Kleiner Briefkasten (Die Gartenlaube 1875/5)

Textdaten
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Titel: Kleiner Briefkasten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 88
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[88] W. P. in Berlin, Manteuffelstraße Nr. 48. Unsere letzte[WS 1] Nummer wird Sie bereits überzeugt haben, daß Ihr Verdacht ein ungerechtfertigter war. Wir billigen auch vollständig die Empörung unseres verehrten Mitarbeiters Glagau und bedauern namentlich die vielen Opfer, welche in der Schwindelperiode ausgesogen und zum Theil ruinirt wurden. Die Gerechtigkeit verlangt indeß auch die Kehrseite der Medaille aufzudecken, und da will es uns doch scheinen, als wenn einige Anschauungen Glagau’s nicht immer mit den unsrigen harmonirten.

Ist es zum Exempel nicht ein Irrthum, wenn unser schlagfertiger Mitarbeiter, wie das in dem ersten Artikel geschehen, die Behauptung aufstellt, die „nationale Begeisterung“ und die „heiligsten Gefühle“ des Volkes seien durch die Speculation und das Gründerthum benutzt und auf eine verbrecherische Weise ausgebeutet worden? Sollte Herr Glagau im Ernst glauben, daß alle die Leute, welche mit Rumäniern und andern Gründungsactien, wie die Berliner sagen, „h’reingefallen“ sind, aus „nationaler Begeisterung“ und „durch heilige Gefühle“ veranlaßt, gezeichnet oder gekauft haben? War es nicht im Gegentheil und nur allein die Sucht, statt der bisherigen vier und fünf Procent mit Leichtigkeit acht, zehn und zwölf Procent zu verdienen, und wurden nicht die meisten Opfer lediglich durch die Aussicht verlockt, mit wenig Mühe viel Geld zu gewinnen und so nebenbei auch „ein wenig gründen“ zu helfen? Was haben die „heiligen Gefühle“ mit Strousberg’schen oder Quistorp’schen Actien zu thun? Das Gründungswesen, wie es in den letzten Jahren betrieben wurde, kann nicht scharf genug gegeißelt werden, aber andererseits darf auch nicht verschwiegen werden, daß die übertriebene Gewinnsucht der kleinen Leute den Gründungsschwindel auf jede Weise unterstützt und dadurch längere Zeit gefördert hat. Geradezu gefährlich aber ist es, dieser schnöden Gewinnsucht auch auch noch die patriotische Märtyrerkrone aufzusetzen und „heilige Gefühle“ unterzuschieben, wo allein der leidige Mammon die Triebfeder war.

K. L. in Fbg. Wir möchten Ihnen doch rathen, bei Ihrer mangelhaften Vorbildung nicht mit diesem Feuer zu spielen. Sie dürften sich die Finger in einer Weise verbrennen, die Sie für alle Zeiten zum Krüppel machen könnte. Schopenhauer’sche Philosophie und namentlich das Hartmann’sche System des Unbewußten sind Dinge, die sich nur für feste, eiserne Constitutionen eignen. Ein Kritiker Hartmann’s äußerte sich neulich sehr richtig über die „Philosophie des Unbewußten“: „Wir haben Bücher über die Art glücklich zu sein; aber das ist wahrhaftig eines, welches ohne Schaden seinen Titel vertauschen könnte gegen den der Kunst, sich unglücklich zu machen, wenn man es nicht ist, und noch unglücklicher, wenn man es schon ist.“ Freilich hat die Philosophie, wenn sie ihr Ziel, die Wahrheit, erreichen will, nicht zu fragen, ob Illusionen vernichtet und einige Schwache und Zweifelnde unglücklich werden.

J. B. in Dresden. Nicht Signore, wohl aber Signor wird im öffentlichen Leben Italiens, genau wie in Deutschland, bei der Anrede allen Titeln vorangesetzt und nur im vertraulichen Verkehr, wie ja bei uns auch, weggelassen. Wenn nun, unserer Ansicht nach, das Nichtbekanntsein mit einem solchen Gebrauche noch lange keine „grobe Unwissenheit“ involvirt, so dürfte es doch selbst für einen Tertianer (Tertianerin?) räthlich sein, der Veräußerung seiner Kenntnisse das Gewand der Bescheidenheit umzuhängen; denn, wie Lateiner auch schon in Tertia sagen, errare humanum est.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heft 4, Vorlage: vorletzte