Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Kindesdank und Undank
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 37-40
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Kindesdank und Undank.

Man findet gar oft, wenn man ein wenig aufmerksam ist, daß Menschen im Alter von ihren Kindern wieder ebenso behandelt werden, wie sie [38] einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernens von den Eltern; sie sehens und hörens nicht anders, und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, daß der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle.

Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite große Beherzigung verdient.

Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleißigen und frohen Landmann an dem Ackergeschäft an, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, daß der Acker nicht sein Eigenthum sey, sondern daß er als Tagelöhner täglich um 15 kr. arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sey, täglich mit 15 kr. auszureichen, und noch so frohen Muthes dabey zu seyn, und verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: „es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muß ein Drittheil davon genügen; mit einem Drittheile zahle ich meine Schulden ab, und den übrigen Drittheil lege ich auf Capitalien an.“ Das war dem guten Fürsten ein neues Räthsel. Aber der fröhliche Landmann fuhr fort, und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe [39] ich, daß sie mich einst in meinem müden Alter auch nicht verlassen werden.“ War das nicht artig gesagt, und noch schöner und edler gedacht und gehandelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine sterbende Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.

Aber ein anderer gieng mit seinem Vater, welcher durch Alter und Kränklichkeit freilich wunderlich geworden war, so übel um, daß dieser wünschte, in ein Armen-Spital gebracht zu werden, das im nemlichen Orte war. Dort hoffte er wenigstens bey dürftiger Pflege von den Vorwürfen frei zu werden, die ihm daheim die lezten Tage seines Lebens verbitterten. Das war dem undankbaren Sohn ein willkommenes Wort. Ehe die Sonne hinter den Bergen hinabgieng, war dem armen alten Greis sein Wunsch erfüllt. Aber er fand im Spital auch nicht alles, wie er es wünschte. Wenigstens ließ er seinen Sohn nach einiger Zeit bitten, ihm die letzte Wohlthat zu erweisen, und ihm ein paar Leintücher zu schicken, damit er nicht alle Nacht auf bloßem Stroh schlafen müßte. Der Sohn suchte die 2 schlechtesten, die er hatte, heraus, und befahl seinem zehnjährigen Kind, sie dem alten Murrkopf ins Spital zu bringen. Aber mit Verwunderung bemerkte er, daß der kleine Knabe vor der Thür eines dieser Tücher in einen Winkel verbarg, und folglich dem Großvater nur eines davon brachte. „Warum hast du das gethan?“ fragte er den Jungen bey seiner Zurückkunft. – „Zur Aushülfe für die Zukunft“, erwiederte dieser kalt und bösherzig, „wenn ich euch, o Vater! [40] auch einmal in das Spital schicken werde.“

Was lernen wir daraus? – Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlgehe!