einst ihre alten und kraftlosen Eltern behandelt haben. Es geht auch begreiflich zu. Die Kinder lernens von den Eltern; sie sehens und hörens nicht anders, und folgen dem Beispiel. So wird es auf die natürlichsten und sichersten Wege wahr, was gesagt wird und geschrieben ist, daß der Eltern Segen und Fluch auf den Kindern ruhe und sie nicht verfehle.
Man hat darüber unter andern zwei Erzählungen, von denen die erste Nachahmung und die zweite große Beherzigung verdient.
Ein Fürst traf auf einem Spazierritt einen fleißigen und frohen Landmann an dem Ackergeschäft an, und ließ sich mit ihm in ein Gespräch ein. Nach einigen Fragen erfuhr er, daß der Acker nicht sein Eigenthum sey, sondern daß er als Tagelöhner täglich um 15 kr. arbeite. Der Fürst, der für sein schweres Regierungsgeschäft freilich mehr Geld brauchte und zu verzehren hatte, konnte es in der Geschwindigkeit nicht ausrechnen, wie es möglich sey, täglich mit 15 kr. auszureichen, und noch so frohen Muthes dabey zu seyn, und verwunderte sich darüber. Aber der brave Mann im Zwilchrock erwiderte ihm: „es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muß ein Drittheil davon genügen; mit einem Drittheile zahle ich meine Schulden ab, und den übrigen Drittheil lege ich auf Capitalien an.“ Das war dem guten Fürsten ein neues Räthsel. Aber der fröhliche Landmann fuhr fort, und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen alten Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kindern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/046&oldid=- (Version vom 1.8.2018)