Kleine Bilder aus der Gegenwart/Das fescheste Zeugl

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Titel: Das fescheste Zeugl
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 540
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Kleine Bilder aus der Gegenwart.
Das fescheste Zeugl.

Ja, das ist noch eine Wiener Specialität, eine der letzten, die es giebt: der „Fiaker“, unter welcher Benennung man das Gefährte sowie dessen Lenker versteht, diese zwei untrennbaren Begriffe, die zusammen gewachsen sind wie Pferd und Mensch im Centauren! Der Wiener Fiaker hat eine hohe Fahrtaxe, und er besitzt eine bewundernswerthe Fertigkeit, sie zu überschreiten. Ueber den behördlich festgestellten Tarif setzt er sich eben so kühn hinweg wie über das Verbot des Schnellfahrens. Er eilt wie der Sturmwind über das Straßenpflaster dahin, und wenn er am Ziele angelangt ist, rechnet er auf die Großmuth Derjenigen, die er so rasch befördert hat. Aber damit allein ist sein Wesen nicht erschöpft. Der Wiener Fiaker fühlt sich als ein wichtiges gesellschaftliches Element. Er weiß, daß Jemand, der zur eleganten Welt gehören will, seiner Mithilfe nicht entrathen kann. Selbst wer Equipage hält, muß sich zuweilen in einem „feschen Zeugl“ sehen lassen; sonst trifft ihn aus dem Munde maßgebender Zeitgenossen das niederschmetternde Urtheil, nicht „fesch“ zu sein. Und es ist, nebenbei bemerkt, ein Vergnügen, im Fiaker durch die Straßen zu fliegen; sogar der Kaiser und die Erzherzoge bereiten sich dasselbe, so oft sie können, und es giebt bestimmte Gelegenheiten, bei denen ein Fiaker – nach den gestrengen Satzungen einer exklusiven Lebewelt – für „nobler“ gilt als die glänzendste Karrosse mit stolzem Wappen, und „nobel“ sein, das ist ja einer der Träume jedes echten Wieners. Weil der Fiaker weiß, welches internationalen Rufes er sich erfreut, fällt es ihm nicht ein, die Rolle eines demüthigen, bescheidenen Dieners des Publikums zu spielen. Mit starkem Selbstbewußtsein, herausfordernd um sich blickend, sitzt er auf dem Kutschbock, und zwischen ihm und seinen ständigen Kunden – seinen „Kavalieren“, wie er sich ausdrückt – bildet sich eine Art von freundschaftlichem Verhältnisse heraus. Er sieht ein, daß er ohne den „Kavalier“ nicht bestehen kann, aber er macht auch kein Hehl aus der Ueberzeugung, daß der „Kavalier“ ohne ihn – kein „Kavalier“ wäre. Der „fesche“ Fiaker und der „fesche“ Fahrgast fraternisiren mit einander. Wenn letzterer mit Vorliebe den Vorträgen der sogenannten „Volkssänger“ und den Produktionen vorortlicher Musiker lauscht, so begnügt der Fiaker sich nicht damit, diesen Kunstgattungen und ihren Vertretern hohe Verehrung zu bekunden, sondern er tritt gern auch als ausübender Künstler auf. Eine Reihe von Fiakern, der „Bratfisch“, der „Baron-Schau“, der „Xandl“ etc. (durchwegs keck erfundene Spitznamen) thun sich als Jodler, Kunstpfeifer, Koupletsänger u. dergl. m. hervor, und es ist nichts Seltenes, daß ein Fiaker Jemanden zu Volkssängern führt, im Laufe des Abends aber selbst das Podium betritt, unter jauchzendem Beifalle sich hören läßt, in später Nachtstunde dann wieder zu Peitsche und Leitseil greift und ruhig sein Gewerbe betreibt: ein neuer Cincinnatus, der zum Pfluge zurückkehrt, nachdem er die höchsten Ehren genossen hat.

Das fescheste Zeugl in Wien.0 Originalzeichnung von W. Gause.

Das „Fiakerlied“, dessen Popularität jeder Beschreibung spottet, feiert den Wiener Zweispänner mit jener Mischung von Lustigkeit, Eigenlob und Sentimentalität, welche ein Ganzes von so ausgesprochener Lokalfarbe bildet. Man singt in allen Gasthäusern den Text, alle Leierkästen spielen die Melodie, und am liebsten hören die Wiener es vom Fiaker selbst vortragen, und besonderer Jubel bricht los, wenn auf das „Fiakerlied“ das „Komfortabellied“ folgt, eine satirische „Dichtung“, in welcher der billigere und allerdings weniger elegante Einspänner verspottet wird – zum Gaudium der „noblen Leute“, die an den Fiaker gewöhnt sind, wie der „nicht noblen“, denen sogar der „Komfortabel“ zu kostspielig ist. Nicht nur die Dialektworte, sondern auch das Wesen des „Fiakerliedes“ muß dem Nichtwiener wie ein Räthsel erscheinen, wenn er miterlebt, wie schon der Beginn des wunderlichen Sanges zündend wirkt:

„I hab’ zwa harbe Rapperln,
Sein eing’spannt in meinen Wag’n,
Mein Zeugerl müssen’s kennen,
’s is ’s Schönste auf’n Grab’n;
Denn i bin a Fiaker,
Kein Zweiter is net da,
Komm’ i mit meine Schießer,
So schreit gleich All’s: Halloh!’“

Unter den feschen „Zeugln“, die Wien besitzt, hat unser Zeichner das „fescheste“ ausgewählt: dasjenige, das die Nummer 32 trägt. Man findet den Rosselenker hier zweimal: mit seinem Fahrzeug und als Portrait. So sieht er wirklich aus! Ein Sportsman in Kleidung und Haltung, eine Kopie „seines“ Barons, das heißt seines wichtigsten Klienten. Er fährt eben an der Tribüne vor, auf welcher das Publikum des Trabwettfahrens im Prater versammelt ist, Damen und Herren erwartungsvoll wie die Spanier vor dem Stiergefecht. Die Herren, die ihn prüfend umstehen, sind Preisrichter, deren fachmännischem Auge er ruhig Stand hält. Die Scene ist historisch. Der „Zweiunddreißiger“, der fesche Karl, hat an dem letzten Trabwettfahren nicht theilnehmen dürfen, weil im entscheidenden Augenblicke sein Riemzeug einen Schaden erlitt. Aber einen Ehrenpreis bekam er doch; denn sein „Zeugl“ erschien zu tadellos, als daß er leer hätte ausgehen dürfen. Der „Zweiunddreißiger“, Karl Hinterberger heißt er in seinen Dokumenten, ist ein Hätschelkind der „Kavaliere“ – und in diesem Falle verdienen letztere thatsächlich diesen Titel; denn in der Regel steht das „fescheste Zeugl“ nur dem Geburtsadel zur Verfügung, und wenn dieser gewohnheitsmäßig den Karl duzt, so soll in vertraulichen Stunden der Karl hinwieder manchen Grafen und Fürsten mit dem brüderlichen „Du“ erfreut haben, ohne damit Anstoß oder Aerger zu erregen. Das „fescheste Zeugl“ wird in einer Kulturgeschichte Wiens nicht unerwähnt bleiben dürfen. Eine Menge Wiener Eigenthümlichkeiten ist vor dem Sturmwinde einer neuen Zeit zerstoben; der Fiaker allein hat sich erhalten als ein Wahrzeichen, dem keine Stadt etwas Aehnliches zur Seite stellen kann, und der „Zweiunddreißiger“ ist gar ein auserwählter! o–.