Kleinschmidt, Kulturbund, 1946
Einführung
Der Artikel Kleinschmidt, Kulturbund, 1946 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Kleinschmidt, Kulturbund“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von 1946. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].
Tagebuchauszüge
[...] [1] Heute wurde mir erzählt, daß Herr v. Achenbach sich auf einer Versammlung der 3 oder 4 Kommunisten, oder vielmehr: Kommunistinnen, in Ahrenshoop u. Althagen über mich geäußert hat: ich hätte in meiner Bürgermeisterzeit die Nationalsozialisten begünstigt. Nach u. nach erkenne ich mehr u. mehr, wes Geistes Kind dieser Herr ist, von dem mir der kranke Herr Glaeser, den ich heute besuchte, sagte, daß er ihm 26,– Rm. für erteilten russischen Unterricht schulde. Er ist jetzt in Rostock Geschäftsführer des Kulturbundes geworden u. hat sich nach dort begeben, jedoch ist seine Familie nach wie vor hier. [...]
[2][...] [2] Dora Oberländer war in Rostock beim Kulturbund. Herr Kreuzberg, der Geschäftsführer der Sektion für bild. Kunst, läßt mich bitten, hier den Verbindungsmann für das Fischland zu machen. [...]
[2][...] [2] An Kreuzberg geschrieben, daß ich die Vermittlung zwischen der Sektion für bild. Kunst u. den hiesigen Kollegen übernehmen will. [...]
[3][...] [4] Man hört von verschiedenen Seiten, daß beschlossen worden sei, Ahrenshoop auch in Zukunft nicht mit Flüchtlingen zu belegen, sondern vielmehr möglichst bald wieder für den Badebetrieb frei zu machen u. vor allem als Künstlerort zu bevorzugen. Wenn sich das bewahrheiten sollte, wäre das freilich ein bedeutender Hoffnungsschimmer. Wenn auch nur wenig Sommergäste kommen werden, würde das doch für uns von großer wirtschaftlicher Bedeutung sein. Ich würde dann meine Bilder in der BuStu. ausstellen. [...]
[5][...] [5] Es erschienen dann drei fremde Herren, d.h. den einen von ihnen kannte ich, es war der Maler Schmidt-Detloff aus Rostock. Die beiden anderen entpuppten sich als der Geschäftsführer der Sektion f. bild. Kunst im Kulturbunde, Herr Kreuzberg u. als der sog. Kunsthändler des Sektion, Herr Weiß. Letzterer könnte ebensogut ein Geschäft für Büromöbel oder sonst etwas haben, man sieht ihm an, daß er von Kunst nicht viel versteht, aber er macht den Eindruck eines gutmütigen u. anständigen Kerls. Herr Kreuzberg dagegen sieht vorzüglich aus. Er ist ein feiner, bescheidener u. intelligenter Mensch mit guten Manieren, er mag etwas über 30 Jahre alt sein, ungemein sympatisch.
Die Herren sahen sich also meine Bilder an. Herr Weiß war sprachlos u. verstand nichts, um so entzückter waren die beiden anderen Herren. Herr Weiß gab sich rührend Mühe, irgendetwas zu verstehen u. bat mich um Hilfe, die ich ihm gab so gut ich konnte. Allmählich wurde er immer lebendiger, was sich dann noch erheblich steigerte, als ich meine Zeichnungen zeigte, die in ihren Passepartouts wirklich einen sehr guten Eindruck machen. Schließlich war Herr Weiß so begeistert, daß er am liebsten gleich sämtliche Bilder mitgenommen hätte. Er bot mir an, in der ständigen Kunstausstellung der Sektion ein besonderes Zimmer für mich einzurichten u. dort nur ausschließlich meine Bilder zu zeigen. Ich sagte ihm, daß ich daran kein Interesse hätte, ich wollte meine Bilder zurückhalten, bis ich einmal Gelegenheit haben würde, in einer geschlossenen Sonderausstellung groß herauszukommen. Da er aber nicht aufhörte zu bitten, gab ich nach u. versprach, ihm drei bis vier Bilder zu überlassen. Es ist ja möglich, daß sich auf diese Art die von mir erstrebte Sonderausstellung einmal verwirklichen läßt. Vorerst gab ich ihm zehn Zeichnungen mit, die er zunächst [6] einmal ausstellen mag. Wegen der Oelbilder wollen die Herren bald noch einmal herkommen. Sie hatten nämlich wegen des verschneiten Weges ihren Wagen in Wustrow stehen lassen u. ich wollte ihnen die Bilder so nicht mitgeben, da sie zu leicht beschädigt werden können. Ich sagte Herrn W., daß ich ihm die Bilder erst geben könne, wenn er mit dem Wagen bis vor meine Tür fahren könne. Er war auf Zureden der anderen Herren einverstanden u. zog erst einmal hoch befriedigt mit den zehn Zeichnungen ab.
Herr Kreuzberg berichtete zwischendurch von allerhand großen Plänen, die die Sektion hat, aber das ist noch Zukunftsmusik. [...]
[6] Ueber den Besuch der drei Herren ist noch erwähnenswert, daß auch Herr v. Achenbach mit ihnen gekommen war, aber nicht in mein Haus kam, sodaß ich davon nichts wußte. Als es dämmerig wurde, erschien plötzlich Frau v. Achenbach, um zu sagen, daß ihr Mann unten wartete u. die Herren bäte, bald zu kommen. Die Aversion dieses Herrn gegen mich geht also so weit, daß er nicht selbst in mein Haus kommt, sondern seine Frau schickt. Herr Kreuzberg bemerkte, daß Herr v. A. ein ausnehmend eitler Mensch sei u. höchst unsympatisch u. daß ein solches Benehmen nur auf ihn zurückfalle. Ich sagte weiter nichts dazu. Aber ich habe die sichere Ueberzeugung, daß dieser Besuch der drei Herren für mich von recht günstiger Bedeutung sein kann u. daß sich daraus etwas entwickeln kann. Die Herren, besonders die beiden Kollegen, waren so offensichtlich beeindruckt von den Bildern, daß ich mich darüber sehr freute. [...]
[7][...] [7] Gestern war Frau v. Achenbach bei Martha in der Absicht, mich zu überreden, daß ich hier im Ort eine Ortsgruppe des Kulturbundes gründen möchte. Es soll sich darum handeln, daß Ahrenshoop als Erholungsort für bildende Künstler ausersehen sein soll u. dazu sei notwendig, daß hier eine Ortsgruppe des Kulturbundes besteht. Frau v. A. hat gesagt, daß ihr Mann heute hierher käme u. mit mir die Angelegenheit besprechen wolle. Martha hat aber sehr abgewinkt mit dem Hinweis auf meine Erkrankung. Außerdem hat sie bezweifelt, daß Herr v. A. zu mir kommen würde, doch soll Frau v. A. dem heftig widersprochen haben. Tatsächlich soll ja heute im Kurhause auch eine Werbe-Veranstaltung des Kulturbundes stattfinden. Herr v. A. ist aber heute Vormittag zweimal mit seiner Frau an meinem Hause vorbeigekommen, ohne hereingekommen zu sein. Ich hätte ihn auch unter keinen Umständen empfangen. Ich weiß nicht, was dieser Mensch will. Er boykottiert mich in beleidigender Weise, – u. nun soll ich ihm helfen. Ich denke garnicht daran. – [...]
[7] Ueber die sog. Werbe-Veranstaltung des Kulturbundes im Kurhause ist übrigens nirgends etwas zu erfahren, auch am Schwarzen Brett ist nichts angeschlagen. Die ganze Geschichte scheint eine Schaumschlägerei zu sein. [...]
[8][...] [8] Herr v. Achenbach ist gestern nicht gekommen. Ich habe auch sonst nicht gehört, was aus dieser Kulturbund-Angelegenheit geworden ist. Es ist wohl alles nur Geschwätz u. Wichtigtuerei. [...]
[9][...] [9] In der „Täglichen Rundschau“, diesem russischen Propagandablatt u. kommunistischen Hetzblatt steht ein Artikel von „Oberregierungsrat Venzmer“, indem mit lehrerhafter Pedanterie u. Arroganz den Künstlern Anweisungen gegeben werden, wie u. was sie zu machen haben. Dieser ehemalige, in Schwerin lebende Zeichenlehrer ist Präsident der Sektion für bildende Kunst im Kulturbunde. Er sitzt eben in Schwerin, wo es sonst keine Künstler gibt, u. so ist er dieser Präsident geworden, u. jetzt ist er Oberregierungsrat. Es ist wahrhaftig eine Affenschande.
Gestern Abend besuchte uns Ilse Schuster, die aus Magdeburg für einige Tage hier ist. Sie wird jetzt ebenfalls dort im Kulturbund eine Stellung bekleiden u. sie erzählte von diesem Kulturbund, der immerhin wenigstens einige beachtenswerte Mitglieder hat, die auch offenbar etwas zu sagen haben, während hier in Mecklenburg alle naturhaften Künstler sich zurückhalten. Im übrigen ist auch dort alle Arbeit ohne Sinn, denn Magdeburg ist eine absolute Trümmerstadt u. für kulturelle Bestrebungen ist garkein Raum. Frau Sch. möchte gern, daß ich dort eine Ausstellung mache, da der Vorsitzende dort meinen Namen kennt u. gern bereit ist, eine Sonderausstellung zu machen; aber ich fürchte mich davor. [...]
[10] Es waren heute mehrere Herren vom Kulturbund aus Rostock hier mit zwei Autos, natürlich Herr v. Achenbach u. ein evang. Pastor Kleinschmidt mit seiner Frau, der sich im Kulturbund oft aufspielt u. sich den Anschein gibt, Kommunist zu sein. Ich kenne ihn persönlich nicht. Frau Dross ist zu Herrn v. A. gegangen, als sie hörte, daß er hier wäre, um sich zu beklagen, daß ein Bild von ihr auf dem Transport vom Kulturbunde nach hier verloren gegangen sei. Frau v. A. hat versucht, der Frau Dross den Eintritt zu verwehren, da die Herren angeblich eine sehr wichtige Konferenz hätten, aber impertinent wie Frau D. ist, hat sie sich nicht abspeisen lassen u. hat wenigstens festgestellt, daß alle Herren zu einem üppigen Mahle versammelt waren, dessen Duft ohnedies das ganze Haus erfüllte, daß es Alkohol u. Cigarren gab u. daß alle sehr fröhlich waren. Ich glaube es schon. Diese Herren leben allesamt einen sehr guten Tag u. essen auf, was anderen entzogen wird. Kommunismus! – Aber ich denke, daß diesen Herrn v. A. sein Schicksal wohl bald erreichen wird, denn er hat wegen seiner eitlen Arroganz [11] jetzt schon viele Feinde in Rostock. Gegen 6 Uhr sah ich den Herren abfahren in zwei Autos, einer großen Limousine für 6 Personen u. einem kleinen Wagen für 2 Personen, in dem eine Dame saß. Es wird wohl das Auto des Herrn Pastor Kleinschmidt, des Kommunisten, gewesen sein. Alle diese Leute leben von den Steuern der Mitbürger u. den Mitgliedsbeiträgen des Kulturbundes einen guten Tag, indessen das Volk hungert. Ich werde mich hüten, mit diesen Leuten etwas zu tun zu haben.
Abends war noch Ilse Schuster da u. sah meine Bilder an. Sie war der Meinung, daß meine Bilder das größte Interesse der Kunstkreise in Magdeburg finden würden u. sie will dort entsprechend berichten. Aber was werden in Magdeburg schon für Kunstkreise sein? Vielleicht fünf oder sechs anständige Maler, – wenn es hoch kommt! – Ich sagte ihr, daß ich vorerst kein sehr großes Interesse an einer Ausstellung hätte. Dieser ganze Betrieb ist nicht sehr einladend. – Immerhin scheint der Kulturbund nach dem, was Ilse Schuster berichtet, in Magdeburg nicht so korrupt zu sein wie in Rostock, wo die Korruption unter der Leitung des Herrn v. Achenbach sehr bald beträchtliche Ausmaße annehmen dürfte.
[11][...] [11] Gegen Abend kam Herr Kreuzberg, der allein hier ist u. bei Achenbach wohnt. Er will zwei Tage hier aquarellieren. Er ist doch noch Geschäftsführer der Sektion; aber die Situation ist schwierig u. mit viel Aerger verbunden. Er ist ein sehr zurückhaltender Mensch u. erzählt nicht viel, sodaß man die Dinge mehr erraten muß. Vielleicht wird er morgen nach dem Abendessen noch einmal kommen u. dann vielleicht etwas mehr auftauen
[11][...] [12] Gestern Abend war Herr Kreuzberg bei uns. Er berichtete, daß die Idee, Ahrenshoop zum Kurort der Kulturbundes zu machen, von der Reichsleitung des Kulturbundes in Berlin ausgeht. Es wird heute im Dorfe erzählt, daß in den nächsten Tagen der Präsident der Landesverwaltung Högner u. a. hohe Regierungsleute höchstpersönlich herkommen sollen, um Ahrenshoop zu besichtigen. – Sonst ist Herr K. ein sehr vorsichtiger Mann, der nur das beantwortet, was man ihn fragt, was nicht grade sehr unterhaltsam ist. Etwas Neues wußte er nicht mitzuteilen. [...]
[12][12] Am Freitag fuhr Martha mit dem Lastauto von Litzau nach Rostock, um im Wirtschaftsamt vorzusprechen u. sich sonst zu orientieren. Sie kam erst abends gegen 8 Uhr zurück. Herr Kreuzberg fuhr mit demselben Auto zurück. Martha hatte denselben Eindruck wie ich, daß Herr Kreuzberg umgefallen ist. Als er das erste Mal hier war, äußerte er sich sehr kritisch über Herrn v. Achenbach, aber jetzt wohnte er in dessen Hause u. es schien mir so, als nähme er für ihn Partei. Auch politisch scheint er sehr für die Russen zu sein, möglicherweise ist er gar Kommunist, mindestens aber in der neuen Einheitspartei. Es scheint mir, als wäre da Vorsicht am Platze. [...]
[13][13] Man hört heute, daß gestern im Kurhause die maßgebenden Leute versammelt waren, die die Vorbereitungen zu treffen haben, um Ahrenshoop zum Erholungsort für geistig Schaffende zu machen. Es soll auch der Herr „Oberregierungsrat“ Venzmer aus Schwerin dagewesen sein. Diese Sache gewinnt also offenbar Gestalt. [...]
[13][...] [13] Von Pater Joh. Beckmann Nachricht aus Ribnitz, daß er am kommenden Sonntag nachmittags zu uns kommen wird, um Erna, das Mädchen von Frau Longard, mit ihrem Verlobten zu trauen. Dieser war Soldat, Gefangener, u. ist seit einiger Zeit hier. Das Paar will heiraten, kann es aber nur Sonntags tun, da er dienstverpflichtet ist nach Ribnitz, wo er das Werk von Bachmann abzubauen helfen muß. Die Arbeit wird drei Monate dauern. – Bachmann scheint damit völlig erledigt zu sein. Sein Haus hier ist ebenfalls beschlagnahmt worden u. soll, so viel ich weiß, für die Künstler mit zur Verfügung gestellt werden, die der Kulturbund hierher transportieren wird. Am kommenden Sonntag soll abermals eine Beratung hierüber hier stattfinden, zu der auch des Landrat erscheinen soll. [...]