditgeben lassen sich natürlich die Kaufleute nicht ein, sondern Alles muß baar in blanken Napoleon’s bei ihnen bezahlt werden.

Wer wollte hier aber auch sparen und nicht gern eine lustige Nacht mit frohen Kameraden durchjubeln, so lange er nur noch ein Fünffrankenstück in der Tasche hat! Weiß man doch nie, ob es nicht das letzte Glas ist, was man an seine Lippen setzt, geht es doch oft vom Zechtisch sogleich in das russische Kanonenfeuer und wird das Anstoßen der Gläser nur zu häufig von dem Dröhnen der Geschütze so übertäubt, daß man sein eigenes Wort nicht dabei verstehen kann. Wie viele, viele brave Kameraden, mit denen ich hier noch so manche lustige Nacht durchtrunken habe, setzen jetzt das Glas nicht mehr an ihre Lippen, sondern fielen für den Ruhm und die Ehre unserer französischen Armee.

Abends waren wir denn wie gesagt recht lustig und fidel und wußten vor Uebermuth kaum, was wir beginnen sollten. Unser Kapitain Alphons ist nicht umsonst zwei Jahre Ordonnanz-Offizier beim Herzog von Aumale gewesen, und hatte uns einen Champagnerpunsch zusammengebraut, wie er auf dieser Welt nicht besser gefunden werden kann. Wenn man nun so zwei Tage auf den äußersten Feldwachen gewesen, kaum aus dem Sattel dabei gekommen ist, und nichts wie schaales, abgestorbenes Wasser zum Trinken und harten Schiffszwieback zum Essen gehabt hat, dann spürt man einen Durst in sich, als könnte man das ganze schwarze Meer auf einen Zug austrinken, vorausgesetzt, daß dasselbe aus Punsch bestände.

So tranken und sangen, schwatzten und lachten wir an diesem Abend so lustig zusammen, wie man auf dieser Welt nur sein kann. Hat das Wetter in der Krim einmal Lust schön zu sein, dann ist es auch wirklich gut, und so war diese Nacht denn so milde und klar, und dabei wieder so erfrischend und belebend, wie sie es an der a1gerischen Meeresküste nicht besser sein kann. Welcher Unterschied zwischen den Schneestürmen des letzten Winters und diesen lauen August-Nächten! Wir hatten unsern Zechtisch draußen im Freien, an der Seite einer Ruine von irgend einem tartarischen Bauwerk aufgeschlagen, und einige Zuaven von der Compagnie des Alphons waren mit ihrer, in solchen Dingen vielfach erprobten Geschicklichkeit bemüht gewesen, uns aus einer alten Tonne einen erträglichen Tisch und aus Mauersteinen dieser Ruine, zwar etwas harte, aber dafür desto fester stehende Sitze herzustellen.

Wie wir so eben im besten Trinken waren, und der große Feldkessel, den wir zur Punschbowle gebrauchten, schon die Hälfte seines Inhaltes in unsere Kehlen hatte abgeben müssen — diese Engländer verstehen das Trinken ganz famos, und man hat alle Mühe es ihnen hierin gleichzuthun, um so auch auf diesem Felde die französische Ehre zu retten,— fing plötzlich eine unserer Batterien, die zunächst dem Malakoffthurm gegenüber lag, eine gewaltige Kanonade an, die alsbald von den Russen ebenso heftig erwiedert wurde. Es war wirklich, als hätten unsere Artilleristen an dem heutigen Abend ihre so schon tüchtig brummenden Positionsgeschütze mit doppelter Ladung verstärkt, so gewaltig krachten dieselben. Die Gläser klirrten und tanzten förmlich auf den Tischen, wenn so eine Salve aus dieser Batterie, die vielleicht an 3000 Schritt von uns entfernt sein mochte, krachte, und ein Glas, leider noch dazu fast ganz mit Punsch gefüllt, fiel sogar um. „Der Commandant der Batterie will, daß wir unsere Gläser sogleich austrinken sollen, darum läßt er heute Nacht seine Brummer so stark aufspielen,“ lachte Alphons, unser Zuaven-Kapitain, der den Wirth machte, und füllte das umgestoßene Glas auf’s Neue. So etwas ließen wir uns nicht zwei Mal sagen und hatten unsere Gläser denn auch im Augenblick so leer getrunken, daß wir sie umgestürzt auf den Tisch stellen konnten, wo sie dann freilich fester standen. Auf das Schießen achteten wir sonst weiter nicht, denn wenn man wie wir Franzosen, nun schon acht Monate vor Sebastopol gestanden hat, dann wird man auch der stärksten Kanonade so gewöhnt, daß man ganz ruhig dabei schlafen kann, mag es auch rings um einen her noch so donnern und krachen. Nur das Fliegen der feurigen Bomben, mit denen die Russen von ihren Werken uns bisweilen regalirten, verschaffte uns Vergnügen, und wir hatten bei unserm Zechgelage ein Feuerwerk so großartig, wie es selbst die guten Pariser am Napoleonstage nicht bekommen können. Namentlich unsere sardinischen Kameraden, denen solch gewaltiges Bombardement noch neu war, zeigten mit ihrer italienischen Lebendigkeit so recht ihre ganze Freude über dies Schauspiel Sie lachten und klatschten in die Hände, wenn so eine gewaltige Bombe mit langem, hellem Feuerschweif durch den dunkeln Himmel angesaust kam, und jubelten einmal über das andere, über den prächtigen Gedanken ihres Königs, daß er sardinische Truppen hierher nach der Krim geschickt hätte, damit sie sich an der Seite der Franzosen neue Lorbeeren erkämpfen könnten.

Wie wir aber im besten Trinken sind und den alten braven Kommandant F. von unserer Batterie einmal über das andere hoch leben lassen, daß er uns eine gar so gewaltige Tafelmusik zu unserm Bankett aufspielt, kommt plötzlich ein Adjutant vom General Bosquet in vollem Galopp seines Pferdes angejagt.

„Kamerad, was bringst Du?“ ruft ihm Alphons zu und kredenzt dem Reiter sein volles Punschglas.

Les Zouaves aux armes, war die Antwort des Adjutanten, der dabei schnell uns zurief, daß man einen etwaigen Ausfall der Russen gegen unsere äußersten Trancheen erwartete, und deshalb die Wache derselben um zwei Kompagnien Zuaven verstärken wolle; „zu den Waffen“, das ist ein Kommando, was diese Zuaven gewaltig gern hören, und so faul die Kerle oft auch sind, wenn sie zu Paraden ausrücken sollen, so lassen sie sich den Ruf aux armes gewiß nicht zwei Mal sagen. Uebrigens befahl der Adjutant noch, daß die Hornisten nicht Allarm blasen sollten, damit man den Lärmen davon nicht etwa im russischen Lager hören könne, sondern sich Alles möglichst schnell und still sammeln und dann im Eilschritt an den ihnen durch viele Wachen schon hinlänglich bekannten Plan marschiren möchte.

[147] Wenn der Adjutant auch sonst noch so viel Eile zu haben schien, so viel Zeit hatte er dennoch, um den Inhalt des großen Punschglases, das Alphons ihm hinhielt, mit einem Zuge hinunter zu stürzen, dann rief er uns ein „Adieu, Kameraden!“ zu und brauste auf seinem Falben dahin.

So wie Alphons, der die zwei schon ungemein zusammengeschmolzenen Zuaven-Kompagnieen, die hier lagen, kommandirte, diesen Befehl des Adjutanten „Les Zouaves aux armes“ gehört hatte, sprang er sogleich mit lautem Jubelruf auf und ließ sich kaum noch so viel Zeit sein Glas zu leeren. „Hoffentlich giebt’s etwas Tüchtiges diese Nacht, Kameraden, es sind so schon vierzehn Tage her, daß wir mit den Russen zusammenstießen, und seit dieselben an der Tractir-Brücke so gewaltige Schläge bekamen, wollen sie gar nicht mehr recht anbeißen,“ rief er jubelnd aus, und war im nächsten Augenblick schon bei dem ersten Zelt seiner Kompagnie, was ungefähr einige dreißig Schritte von unserem Trinktisch lag. Diese Zuaven sind das gewaltige Bombardement bereits so gewöhnt, daß, trotz des heutigen Gekraches, Alles ruhig in den Zelten lag und so fest schlief, als befände man sich in der besten Kaserne der guten Stadt Algier. Auch kein einziger der Schlingel hatte es nur der Mühe für werth gehalten, den Kopf deshalb aus der Zeltthür zu stecken, mochten die Kanonen noch so arg krachen. Sie waren erst am Morgen vom vierundzwanzigstündigen Trancheendienst abgelöst worden, und der greift an und macht die Knochen müde, so daß man nachher gewiß einen festen Schlaf hat.

Kaum hatte Alphons aber die erste Zeltthür aufgerissen und mit seiner mächtigen Baßstimme sein „Zouaves aux armes, aux armes“ hineingebrüllt und war dann zu den nächsten Zelten geeilt, dort ein Gleiches zu thun, als es lebendig ward.

Vite, vite aux armes, allons donc“, rief es in den Zelten, und kaum einige Minuten vergingen, da stürzten die ersten Zuaven, zwar so viel man bei einigen Kienfackeln erkennen konnte, die wir Offiziere unterdeß angezündet hatten, in äußerst nachlässiger Adjustirung, wie es überhaupt so gern die Sitte dieser Schlingel ist, aber sonst vollständig mit Wehr und Waffen ausgerüstet aus den Zelten.

Aux armes, aux armes,“ brüllten sie laut und vor Freude, bis Alphons ihnen einen zornigen Fluch zurief und befahl, sie sollten ihre losen Mäuler halten und nicht mehr unnützen Lärm machen wie nöthig wäre. Als wenn die Bienen aus einem Bienenkorbe schwärmen, so eilten jetzt die Soldaten aus ihren Zelten. Die zuletzt Kommenden wurden mit tüchtigen Flüchen von den Korporals begrüßt und nicht wenig von ihren Kameraden als Faulthiere und Schlafratten verspottet, und kaum fünf Minuten waren vergangen, da standen die beiden Kompagnieen, freilich nicht viel stärker mehr wie eine einzige Kompagnie betrug, als sie sich in Algier einschiffte, völlig marschfertig da. Und wie jubelten diese Zuaven und freuten sich, daß sie jetzt wahrscheinlich Hoffnung hätten, mit den Russen recht bald in ein blutiges Handgemenge zu kommen, gerade wie die pariser Grisetten es thun, wenn ihre Liebhaber sie nach dem Ball Mabille mitnehmen wollen. Unter Lachen und Scherzen und Witzeleien ging es nun im Schnellschritt fort; Alphons, dem die Freude über das hoffentlich bald zu erwartende Gefecht so recht aus dem Gesicht leuchtete, stürzte noch im Vorbeilaufen an unserm Tisch sein Glas Punsch aus, rief „auf Wiedersehen, Kameraden, morgen bin ich todt oder eine Stufe wieder näher zum Colonel,“ und sprang dann seinen Leuten, die unterdeß schon fort getrabt waren, in eiligen Sätzen nach.

Dieser Aufbruch von Alphons und den anderen Zuaven-Offizieren hatte uns die Lust geraubt, um noch weiter ruhig an unserm Trinktisch sitzen zu bleiben; zudem war unser Feldkessel mit Punsch leer und zu einer zweiten Füllung desselben, wie wir sonst wohl gethan hätten, fühlten wir keine Neigung mehr. Als daher Einer der englischen Husaren-Offiziere, wirklich ein Prachtmensch, der verdiente, daß er bei uns Chasseurs d’Afrique dienen könnte, den Vorschlag machte, ob wir nicht auch nach dieser Batterie, die so heftig im Feuer war, hingehen wollten, um uns die Sache etwas näher mit anzusehen, nahmen wir diesen Vorschlag Alle mit lautem Jubel auf. Nur die sardinischen Offiziere, die von den Bersaglieris waren, durften sich nicht so weit von den Lagerplätzen ihrer Truppen entfernen, da sie am Ende auch noch hoffen konnten, in dieser Nacht allarmirt zu werden; wir Uebrigen von der Kavallerie hatten so leicht keine Aussicht dazu und konnten uns daher immer den [148] Spaß machen. Als wir bei der Batterie ankamen, die noch fortwährend in voller Thätigkeit war und feuerte, daß die Erde zitterte, wollten uns die Wachen in den Trancheen, die aus Soldaten von der deutschen Fremdenlegion bestanden, zuerst gar nicht das Weitergehen gestatten.

„C’est l’ordre on ne passe pas ici“, antwortete mir stets der den Posten befehligende Korporal, ein echtes deutsches Gesicht, und wie Einer der englischen Offiziere, der etwas angetrunken war, fluchte und doch weiter gehen wollte, fällte er das Bayonnet gegen ihn, und drohte mit einem tüchtigen deutschen Fluch, den ich nicht verstand, er würde ihn auf der Stelle über den Haufen stoßen, wenn er noch einen Schritt weiter ginge. Der Korporal hatte Recht und verstand seinen Dienst, dies muß ich sagen, obgleich wir uns in dem ersten Augenblick nicht wenig über seine Halsstarrigkeit ärgerten, und besonders der eine Engländer dem der Punsch etwas zu sehr in den Kopf gestiegen war, eine wahre Unmasse aller möglichen englischen und französischen Flüche aussprudelte, was indeß den Legionssoldaten des Pikets, die sich um ihren Korporal gesammelt hatten, und den Legionärs vielen Spaß zu machen schien. Es waren Grenadiere einer Elitekompagnie der Fremdenlegion und dies sind immer fast nur bewährte Feldsoldaten, die sich nicht so leicht verblüffen lassen und wenn der Teufel selbst in höchsteigener Person so etwas versuchen wollte. Auf meinen Befehl schickte übrigens jetzt der Korporal eine Ordonnanz an den in diesen Trancheen kommandirenden Kapitain vom Geniekorps, damit der uns die Erlaubniß zum Weitergehen ertheilen möchte. Glücklicherweise war dies ein persönlicher Bekannter von mir aus Algerien und so gab er denn die Erlaubniß sogleich, und führte uns selbst in die Batterie, die ebenfalls ein guter Bekannter von mir, der Kapitain Z. kommandirte. Der eine englische Offizier, der jetzt, nachdem sein Zorn verraucht war, sich schämen mochte, daß er vorhin gar so arg getobt hatte, schenkte dem Legionskorporal zwei blanke Napoleons, damit er für das Geld mit seiner Mannschaft auf seine Gesundheit trinken möge. Wenn diese Legionssoldaten Geld zum Vertrinken bekommen können, so sind sie stets vergnügter Dinge, und so machten sich diese Mannschaften denn jetzt den Spaß und riefen immerwährend vive Mylord, vive Mylord, ah vous êtes un brave Officier, Mylord. Plötzlich kam in all diesem Jubel eine russische Bombe, die zu weit links geflogen war, angesaust und schlug kaum fünf Schritte von uns in den Boden. Garde à vous Monsieur, rief der Korporal dem Engländer zu, der in dem ersten Augenblick ganz verdutzt dastand, und wie dieser noch eben sich umschauen wollte, gab er ihm einen Stoß, daß er der Länge nach hinflog.

Auch die Soldaten des Postens und wir übrigen Offiziere warfen uns sogleich platt auf den Boden, und so zersprang die Bombe und die Stücke flogen über uns weg, ohne weiter uns zu verletzen, was jedenfalls geschehen wäre, wenn wir stehen geblieben. Verteufelt schmierig sahen wir aber aus und besonders der eine Engländer, der gerade mit dem Gesicht in eine Pfütze gefallen war, als der Korporal ihn so niedergestoßen hatte, triefte förmlich von Schmutz.

„Sehen Sie, daß ist der Genuß in den Trancheen,“ lachte der Geniekapitain als er wieder aufstand.

„O, es kommt oft noch viel toller,“ und auch die Soldaten der Wache lachten und suchten den beschmutzten Engländer, der ebenfalls gute Miene zum bösen Spiel machte und lachte, unter allerlei Witzeleien und Scherzen in ihrer deutschen Sprache, die ich nicht verstand, wieder abzutrocknen.

Bei Gott, in der Batterie, wohin wir denn bald kamen, sah es aber schauerlich aus. Da es ziemlich warm war, und das Laden der großen Mörser eine sehr anstrengende Arbeit ist, die viel Schweiß kostet, so hatten die Artilleristen alle ihre Uniformsstücke bis auf die Hosen abgeworfen. Viele hatten gar keine Hemden mehr an, sondern ihr ganzer Oberkörper war nackt, und von dem Pulversatz in den Geschützröhren und von dem Schlamm auf dem Boden, denn sie hatten sich oft niederwerfen müssen, um nicht von zerspringenden Bomben verwundet zu werden, sahen Alle im Gesicht und auf der Brust und den Armen so schwarz und schmutzig wie die Schornsteinfeger aus. Um den Leib hatten alle ein Tuch oder auch nur eine Säbelkuppel fest wie einen Gürtel geschnürt, da sie behaupteten, daß dies davor schütze sich einen Bruch zu heben, was sonst beim Einbringen der schweren Bomben in die Haubitzmündungen leicht geschehen könne.

Auch der Kapitain Z. und seine zwei Lieutenants, die hier kommandirten, sahen wahrlich nicht aus, als ob sie auf einem Hofball in den Tuilerien hätten sonderlich gefallen können. Sie hatten ihre alten über und über beschmutzten schwarzen Uniformsröcke an, deren Schöße schon so sehr zerrissen und verbrannt waren, daß kein Trödler einen Frank für den ganzen Anzug geboten hätte.

Kapitain Z. ein alter Bekannter von mir, der vor mehreren Jahren die Expedition nach der Kabylie mitmachte, und viele Nächte bei uns Chasseurs d’Afrique auf den Vorposten zubrachte, riß zwar anfänglich ganz verwundert die Augen über unseren Besuch auf, meinte dann aber lachend, „wir sollten ihm immerhin willkommen sein, wenn wir als Freiwillige mithelfen wollten, viel Amusement könne er uns aber nicht versprechen und ein freundlicher Salon sei seine Batterie wahrlich auch nicht.“ Darin hatte er Recht, denn der Ort sah schauerlich aus, soviel man bei dem Schein der großen Laternen, die an mehreren Stellen befestigt waren, damit die Artilleristen beim Laden ihrer Geschütze sehen konnten, zu erkennen vermochte.

Der Boden war von den russischen Bomben ganz aufgewühlt und zerfurcht, und überall lagen Trümmer und Splitter von früher zerschossenen Lafetten umher, die man noch nicht hatte fortbringen können; auch ein ganz zerrissener Menschenkörper lag in der einen Ecke der Batterie, denn vor einer halben Stunde war ein Kanonier so von einer feindlichen Kugel zerschmettert worden, daß seine Glieder nach allen Seiten umherflogen. Zwei andere Kanoniere lagen schwer verwundet in einem Winkel und beim Schein einer Laterne knieete ein Arzt vor ihnen, um sie nothdürftig so weit zu verbinden, daß sie den Weitertransport in die Ambulance aushalten konnten. Der eine dieser Kanoniere, dem ein Stück der Kinnlade von einem Bombensplitter fortgerissen war, stöhnte fürchterlich und bat in fast unverständlichen Tönen, man möge ihn doch nur auf der Stelle erschießen, damit seine Leiden ein Ende erreichten. Sein Kamerad, ein alter Graubart, dem ein Fuß am Knöchel abgeschossen war, lag ganz ruhig und rauchte seine Pfeife, als habe er weiter keinen Schmerz.

Und nun welch’ ein Höllenlärm war noch dazu in dieser Batterie, so daß man in dem ersten Augenblick, wenn die Haubitzen derselben losgefeuert waren, stocktaub zu werden glaubte. Dazwischen das heisere Kommandorufen des Kapitains Z., der von dem vielen Schreien und dem Pulverdampfe fast schon die Stimme verloren hatte, und wie ein Rabe krächzte; das Rasseln der Ketten und Klappern der Bomben, wenn die nackten Artilleristen mit größter Anstrengung dieselben in die Mündungen der Haubitzen hineinrollen ließen. In der Luft dröhnte, zischte und pfiff es von den russischen Geschossen, die fortwährend von dem Malakoffthurm auf unsere Trancheen geschleudert wurden und rechts und links über unsere Köpfe hinwegsausten. Dabei wieder das Jubeln und Singen und Lachen dieser geschwärzten Artilleristen, die in dieser Nacht so recht in ihrem Berufe zu sein schienen.

Helas, mon Capitain,“ rief mir ein alter Artillerist zu, der mich von Algerien her noch persönlich kannte, „das ist eine heiße Nacht, und es giebt andere Arbeit hier, als wenn wir damals mit unsern leichten Berggeschützen auf diese räuberischen Kabylen feuerten. Wie gefallen Ihnen diese blauen Bohnen, die wir den russischen Herren dort drüben zusenden?“ und damit wies er auf eine Bombe, die so eben von zwei Artilleristen mit äußerster Mühe aufgehoben ward. „Gelt, das sind andere Pillen, als wie Ihre Chasseurs d’Afrique in ihre Karabiner laden können. — Doch, aufgepaßt, die russische Bombe wird bei uns einschlagen!“ rief er laut aus, und in demselben Augenblick warfen sich alle Artilleristen platt an den Boden, längst der Brüstung der Batterie nieder. Die russische Bombe schlug ein, wühlte sich tief in die Erde, platzte aber nicht, so daß nach einigen Augenblicken des Wartens alle Artilleristen lachend wieder aufsprangen und an ihre Geschütze eilten.

„Sind ungeschickte Teufel da drüben, mein Kapitain, und verstehen ihr Handwerk nicht — Wart, wir wollen versuchen, es ihnen besser zu zeigen,“ spottete damals mein alter Artillerist und trat an seinen Mörser, der unterdeß geladen war, um ihn abzufeuern. Ich war unwillkürlich näher herangetreten, um die Handgriffe beim Richten und Abfeuern besser mit anzusehen, aber der Knall war so groß, daß ich einen stechenden Schmerz in den Ohren fühlte, und mir das Blut aus denselben tröpfelte.

[149] „Helas, mon Capitaine, das knallt Ihnen wohl zu sehr — ja, man muß das Ding schon gewöhnt werden, sonst springt das Blut leicht heraus,“ schmunzelte der alte Kanonier.

Doch in demselben Augenblick zeigte ein Flammenblitz und ein Knall aus den russischen Werken, daß der Schuß des Alten große Verwüstungen in denselben angerichtet haben müsse.

Ein lautes vive la France, vive l’empereur aller Kanoniere der ganzen Batterie erscholl über diesen glücklichen Schuß, und der geschickte Artillerist, der ihn gethan, war nicht wenig erfreut darüber, rieb sich seine schwarzen Fäuste und meinte wohlgefällig: „Ja, ja, mein Kapitain, der alte Mathieu versteht’s schon, und nicht umsonst hat vor zwanzig Jahren der Sergeant mir in der Citadelle von Straßburg das richtige Zielen beigebracht.“

Dieser glückliche Schuß, der den Russen vielen Schaden zugefügt haben mußte, denn aus der Stelle, wohin derselbe gerichtet gewesen, ward ihr Feuer jetzt merklich schwächer und unsicherer wie vorhin, hatte die Artilleristen der Batterie in eine besonders gute Laune versetzt. Mitten in dem Kanonengebrüll und dem Getobe und all’ dem Gelärme um sie herum, versuchten dieselben die Marseillaise anzustimmen, und wenn auch die Hälfte der Strophen unverständlich blieb, und von dem Donner der Geschütze übertönt wurde, so klangen doch einzelne Worte dieses Schlachtgesanges desto lauter hindurch.

„Die Marseillaise ist jetzt eigentlich nicht mehr gestattet bei uns, mein Kapitain, und wenn man in gewissen Kreisen in Paris diesen Gesang hörte, würde man gewiß ziemlich schiefe Gesichter dazu schneiden,“ meinte einer der Lieutenants scherzend zu dem Kapitain Z., wie so eben in einer augenblicklichen Pause des Geschützdonners der Chor recht deutlich und hörbar wurde.

„Was kümmert’s mich?“ antwortete der. „Laßt diese vornehmen Herren aus Paris hierher kommen, und diese Batterie selbst bedienen. So lange meine Kanoniere nur noch im russischen Geschützfeuer des Malakoffthurmes singen mögen, ist es mir gleich, was für einen Gesang sie sich wählen, und mit diesen die Marseillaise singenden Kanonieren schießen wir doch Sebastopol zusammen, mögen die Russen sich auch noch so sehr vertheidigen. Es hilft ihnen nichts, unsere Fahne muß auf dem Malakoff wehen.“

In demselben Augenblick, als der Kapitain Z. diese Worte so zuversichtlich sprach, kam eine russische Vollkugel angesaust und riß dem neben ihm stehenden Kanonier, der sich etwas über die Brüstung gelehnt hatte, den Kopf ganz glatt vom Rumpfe fort, so daß das Blut dem Kapitain im dicken Strahl förmlich in das Gesicht spritzte.

„Ach, das ist kein angenehmer Geschmack,“ rief dieser aus, denn er mußte von dem warmen Blut viel in den Mund und in die Nase bekommen haben, und wischte sich mit dem Taschentuch sein Gesicht ab, welches ganz roth gefärbt aussah. Gleich darauf befahl er aber in so ruhigem Tone, als wenn nicht das Mindeste vorgefallen sei, den Körper des Getödteten, der bei der Haubitze lag, in einen Winkel zu tragen, und rief dann die nächste Nummer der Reservemannschaft, die etwas geschützt neben der Brustwehr sich zusammengekauert hatte, um etwas von der gehabten Anstrengung auszuruhen, herbei, die Stelle des Erschossenen einzunehmen.

Durch diesen so plötzlichen Tod des Kanoniers, der mit einer der Vorsänger gewesen war, erschüttert, hatten die übrigen Artilleristen für den Augenblick ihren Gesang eingestellt.

„Donnerwetter, warum singt Ihr denn nicht weiter. Ihr werdet Euch doch nicht durch diese Russen in Eurem Vergnügen stören lassen? Das wäre denselben doch zu viel Ehre erwiesen!“ rief Kapitain Z. „Es lebe die Parisienne!“ und damit fing er mit seiner krächzenden Stimme an:

Par la voix du canon d’alarme,
La France appelle ses enfants.

und jubelnd fielen die Artilleristen in den Gesang ein, und mochten nun die russischen Kanonen des Malakoff auch noch so viel gegen diese vorgeschobene Batterie donnern, und es in der Luft von Bomben und Raketen zischen und pfeifen, als hätte die Hölle ihre Janitschaarenmusik angestimmt, der Gesang der Kanoniere ward dadurch nicht weiter unterbrochen. Ja, unsere französische Artillerie ist ein stolzes, prächtiges Korps, und hat sich den hohen Rang, den sie im Heere einnimmt, stets mit ihrem Blute erkauft, das habe ich während dieser Nacht in der Batterie wieder so recht erprobt. Wahrlich, wäre ich nicht Kapitain bei unsern Chasseurs d’Afrique, ich möchte wohl bei der Artillerie dienen.

Mitten in diesem schweren Geschützfeuer, welches die Erde erdröhnen machte, konnte man aber bisweilen auch die einzelnen scharfen Schüsse der Miniébüchsen knattern hören. Eine Tirailleurkette von unseren Chasseurs à pied war vor die Batterieen gegangen, oder richtiger wohl auf dem Bauche gleich den Schlangen fortgekrochen, um sich so weit den russischen Werken zu nähern, daß sie mit ihren wohlgezielten Schüssen in die Schießscharten derselben hineintreffen konnten. Zu solchen sehr gefährlichen Expeditionen, die zwar den Feinden großen Schaden zufügen, denn durch solche wohlgezielte Büchsenkugeln, die in die Schießscharten hineinfliegen, wird die Bedienungsmannschaft der Geschütze ungemein belästigt und am sicheren Schießen behindert, werden nur Freiwillige genommen. Es müssen sehr gewandte, muthige Leute sein, die auch vortrefflich zu schießen verstehen, denn sonst würde ihr Feuer wenig nützen. Die Russen haben ebenfalls derartige Abtheilungen, die aus freiwillig sich dazu meldenden, besonders gewandten Scharfschützen gebildet werden, und die ganz auf gleiche Weise gegen unsere Batterien zu operiren versuchen. So entspinnt sich neben diesem Geschützkampf auch zugleich ein lebhaftes Tirailleurgefecht, das schon manchem tapferen französischen Soldaten das Leben gekostet hat. Alle Augenblicke blitzte es rechts und links und vorwärts von unserer Batterie von derartigen Büchsenschüssen auf, was ganz eigenthümlich aussah. Die Russen ließen mitunter Leuchtraketen steigen, und bei dem Schein derselben konnte man dann auf Augenblicke erkennen, wie unsere Chasseurs, in ihre grauen Kapotmäntel gekleidet, gleich Eidechsen vor uns auf dem Boden herumkrochen.

Wohl eine Stunde mochten wir schon in der Batterie gewesen sein, und da wir blos müssige Zuschauer sein konnten, und es ganz unnütz war, daß wir uns einen so gefährlichen Platz auserwählt hatten, so war das ganze Schauspiel, was sich uns hier darbot, doch viel zu imposant und interessant, als daß wir uns sobald davon hätten losreißen können.

Besonders der eine englische Offizier, der erst vor wenigen Wochen aus Ostindien gekommen und dem ein solches Bombardement noch eine ganz neue Erscheinung war, jubelte laut, und half in seinem Eifer sogar einigen Kanonieren die Bomben aus dem Munitionsbehältniß, welches tief in die Erde gegraben war, herbeischleppen. Unsere Artilleristen, die nie eine Gelegenheit vorübergehen lassen können, ohne ihre Witze und Späße zu machen, hatten ihre Freude an diesem so eifrigen Engländer, nannten ihn „Camerad Mylord“ und tranken ihm sogar aus ihren, mit sehr schwachem kalten Grog gefüllten Feldflaschen zu, was diesem sehr vornehmen Engländer großes Vergnügen gewährte.

Die Morgendämmerung war im Anbrechen und ein schwacher rosiger Schein verkündete bereits die Nähe des erhofften Tages, als die russischen Batterien für den Augenblick ihr bisheriges Feuer wo möglich noch zu verdoppeln suchten. Von allen Seiten krachte und blitzte es, und hätten die Russen ebenso geschickt gezielt wie sie schnell abfeuerten, da hätte es unserer Batterie schlimm ergehen müssen. Glücklicherweise war dies nicht der Fall, und eine große Zahl von Bomben, deren Zünder zu kurz, und die nicht richtig berechnet waren, platzte ziemlich unschädlich in der Luft. Eine Viertelstunde schon mochte dies entsetzliche Bombardement, wo es ganz unmöglich war nur seinen Nebenmann zu verstehen, gedauert haben, als plötzlich dasselbe schwieg, aber eben so plötzlich auch eine starke Kolonne russischer Infanterie in vollem Lauf aus dem feindlichen Werk herausbrach und ohne sich mit anderweitigen Schüssen einzulassen, mit dem gefüllten Bayonnet gegen unsere Batterie anstürmte. In demselben Augenblick brachen aber auch unsere Wachen, die bisher in einigen Vertiefungen hinter unserer Batterie ziemlich geschützt gelegen hatten, mit lautem „en avant, en avant — vive l’empereur,“ gegen die Russen vor.

Voran wie bei allen derartigen Gelegenheiten waren die Zuaven unter dem Befehl unseres Alphons, ihnen eben so schnell folgten einige Kompagnieen der Fremdenlegion und eine eines französischen Linienregiments. Dieser Anblick war zu verführerisch für uns; schnell riefen wir dem Kapitain Z. noch ein eiliges, herzliches Adieu zu, sprangen in möglichst schnellen Sätzen aus der Batterie heraus, um uns den anstürmenden französischen Truppen mit anzuschließen.

[160] Die beste Gelegenheit zu einem kleinen Handgemenge schien uns jetzt geboten zu sein, und das war es auch, was wir suchten, um die so schön begonnene Nacht auch würdig zu beschließen.

Mit heftigem Anprall stießen gerade in der Mitte zwischen dem Malakoffthurm und unserer Batterie die russischen und französischen Truppen zusammen. Geschossen wurde von beiden Parteien weiter gar nicht, nur das Bayonnet und der Gewehrkolben waren die einzigen Waffen, deren sich die Soldaten bedienten. Fast um das Doppelte so stark mochte die russische Kolonne sein wie die unsrige, und von allen Seiten drängten diese Soldaten in ihren langen grauen Mänteln, die unförmlichen aber sonst nicht unpraktischen Pickelhauben auf den Köpfen, heran.

Was machte aber diese Ueberzahl der Feinde auch aus, denn wenn es ihrer noch um das Doppelte so viele gewesen wären, sie hätten doch bald in ihre Werke zurückweichen müssen. Mit unbeschreiblicher Wuth stürmten unsere Soldaten vor, und stets da, wo diese unbehülflichen russischen Haufen am Dicksten standen, hinein.

„Nehmt nur die Offiziere auf’s Korn, tödtet nur die Offiziere,“ riefen unsere Commandanten und das Bayonnet fand gar bald Arbeit genug. Kaum einige Minuten hatte es gedauert und noch waren wir Nacheilenden nicht ganz bis zum Platz des Handgemenges vorgedrungen, da auf einmal löste sich der russische Haufen auf, und eben so schnell wie sie gekommen waren, liefen die meisten wieder ihren Werken zu. Unsere Zuaven und Tirailleurs wollten in ihrer Siegesfreude schon den fliehenden Feinden nachstürzen, als einige russische Geschütze heftig mit Kartätschen an zu feuern fingen, die in dieser Nähe ihre volle Wirkung hatten; zwar trafen dieselben mit ihren Schüssen eben so gut ihre eigenen Leute wie die unsrigen, das aber kümmerte die russischen Befehlshaber weiter nicht, wenn sie nur ihren Zweck erreichten, nämlich der weiteren Verfolgung von Seiten unserer Soldaten, Einhalt [161] zu thun. Ein russischer General fragt bei derartigen Scenen nicht so viel nach der Erhaltung des Lebens seiner Leute, ob da einige hundert mehr oder weniger derselben fallen, kann ihn nicht beirren. Gefangene Russen haben uns selbst erzählt, bei ihnen hätten die Pferde viel mehr Werth wie die Menschen, und es sei dem Obersten ungleich lieber, wenn seine Kavalleristen als wenn deren Pferde verwundet oder getödtet würden. Das ist übrigens in Frankreich, England und Deutschland nicht viel anders.

So wie die russischen Kanonen mit Kartätschen zu feuern anfingen, ließ der unsere Truppen befehligende Oberst sogleich das Signal zum Rückzug geben. Unser Zweck, den russischen Ausfall zu hintertreiben, war ja hinreichend erfüllt und ob nun unsere verfolgenden Soldaten einige Dutzend Russen mehr getödtet oder gefangen genommen hätten, war am Ende ziemlich gleichgültig. Ungefähr so ein zwanzig Russen mochten wohl todt oder schwer verwundet, daß sie nicht aufstehen konnten, auf dem Kampfplatz liegen und eben so viele auch in die Gefangenschaft unserer Soldaten gefallen sein. Unser Verlust an Todten und Verwundeten betrug neun Mann, darunter vier Zuaven. Unter letzteren war ein mir von Algerien her persönlich bekannter Korporal, zwar ein Erzwindbeutel durch und durch, der im Frieden eigentlich nur in einer Strafkompagnie zu bändigen war, im Felde aber einer der brauchbarsten und gewandtesten Soldaten, den ich je gesehen habe. Zweimal war derselbe schon in einer Strafkompagnie gewesen, dreimal zum Gemeinen degradirt worden, aber immer hatte er sich wieder durch seine glänzende Tapferkeit und große Geistesgegenwart im Kampfe glücklich heraufgearbeitet. Zuletzt war er wieder bei Inkerman zum Korporal ernannt worden. Hier bei diesem Gefecht hatte derselbe sich einen russischen Stabsoffizier zum Gegenstand seines Angriffes auserwählt, wie er dies stets zu thun pflegte. Gleich einer Tigerkatze soll er auf den russischen Offizier losgesprungen sein, den Degenhieb desselben mit dem linken Arm, um den er seinen Gürtel zum Schutz gewickelt, parirt und nun ein breites türkisches Dolchmesser dem Russen in die Brust gestoßen haben. In demselben Augenblick hat aber ein russischer Soldat, der muthig seinen Obersten vertheidigen wollte, dem Zuaven-Korporal das Bayonnet mit solcher Gewalt gerade in den Mund hineingestoßen, daß die Spitze desselben weit zur andern Seite des Kopfes herausgedrungen ist. Auf der Leiche des getödteten Obersten, gleich wie ein Tiger auf seiner Beute liegend, hat man den Zuaven-Korporal gefunden, das Bayonnet noch im Kopfe steckend, aber trotz dieser furchtbaren Wunde immer noch lebend. Als ein Soldat ihm dasselbe herauszog, was ziemliche Kraftanstrengung gekostet hat, ist der Verwundete, der doch nicht mehr zu retten war, gestorben.

Wir waren bereits auf dem Rückmarsch nach unserer Batterie begriffen, als die Russen, die jetzt bei dem schon völlig angebrochenen Tag bequem auf uns zielen konnten, wieder mit Vollkugeln aus ihren schwereren Geschützen zu feuern anfingen. Vielen Schaden richteten sie zwar damit nicht an, denn unsere Soldaten lösten schnell ihre geschlossenen Glieder auf, und eilten zerstreut hinter ihre Verschanzungen zurück, um so für die feindlichen Kugeln keinen Zielpunkt abzugeben; das Unglück wollte aber doch, daß ich zuletzt noch etwas abbekam, und dadurch für meinen Vorwitz ein Gefecht mitzumachen, zu dem ich nicht befehligt war, eine tüchtige Strafe erhielt. Eine russische Vollkugel traf einen Felsblock, der ihr im Wege lag, mit solcher Gewalt, daß eine große Ecke davon absprang und mich gerade an dem linken Fuß oberhalb des Kniees verletzte. Eine tüchtige Quetschung erhielt ich auf dieser Stelle und die Gewalt des Steines war doch noch so groß, daß ich davon zur Erde geworfen wurde.

Sowie mich mein Alphons, der zuletzt am Ende seiner Zuaven sich befand, fallen sah, sprang er sogleich herbei, und auch die englischen Offiziere waren sofort bei der Hand, um mir mit aufzuhelfen. Mein Fuß schmerzte aber so gewaltig, daß es mir unmöglich war ihn zu gebrauchen, und so mußten mich denn zwei Zuaven aufladen und auf ihren Armen nach einem geschützten Platz hinter unserer Batterie, wo ein Arzt sich befand, hintragen. Bei der näheren Untersuchung der Wunde fand sich denn, daß zwar die Haut ganz weggerissen und das Fleisch arg gequetscht, sonst aber weiter kein Knochen verletzt war, so daß die ganze Geschichte in ungefähr acht Tagen wieder geheilt sein konnte.

So wie mein Herzensfreund hörte, daß weiter keine Gefahr aus dieser Verletzung für mich entstände, fing er, der bisher die eifrigste Sorgfalt und wärmste Theilnahme mir bewiesen hatte, seinen Ton plötzlich zu ändern an und hielt mir eine Strafpredigt so eindringend, wie nur ein alter Korporal einem Rekruten gegenüber sich benehmen kann:

„Da hast Du nun Deine Strafe für Deinen Vorwitz; warum bleibt Ihr nicht bei Eurem Punschkessel sitzen und treibt Euch dafür hier draußen vor den Trancheen herum, wo Ihr nicht hingehört und doch nichts nützen könnt. Bei den Engländern kann man solchen Vorwitz noch entschuldigen, denn denen ist es etwas Neues zu sehen, wie wir Zuaven angreifen, aber bei Dir, der nun schon seit zehn Jahren in Algerien mit uns zusammengefochten und nun auch bereits die ganze Belagerung von Sebastopol mitgemacht hat, kann so etwas nicht mehr der Fall sein, und ein aberwitziger Rekrut, der seine Nase überall mit hineinstecken muß, bist Du wahrlich doch auch nicht mehr, sondern hast schon Pulverdampf genug in Deinem Leben gerochen; aber Ihr Chasseurs d’Afrique seid nun einmal so, überall wollt Ihr mit dabei sein, und denkt, es könne gar kein ordentliches Gefecht ohne Eure Hülfe mehr geschehen und selbst wenn es gegen die Wälle des Malakoff ginge.“

So brummte und schalt Alphons, der überdies in hohem Grade verdrießlich darüber war, daß dies Gefecht am heutigen Morgen gar so kurz sich gestaltet hatte, fort und fort, und ich mußte mir leider dabei selbst sagen, daß er nicht so ganz Unrecht damit habe. Ich hatte nicht den mindesten Vortheil für die ziemlich bedeutenden Schmerzen, die ich in den ersten Tagen nach meiner Verwundung ausstehen mußte, sondern erhielt noch von unserm Colonel, als er die Ursache derselben erfuhr, einen starken Verweis, der damit schloß, daß wenn ich nicht schon meines Fußes wegen Zeltarrest hätte, er mir solchen zur Strafe geben würde. Und dabei liegt unsere Eskadron jetzt auf Vorposten und hat Gelegenheit sich mit den Kosaken und russischen Husaren herumzuschlagen, während ich hier allein mit einem halben Dutzend kranker Leute zurückbleiben muß, und aus Langeweile einen Bogen Papier nach dem andern in meinem Tagebuche vollschreibe. Es ist das wahrhaftig ein trauriges Vergnügen.

Mein einziger Trost ist nur, daß die Anderen auf ihren Vorposten auch sich wahrscheinlich nicht allzuoft mit den Russen messen werden, und also ich in der Hinsicht nicht viel versäume. Seit die Russen bei der Tractir-Brücke so derbe Schläge bekommen haben, wollen sie draußen im freien Felde nicht mehr recht Stich halten und wenn sie auch Sebastopol selbst mit dem hartnäckigsten Muthe vertheidigen und sich, wie es braven Soldaten geziemt, daselbst tapfer schlagen, im freien Felde haben sie gewaltige Scheu vor uns und weichen bei jeder Gelegenheit zurück. Bei der Tractir-Brücke ging es aber tüchtig zu und die Russen mußten wieder viel leiden; Schade nur, daß der General Pelissier, der hier ungleich vorsichtiger sich zeigt, wie dies sonst in Algerien bei ihm der Fall war, uns Kavalleristen nicht erlaubte, die fliehenden Feinde, die sich wirklich in größter Unordnung zurückzogen, weiter zu verfolgen, wir hätten gewiß noch viele Beute machen, und besonders auch russische Geschütze erobern können. Zwei geborene Polen, die einige Tage später aus dem russischen Lager zu uns desertirten, erzählten, daß die Unordnung in demselben nach der verlorenen Schlacht ungemein groß gewesen sei. Alle Korps wären untereinander gemischt gewesen und Niemand hätte gewußt, wer denn eigentlich zu befehlen habe. Das ist wahr, hat man den Russen erst einmal ihre Offiziere, die meist brave und ausgezeichnete Leute sind, und ihren Soldaten kühn voran in das Feuer gehen, wie es die Pflicht jedes tüchtigen Offiziers ist, weggeschossen, so wissen die Leute selbst sich gar nicht zu helfen, und stehen in dichten Massen umher und lassen sich ruhig niederschießen, als wenn dies nur so sein müßte. Ganze Kompagnieen, denen unsere Tirailleurs vorher ihre Offiziere weggeschossen hatten, sind auf diese Weise bei der Traktir-Brücke von unserer Artillerie zusammenkartätscht worden und die Leichen lagen in so dichten Haufen hoch aufgespeichert, daß wir mit unseren Pferden gar nicht darüber hinweg sehen konnten.

Tüchtig haben sich übrigens an diesem Tage auch die sardinischen Truppen geschlagen und sich die Achtung unserer ganzen Armee erworben. Besonders ihre Bersaglieris sind gewandte Leute [162] und wissen ihre Feinde so auf’s Korn zu nehmen, daß unsere Chasseurs es auch nicht besser machen könnten.

Wir Alle hatten unsere Freude daran, daß an diesem Tage den Sardiniern ebenfalls Gelegenheit ward, sich auszuzeichnen, denn dieselben hatten hier schon viel Ungemach mit ertragen müssen, ohne daß sie bisher, außer einigen kleinen Vorpostengefechten, noch recht mit den Russen zusammen gerathen waren. An dem Tage suchten sie aber das Versäumte nachzuholen und ihre Büchsenkugeln und die wohlgezielten Kartätschenschüsse ihrer Artillerie haben manchem Russen aus diesem Leben geholfen. Jetzt haben die Sardinier wieder Ruhe, da sie zum Beobachtungskorps gegen das jenseits der Tschernaja stehende russische Korps gehören, und an den eigentlichen Dienst in den Laufgräben vor Sebastopol keinen Antheil nehmen. Wir Chasseurs d’Afrique kommen auf unseren weiten Rekognoscirungspatrouillen häufig mit diesen sardinischen Feldwachen zusammen, und es herrscht dann stets auf beiden Seiten das beste Einvernehmen. Weiß der Teufel wie es zugeht, aber im Ganzen vertragen wir Franzosen uns besser mit den Sardiniern, als mit den Engländern, mit Ausnahme der ostindischen Husaren und Lanciers. Diese Engländer sind gar so einförmig und langweilig und es ist keine rechte Lebendigkeit in ihnen, wie bei uns Franzosen. Ihre Soldaten wollen immer und immer Rum trinken und wir Offiziere der Chasseurs d’Afrique haben wahrlich aufzupassen, daß unsere eigenen Leute am Ende nicht auch noch zu diesem Laster sich neigen, da wir häufig mit diesen Engländern zusammen auf Vorposten sind. Wie zeigen sich da diese Sardinier in der Mäßigkeit aus, die trinken nicht so viel Wein, wie die Engländer Rum und haben dabei den ganzen Tag doch ihre frohe und heitere Laune und können oft stundenlang bei den Bivouakfeuern ihre Lieder in so schönen, vollen, reinen Chören singen, daß es wahrhaftig ein Vergnügen ist, ihnen zuzuhören. Nun, Zeit genug haben sie jetzt auch dazu, denn wenn wir Chasseurs auf Patrouillen sind, so passen wir gewiß so auf, daß die Russen keine heimlichen Ueberfälle machen können, und sich immer in weiter Entfernung halten und nur froh sein müssen, wenn wir ihnen nichts thun und sie in Ruhe und Frieden lassen.

Wir hatten früher immer so viel von den Kosaken gehört, und schon in Algier hatte man uns oft gewarnt, vor denselben auf unserer Hut zu sein, und ja recht aufzupassen, um uns nicht heimlicher Weise von ihnen überfallen zu lassen, da sie sehr gewandt und schlau wären. Bei Gott, ich muß gestehen, daß wir von allen diesen Eigenschaften bei den Kosaken, die uns hier gegenüberstehen, noch sehr wenig gespürt haben, und die Kabylen in Algerien weit gewandtere und daher auch gefährlichere Feinde sind wie jene. Zu einem regulären Reitergefecht waren dieselben noch nie recht zu bringen, und die einzige russische Kavallerie, die so weit Stand hielt, daß man einige Säbelhiebe mit ihr wechseln konnte, waren reguläre Husaren und Uhlanen, die Kosaken kehrten in der Regel sogleich um, wenn wir nur gegen sie anritten. Und mit ihrer Schlauheit im Vorpostendienst ist es hier auch nicht weit her, und eine Feldwache, die sich von diesen Kosaken heimlicher Weise überfallen ließe, muß gewaltig ungeschickt oder nachlässig sein, und ihr Kommandant verdiente, daß man ihn vor ein Kriegsgericht stellte und ihm zur Strafe eine Kugel durch den Kopf jagte. Selbst gegen die Engländer, die ihren Vorpostendienst doch gewiß so ungeschickt wie nur möglich versehen, haben diese Kosaken noch nicht viel ausrichten können, und auch türkische Offiziere von der Kavallerie, die der Iskender-Bei kommandirt, haben uns erzählt, daß sie dieselben an der Donau bei jeder Gelegenheit in die Flucht geschlagen hätten. Am Kaukasus, da soll der Kaiser von Rußland noch Kosaken besitzen, die etwas taugen, von allen aber, die uns hier in der Krim gegenüberstehen, kann man dies wahrhaftig nicht sagen.

Auch die Pferde dieser Kosaken halten nicht so viel aus, wie ich anfänglich geglaubt hatte, und die Hengste, die wir Chasseurs d’Afrique aus Algier mit herüber brachten, sind nicht allein schneller, sondern auch ausdauernder. Sonst haben die Russen gute Pferde und besonders ihre Artillerie ist weit besser bespannt, wie die unsrige. Ein sehr schönes russisches Pferd kaufte ich einem Zuaven, der es an der Tschernaja erbeutet hatte, für 200 Franks ab. Es ist ein Hengst von der tartarischen Race, ganz weiß mit braunen Flecken, gerade wie ein Tiger gezeichnet. Derselbe hat nur damals einen Schuß am Halse bekommen, so daß er noch nicht zu gebrauchen ist, sonst wäre mir es wohl auch nicht geglückt, ihn so wohlfeil zu erhandeln. Gute Pferde sind hier ungemein theuer, und besonders die englischen Offiziere, denen im letzten Winter ihre meisten Pferde gefallen sind, da diese das Klima nicht vertragen konnten, kaufen alle nur irgendwie brauchbaren auf, und bezahlen gern die höchsten Preise dafür, wenn sie solche nur bekommen können. Für meinen braunen Marokkaner, den ich seit sechs Jahren in allen Gefechten reite, sind mir von einem englischen Oberst schon 4000 Franks geboten worden; ich würde das Thier aber nicht hergeben und wenn er mir auch den doppelten Preis dafür böte. Diese Engländer müssen sich nicht einbilden, daß sie für ihr Geld Alles bekommen können, sogar die Kampagnepferde der französischen Offiziere.

Doch jetzt wird es mit meiner Schreiberei vorläufig wohl ein Ende haben, denn eine Ordonnanz sagt mir soeben, daß unsere Escadron in einer halben Stunde schon von den Vorposten zurückkommen werde. Dann ist keine Ruhe mehr in meinem Zelte, und der lustige K., der mit mir zusammen wohnt, treibt den ganzen lieben Tag so viele Possen, daß man keinen Augenblick in Ruhe bleiben kann, und an Schreiben dann gar nicht zu denken ist. Die Ordonnanz sagte mir, daß die Unsrigen ein kleines Vorpostengefecht mit russischen Husaren gehabt und einige Pferde dabei erbeutet hätten, ohne selbst einen Verlust zu erleiden. Nur einem Chasseur sei die Mütze von einer russischen Büchsenkugel vom Kopfe gerissen worden. Das hat man, während meine Chasseurs sich draußen herumschlagen, muß ich hier zurückbleiben. Es ist wahrlich um aus der Haut zu fahren. Doch jetzt will ich versuchen, mich auf das Pferd heben zu lassen, um der Escadron langsam im Schritte entgegenzureiten. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, meine alten Blaujacken wieder zu sehen, von denen ich mich im Leben nie mehr trennen mag.

Mein nächster Brief wird hoffentlich aus Sebastopol selbst geschrieben sein, denn es muß doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir das verdammte Nest am Ende nicht erstürmen sollten. In diesem Augenblick fängt wieder eine gewaltige Kanonade an. Ja, der Pelissier, der versteht’s und heizt den Feinden brav ein, das hat er stets schon in Algerien uns bewiesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: am
  2. Vorlage: Augenlick