Brief des Kapellmeisters Kreisler an den Baron Wallborn

Textdaten
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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Kreisleriana [Zweiter Theil] – 2. Brief des Kapellmeisters Kreisler an den Baron Wallborn
Untertitel:
aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Zweiter Theil, S. 297-303
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814-15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Erstdruck: Die Musen, 1814, Drittes und letztes Stück, S.272-293
Quelle: pdf bei commons: Bd.2
Kurzbeschreibung:
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2.
Brief des Kapellmeisters Kreisler an den Baron Wallborn.


Ew. Hoch- und Wohlgeboren muß ich nur gleich, nachdem ich aus dem Komödienhause in meinem Stübchen angelangt und mit vieler Mühe Licht angeschlagen, recht ausführlich schreiben. Nehmen Ew. Hoch- und Wohlgeboren es aber doch ja nicht übel, wann ich mich sehr musikalisch ausdrücken sollte, denn Sie wissen es ja wol schon, daß die Leute behaupten, die Musik, die sonst in meinem Innern verschlossen, sey zu mächtig und stark herausgegangen, und habe mich so umsponnen und eingepuppt, daß ich nicht mehr heraus könne und Alles, Alles sich mir wie Musik gestalte – und die Leute mögen wirklich Recht haben. Doch, wie es nun auch gehen mag, ich muß an Ew. Hoch- und Wohlgeboren schreiben, denn wie soll ich anders die Last, die sich schwer und drückend auf meine Brust gelegt in dem Augenblick als die Gardine fiel und Ew. Hoch- und Wohlgeboren auf unbegreifliche Weise verschwunden waren, los werden.

Wie viel hatte ich noch zu sagen, unaufgelöste Dissonanzen schrieen recht widrig in mein Inneres hinein, aber eben als all’ die schlangenzüngigen Septimen herabschweben wollten in eine ganze lichte Welt freundlicher Terzen,[WS 1] da waren Ew. Hoch- und Wohlgeboren fort – fort – und die Schlangenzungen stachen und stachelten mich sehr! Ew. Hoch- und Wohlgeboren, den ich jetzt mit all’ jenen freundlichen Terzen ansingen will, sind doch kein Anderer, als der Baron Wallborn, den ich längst so in meinem Innern getragen, daß es mir, wenn alle meine Melodien sich wie er gestalteten und nun keck und gewaltig hervorströmten, oft schien: ich sey ja eben er selbst. – Als heute im Theater eine kräftige jugendliche Gestalt in Uniform, das klirrende Schwert an der Seite, recht mannlich und ritterhaft auf mich zutrat, da ging es so fremd und doch so bekannt durch mein Inneres, und ich wußte selbst nicht, welcher sonderbare Akkordwechsel sich zu regen und immer höher und höher anzuschwellen anfing. Doch der junge Ritter gesellte sich immer mehr und mehr zu mir, und in seinem Auge ging mir eine herrliche Welt, ein ganzes Eldorado süßer wonnevoller Träume auf – der wilde Akkordwechsel zerfloß in zarte Engelsharmonien, die gar wunderbarlich von dem Seyn und Leben des Dichters sprachen, und nun wurde mir, da ich, wie Ew. Hoch- und Wohlgeboren versichert seyn können, ein tüchtiger Praktikus in der Musik bin, die Tonart, aus der das Ganze ging, gleich klar. Ich meine nämlich, daß ich in dem jungen Ritter gleich Ew. Hoch- und Wohlgeboren den Baron Wallborn erkannte. – Als ich einige Ausweichungen versuchte, und als meine innere Musik lustig und sich recht kindisch und kindlich freuend in allerlei munteren Melodien, ergötzlichen Murkis[WS 2] und Walzern hervorströmte, da fielen Ew. Hoch- und Wohlgeboren überall in Takt und Tonart so richtig ein, daß ich gar keinen Zweifel hege, wie Sie mich auch als den Kapellmeister Johannes Kreisler erkannt und sich nicht an den Spuk gekehrt haben werden, den heute Abend der Geist Droll[WS 3] nebst einigen seiner Consorten mit mir trieb. – In solch’ eigner Lage, wenn ich nämlich in den Kreis irgend eines Spuks gerathen, pflege ich, wie ich wol weiß, einige besondere Gesichter zu schneiden, auch hatte ich gerade ein Kleid an, das ich einst im höchsten Unmuth über ein mißlungenes Trio gekauft, und dessen Farbe in Cis-moll geht, weshalb ich zu einiger Beruhigung der Beschauer einen Kragen aus Edurfarbe darauf setzen lassen, Ew. Hoch- und Wohlgeboren wird das doch wol nicht irritirt haben. – Zudem hatte man mich auch ja heute Abend anders vorgezeichnet; ich hieß nämlich Doktor Schulz aus Rathenow, weil ich nur unter dieser Vorzeichnung dicht am Flügel stehend den Gesang zweier Schwestern anhören durfte – zwei im Wettgesang kämpfende Nachtigallen, aus deren tiefster Brust hell und glänzend die herrlichsten Töne auffunkelten. – Sie scheuten des Kreislers tollen Spleen, aber der Doktor Schulz war in dem musikalischen Eden, das ihm die Schwestern erschlossen, mild und weich und voll Entzücken, und die Schwestern waren versöhnt mit dem Kreisler, als in ihn sich der Doktor Schulz plötzlich umgestaltete. – Ach, Baron Wallborn, auch Ihnen bin ich wol, vom Heiligsten sprechend, was in mir glüht, zu hart, zu zornig erschienen! Ach, Baron Wallborn – auch nach meiner Krone griffen feindselige Hände, auch mir zerrann in Nebel die himmlische Gestalt, die in mein tiefstes Innerstes gedrungen, die geheimsten Herzensfasern des Lebens erfassend. – Namenloser Schmerz zerschnitt meine Brust, und jeder wehmuthsvolle Seufzer der ewigen dürstenden Sehnsucht wurde zum tobenden Schmerz des Zorns, den die entsetzliche Qual entflammt hatte. – Aber, Baron Wallborn! glaubst Du nicht auch selbst, daß die von dämonischen Krallen zerrissene blutende Brust auch jedes Tröpfchen lindernden Balsams stärker und wohltäthiger fühlt? – Du weißt, Baron Wallborn! daß ich mehrentheils über das Musiktreiben des Pöbels zornig und toll wurde, aber ich kann es Dir sagen, daß wenn ich oft von heillosen Bravour-Arien, Konzerten und Sonaten ordentlich zerschlagen und zerwalkt worden, oft eine kleine unbedeutende Melodie, von mittelmäßiger Stimme gesungen, oder unsicher und stümperhaft gespielt, aber treulich und gut gemeint und recht aus dem Innern heraus empfunden, mich tröstete und heilte. Begegnest Du daher, Baron Wallborn! solchen Tönen und Melodien auf Deinem Wege, oder siehst Du sie, wenn Du zu Deiner Wolke aufschwebst, unter Dir, wie sie in frommer Sehnsucht nach Dir aufblicken, so sage ihnen, Du wolltest sie wie liebe Kindlein hegen und pflegen, und Du wärst kein Anderer, als der Kapellmeister Johannes Kreisler. – Denn sieh, Baron Wallborn! ich verspreche es Dir hiemit heilig, daß ich dann Du seyn will und eben so voll Liebe, Milde und Frömmigkeit, wie Du. Ach, ich bin es ja wol ohnedem! – Manches liegt bloß an dem Spuk, den oft meine eignen Noten treiben; die werden oft lebendig und springen wie kleine schwarze vielgeschwänzte Teufelchen empor aus den weißen Blättern – sie reißen mich fort im wilden unsinnigen Dreher, und ich mache ganz ungemeine Bocksprünge und schneide unziemliche Gesichter, aber ein einziger Ton, aus heiliger Gluth seinen Strahl schießend, löst diesen Wirwarr, und ich bin fromm und gut und geduldig! – Du siehst, Baron Wallborn, daß das Alles wahrhafte Terzen sind, in die alle Septimen verschweben; und damit Du diese Terzen recht deutlich vernehmen möchtest, deshalb schrieb ich Dir! –

Gott gebe, daß, so wie wir uns schon seit langer Zeit im Geiste gekannt und geschaut, wir auch noch oft wie heute Abend leiblich zusammentreffen mögen, denn Deine Blicke, Baron Wallborn! fallen recht in mein Innerstes, und oft sind ja die Blicke selbst herrliche Worte, die mir wie eigene in tiefer Brust erglühte Melodien tönen. Doch treffen werde ich Dich noch oft, da ich morgen eine große Reise nach der Welt antreten werde und daher schon neue Stiefeln angezogen. –

Glaubst Du nicht, Baron Wallborn! daß oft Dein Wort meine Melodie und meine Melodie Dein Wort seyn könnte? – Ich habe in diesem Augenblick zu einem schönen Liede die Noten aufgeschrieben, dessen Worte Du früher setztest, unerachtet es mir so ist, als hätte in demselben Augenblick, da das Lied in Deinem Innern aufging, auch in mir die Melodie sich entzünden müssen. – Zuweilen kommt es mir vor, als sey das Lied eine ganze Oper. – Ja! – Gott gebe, daß ich Dich, Du freundlicher, milder Ritter, bald wieder mit meinen leiblichen Augen so schauen möge, wie Du stets vor meinen geistigen lebendig stehst und gehst. Gott segne Dich und erleuchte die Menschen, daß sie Dich genugsam erkennen mögen in Deinem herrlichen Thun und Treiben. Dies sey der heitre beruhigende Schluß-Akkord in der Tonika.

Johannes Kreisler,
Kapellmeister, wie auch verrückter
Musikus par excellence.





Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemäß der klassischen Harmonielehre löst sich die kleine Septime des Dominantseptakkords in die Terz der Tonika, der Grundtonart auf.
  2. Murkys, in Deutschland (oft abwertend) gebrauchte Bezeichnung unbekannter Herkunft für die als dilettantisch geltenden fortlaufenden gebrochenen Oktavbässe (Murkybässe, auch als „Brillenbässe“ notiert) zur Begleitung einer Melodie.
  3. Das ist Puck in Shakespeares Sommernachtstraum