Textdaten
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Titel: Kinkels Wochenschrift
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 44
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[44] Kinkel’s Wochenschrift. Die Deutschen in London und England überhaupt haben auf die verschiedenste Weise versucht, durch Englisirung Ersatz für das Vaterland zu finden. Aber es scheint überall mißlungen zu sein. Das englische Leben, so viele Vorzüge man ihm auch vor dem deutschen zuschreiben mag, bietet keinen Ersatz für das deutsche. Dieses hat sich denn auch nicht nur unter den Deutschen in England, sondern auch unter den Engländern zunehmend geltend gemacht.

Gegen das Englischthun der Deutschen ist seit Jahren eine immer stärkere Reaction eingetreten. Der Deutsche lernte sich, obgleich in dieser Beziehung selten unterstützt durch Ereignisse im Mutterlande, nach und nach als Deutscher fühlen und zeigen. Die Kinder einer Mutter, die sich früher flohen und mieden, fanden sich wieder zusammen. Es entstanden deutsche Vereine und Clubs aller Art, größere oder kleinere deutsche Colonien in den verschiedensten Stadttheilen Londons; deutsche Zeitungen, Journale und Bücher wurden von denen gesucht, die früher mit bitterem Hohn sich gerühmt, daß sie längst verlernt, noch etwas Deutsches zu lesen. Auch lernte man mit der Zeit einsehen, daß deutsche Arbeiter, Künstler, Gelehrte, Fabrikarbeiter, Gewerbtreibende, Kaufleute, alle Berufsarten und Stände, wenn auch oft durch landsmannschaftliche Taugenichtse irritirt und gedemüthigt, doch ganz wesentlich und in überwiegendster Majorität durch Persönlichkeit und Leistung die Engländer bei Weitem übertreffen. Eine Menge Leistungen und Arbeiten werden längst schon von den Engländern nur bei Deutschen gut gesucht und gefunden.

Kurz, die Deutschen in England fanden ihr Deutschland hier und cultiviren es seitdem mit zunehmendem Selbstgefühl.

Gottfried Kinkel hat sich das entschiedenste Hauptverdienst um Belebung und Veredelung des Selbstgefühls der hiesigen Deutschen erworben. Schon seine imposante, edele, auch in England hochgeehrte Persönlichkeit that Etwas. Aber erst seine Vorträge vor Arbeiter- und Kaufmanns-, Künstler- und Gelehrtenkreisen über deutsche Literatur, Geschichte und Kunst, worin er mit goldener, freier anmuthiger Rede die ewigen Schätze des deutschen Genius den hier Zerstreuten und oft sich ihres Vaterlandes Schämenden vor die Augen stellte und zu Herzen führte, vollendeten den Proceß aus deutscher Selbstentfremdung heraus in deutsches Selbstgefühl. Auch war Er es mehr wie jeder andere Patriot, Er, dem man Bitterkeit gegen das Vaterland am ersten verziehen haben würde, von dem es Viele erwarteten, der mit Liebe, mit Anerkennung, mit Hoffnung von den gegenwärtigen Zuständen sprach und – seiner ganzen Natur und Richtung nach – stets das Positive, Bedeutende, Erfreuliche in vergangenen und gegenwärtigen Zuständen und Thatsachen hervorzuheben und so seine Zuhörer zu trösten, zu erheben verstand. Wie oft wußte er bienenartig selbst entschiedenen Giftblumen ein Tröpfchen Honig abzugewinnen!

Um den Proceß des deutschen Sichwiederfindens in England und im Auslande überhaupt kräftiger unterstützen und weiter, anhaltender wirken zu können, entschloß er sich plötzlich, nachdem er sich aus den Ruinen einer mit der edeln Frau gemeinschaftlich errungenen Thätigkeit und Stellung kräftig emporgerungen (aber sein Haar ist dabei binnen wenig Wochen weiß geworden) zur Herausgabe des „Herrmann. Deutsches Wochenblatt aus London“. Es herrschte hier in London eine wahre freudige Begeisterung darüber, die ihm persönlich und durch Briefe eben so massenhaft zuströmte, wie vor einigen Wochen die erschüttertste Theilnahme.

Das Blatt will, wie der Prospect sagt, den Zweck verfolgen: „unter den im Auslande lebenden Deutschen den Antheil an der Nationalität und Freiheit des Vaterlandes zu wahren, und den Deutschen daheim einen Sprechsaal zu eröffnen in einem stammverwandten Lande, wo die Presse nur durch das von Geschworenen vertretene Gesetz beschränkt ist.“ – „Außer der Politik soll besonders das Ziel in’s Auge gefaßt werden, von deutschen Erfolgen in Leben, Kunst und Wissenschaft Bericht zu geben, zumal wenn sie von Landsleuten im Auslande errungen sind. Jede Nummer bringt einen Kunstbericht aus London, welcher im Laufe des Jahres für den Reisenden und Einheimischen in eine vollständige Anweisung zum Sehen der hier aufgehäuften Schätze sich abrunden soll. Ein Feuilleton von Originalarbeiten vertritt den Fortschritt der Literatur.“

Die erste Nummer ist erschienen. Der Leitartikel weist nach, daß von den verspotteten und verfolgten „Errungenschaften“ in Deutschland eine gute, nicht zu verachtende Zahl geblieben ist und Wurzel geschlagen habt, aus denen Blüthen und Früchte zu erwarten sind. „Deutschland“ wird mit einer freudigen Perspective rückwärts in die Vergangenheit und vorwärts in die Zukunft in seinen gegenwärtigen Verhältnissen und mit seinen zufälligen Tages-Ereignissen anerkennend revidirt. Wir machen hier nur noch auf das Feuilleton aufmerksam: Erlebnisse der Frau Johanna Kinkel aus ihrem kurz vor ihrem Tode vollendeten größeren Romane entnommen. Sie werden das Feuilleton mehrere Wochen füllen und Allen, die an ihrem Leben, Leiden und Tode so innigen Antheil nahmen, um so willkommner sein, als sie ihr bis jetzt wenig bekanntes Londoner Leben und Streben, komische und tragische Schicksale beleuchten.

In London herrscht große Freude über das neue Unternehmen Kinkels. Es ist uns, als hätten wir nun erst das rechte Band vaterländischer Gemeinsamkeit auf diesem fremden, schweren Boden gewonnen. Große Freude auch deshalb, weil jetzt, nachdem verschiedene Versuche einer deutschen Presse hier von unfähigen, sogar schmutzigen Händen gemacht wurden, zum ersten Male diese literarische Vertretung Deutschlands in London und England von den Händen eines würdigen Mannes, Gelehrten, Dichters und Schriftstellers in Angriff genommen ward.[1]

  1. Die Verlagshandlung der Gartenlaube wird später mittheilen, durch welche Gelegenheit und zu welchem Preise der „Herrmann“ zu beziehen ist.