Klopf- und Spukgeister in Sachsen

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Klopf- und Spukgeister in Sachsen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 664–667
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Klopf- und Spukgeister in Sachsen.

Alle redliche Arbeit des deutschen Geistes strebt zum Licht. Aus einsamen Werkstätten und Studirstuben traten die Männer hervor, um sich unter Gottes Sonne die Hände zu dem großen Fortschrittsbunde zu reichen, der in den ewigen Gesetzen der Natur die einzig feste Grundlage alles Menschenglücks erkannt hat. Zu diesem aller Welt offenkundigen Bunde gehörten von je Alle, die wir als Wohlthäter der Menschheit verehren und deren Kampf gegen die Bollwerke und das Rüstzeug der Finsterniß gerichtet war, die den Wahn gebar und hegte und schleichend ausbreitete gerade in jenen dichten Massen der Völker, in welche die Sonne der Bildung so schwer eindringt. – Der Kampf war schwer, aber dennoch ist’s Licht geworden in weiten Länderstrichen der Erde, – und mit hoffnungsfrohem Herzen sieht der Menschenfreund auf den Fortschritt der Zeit, und vor Allem der deutsche Patriot auf die gesunde, jedes Hinderniß kräftig überwindende Entwickelung der einzig wahrhaft menschenbeglückenden Bildung im deutschen Volke.

Da – mitten in diese Freude, in diese Siegesgewißheit der rastlosen Ringer nach dem höchsten Bildungsziel wirft im Lande Sachsen ein Mann mit einem Gelehrtentitel uns ein Stück aus der wüstesten Wucherzeit des Aberglaubens als ein Resultat neuester deutscher wissenschaftlicher Forschung vor die Füße – eine so plumpe Satire, einen so lichthaßtriefenden Hohn auf das Streben der erhabensten Geister unserer Nation und den von allen Völkern geachteten Standpunkt deutscher Cultur, daß sich die Faust von selbst ballt, die den Wisch in den Winkel schleuderte. – Aber lange kann der Zorn nicht dauern, wir blicken wieder und wieder in das blaue Heft, und endlich haben wir’s in das rechte Licht gelegt, in welchem wir es unsern Lesern – nicht zu ihrer Beunruhigung, nicht zu ihrer Empörung, sondern zu ihrer Erheiterung – vor Augen bringen können.

Aus dem heimlicherweise vielbesuchten Schmollwinkel des deutschen Büchermarkts, in welchem neben den alten schielenden Weibern, welche das „wahrhaftige Traumbüchlein, gedruckt in diesem Jahr“ feil bieten, die Tractätleinverkäufer in ihren langen Angströcken stehen, die Augen gen Himmel verdrehend, und hinter schmutzigen Tischen voll „Geheimmitteln“ runde Reclamegesichter lächeln, aus diesem düsteren Schmollwinkel der gruseligen, windigen und lichtscheuen Literatur drängt sich, angethan mit dem Loyalitätsfrack der „Schriftgemäßheit“, der Herr Doctor K. A. Berthelen aus Zittau bis auf des Marktes Mitte, das erste Heft einer Schrift emporhaltend, welche den Titel führt: „Die Klopf- und Spukgeister in Oderwitz und Herwigsdorf bei Zittau, mit ähnlichen Erscheinungen der Vergangenheit und Gegenwart verglichen und ganz einfach erklärt.“ In dem Vorwort zu derselben sagt er wörtlich: „Ich erkläre diese wunderbare Geschichte von meinem eigenthümlichen wissenschaftlichen Standpunkte aus und nach den Erfahrungen und Studien, welche ich mir auf dem Gebiete der Geisterkunde erworben; denn ich bin mir bewußt, daß ich bei der wissenschaftlichen Erforschung dieser geheimnißvollen Geschichte den höchsten und vielseitigsten Standpunkt eingenommen, der sich überhaupt erklimmen läßt!“

Wir lassen ihn nun „die Thatsachen“ – jedoch, um nicht gegen seine Clausel: „Nachdruck und Uebersetzungsrecht ist vorbehalten“ zu verstoßen, nur im Auszuge – selbst erzählen.

„Es war um die Zeit vor der heiligen Weihnacht des Jahres 1863, daß in dem Häuschen des Webers Biehayn zu Nieder-Oderwitz ein heimliches, und eben deshalb unheimliches Klopfen und Pochen sich hören ließ, ohne daß es den Bewohnern des Hauses gelang, zu entdecken, wer oder was es war, das da klopfte, obgleich es sich alltäglich, besonders Abends wiederholte. Weil man nun diese Erscheinung nicht anders als menschlich und von einem Menschen ausgehend sich denken konnte, so warf man den Verdacht auf die sechzehnjährige Louise Steudner aus Herwigsdorf, welche seit einem halben Jahre bei Biehayn als Webermädchen (Wirkmagd) diente. Man traute diesem einfachen Kinde so viel Geschicklichkeit zu, daß, während sie an ihrem Webstuhl wirkte, sie auch das Klopfen zuwege brächte, was bald an die untere, bald an die obere Stubenwand immer wie von außen erfolgte und so laut war, daß es das Geräusch des Wirkstuhles übertönte. So befremdend nun auch dieses sonderbare Klopfen den Hausgenossen anfangs war, so gewöhnten sie sich doch mit der Zeit daran, wie sich der Mensch an Alles gewöhnt, selbst an das Unangenehmste. Dann und wann kam wohl ein neugieriger Nachbar und frug an, ob es denn immer noch klopfe, forderte wohl auch das Klopfeding oder klopfende Wesen durch Klopfen mit dem Finger auf den Tisch gleichsam zur Antwort heraus, was auch wirklich manchmal gelang, dergestalt, daß das Wesen mit derselben Anzahl Schlägen zu antworten pflegte, mit der es gefragt und aufgeweckt wurde. Manchmal antwortete es aber auch gar nicht. Der Wirkmagd war aber dies Klopfen nicht so kurzweilig, wie jenen Leuten, da sie es natürlich verdroß, daß man just sie im Verdacht hatte, als ob sie das Klopfen künstlich erzeuge, während sie sich doch nichts Böses bewußt war, noch darüber Rechenschaft geben konnte, wie es zuging. Klopfte es ja doch, gleichsam um ihre Unschuld zu beweisen, unverändert fort in demselben Hause, während sie einmal wegen einer Halsentzündung nach Hause gegangen und dort zehn Tage geblieben war. Aber auch dieser Umstand änderte die Gedanken der Mißtrauischen nicht, sie verfolgten nun einmal das Mädchen mit ihrem Argwohn. Diesem zu entgehen, floh dasselbe zunächst wieder zu seinen Eltern[1] Da es aber diesmal dort nur einen Tag lang mit der Klopferei verschont blieb, weilte es nur vier Tage daselbst, suchte ein neues Unterkommen als Wirkmagd bei einem Weber Lorenz wieder in Nieder-Oderwitz, und als es auch hier den andern Tag ebenfalls von diesem Spuck heimgesucht ward, nahm es seine Zuflucht wieder zu den Eltern nach Herwigsdorf. Als es nun dort bei dem Klopfen nicht blieb, sondern anderer viel gröberer Unfug sich hinzugesellte, es unter anderm sogar mit Steinen warf, so [665] that Steudtner seine Tochter zu seinem Schwager, dem Gärtner Wunderlich, nach Nieder-Olbersdorf. Dieser ist ein sehr ruhiger, nüchterner Mann, der mir, als ich ihn am 6. Mai kennen lernte, versicherte, daß er das Mädchen in der Voraussetzung bei sich aufgenommen, daß ein böser Mensch hier im Spiel sein müsse, bis er durch die aufmerksamste Beobachtung von dieser Ansicht zurückgekommen sei.“ Der alte Unfug beginnt auch hier, und zwar in verstärktem Maße. „Nun wohnt aber noch ein einundzwanzigjähriger Schmiedegeselle daselbst. Dieser hört auch einmal früh um halb sechs Uhr, als er schon munter ist, unter seinem Fenster draußen das bekannte Klopfen, schleicht sacht an’s Fenster und schaut hinab, um den Thäter zu erspähen, gewahrt aber bei aller Anstrengung seiner Augen nichts als ein kleines graues Wölkchen, das sich vom Hause hinweg über den dicht vorbeiführenden Fußsteig nach einem am jenseitigen Zaune stehenden hohlen Weidenstamme hinbewegt und in diesem spurlos verschwindet. Zweimal trug es sich zu, daß Wunderlich, wenn er früh sechs Uhr auf Arbeit ging, ein Stück alten Strickes, an dessen einem Ende ein Stück Braunkohle, wie solche draußen am Hause lagern, lose angeschleift war, einmal dicht an seinem Hause hin befestigt, das zweite Mal von der einen Ecke des Hauses und seiner Gartenthür weg quer über den Fußsteig bis zu jenem erwähnten Weidenbaume hin an der Erde liegend fand.“

Das arme Mädchen aber, da es sich bald überzeugt, daß es auch hier vor dem Spuk nicht geschützt war, bittet seine Muhme, sie wieder heim zu begleiten, was diese denn auch am Abend des vierten Tages thut. Kaum dorthin zurückgekehrt, verfolgt sie das ärgerliche und grausige Spiel auf’s Neue, worauf ihres Vaters Bruder, August Steudtner, sie in sein Haus aufnimmt.

Der Herr Doctor erzählt weiter, wie in dem neuen Asyl der Unfug immer toller, aus dem einfachen Pochen ein mit Heulen und Pfeifen abwechselndes Kratzen geworden sei, so daß selbst dem frommen Onkel die Geduld ausging und er das Mädchen mit den Worten angefahren: „Sieh, Louise, wenn Du im Stande wärest, so etwas auszuüben, so wäre es das Allerbeste, einen Klotz her und den Kopf herunter!“ – „Diese Drohung,“ fährt der Verfasser fort, „änderte gar nichts an der Sache. Die Ortsgerichte, ihrer Pflicht entsprechend, besuchten endlich auch das Mädchen Abends, als es im Bett lag und daran geklopft wurde, besahen nicht allein ihre Finger und Fußnägel, welche ihnen durch das Klopfen und Kratzen sehr abgenutzt schienen, hielten ihr Hände und Füße mit Gewalt fest (während dem klopfte es zufällig nicht) und untersuchten den Inhalt ihres Bettes bis auf den untersten Grund, fanden aber weder einen lebendigen Klopfer oder Spielmann darin, noch einen verborgenen Mechanismus, wie dergleichen Spieldosen bei reichen Leuten wohl zuweilen in dem Sitzpolster von Lehnsesseln verborgen sind, welche beim Niedersitzen zu spielen beginnen. Die Männer sahen, daß ihr Scharfsinn nicht ausreichte, und machten dem Gensd’armen Anzeige davon, welcher ebenfalls seinen Verdacht nur auf dies Mädchen warf. Und doch geschahen andere wunderbare Dinge, theils in des Mädchens Abwesenheit, theils so, daß es ihre Kräfte menschlicher Weise nicht vermocht hätten. Nicht nur bewegten sich außen am Hause hängende oder lehnende große Stangen, Pfähle, eine Leiter u. a., von unsichtbarer Hand berührt, weit weg, während das Mädchen in der Stube arbeitete, sondern einer seiner Nachbarn erzählte mir auch, er habe einmal mit Steudner in dessen Hausflur gestanden und ein Beil beobachtet, das zwischen ihnen auf einer Bank gelegen. Dasselbe habe sich von freien Stücken um seine Längsachse gedreht, bis er Steudtner gebeten, es wegzunehmen, damit es ihnen kein Unheil zufüge. Aber auch andere Dinge bewegten sich auf wunderbare Weise, „wofern man wunderbar alle die Vorgänge nennen will, wo man die bewegende Kraft nicht sinnlich wahrnimmt, was wir freilich bei den Bewegungen unserer Glieder eben so wenig vermögen, die uns daher immer noch ein Wunder und Räthsel sind, das wir täglich an uns herumtragen“ – sagt der Herr Doctor.

Der Spuk wird immer schlimmer. „Bald fand Louise zu Häupten ihres Bettes einen ganz runden Stein liegen, den sie nicht selbst dahin gelegt haben will, bald war ihre Mutter Augenzeuge, wie ihr Taschenmesser von unsichtbarer Hand ihr aus der Rocktasche herausgenommen, in der Luft geöffnet und ihr mit der Spitze gegen das Gesicht geschleudert wurde, ohne sie zu beschädigen, endlich kam es mehr als ein Mal vor, daß ihr große mehrere Pfund schwere Steine (Ziegel- und Pflastersteine) nachflogen, besonders wenn sie allein die untere Stube verlassen und sich durch die Hausflur hinaufbegeben wollte, oder von da zurückkehrte. Hier nun ist der merkwürdige Umstand auffallend, daß die Nähe August Steudner’s für seine Nichte von sichtlich schützender Kraft und Wirkung war. Denn obgleich es schon wieder ein Wunder ist, daß diese massiven Geschosse, welche noch dazu, wie man aus den Narben an der Stubenthüre schließen kann, mit großer Kraft geschleudert wurden, machtlos an dem Körper des Mädchens niederfielen, so war doch wahrzunehmen, daß das Mädchen diesem Steinhagel weniger ausgesetzt war, wenn sein Oheim es begleitete. So oft er aber fluchte, das beachte man wohl, begann der Steinhagel desto heftiger an die Thür anzuschlagen, ohne daß Steudner mit aller Anstrengung wahrnehmen konnte, wo die Steine herkamen.

„So steigerte sich der Unfug immer mehr bis zum Palmsonntag, wo er seinen Höhepunkt, aber auch seinen Wendepunkt erreichte. Daß das an sich schon schwache Mädchen durch solche täglich wiederkehrende, nun schon ein Vierteljahr unausgesetzt anhaltende Schrecknisse und Vexationen, sowie durch den Aerger über den Spott und Hohn der Welt erschüttert, endlich aufs Krankenlager dahinsank, dies ist kein Wunder. Als es soweit mit ihr gekommen war, rief man den Oderwitzer Arzt, Herrn med. pract. Schniebs, zu Hülfe, der Louise von früher kannte. Dieser besuchte sie nur ein einziges Mal, beobachtete sie auch gerade während eines Hellsehens in schlafwachem Zustande (sagt natürlich Alles der Verfasser), welchen Zustand er leider für Verstellung hielt, und sandte ihr zwar eine Flasche Arzenei, kam aber nicht wieder, weil er hörte, daß sie schnell gesund geworden und nun Ruhe habe, welche plötzliche Genesung er sich dadurch erklärte, daß er dem Mädchen das Zittauer Stadtkrankenhaus in Aussicht gestellt hatte, wo sie unausgesetzt streng beobachtet und bewacht werden würde. Mein College Schniebs, den ich sonst als einen sehr erfahrenen und geschickten Arzt persönlich hochschätze, möge mir es nicht übel deuten, wenn ich nicht umhin kann, es hier um der Wahrheit willen, der ich treu sein will und muß, auszusprechen, daß er sich nach meiner Ansicht in einem doppelten Irrthum befunden oder noch befindet. Weder war jenes Hellsehen Verstellung, noch hat er diese vermeintliche Verstellung durch jene Drohung mit dem Krankenhause so schnell geheilt. Vielmehr hatte es mit der Genesung des Mädchens eine ganz andere höhere, aber auch verborgenere Bewandtniß. Gerade um dieselbe Zeit nämlich, wo der Arzt sie beobachtet, und auch der Ortsgeistliche, Herr Pastor Ludwig, sie auf ihr eigenes dringendes Verlangen einmal besucht und durch Gebet und geistlichen Zuspruch gestärkt und erbaut hatte, waren die äußeren Anfechtungen und Kämpfe zu einem inneren Seelenkampfe umgewandelt. Darum sagte ich oben, daß hier der Wendepunkt, die Krisis des ganzen Handels liege. Da nun ein solcher innerer Seelenkampf kein Kinderspiel ist, auch die Verstellung und Schauspielkunst dabei nichts hilft, im Gegentheil es dabei oft über die Kräfte eines schwachen Menschen geht, so fügt es die Vorsehung Gottes sehr weise, daß sie den Geist eines so Kämpfenden in ein inneres Schauen versetzt, ihn von den Fesseln des Körpers mehr befreit, diesen sammt seinen Sinnen in einen tiefen Schlaf versenkt und für die feindliche Außenwelt unempfindlich macht. Dieser Schlaf scheint allerdings dem unerfahrenen Laien wegen seines plötzlichen Eintrittes sowohl, als auch wegen der lebhaften Gespräche, die darin geführt werden, oder auch wegen der vorkommenden Krämpfe, welche nur ein Abbild der geistigen Kämpfe sind, krankhaft, er ist es aber im Grunde nicht, sondern nur außergewöhnlich und bedarf daher gar nicht der Hülfe des Leibarztes, wohl aber immer und vor allem des einzigen Seelenarztes Jesus Christus. Denn hier nun gilt es, was der Apostel Paulus die Epheser ermahnt 6, 10.

„In solchem Zustande des inneren Schauens sah das Mädchen mit geistigem Auge öfters zwei feindliche schwarze Gestalten seinem Lager nahen, welche nicht allein durch böse Mienen, sondern auch durch die schrecklichsten Drohungen ihm dergestalt zusetzten und es ängstigten, daß es von Schweiß und Thränen gebadet nicht anders glaubte, als sein letztes Stündlein sei gekommen. Der eine jener beiden schwarzen Geister erschien dem Mädchen gerade in derselben thierischen Gestalt, wie die Volkssage den Teufel darstellt. Nachdem es den Bösen mit den Worten von sich gewiesen: „Weiche weg von mir, Satan, denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr!“ siehe, so erschien ihm dieser selbst in Person mit seinem himmlisch friedevollen Antlitz, [666] reichte ihm die tröstende Hand und richtete seine leidende Seele mit den Worten empor: „Nun hört es auf mit deinen Klagen!“

Dies geschah aber erst, nachdem noch drei Stürme des Bösen mit dem Beten vieler Lieder des Zittauer Gesangbuchs abgeschlagen waren. Wir kommen nun aber zum Ueberraschendsten aller dieser Wunder.

„Daß (so fährt wieder der Herr Doctor fort) diese Gebete wenigstens nicht alle in der Seele und dem Gedächtniß geschlummert, erhellt deutlich aus folgendem Umstande. Nachdem sie unendlich viele Lieder laut gebetet, die im Zittauer Gesangbuche stehen, das in Herwigsdorf eingeführt ist, erkannten die Umstehenden aus dem Zwiegespräch des Mädchens mit dem Heiland, daß dieser ihm ein zwölf Strophen langes Lied vorsagte, das es beten solle. Verwundert sagte Louise zu dem Herrn: „Dieses Lied finde ich ja nicht in dem Gesangbuch,“ worauf er ihr das Grabebüchlein[2] andeutete, worin sie es auch fand und laut betete. Die fromme Mutter Louisen’s, welche mir dieses Alles erzählte, konnte sich leider nicht entsinnen, ob sie dieses lange Lied mit offenen oder geschlossenen Augen gelesen. Letzteres wäre nicht unmöglich, da, wie bekannt, hellsehende Personen nicht allein offene Bücher, sondern selbst verschlossene Briefe, zumal, wenn diese in die Gegend ihres Herzens gelegt werden, lesen können. Es giebt zwar immer noch Aerzte, z. B. Prof. Dr. Bock in seinem „Buch vom gesunden und kranken Menschen“, welche dies für Fabel halten, weil sie es nicht selbst erlebt haben, allein die Thatsache ist denn doch schon durch zu glaubwürdige Zeugen bestätigt worden, als daß sie sich von Gelehrten bestreiten läßt. Da einmal heute noch Wunder geschehen, d. h. Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit entweder gar nichts träumen läßt, oder die sie nicht ergründen kann, so wird sie es auch bleiben lassen müssen, zu bestimmen, wo die Natur aufhört, wo das Wunder anfängt. Der Herr läßt sich darüber so wenig Vorschriften machen, wie damals, wo Petrus auf Johannes deutend ihn fragte: „Herr, was soll aber dieser?“ und er antwortete ihm: „So ich will, daß er bleibe, bis ich komme, was gehet es dich an? Folge du mir nach! –“

Nach diesem kühnen Citat des Herrn Doctor würden unsere Leser uns wohl gestatten, ihn und den traurigen Gegenstand seiner „wissenschaftlichen“ Ereiferung hier zu verlassen. Wir glauben jedoch, das Thatsächliche kurz zu Ende führen und der haarsträubenden Art, wie der Verfasser die Berechtigung des Geister- und Teufelsglaubeus „wissenschaftlich“ belegt, einigen Raum gönnen zu müssen.

Das Klopfen und Kratzen, Rumoren und Steinwerfen hörte nach jener „Krisis“ auf. Dagegen sah man jetzt Thüren, Tische, Stühle, Bänke, Fensterladen mit Kreide beschrieben, in leserlicher deutscher Handschrift, aber meist so unsaubern Inhalts, daß der Herr Doctor „sich wohl denken kann, daß sie eines Geistes würdig sind, der eben im Pfuhl der Hölle sich wälzt.“ – Noch die sauberste dieser Inschriften lautete: „August Steudner, wenn Du das Luder (nämlich das Mädchen Louise) nicht aus dem Hause schaffst, so zünde ich Dir heute noch das Stroh an der Stallthür an und in der Scheune soll es auch lodern!“ – Diese Kreideschriften sollen sich an einem Tag über zweihundert Male nach jedem Abwischen erneuert und vervielfältigt haben, Alles von unsichtbarer Hand und selbst in streng verschlossenen Gemächern. Nachdem jedoch ein Nachbar eine dieser Inschriften abgeschrieben und dem königl. Gerichtsamte mitgetheilt hatte, – athmeten sie plötzlich einen versöhnlichen Geist und hörten endlich ganz auf. Kurze Zeit nachher (am 13. April) wurde das Mädchen zur Untersuchungshaft gebracht, nach vier Wochen, während welcher es erkrankte und namentlich Krämpfe bekam, zwar straffrei entlassen, jedoch mit der Drohung, daß man es körperlich züchtigen, ja sogar zwei Jahre lang in Hubertusburg einsperren werde, falls der Spuk nach ihrer Heimkehr sich wiederholen sollte. –

Der Spuk in den Häusern hat sich nicht wiederholt; desto ärger tobt er im Kopfe des Herrn Doctor fort und trieb ihn zur Veröffentlichung der vorliegenden Schrift. Wir begnügen uns damit, aus derselben noch folgende Blumenlese mitzutheilen.

„Sehr verbreitet war die Ansicht, daß ein böser Mensch, der etwas von der sogenannten schwarzen Kunst verstehen müsse, es dem Mädchen angethan habe. Insbesondere hatte man einen armen reisenden Handwerksburschen im Verdacht, diesen Zauber an der Louise ausgeübt zu haben, da sie noch bei Biehayn diente. Als dessen Frau ihm Brod statt Geld geboten, habe er dies, wie das oft vorkommt, verschmäht und ihr mit spöttischer Ironie durch die Wirkmagd einen Dreier darreichen lassen, weil sie ärmer zu sein scheine, als er. Da nun Frau Biehayn zu stolz gewesen, von dem Bettler diese Münze anzunehmen, so habe die Magd dieselbe behalten und sei mit diesem behexten Dreier der Spuk und Zauber an ihr haften geblieben. Bestärkt wird dieser Verdacht durch den Umstand, daß jener Mensch beim Fortgehen eine bedeutende Drohung ausgesprochen haben soll. – Obgleich nun das Mädchen mir versichert hat, daß es weder diesen Handwerksburschen gesehen, noch von ihm Geld empfangen habe, so kann ich doch jene Landleute, welche diesen Argwohn hegen, deshalb nicht abergläubisch nennen, wie dies von aufgeklärten Männern geschehen ist, welche geradezu behaupten, die Oderwitzer und Herwigsdorfer müßten trotzdem, daß sie an einer Eisenbahn wohnen, in der Bildung noch um dreihundert Jahre zurück sein. Daß Zauberei eine Kunst ist, die schon im hohen Alterthum von den Heiden geübt worden, sollte doch jeder Christ aus der Bibel wissen. – Daß aber die Kunst der Zauberei auch heute noch nicht ganz ausgestorben ist, sondern selbst in der Christenheit noch ein wenn auch heimliches und kümmerliches Leben fristet, davon habe ich mich in meiner ärztlichen Praxis zu überzeugen oft Gelegenheit gehabt und muß es deshalb aufrichtig beklagen, daß christliche Gesetzgeber neuerer Zeit von dem Vorurtheil befangen, daß eine solche Kunst gar nicht existire, die Strafen der Zaubereisündeu gänzlich aufgehoben haben.“

Mit großer Verehrung citirt er Richard Baxter, „der bis zu seinem Tode (1691) als presbyterianischer Geistlicher in England segensreich gewirkt“ und aus dessen Buch über die „Gewißheit der Geister“ er den zwölffachen Nutzen, den wir aus dem rechten Gebrauch von Geistergeschichten schöpfen können, mittheilt. Uns genügt Nr. 1. „Wir sehen darin eine bewundernswürdige Anordnung Gottes, welcher die verschiedenartigsten Geschöpfe unter seiner Obhut hat und alle zu seinen Zwecken verwendet. Wie Kröten und Schlangen oder Raubthiere nicht umsonst da sind, so sind auch Teufel oder verdammte Seelen nicht umsonst da, sondern Gott verwendet sie zu seinen Zwecken, wenn er gleich nicht will, daß Jemand in diesen Zustand gerathe.“

Und, als ein neuer Beitrag zur Meteorologie, Nr. 8. „Wenn wir durch den Luftraum, der von Teufeln und bösen Geistern bewohnt ist, dahinfahren, werden Engel uns geleiten und Christus wird uns aufnehmen.“

Nachdem der Verfasser endlich nach Baxter „verschiedene geschichtliche Beispiele von Geistererscheinungen, Hexen und wunderbaren überzeugenden Werken der Vorsehung Gottes“ mitgetheilt hat, setzt er seinem Werk die Krone auf durch die Schlußbemerkung:

„Diese alten Geschichten nun werden unsern heutigen Teufelsleugnern, deren Partei in der Christenheit so groß ist (zumal in Norddeutschland, z. B. in Hannover, wo es den Leuten an Phantasie zu fehlen scheint, um sich einen persönlichen Teufel vorstellen zu können), daß ein christlich Familienvater kaum drei Zeugen zu der Taufe eines Kindes auffinden kann, welche unser christliches Glaubensbekenntniß mit einem aufrichtigen ,Ja’ angeloben möchten, sehr anstößig und ein wahrer Gräuel sein. Deshalb halte ich es für nöthig, sie daran zu erinnern, daß die letzte Geschichte (vom Citiren und Erscheinen des Teufels) gerade ebenso im Leben des Dr. Faust wirklich vorgekommen ist und den großen Freigeist, die höchste Blüthe der Aufklärung, unsern Lessing, zu dem Entwurf eines Schauspieles begeistert hat, der nur leider nicht ausgeführt, aber von Goethe neu aufgenommen und durchgeführt worden ist. Würden wohl diese beiden Geister sich mit dem Teufel so befaßt haben, würde auch wohl ein feinfühlendes und gebildetes Publicum Goethe’s Faust heute noch ohne Ekel auf der Bühne sehen können, wenn nicht in dieser Dichtung die tiefste Wahrheit läge, die aber sowohl Lessing als Goethe aus der Bibel, nämlich aus der Geschichte des Hiob geschöpft haben? Da sich aber heutzutage viele in dem Wahne wiegen, als ob jene Dichter uns das Princip des Bösen nur deshalb persönlich dargestellt, weil sie es sonst überhaupt nicht sinnlich darstellen gekonnt hätten, so muß ich diesen Männern es denn doch einmal recht ordentlich zu Gemüthe führen, daß in der ganzen heiligen Schrift die Hauptperson eigentlich der Teufel ist. Dies hat uns ganz [667] treffend und schlagend der evangelische Prediger Wimmer in seiner gediegenen Schrift: ,Adam und sein Geschlecht’ – Versuch einer Geschichte der Menschheit aus ihrer ältesten Urkunde. Bremen 1863 – bewiesen.“

Und so ständen wir denn auf dem Höhepunkt orthodoxdogmatischer Frechheit, denn nachdem man in Gottes Wort den Teufel als Hauptperson gefunden, werden wohl die Wortgläubigen das Höchste geleistet haben.

Bedarfs noch einer Bemerkung? – Ja, denn viele unserer Leser werden fragen: Warum theilt die „Gartenlaube“ uns diesen Blödsinn mit, der sein Unheil sich auf jeder Seite des Schriftchens selbst spricht? – Antwort: Dieses Spuk- und Klopfgeister-Büchlein, im Selbstverlag des Verfassers erschienen, war ganz geeignet, hauptsächlich durch Colportage in den unteren Schichten des Volks verbreitet zu werden, ohne vielleicht von Seiten der Gebildeten und der Kritik Beachtung zu finden. Darin lag das einzige Gefährliche desselben und dies wird dadurch beseitigt, daß man das Machwerk möglichst hoch, recht weit sichtbar, am Pranger der Lächerlichkeit annagelt. Ohne Zweifel wird gerade deshalb mit demselben der Herr Doctor ein besseres Geschäft machen; gönnt es ihm! Die Hauptsache ist, daß dem Aberglauben das Geschäft in unserm Volke verdorben werde.

  1. Dies war am 2. Januar 1864.
  2. So nennen die Landleute dort die „Sammlung alter und neuer Lieder an den Gräbern unsrer Entschlafenen“ von M. K. G. Willkomm, weiland Pfarrer zu Herwigsdorf, herausgegeben. Zittau u. Leipzig 1819.