Textdaten
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Autor: Oscar Justinus
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Titel: Kissinger Brunnenpromenade
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 413, 414–415
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[413]

Nach einer Photographie im Verlage von R. Wagner in Berlin.
Brunnenpromenade in Kissingen.
Nach dem Gemälde von Ad. Menzel.

[414]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Kissinger Brunnenpromenade.


Kurbäder und Kurbrunnen erfreuen sich eines hohen Alters. Wenn Faust in seiner Apotheose an den Mond sich dahin äußert:

„Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Thau gesund mich baden,“

so ist das nichts anderes, als was heute ein durch seine Studien überangestrengter, nach dem ewigen Stubenhocken und Bücherstaubschlucken an Brust und Magen leidender Herr Professor an Karls-, Marien- oder irgend ein anderes Bad ausrufen könnte. Und wenn die Griechen von der kastalischen Quelle schwärmten, welche die Trinkenden zu Poeten machte, oder die Edda von dem Born erzählt, an dem die Asen ewige Jugend sich tranken, so ist das sicher so eine Art Apollinaris oder Gieshübler, Faulbrunnen, Rakoczy oder Vichy gewesen, welcher die Gesundheit zurückgab, so daß die kranken Leute sich plötzlich verjüngt und zu lyrischen Extravaganzen angeregt fühlten.

Thermen wurden schon bei den ältesten Kulturvölkern aufgesucht, aber bis in unser Jahrhundert war das Reisen ein so unverhältnißmäßig theures Vergnügen, daß es sich nur wenige bevorzugte Große leisten konnten, und erst seit der Erfindung der Eisenbahn, eigentlich erst seit den letzten Jahrzehnten der Rundreisekarten, der chemischen Analysen, der telegraphischen Depeschen, der Prospekte und Cirkulare hat das moderne Bäderleben wie alles, was heute geboten wird, Bedeutung für alle Schichten des Volkes gewonnen und besitzt in Hunderttausenden von bürgerlichen Familien eine Wichtigkeit, wie man sie früher nicht einmal ausdenken konnte. Nach einem alten Naturgesetz zieht die Kälte zusammen, dehnt die Wärme aus. In den Wintermonaten rücken alle Familienmitglieder gemüthlich in den erwärmten Räumen der Häuslichkeit zusammen, sobald aber die Sonne ihre Strahlen senkrechter zur Erde sendet, treibt es in den Städten wie in einer Tonne gährenden Mostes, und es ist, als ob die Moleküle es nicht mehr nebeneinander aushalten könnten, der Gatte trennt sich von der Gattin, der Bruder von der Schwester, und in weite Kreise sich dehnend, zerstreut sich die Familie nach den verschiedensten Sommerfrischen, in die Alpen, an die See, vor allem in die Bäder!

Ich muß offen gestehen, daß ich mich noch niemals zum Kurgebrauch in einem Badeorte aufgehalten habe: wenn ich also darüber berichte, so thue ich dies gewissermaßen mit der „Objektivität vollster Unkenntniß“; aber ich habe doch einen großen Theil derselben als Tourist kennengelernt, und selbst ein solcher kann sich nicht ganz dem gewinnenden Eindrucke dieses geschäftigen Schlaraffenlebens entziehen. Während man sich das Jahr über nur mit Menschen zusammengespannt sieht, die bis zur Ermüdung des Geistes oder Körpers angestrengt arbeiten, wobei ich allerdings Bälle, Diners, Konzerte, Vorträge, Theater, Besuch von Bildergalerien und Ausstellungen auch ein bißchen in die „Arbeit“ einzuschließen mir gestatte, sehen wir uns hier umringt von Tausenden, welche kaum an etwas anderes denken, als wieviel Schritte sie vor Tisch und nach Tisch gehen, wie lange sie schlafen, wieviel Becher sie vor dem Frühstück nehmen dürfen, wann sie sich heute zum Bade einstellen, ob sie dies oder jenes Gericht bei Tisch an sich vorübergehen lassen müssen oder ob sie es sich genehmigen dürfen, welchen sanften Spaziergang sie diesen [415] Nachmittag wählen, wo sie ihren Kaffee einnehmen werden und ob sie nach dem Kaffee noch ein Stündchen in das Lesekabinett sich verfügen oder der Musik zuhören oder irgendwelches nicht aufregende Spielchen machen sollen und auf welcher Bank sie Platz nehmen könnten, um von den ungemeldeten und unwillkommensten Kurgästen, den Mücken, möglichst wenig belästigt zu werden.

Wenn man als Zugereister die Leute in den Bädern über diese kleinen Sorgen um das Ich mit der wichtigsten Miene der Welt debattieren hört, kann man sich eines Lächelns nicht erwehren, und doch sind sie alle so beschäftigt und gehen abends mit derselben Erschöpfung zu Bett, als wenn sie ein ungeheures Tagewerk hinter sich hätten. Es kommt aber etwas hinzu, was immer und überall anregend wirkt und wenn nicht das Hauptheilmittel, so doch mit den Hauptreiz dieser Kurorte bildet, was die von den gesellschaftlichen Pflichten des Winters und von den sehr lieben, aber oft sehr quälenden Ansprüchen der Kinderstube abgemattete Hausfrau alle Müdigkeit überwinden läßt, wenn es an das Einpacken ins Bad geht, und was den eingestaubtesten Philister seinem Skat und seiner Stammkneipe entfremdet: die Gesellschaft.

All die kleinen Leiden, welche der einzelne zu ertragen hat und daheim unausgesprochen in seinem Innern birgt, um seiner Umgebung nicht lästig zu fallen, hier trifft er Gleichgesinnte, denen er sie in aller Ausführlichkeit vorlegen und bei denen er stets überzeugt sein darf, ein geneigtes Ohr zu finden. Es ist ein Trost im Elend, Genossen zu haben: hier findet die nervöse Dame, welche bei jedem Tastenanschlag zusammenschrickt, Nachbarinnen, welche schon das Summen einer Fliege aus dem Häuschen bringt: hier schließt sich der fette Herr, welcher Jahrzehnte nicht mehr das Glück gehabt hat, seine Füße anders als im Spiegel zu sehen, an eine ganze Kohorte von Leidensgefährten an, im Verhältniß zu denen er sich eine Sarah Bernhardt an Schlankheit vorkommt und mit denen er nun gemeinsam die großen Märsche ausführt, welche ihnen der Arzt gerathen hat; hier trösten sich an attackenfreien Tagen gichtleidende Gourmands über das frugale Mahl, welches ihnen ihr Arzt gestattet, und vornehme hysterische Damen finden bei liebenswürdigen Kavalieren für ihr interessantes Leiden verständnißvolles Eingehen.

Während man aber in den kleineren Bädern einander bald kennt und von jedem zugekommenen Gaste Notiz nimmt, bildet in den großen internationalen Kurorten die Badegesellschaft – dem Meere gleich – eine in ewigem Fluß und Wechsel befindliche Masse, die alle Morgen wenn nicht neue Erscheinungen, so doch neue Toiletten auf den Platz bringt, an deren Oberfläche Bekanntschaften sich anknüpfen, oft flüchtigerer Art, erlöschend, sobald der eine Theil nach Hause fährt, oft beständigerer Natur, mit verhängnißvollem Ausgange, das heißt mit schließlicher – Vermählung.

Mit seinem Bilde aus Kissingen hat Meister Menzel einen Griff ins volle Badeleben gethan, und wo Menzel das Leben packt, da ist’s interessant. Wir sehen die Badegesellschaft von Kissingen in angestrengtester Thätigkeit. Rakoczy und Pandurbrunnen werden auf kleinen beweglichen Oefen vorgewärmt. Rechts kühlt Frau Kommerzienräthin den für ihre Lippen etwas zu heißen Trank durch Blasen ab, während ihre beiden schwarzlockigen Kleinen ein Vergnügen daran finden, ihre Fingerchen in den aufsteigenden Dämpfen zu wärmen; vermuthlich macht es ihnen Spaß, Mama im Trinken Gesellschaft zu leisten, obwohl sie es, Gott sei Dank – durchaus nicht nöthig haben. Der leberleidende hagere Berliner dahinter – ist’s ein Staatsanwalt oder gar ein „Geheimer revidierender Kalkulator“? – erfreut sich, aus der Nelke in seinem Knopfloch zu schließen, derzeit einer ausgezeichneten Stimmung. Zweckbewußt schlürft er sein Glas Nummer 4 – der Mann verzählt sich nicht! Links prüft ein deutscher Gelehrter mit tastenden Fingern eben „das Gemisch“, als stände er in seinem Laboratorium. Er trägt den Typus der achtundvierziger Männer, den runden Hut, den weiten Ueberzieher, den etwas verwilderten grauen Vollbart und graues Haupthaar, aber er ist längst ein ausgesöhnter Mann in Amt und Würden geworden und neigt sehr zu Hypochondrie und Schopenhauerscher Weltverachtung; den Regenschirm, welchen er in steter Gefährdung seiner Umgebung unter den Arm geklemmt trägt, läßt er auch bei sonnigstem Wetter nicht von der Hand. An ihm vorüber schreitet eben ein Mann, den ich entschieden für Hamlets Geist halten würde, wenn man nicht wüßte, daß dieser in Helsingör durchaus unabkömmlich ist. Er ist auch kein Däne, sondern ein Sohn Albions und zwar einer, welcher sein halbes Leben in einem indischen Regiment gestanden hat und im Verkehr mit den Radschputen braun wie ein Hindu geworden ist. Seine Gattin weilt mit der Familie in Brighton, während ihm sein Arzt Kissingen verordnet hat, und er wandert, sein Glas wie einen Orden vom Goldenen Vließ um den Hals gehängt, als ein wandelnder Thurm mit unfehlbarer Regelmäßigkeit schweigsam durch die Trinkerschar. Er versteht zwar kein Deutsch, wenn er aber überhaupt Neigung hätte, sich um andere Menschen zu kümmern, so würde er sich sicher über die Gruppe freuen, welche sich hinter ihm aufgestellt hat. Ein vermuthlich pommerscher Gutsbesitzer, einstmaliger Major, jetzt unternehmender Witwer, heute wieder jung geworden, in weißem Hut und weißem Beinkleide, hat es nämlich erst ungemein schüchtern, dann stufenweise kühner werdend, auf das Herz einer liebenswürdigen Dame abgesehen und überreicht ihr bereits ein Bukett, welches seinen demnächst zu erwartenden förmlichen Antrag einleiten soll. Der geistliche Herr, ein österreichischer Vikar, amüsiert sich über dieses Ereigniß, das er vorausgesehen hat, mit einer gewissen Schadenfreude, denn die lebhafte junge Witwe hat ihm anvertraut, daß sie sich vor acht Tagen mit einem jungen Deutschamerikaner heimlich verlobt hat, der nach Beendigung der Kur heimgekehrt sei, um seine Eltern, Dollarmillionäre, auf seinen Schritt langsam vorzubereiten. Heute noch oder morgen soll von Boston das Kabeltelegramm einlaufen, welches ihr gestatten wird, sich öffentlich als die Braut des vielumworbenen Mr. Bob Miller, Firma Miller Brothers, zu bekennen. Sie nimmt übrigens dem Major a. D. seine Annäherungsversuche nicht übel; die heimliche Braut freut sich, daß sie Eindruck auf den Promenadenfreund gemacht hat, und daß seine Huldigung von der interessanten jungen Dame im großen Hut mit Bänder- und Federnschmuck, welche zu verschiedenen Malen Neid auf ihre Triumphe an den Tag gelegt hatte, bemerkt wird, bereitet ihr, die ihr Schäfchen bereits im Trocknen hat, doppeltes Vergnügen.

Ueberall, wo immer man umblickt, merkwürdige Kurgäste, gemüthliche Philister, grauhaarige freundliche Matronen, junge hübsche Frauen am Arme alter Herren, ein anziehender Roman mit Hunderten von Personen. Selbst zwischen dem kleinen dem Kinderpaare zugehörigen Pudel und dem italienischen Windspiel im Vordergrunde des Bildes würde sich etwas anknüpfen, wenn nicht eine starke Hand letzteres an der Kette zurückhielte. Wie gesagt: das allerschönste von dem Bade bleibt – die Brunnenpromenade.

Daß die Bäder unterhalten, erfrischen, daß der Umgang mit neuen Menschen, die Anregung neuer Lebensgewohnheiten, der Aufenthalt in freier Luft, das regelmäßige Leben wohlthätig wirkt, scheint mir außer Frage zu stehen. Was die Wirkung der Becher und Bäder selbst betrifft, so muß ich das Urtheil darüber den Jüngern der Heikunde überlassen. So viel ist unbestritten: wenn jemand mit seinem vierzigsten Jahre anfängt, Bäder zu besuchen, und das aus Gewohnheit und Dankbarkeit so an 40 bis 50 Jahre hintereinander fortsetzt, dann wird er ein ganz respektables Alter erreichen. Oscar Justinus.