Kreislers musikalisch-poetischer Klubb

Textdaten
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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Kreisleriana [Zweiter Theil] – 3. Kreislers musikalisch-poetischer Klubb
Untertitel:
aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Zweiter Theil, S. 304-311
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814-15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
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Quelle: pdf bei commons: Bd.2
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3.
Kreislers musikalisch-poetischer Klubb.


Alle Uhren, selbst die trägsten, hatten schon Acht geschlagen, die Lichter waren angezündet, der Flügel stand geöffnet, und des Hauswirths Tochter, die den kleinen Dienst bei dem Kreisler besorgte, hatte schon zweimal ihm verkündet, daß das Theewasser übermäßig koche. Endlich klopfte es an die Thür, und der treue Freund trat mit dem Bedächtigen herein. Ihnen folgten bald der Unzufriedene, der Joviale und der Gleichgültige. Der Klubb war beisammen, und Kreisler schickte sich an, wie gewöhnlich, durch eine symphoniemäßige Fantasie alles in Ton und Takt zu richten, ja wol sämmtliche Klubbisten, die einen gar musikalischen Geist in sich hegten, so viel nöthig, aus dem staubigen Kehricht, in dem sie Tag über herum zu treten genöthigt gewesen, einige Klafter höher hinauf in reinere Luft zu erheben. Der Bedächtige sah sehr ernsthaft, beinahe tiefsinnig aus und sprach: „Wie übel wurde doch neulich Euer Spiel, lieber Kreisler! durch den stockenden Hammer[WS 1] unterbrochen, habt Ihr denselben repariren lassen?“ – „Ich denke, ja!“ erwiederte Kreisler. „Davon müssen wir uns überzeugen,“ fuhr der Bedächtige fort, und damit steckte er ausdrücklich das Licht an, welches sich auf dem breiten Schreibeleuchter befand, und forschte, ihn über die Saiten haltend, sehr bedächtig nach dem invaliden Hammer. Da fiel aber die schwere auf dem Leuchter liegende Lichtscheere[WS 2] herab, und im grellen Ton aufrauschend sprangen zwölf bis funfzehn Saiten. Der Bedächtige sagte bloß: „Ei, seht doch!“ Kreisler verzog das Gesicht, als wenn man in eine Citrone beißt. „Teufel, Teufel!“ schrie der Unzufriedene, „gerade heute habe ich mich so auf Kreislers Fantasie gefreut – gerade heute! – in meinem ganzen Leben bin ich nicht so auf Musik erpicht gewesen.“ „Im Grunde“, fiel der Gleichgültige ein, „liegt so sehr viel nicht daran, ob wir mit Musik anfangen, oder nicht.“ Der treue Freund meinte: Schade sey es allerdings, daß Kreisler nun nicht spielen könne, allein man müsse dadurch sich nicht außer Fassung bringen lassen. „Spaß werden wir ohnehin genug haben,“ sagte der Joviale, nicht ohne eine gewisse Bedeutung in seine Worte zu legen. „Und ich will doch fantasiren,“ rief Kreisler, „im Baß ist Alles ganz geblieben, und das soll mir genug seyn.“ –

Nun setzte Kreisler sein kleines rothes Mützchen auf, zog seinen chinesischen Schlafrock an und begab sich ans Instrument. Die Klubbisten mußten Platz nehmen auf dem Sopha und auf den Stühlen, und der treue Freund löschte auf Kreislers Geheiß sämmtliche Lichter aus, so daß man sich in dicker schwarzer Finsterniß befand. Kreisler griff nun pianissimo mit gehobenen Dämpfern im Baß den vollen Asdur-Akkord. So wie die Töne versäuselten, sprach er:[WS 3]

Was rauscht denn so wunderbar, so seltsam um mich her? – Unsichtbare Fittige wehen auf und nieder – ich schwimme im duftigen Aether. – Aber der Duft erglänzt in flammenden, geheimnißvoll verschlungenen Kreisen. Holde Geister sind es, die die goldnen Flügel regen in überschwenglich herrlichen Klängen und Akkorden.

As moll-Akkord (mezzo forte).

Ach! – sie tragen mich ins Land der ewigen Sehnsucht, aber wie sie mich erfassen, erwacht der Schmerz und will aus der Brust entfliehen, indem er sie gewaltsam zerreißt.

E dur Sexten-Akkord (ancora più forte).

Halt dich standhaft, mein Herz! – brich nicht, berührt von dem sengenden Strahl, der die Brust durchdrang. – Frisch auf, mein wackrer Geist! – rege und hebe dich empor in dem Element, das dich gebar, das deine Heimath ist!

E dur Terz-Akkord (forte).

– Sie haben mir eine herrliche Krone gereicht, aber was in den Diamanten so blitzt und funkelt, das sind die tausend Thränen, die ich vergoß, und in dem Golde gleißen die Flammen, die mich verzehrten. – Muth und Macht – Vertrauen und Stärke dem, der zu herrschen berufen ist im Geisterreich!

A moll (harpeggiando-dolce).

Warum fliehst du, holdes Mädchen? Vermagst du es denn, da dich überall unsichtbare Bande festhalten? Du weißt es nicht zu sagen, nicht zu klagen, was sich so in deine Brust gelegt hat wie ein nagender Schmerz und dich doch mit süßer Lust durchbebt? Aber Alles wirst du wissen, wenn ich mit dir rede, mit dir kose in der Geistersprache, die ich zu sprechen vermag und die du so wohl verstehst!

F dur.

Ha, wie geht das Herz dir auf in Sehnsucht und Liebe, wenn ich dich voll glühendem Entzücken mit Melodien wie mit liebenden Armen umfasse. – Du magst nie mehr weichen von mir, denn jene geheime Ahnungen, die deine Brust beengten, sind erfüllt. Der Ton sprach wie ein tröstendes Orakel aus meinem Innern zu dir!

B dur (accentuato).

– Welch lustiges Leben in Flur und Wald in holder Frühlingszeit! – Alle Flöten und Schallmeien, die Winters über in staubigen Winkeln wie zum Tode erstarrt lagen, sind wach worden und haben sich auf alle Lieblingsstückchen besonnen, die sie nun lustig trilleriren, gleich den Vögelein in den Lüften.

B dur mit der kleinen Septime (smanioso).

Ein lauer West geht wie ein düsteres Geheimniß dumpf klagend durch den Wald, und wie er vorüber streift, flüstern die Fichten – die Birken unter einander Warum ist unser Freund so traurig worden? – Horchst du auf ihn, holde Schäferinn?

Es dur (forte).

Zieh’ ihm nach! – zieh’ ihm nach! – Grün ist sein Kleid wie der dunkle Wald – süßer Hörnerklang sein sehnendes Wort! – Hörst du es rauschen hinter den Büschen? Hörst du es tönen? – Hörnerton, voll Lust und Wehmuth! – Er ist’s – auf! ihm entgegen!

D Terz-Quart Sext-Akkord (piano).

Das Leben treibt sein neckendes Spiel auf allerlei Weise. – Warum wünschen – warum hoffen – warum verlangen?

C dur Terz-Akkord (fortissimo).

Aber in toller wilder Lust laßt uns über den offnen Gräbern tanzen. – Laßt uns jauchzen – die da unten hören es nicht. – Heisa – Heisa – Tanz und Jubel, der Teufel zieht ein mit Pauken und Trompeten!

C moll Akkorde (fortissimo hinter einander fort).

Kennt ihr ihn nicht? – Kennt ihr ihn nicht? – Seht, er greift mit glühender Kralle nach meinem Herzen! – er maskirt sich in allerlei tolle Fratzen – als Freijäger – Konzertmeister – Wurmdoktor – ricco mercante[WS 4] – er schmeißt mir Lichtscheeren in die Saiten, damit ich nur nicht spielen soll! – Kreisler – Kreisler! raffe dich auf! – Siehst du es lauern, das bleiche Gespenst mit den roth funkelnden Augen – die krallichten Knochenfäuste aus dem zerrissenen Mantel nach dir ausstreckend? – die Strohkrone auf dem kahlen glatten Schädel schüttelnd! – Es ist der Wahnsinn – Johannes halte dich tapfer. – Toller, toller Lebensspuk, was rüttelst du mich so in deinen Kreisen? Kann ich dir nicht entfliehen? – Kein Stäubchen im Universum, auf das ich, zur Mücke verschrumpft, vor dir, grausiger Quälgeist, mich retten könnte? – Laß ab von mir! – ich will artig seyn! ich will glauben, der Teufel sey ein Galanthuomo von den feinsten Sitten! – hony soit qui mal y pense[WS 5] – ich verfluche den Gesang, die Musik – ich lecke dir die Füße wie der trunkne Kaliban[WS 6] – nur erlöse mich von der Qual – hei, hei, Verruchter, du hast mir alle Blumen zertreten – in schauerlicher Wüste grünt kein Halm mehr – todt – todt – todt –

Hier knisterte ein kleines Flämmchen auf – der treue Freund hatte schnell ein chemisches Feuerzeug hervorgezogen und zündete beide Lichter an, um so dem Kreisler alles weitere Fantasiren abzuschneiden, denn er wußte wol, daß Kreisler sich nun gerade auf einem Punkt befand, von dem er sich gewöhnlich in einen düstern Abgrund hoffnungsloser Klagen stürzte. In dem Augenblick brachte auch die Wirthstochter den dampfenden Thee herein. Kreisler sprang vom Flügel auf. – „Was soll denn das nun Alles,“ sprach der Unzufriedene, „ein gescheidtes Allegro von Haydn ist mir lieber als all’ der tolle Schnickschnack.“ – „Aber nicht ganz übel war es doch,“ fiel der Gleichgültige ein. „Nur zu düster, viel zu düster,“ nahm der Joviale das Wort, „es thut Noth, unser Gespräch heute ins Lustige, Luftige hinauszutreiben.“ – Die Klubbisten bemühten sich, den Rath des Jovialen zu befolgen, aber wie ein fernes dumpfes Echo tönten Kreislers schauerliche Akkorde – seine entsetzlichen Worte nach und[WS 7] erhielten die gespannte Stimmung, in die Kreisler Alle versetzt hatte. Der Unzufriedene, in der That höchst unzufrieden mit dem Abend, den, wie er sich ausdrückte, Kreislers thörichte Fantasterei verdarb, brach auf mit dem Bedächtigen. Ihnen folgte der Joviale, und nur der reisende Enthusiast und treue Freund (Beide sind, wie es hier ausdrücklich bemerkt wird, in einer Person vereinigt) blieb noch bei dem Kreisler zurück. Dieser saß schweigend mit verschränkten Armen auf dem Sopha. „Ich weiß nicht,“ sprach der treue Freund, „wie Du mir heute vorkommst, Kreisler! – Du bist so aufgeregt, und doch ohne allen Humor, gar nicht so, wie sonst!“ – „Ach, Freund!“ erwiederte Kreisler, „ein düstrer Wolkenschatten geht über mein Leben hin! – Glaubst Du nicht, daß es einer armen unschuldigen Melodie, welche keinen – keinen Platz auf der Erde begehrt, vergönnt seyn dürfte, frei und harmlos durch den weiten Himmelsraum zu ziehen? – Ei, ich möchte nur gleich auf meinem chinesischen Schlafrock wie auf einem Mephistophelesmantel[WS 8] hinausfahren durch jenes Fenster dort!“ – „Als harmlose Melodie?“ fiel der treue Freund lächelnd ein. „Oder als basso ostinato,[WS 9] wenn Du lieber willst,“ erwiederte Kreisler, „aber fort muß ich bald auf irgend eine Weise.“ Es geschah auch bald, wie er gesprochen.





Anmerkungen (Wikisource)

Diese Erzählung enthielt in der Erstausgabe den 1. Aufzug von Prinzessin Blandina. Ein romantisches Spiel in drei Aufzügen, den Hoffmann für die zweite Auflage verwarf.


  1. Der mit Filz oder Leder ummantelte Teil der Mechanik des Hammerklavieres, der gegen die Saite prallt und den Ton auslöst.
  2. eine Dochtschere zum Kürzen des Dochtes, um rußende Flammen zu vermeiden.
  3. Die folgende, vom Klavier begleitete Erzählung mit Angabe von Tonarten und Vortragscharakterisierungen entsprechen der Praxis des Melodrams. Schon Ludwig Tieck verwandte in seinem Gestiefelten Kater (1797) dieses Stilmittel.
  4. ital.: der reiche Kaufmann.
  5. galantuomo (ital.) – ein Ehrenmann; honni soit qui mal y pense (frz.) – ein Schelm, der Böses dabei denkt.
  6. Caliban, eine wilde, unbeherrschte, naturwüchsige Gestalt aus Shakespeares Sturm.
  7. Vorlage: uns
  8. Faust reitet mit Mephistopheles auf dessem Mantel durch Nacht und Luft nach Auerbachs Keller.
  9. Der Basso ostinato ist eine beständig wiederkehrende Figur des Basses.