Karl von Clausewitz (Die Gartenlaube 1881/9)

Textdaten
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Autor: E. Rudorff
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Titel: Karl von Clausewitz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 148–152
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[148]
Karl von Clausewitz.
Ein Lebensbild aus den Zeiten der Befreiungskriege.
Von E. Rudorff.
„Ich habe nie Ihren großen Werth verkannt.“
Scharnhorst.

Unter den ausgezeichneten Männern, welche seit der unglücklichen Schlacht bei Jena ihr ganzes Streben daran setzten, Preußen vom tiefen Fall zu erheben, steht in erster Linie der jüngere Freund Scharnhorst’s und Gneisenau’s, Karl von Clausewitz. Er war eine ideal angelegte Natur, und wie er für sein Denken und Handeln die reinsten Charaktere des Alterthums als Vorbilder nahm, so schenkte er auch Freundschaft und Liebe nur wahrhaft vornehmen Seelen. Dem allgemeinen Interesse ist Clausewitz kürzlich durch das Erscheinen seiner mit so großem Beifall aufgenommenen Biographie von Karl Schwartz[1] auf’s Neue näher getreten, und so dürfte ein Blick auf sein Leben den Lesern der „Gartenlaube“ gerade jetzt nicht unwillkommen sein.

Wir stützen uns bei den folgenden Mittheilungen namentlich auf das so eben erwähnte interessante Lebensbild und berücksichtigen dabei besonders unseres Helden bisher noch wenig bekannt gewordenes, von Hauche einer schönen Idealität durchwehtes Verhältniß zu seiner Geliebten und nachmaligen Gattin, der durch große Gaben ausgezeichneten Gräfin Marie von Brühl.

Karl von Clausewitz wurde 1780 in Burg geboren. Sein Vater war als Officier im siebenjährigen Kriege bei Colberg an der rechten Hand verwundet worden, mußte den Abschied nehmen und erhielt den Posten als Accise-Einnehmer in Burg. Das Einkommen dieser Stelle betrug 300 Thaler, und von einer so bescheidenen Summe hatte Clausewitz vier Söhne und zwei Töchter zu erziehen. Trotzdem war die Erziehung der Kinder eine so treffliche, daß sie alle sich des braven Vaters würdig erwiesen.

In Burg gab es nur eine Bürgerschule, welche Karl bis zu seinem zwölften Jahre besuchte; dann trat er, gleich seinen älteren Brüdern, in das Regiment „Prinz Ferdinand“ ein und machte im nächsten Jahre mit demselben den Rheinfeldzug mit.

Mit fünfzehn Jahren als Secondelieutenant nach Neu-Ruppin in Garnison gekommen, suchte der lernbegierige Jüngling die Lücken seiner Bildung auszufüllen, doch fehlte es in der kleinen Stadt ebenso sehr an Hülfsmitteln dazu, wie an der nöthigen Anleitung. Erst 1801 erfüllte sich sein sehnlichster Wunsch: sich auf der allgemeinen Kriegsschule in Berlin fortbilden zu dürfen.

Kurze Zeit vorher war Scharnhorst als Obristlieutenant im dritten Artillerieregimente und Lehrer an der Militärakademie in den preußischen Dienst berufen worden und übernahm nun den größten Theil des Unterrichts an dieser Anstalt. Voll Güte und Freundlichkeit ermunterte er den nur unzulänglich vorbereiteten jungen Officier und förderte durch seinen lichtvollen Unterricht dessen geistige Anlagen. Mit Recht nannte daher Clausewitz ihn „den Vater seines Geistes“ und hing zeitlebens mit der höchsten Verehrung an dem geliebten Lehrer. Wiederholt hat Scharnhorst geäußert, daß außer seinen Kindern ihm kein Mensch auf Erden so nahe gestanden habe als Clausewitz. Und 1813 schreibt er dem jüngeren Freunde: „Ich habe nie Ihren großen Werth verkannnt; recht gefühlt habe ich ihn erst in dieser Zeit, wo ich so viel zu thun hatte. Nur mit Ihnen verstehe ich mich; nur unsere Ideen vereinigen sich oder gehen in ruhiger Gemeinschaft neben einander in unveränderter Richtung.“

Clausewitz verdankte es Scharnhorst, daß er nach beendigtem Cursus an der Kriegsschule als Adjutant des Prinzen August von Preußen in Berlin bleiben durfte. In Folge seiner Stellung in die Hofkreise eingeführt, lernte er im Jahre 1803 die Gräfin Marie von Brühl, Hofdame der Königin Mutter, kennen. Gräfin Marie, eine Enkelin des bekannten sächsischen Ministers und Reichsgrafen von Brühl, war ein Jahr älter als Clausewitz; sie war eine große Verehrerin Goethe’s, sprach vortrefflich Englisch und Französisch, malte mit Geschmack und war sehr musikalisch. Ohne schön zu sein, zeichnete sie sich durch einen schlanken Wuchs und gewinnende Züge aus, und in ihren blauen geistvollen Augen spiegelte sich ein edles reines Gemüth. Obwohl in den höchsten Kreisen aufgewachsen – ihre Mutter war Sophie Gomm, Tochter des englischen Botschafters in Petersburg – und stets im Verkehr mit der vornehmsten Gesellschaft, war sie von der größten Einfachheit und Natürlichkeit des Benehmens. Sie hatte vor kurzer Zeit ihren Vater verloren, als Clausewitz in einer Abendgesellschaft bei dem Vater des Prinzen August ihr vorgestellt wurde. Beide sahen sich nun häufig in Hofkreisen, und mit jeder Begegnung wuchs das Interesse, welches sie an einander nahmen. Es gereicht der jungen Hofdame zum höchsten Lobe, daß sie bald den inneren Werth des schüchternen, ernsten, in der Gesellschaft wenig hervortretenden Officiers erkannte, und dem innigen Gefühle, das sie zu ihm zog, sich mit voller Wärme überließ. Obwohl Beide empfanden, wieviel sie einander waren, gab es doch während zweier Jahre keinen Augenblick, in welchem sie sich ohne Zeugen hätten sehen und ein Wort der Verständigung sprechen können.

Endlich, am 3. December 1805, bei dem bevorstehenden Ausmarsche der Truppen, als Clausewitz sich von der still Geliebten verabschiedete, wagte diese die Worte:

„Ich hoffe, Sie werden Ihre hiesigen Freunde nicht vergessen.“

Clausewitz ergriff ihre Hand, küßte dieselbe und sagte:

„O, wer Sie einmal gesehen hat, der vergißt Sie nie wieder.“

„Sein Blick,“ äußerte sich die Gräfin in einer späteren Aufzeichnung, „der Ton seiner Stimme bei diesen Worten drang mir bis in’s Innerste der Seele und wird mir ewig unvergeßlich bleiben. Wir hielten einander noch einen Augenblick schweigend und gerührt bei der Hand; wir wären einander in die Arme gesunken, wenn wir allein gewesen wären, wären dann um eine herrliche Erinnerung reicher, aber auch so gehört dieser Augenblick zu den schönsten und wichtigsten unseres Lebens; denn wir hatten einander verstanden, und der Bund unserer Herzen war schweigend geschlossen.“ Bald sollten jedoch bestimmtere Erklärungen folgen; denn am 21. Juni 1806 war es den Liebenden vergönnt gewesen, sich noch einmal zu sehen und ohne Zeugen ihre Gefühle einander aussprechen zu dürfen.

Der Krieg kam erst im Jahre 1806 zum Ausbruch; Clausewitz rückte mit dem Prinzen August in’s Feld, wurde jedoch bald nach der Schlacht bei Jena sammt dem Prinzen nach ruhmvoller Gegenwehr gefangen genommen.

Zunächst lebten der Prinz und Clausewitz in Soissons und Nancy, besuchten auch Paris und hielten sich auf der Rückreise einige Zeit bei Frau von Staël in Coppet auf, wo sie mit August Wilhelm von Schlegel zusammen kamen und die Bekanntschaft von Pestalozzi machten. Während dieser Trennungszeit hatte die Gräfin Marie zwar mit Einwilligung ihrer Mutter in brieflichem Verkehr mit Clausewitz gestanden, von einer öffentlichen Verlobung des jungen, unbemittelten Subalternofficiers mit der Tochter eines Reichsgrafen durfte jedoch nicht die Rede sein. Ueberhaupt hielt die alte Gräfin Brühl dieses Verhältniß für ein romanhaftes und wünschte ihre Tochter bald mit einem für sie passenderen Gatten vereint zu sehen. Gräfin Marie blieb jedoch fest, obwohl sie durch eine Verbindung mit dem Grafen Alexander von Dohna, welche auch der ihrer Familie befreundete Minister Stein befürwortete, allen Ansprüchen auf Rang und Stellung hätte genügen können.

[150] Clausewitz benutzte die unfreiwillige Muße, welche sein Aufenthalt in Frankreich ihm gewährte, um einige militärische Aufsätze zu schreiben, die von dem tiefblickenden Geiste des Verfassers Zeugniß gaben. Seine Briefe an die Geliebte athmen das volle Glück, welches die Verbindung mit ihr ihm gegeben, aber in jedem derselben ist auch der Gedanke an das bedrängte Vaterland, der heiße Wunsch, für dasselbe zu kämpfen, ja selbst unterzugehen, ausgesprochen.

Was seine äußere Lage und seine künftige Verwendung im Militärdienste betrifft, so schreibt Clausewitz darüber an die Geliebte: „Woran ich zuweilen mit Vergnügen denke, ist, daß Scharnhorst in der Folge Kriegsminister werden wird; alsdann glaube ich gewiß zu sein, daß er mich zu sich nehmen und mir einen bedeutenden Wirkungskreis verschaffen wird. Denn so viel ich ihn kenne, traut er mir eine Art Talent zu, die dem seinigen zum Supplemente dienen könnte; er glaubt, daß ich Sprache und Darstellungsgabe besitze, die ihm fehlen und in großen Verhältnissen gebraucht werden. Ich habe in dem Briefe an ihn von allem diesem gar nichts erwähnen mögen und meinen Wunsch so leise als möglich berührt; denn da ich seine Lage und Stimmung gar nicht kenne, so könnte es ihm leicht eitel und egoistisch vorkommen, wenn ich ihm viel von meinem Schicksale sprechen wollte in einem Augenblicke, da vielleicht das Schicksal der Nation seine edle Seele ganz erfüllt.“

Clausewitz hatte Recht: das Schicksal der Nation erfüllte ganz die Seele Scharnhorst’s. Er schrieb dem jüngeren Freunde am 27. November 1807 einen Brief, der ein helles, schönes Licht auf das Verhältniß und die Seelenharmonie der beiden Männer wirft. Es heißt in demselben:

„So empfangen Sie denn nun hier meinen innigsten und herzlichsten Dank für die Liebe, Freundschaft und Güte, die Sie mir durch Ihre Briefe erzeigt haben! Ihre Urtheile sind die meinigen, oder werden es durch Ihre Briefe; Ihre Ansichten geben mir Muth, die meinigen nicht zu verleugnen; nichts könnte mich jetzt glücklicher machen, als mit Ihnen an einem Orte zu sein. Aber recht traurig würden wir dennoch sein, denn unglücklich, ganz unbeschreiblich unglücklich sind wir. –

Wäre es möglich, nach einer Reihe von Drangsalen, nach Leiden ohne Grenzen, aus den Ruinen sich wieder zu erheben, wer würde nicht gern Alles daran setzen, um den Samen einer neuen Frucht zu pflegen, und wer würde nicht gern sterben, wenn er hoffen könnte, daß er mit neuer Kraft und Leben hervorginge! – Aber nur auf Einem Wege, mein lieber Clausewitz, ist dies möglich. Man muß der Nation das Gefühl der Selbstständigkeit einflößen; man muß ihr Gelegenheit geben, daß sie mit sich selbst bekannt wird, daß sie sich ihrer selbst annimmt; nur erst dann wird sie sich selbst achten und von Andern Achtung zu erzwingen wissen. Darauf hinzuarbeiten, dies ist Alles, was wir können. Die Bande des Vorurtheils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und so in ihrem freien Wachsthume nicht hemmen, weiter reicht unser hoher Wirkungskreis nicht. So sehe ich die Sache, so sehe ich unsere Lage an.“

Im November 1807 kehrte Clausewitz nach Berlin zurück, verließ es jedoch schon im April 1808, um dem Prinzen August nach Königsberg zu folgen. Jetzt war der eine seiner Wünsche erfüllt: er befand sich mit Scharnhorst an einem Orte, und dieser weihete ihn in alle seine Pläne ein.

Clausewitz wurde nun seiner dienstlichen Stellung als Adjutant des Prinzen August enthoben, und am 23. Februar 1809 erschien die Cabinetsordre, welche ihn zur Arbeit beim Kriegsministerium, das ist zur Disposition des Generals von Scharnhorst berief. Zugleich wurde er zum wirklichen Capitain ernannt.

An dem Kriege Oesterreichs gegen Frankreich hätte er, den es, wie alle Patrioten, zum Bruch mit Frankreich drängte, gern Theil genommen, und er trug sich kurze Zeit mit dem Gedanken, in österreichische Dienste zu treten. Seine feurige Seele dürstete nach Thaten des Ruhmes und der Ehre – aber er blieb Preußen und Gneisenau getreu, der nun der Dritte im Bunde wurde.

In stetem Verkehre mit dem ritterlichen Gneisenau und all den trefflichen Männern, welche an der Wiedergeburt Preußens arbeiteten, verging ihm der Aufenthalt in Königsberg, bis gegen Ende 1809 der Hof nach Berlin zurückkehrte. Clausewitz wurde zum Major befördert, in den Generalstab versetzt und erhielt das Amt eines Lehrers an der Kriegsschule. Auch ward er dazu ausersehen, dem Kronprinzen (später Friedrich Wilhelm dem Vierten) Vortrage über Kriegswissenschaft zu halten.

Die Liebenden befanden sich nun in der glücklichen Lage, an eine öffentliche Verlobung und eine eheliche Verbindung denken zu können. Im Juni 1810 theilt Clausewitz seine Verlobung Gneisenau mit und sagt über seine Braut: „Ueber meine Wahl brauche ich mich nicht zu rechtfertigen; denn meine künftige Frau ist sehr viel mehr und sehr viel besser als ich.“

Am 17. December 1810 fand die eheliche Verbindung von Clausewitz und der Gräfin Marie von Brühl in der Marienkirche zu Berlin durch den Consistorialrath Ribbeck statt, der gleich Schleiermacher, Fichte und anderen edel gesinnten Männern zu dem patriotischen Kreise gehörte, der in naher Beziehung zu Clausewitz stand. Gneisenau schrieb an seine Gattin, nachdem er Frau von Clausewitz kennen gelernt: „Mit dem cultivirtesten Geiste verbindet sie die größte Herzensgüte und die angenehmsten, feinsten Formen des Umgangs. Sie ist hier in Berlin eine von unseren Musenfrauen.“

Clausewitz lebte jetzt in so glücklichen häuslichen und amtlichen Verhältnissen, daß ihm kaum ein Wunsch übrig bleiben konnte. Nur die traurige Lage des Vaterlandes lastete auf seiner Seele, doch gaben er und die Freunde nicht die Hoffnung auf, es endlich von dem Drucke der Fremdherrschaft befreit zu sehen. Im August 1811 verweilte er zum Curgebrauche im Bade Cudowa; selbst hier gab der unermüdlich thätige Mann seine Arbeiten für das Wohl des Vaterlandes nicht auf. Er machte Terrainstudien, entwarf einen Vertheidigungsplan für Schlesien und übersandte ihn Gneisenau. Dieser müßte – das war seine Ansicht – bei einem Kriege mit Frankreich das preußische Heer in Schlesien führen, eine Aufgabe, welcher er allein gewachsen sei.

Als im Jahre 1812 der Bundesvertrag zwischen Preußen und Frankreich abgeschlossen wurde, nahm Clausewitz mit zahlreichen Freunden seinen Abschied, da es ihm unmöglich war, für Frankreich zu kämpfen. Er trat in russische Dienste, und Gneisenau empfahl ihn dem Kaiser Alexander mit den Worten: „Herr von Clausewitz, einer der besten Köpfe und voll tiefer Kenntnisse in der Kriegskunst.“

Clausewitz wurde in Rußland nicht zu hervorragenden Aufgaben verwendet, wohl aber gelang es ihm, am Ende des Jahres seinem Vaterlande Preußen einen großen Dienst zu leisten, indem er – von Diebitsch an York gesendet – diesen zu der Convention von Tauroggen zu bewegen wußte. Von Tauroggen, wo er seine Brüder „wohl an Seele und Leib“ gesehen, schreibt er beglückt an seine Frau.

Diese aber feierte den Schluß des Jahres, indem sie einen Aufsatz über ihr Verhältniß zu ihrem Gatten verfaßte, der sich dem Schönsten anreiht, das über einen Herzensbund gesagt werden kann.

„Wie glücklich ist es doch,“ heißt es da, „im Gegenstände seiner höchsten Liebe auch den seiner höchsten Achtung zu finden und ebenso sehr durch den Verstand zur Bewunderung als durch das Herz zur Liebe hingerissen zu werden! – - Um das Höchste zu erreichen, muß nach meiner Meinung die Frau nicht weniger reif und gebildet sein als der Mann; sie muß so weit gekommen sein, als sie allein kommen kann; es muß ihr nur das fehlen, was sie allein durch den Mann erhalten kann; dann wird sie bald, auch bei der vollkommensten Freiheit und Gleichheit und ohne daß einer von beiden Theilen die Absicht habe, den andern nach sich zu bilden oder ihm ähnlich zu werden, den Einfluß empfinden, den der Mann durch das bloße Zusammenleben auf sie hat, und je freier und absichtsloser dieser Einfluß ist, desto lieber wird sie ihn anerkennen und sich ihm hingeben, – – Ich bin täglich und stündlich von dem durchdrungen, was ich Clausewitz schuldig bin, und glaube, daß jede Frau, die das Glück hätte, einen solchen Mann zu haben, das Nämliche empfinden müßte. Wie Vieles, was sonst dunkel und verworren in mir war, hat er in Klarheit verwandelt, wie viele Mißtöne in Harmonie aufgelöst! Ja, es ist nicht zu viel gesagt, es ist buchstäblich wahr, daß ich durch ihn erst wirklich lebe. Denn wie wenige Augenblicke meines vorigen Lebens verdienten den Namen eines solchen! Ein Mann von weniger Verstand hätte ebenso wenig auf mich gewirkt als einer, der Verstand gehabt hätte und kein so schönes, zartes Gemüth; gerade diese seltene Vereinigung, die ich in ihm bewundere, gehörte zu meinem Glück. Aber wie [151] groß, wie vollkommen ist nun auch dieses Glück! Das Gefühl desselben kann selbst durch die Schmerzen der Trennung nicht vermindert werden; denn auch in der freudelosen Einsamkeit, in der ich jetzt lebe, bleibt mir ja meine Liebe, die Ueberzeugung der seinigen und der Stolz auf seinen Werth.“

Zu Anfang des Jahres 1813 kam Clausewitz mit dem Wittgenstein’schen Corps nach Königsberg und hatte hervorragenden Antheil bei der Organisation der Landwehr, was um so erklärlicher ist, als er seit Jahren in die Ideen Scharnhorst’s über diesen Punkt eingeweiht war und ganz nach dessen Ansichten verfahren konnte. Daß er Zeuge des großartigen Patriotismus sein durfte, wie er in Königsberg während dieser Zeit sich offenbarte, rechnete Clausewitz stets zu den schönsten Erinnerungen seines Lebens. Im April ging er nach Schlesien und schrieb vorher noch aus Rochlitz an seine Gattin: „Uebrigens bin ich sehr heiter; der Augenblick ist fast idealisch schön; ich bin ganz in den alten Verhältnissen, bei meinem alten General, wieder Chef seiner Bureaux, nur daß die Gegenstände etwas gewechselt und an Wichtigkeit zugenommen haben. Blücher, Scharnhorst und Gneisenau behandeln mich mit ausgezeichneter Güte und Freundschaft; ich kann mir kein schöneres Verhältniß denken.“

In der Schlacht bei Großgörschen, wo er im heißesten Kampfgewühle focht, blieb Clausewitz unverletzt.

„Liebe Marie,“ schreibt er, „ich bin ganz wohl, ob mir gleich ein kleiner Franzose mit dem Bajonette hinter dem rechten Ohre gesessen hat.“

Von Scharnhorst sagt er:

„Er war mehrmals mit gezogenem Säbel an der Spitze von Cavallerie und Infanterie in den Feind eingedrungen; er ancouragirte die Leute und rief: ,Es lebe der König!’ indem er den Säbel schwang. Seine Wunde, die er etwa um sechs Uhr erhielt, ist nicht gefährlich, sodaß er schon jetzt eine Reise nach Wien unternehmen kann.“

Aber auf dieser Reise, welche der ausgezeichnete Mann im Interesse des Vaterlandes unternahm, und bei welcher er – selbstlos, wie wenige Menschen – nicht genug an sich selbst dachte, verschlimmerte sich bekanntlich die Wunde, und am 28. Juni starb Scharnhorst in Prag, von Clausewitz und den übrigen Freunden auf’s Tiefste betrauert.

Die Saat jedoch, welche Scharnhorst gesäet, sollte bald herrliche Früchte tragen; am 26. August gewannen Blücher und Gneisenau die Schlacht an der Katzbach; „entscheidend,“ schreibt Gneisenau an Clausewitz, „wie die Franzosen noch nie eine Schlacht verloren haben.“ Er unterzeichnet: „bleiben Sie gewogen Ihrem überglücklichen Freunde.“

Frau von Clausewitz aber schrieb dem siegreichen Gneisenau: „Es ist der erste entscheidende folgenreiche Sieg auf deutschem Boden. Jahre von Schmach und Leiden sind verwischt, und in neuem Glänze stehen wir da, der großen Vorfahren nicht mehr unwürdig. – - Nur ein wehmüthiges Gefühl trübt diese Freude, es ist die Erinnerung an unsern theuren und unvergeßlichen Freund (Scharnhorst), der dieses Glückes auch so würdig gewesen wäre; doch wenn er aus einer besseren Welt auf uns herabsieht, muß ja auch er sich freuen, daß seine treuesten Freunde der schöne Siegeskranz schmückt, der ihm auf Erden nicht zu Theil werden sollte.“

Clausewitz war leider nicht in der Nähe der Freunde, als der Sieg errungen ward. Vergebens hatte Gneisenau, als er zum Generalstabsschef des Blücher’schen Heeres und zugleich zum Generalgouverneur von Schlesien, Befehlshaber aller Landwehren und Leiter aller Vertheidigungsanstalten der Provinz ernannt wurde, gebeten, ihm Clausewitz als Gehülfen zu geben. Der König konnte es Clausewitz nicht vergessen, daß er den preußischen Dienst verlassen und sich nach Rußland gewendet hatte. So ward er russischerseits als Generalquartiermeister zum Corps Wallmoden commandirt, und seinen Anordnungen ist das glückliche Treffen an der Göhrde zu verdanken. In stetem Briefwechsel mit Gneisenau verfolgte er die Siegeslaufbahn der schlesischen Armee mit unaussprechlicher Freude und Genugthuung. Wie er schon vor Jahren Gneisenau für seinen jetzigen Posten ausersehen, so schreibt er am 14. December 1813 an den Freund: „Ihre Armee kommt mir vor wie die Spitze von Stahl in dem schwerfälligen Keil, womit man den Koloß spaltet.“ Ein treffendes Wort, da der Marschall „Vorwärts“ während des ganzen Krieges muthig und siegreich voranschritt.

Clausewitz wurde endlich als Oberst im Jahre 1814 wiederum preußischer Officier und im April 1815 Chef des Generalstabes bei Thielmann, welcher das dritte Armeecorps commandirte. Während beider Feldzüge stand er in ununterbrochenem Briefwechsel mit seiner Gattin, und wir wollen nur eine Stelle aus einem Briefe vom 3. Juli 1815 mittheilen, um das ideale Verhältniß Beider zu kennzeichnen:

„Lebe wohl, theuerste Freundin meiner Seele! Jetzt sehen wir uns hoffentlich bald wieder. Sobald der Friede abgeschlossen ist, schreibe ich Dir und denke jetzt schon auf die Einrichtung Deiner Reise. Glücklich, unaussprechlich glücklich fühle ich mich, nach einer solchen Epoche noch etwas zu besitzen, was mehr werth ist als aller Triumph, noch einem Augenblicke entgegenzueilen, der alles Andere übertrifft. Ich liebe Dich nie mehr als im höchsten Glücke und im höchsten Unglücke, denn Dein Verdienst steht höher als alle Erscheinungen des ersteren und füllt jede Lücke aus, die das letztere in meinem Schicksale hervorbringen konnte.“

Gneisenau kam nach dem Frieden als commandirender General der Rheinprovinz nach Coblenz, und Clausewitz wurde sein Generalstabschef. In dieser Stellung blieb er drei Jahre, und sie gehörten zu den schönsten und genußreichsten seines Lebens. Ein Kreis ausgezeichneter und liebenswürdiger Männer hatte sich um Gneisenau geschaart. Wir nennen hier nur den Oberpräsidenten der Rheinprovinz von Jagersleben, den Major Wilhelm von Scharnhorst – Sohn des verstorbenen Generals und mit Gneisenau’s ältester Tochter Agnes vermählt –, Obristlieutenant Graf Karl von der Gröben, Obristlieutenant von Stosch – Vater des jetzigen Ministers –, Major von Hellwig, Max von Schenkendorf, Präsident von Meusebach und Consistorialrath Johannes Schulze, später unter Altenstein Leiter des höheren Unterrichtswesens in Preußen. Auch die Gattinnen der genannten Herren waren hochgebildete Frauen und standen mit Clausewitz und seiner Marie in innigster Verbindung. Und ein Band vereinte Alle: die Freude an der endlich gewonnenen Freiheit des Vaterlandes.

Im Jahre 1818 wurde Clausewitz zum Generalmajor und zugleich zum Director der Allgemeinen Kriegsschule in Berlin ernannt, aber diese ihm übertragene Wirksamkeit befriedigte ihn in keiner Weise, da die wissenschaftliche Leitung der Anstalt sich in anderen Händen befand und er nur der Vorgesetzte der jungen Officiere in Bezug auf dienstliche und ökonomische Angelegenheiten war. Doch einen Vorzug hatte seine Stellung: sie gewährte ihm die Muße, jene Werke zu verfassen, welche seinen Namen mit unvergänglichem Ruhme zieren sollten. Und diese Werke, die erst nach ihres Verfassers Tode der Öffentlichkeit übergeben wurden, sind geschrieben – in dem Zimmer seiner Frau. War er doch gewöhnt, Alles mit ihr zu besprechen, und gab doch ihre Nähe ihm stets das Gefühl wohlthuendster Befriedigung. Frau von Clausewitz sagt darüber in Bezug auf ihren Gatten:

„So frei er auch von jeder kleinlichen Eitelkeit, von jedem unruhigen egoistischen Ehrgeize war, so fühlte er doch das Bedürfniß, wahrhaft nützlich zu sein und die Fähigkeiten, mit welchen Gott ihn begabt hatte, nicht ungebraucht zu lassen. Im thätigen Leben stand er nicht an einer Stelle, wo dieses Bedürfniß Befriedigung finden konnte, und er machte sich wenig Hoffnung, noch einst zu einer solchen zu gelangen; sein ganzes Streben richtete sich also auf das Reich der Wissenschaft, und der Nutzen, den er einst durch sein Werk zu stiften hoffte, wurde der Zweck seines Lebens. Wenn trotzdem der Entschluß, dieses Werk erst nach seinem Tode erscheinen zu lassen, immer fester in ihm wurde, so ist dies Wohl der beste Beweis, daß kein eitles Verlangen nach Lob und Anerkenntniß, keine Spur irgend einer egoistischen Rücksicht diesem edlen Drange nach einer großen und dauernden Wirksamkeit beigemischt war.“

Daß die Ehe dieser beiden Glücklichen kinderlos blieb, hat Clausewitz vornehmlich um der Gattin willen geschmerzt. Ein vorahnendes Gefühl sagte ihm, daß er früher heimgehen würde als sie. Er sprach dies in einem Gedichte „Zum neuen Jahre“ aus, das in den ersten Jahren ihrer Verbindung geschrieben wurde, und dessen letzte Strophen lauten:

Eins doch möcht’ ich uns erflehen:
Dir ein lieblich Kind zu sehen
Spielend an der Mutter Brust.
Trennt uns dann des Schicksals finst’rer Wille,
Füllet um Dich her des Grabes Stille
Deines Kindes heit’re Jugendlust.

[152]

„Mutter, sprich, wo ist der Vater blieben?“
„Weit von uns er weilet, drüben
Ueber’m Strome, mein geliebtes Kind.“
„Sage, Mutter, kommt er nicht herüber?“
„Liebes Herz, wir ziehen bald hinüber,
Wenn wir erst zur Reise fertig sind.“

Auch Berlin sollte indessen nicht der dauernde Wohnsitz von Clausewitz werden, denn im August 1830 wurde er zum Artillerie- Inspecteur in Breslau ernannt und siedelte dahin mit seiner Frau über. Als bald darauf durch die polnische Revolution die Aufstellung eines Observationscorps nöthig wurde, ward Gneisenau zum Oberbefehlshaber der vier mobilen Armeecorps berufen und wählte Clausewitz zum Chef seines Generalstabes, und so waren die beiden ausgezeichneten Männer, welche sich so völlig verstanden, wiederum zu gleicher Wirksamkeit vereint.

Nachdem Paskiewitsch Warschau erstürmt und die Revolution niedergeschlagen hatte, war die Mission des Observationscorps beendet, und Clausewitz kehrte zurück nach Breslau – jedoch in tiefster Seele leidend, denn am 24. August 1831 war Gneisenau zu Posen an der Cholera gestorben. Am 23. August hatte Clausewitz der Gattin geschrieben. „Der Feldmarschall ist lebensgefährlich krank – ich bedarf aller Fassung, um Dir diese Zeilen zu schreiben.“ Wenige Stunden später, als jede Hoffnung auf Erhaltung des edlen Mannes geschwunden war, fügte er hinzu. „Ich bin wohl und suche Halt zu finden in dem Gedanken und Gefühle an mein theures, geliebtes Weib.“

Nur wenige Tage war Clausewitz in Breslau, als auch er an der Cholera erkrankte und nach kurzem Todeskampfe verschied (16. November). Die Aerzte erklärten, sein Tod sei mehr eine Folge des durch tiefen Seelenschmerz erschütterten Zustandes seiner Nerven gewesen, als der Krankheit, von welcher er einen verhältnißmäßig leichten Anfall gehabt.

Sobald Frau von Clausewitz ihren Schmerz um den unersetzlichen Verlust soweit überwunden hatte, daß sie anhaltenden Beschäftigungen sich widmen konnte, ging sie an die Herausgabe der Werke ihres Gatten. Graf Karl von der Gröben und Major O'Etzel standen ihr dabei zur Seite. Am 30. Juni 1832 schrieb sie im Marmorpalais zu Potsdam – wohin sie als Gouvernante des Prinzen Friedrich Wilhelm, des jetzigen Kronprinzen, berufen war – eine Vorrede zu dem damals erscheinenden berühmten Clausewitz’schen Werke „Vom Kriege“, und später war es ihr vergönnt, acht Bände der hinterlassenen Werke ihres Gatten zu veröffentlichen – sie durfte sich der allgemeinen Anerkennung und Bewunderung, welche dieselben erregten, aus voller Seele erfreuen Im Jahre 1835 begann ihre Gesundheit zu schwanken, und am 28 Januar 1836 erlag sie einem heftigen Nervenfieber. Auf dem alten Militärkirchhofe zu Breslau ruht sie neben dem geliebten Gatten.

Die beiden letzten Bände der nachgelassenen Werke von Clausewitz wurden von dem Grafen Karl von der Gröben herausgegeben, und berufene Fachmänner erklärten namentlich das Werk „Vom Kriege“ als epochemachend in der Kriegswissenschaft.

„Clausewitz erlebte nicht die späte Erfüllung alles dessen, was er und seine Freunde von der Zeit der Fremdherrschaft an vorbereitet hatten,“ so schloß Oberst von Meerheimb seinen in der militärischen Gesellschaft zu Berlin am 23. October 1874 gehaltenen Vortrag über Clausewitz. „Ebenso hatten Heer und Volk in weiteren Kreisen erst lange nach seinem Tode, in Folge der späten Wirkung seiner Schriften, die Größe seines Wesens erkannt – heute wird die höhere wissenschaftliche Anschauung im deutschen Heere durch ihn bestimmt, die Feldzüge von 1866 und 1870 bis 1871 sind in seinem Sinne gedacht und geführt worden.“



  1. Leben des Generals Karl von Clausewitz und der Frau Marie von Clausewitz geborenen Gräfin von Brühl. Mit Briefen, Aufsätzen, Tagebüchern und andern Schriftstücken. Von Karl Schwartz. 2 Bände.