Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl/Die Aufgabe

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Die Wittenberger Concordie »
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Die Aufgabe.


 Die Concordienformel hat mit ihrem siebenten Artikel den Riss, welcher zwischen den deutschen und Schweizer Reformatoren zur Zeit Luthers schon entstanden war, besiegelt, und hat darum von Anfang an herben Tadel zu erfahren gehabt. Derselbe, der im Laufe der Zeit nie verstummte, ist in jüngster Zeit wieder lauter erhoben, und in verschiedener Weise ausgesprochen worden.

 Die Einen stellen zwar nicht in Abrede, dass die Concordienformel die Lehre enthalte, welche Luther gegen Zwingli geltend gemacht hatte, aber sie machen geltend, „dass die reformirte Kirche später in ihren Symbolen sich zu einem reicheren Begriff vom heil. Abendmahl bekannt habe, als Zwingli vom Ende 1524 an,“ und zwar „sei sie damit nur zu den positiveren reformatorischen Anfängen Zwinglis und zu dem Standpunkt in reicherer Ausbildung zurückgekehrt, den Luther nie getadelt hatte, indem sein Gegensatz sich gegen Zwinglis Lehre von 1524 kehrte. Und da nun auch Zwingli gegen Ende seines Lebens sich wieder den positiveren Darstellungen seiner Anfänge mehr zugewendet habe, so stehe um so mehr der Hauptgegenstand des Streits nur episodenmässig da, als durch die spätere, beinahe das ganze Gebiet reformirter Kirchen sich assimilirende calvinische, Formation ein von Luther nicht bekämpfter Abendmahlsbegriff bei den Reformirten der symbolische geworden sei.“[1]

|  Es ist unschwer zu sehen, worin nach dieser Auffassung der Fehler der Verfasser der Concordienformel lag. Er lag darin, dass sie jenen Standpunkt der reicheren Ausbildung der Lehre vom heil. Abendmahl, auf den sich die reformirte Kirche doch bald gestellt haben soll, unbeachtet liessen und von der Fiction ausgingen, als wäre der Gegensatz gegen die reformirte Kirche noch derselbe, in dem sich Luther gegen die vom Jahr 1524 vorgetragene Lehre Zwinglis gewusst habe. Diese Auffassung der Dinge hatten sie von den Theologen überkommen, „welche, enger um Luthers Namen sich schaarend, Melanchthon entgegen waren und ohne Luthers Geist sich bemühten, Luthern buchstäblich zu folgen.“ Dieser Auffassung hätten aber beide um so weniger zufallen sollen, als Anzeichen vorliegen, dass Luther sie um diese Zeit nicht zu der seinigen gemacht haben würde. War Luther doch die Wittenberger Concordie eingegangen, „welche man als die Urkunde betrachten darf, durch die zum Voraus ein Standpunkt in der Lehre vom Abendmahl, wie er später durch Calvin in den reformirten Kirchen der herrschende geworden ist, noch von Luthern selbst als ein solcher anerkannt wurde, mit welchem eine brüderliche Gemeinschaft christlich zulässig sei“: denn dass Luther sieben Jahre später in seinem „kleinen Bekenntniss vom Abendmahl“ wieder plötzlich in heftiger Aufwallung gegen die Schweizer auftrat, darf nicht irre machen. Das geschah, „weil die Schweizer um einer zweideutigen Formel Bucers willen die Concordie nicht unterschrieben hatten und Luther darum mit seinem früheren Entgegenkommen nichts erreicht zu haben glaubte und jetzt nur auf entschiedenste Abgrenzung der eigenen Lehre gegen den Spiritualismus und gegen Zwingli bedacht war. Zudem hatte Luther sich damit nicht gegen den Lehrtypus, der später bei den Reformirten durch Calvin der herrschende wurde, und schon 1549 in Zürich selbst durch den Consensus Tigurinus Annahme fand, gekehrt.[2]
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 So die Einen. Die Andern theilen mit ihnen die Meinung, dass Luther an der herben Stellung, welche er zur Lehre der Reformirten eingenommen, nur festgehalten habe, weil er übersehen,| dass die Reformirten selbst früh angefangen hatten, sich der Härten der Zwinglischen Lehre zu entschlagen, sie behaupten aber, Luthers Lehre vom Abendmahl habe in keinem der zu seiner Zeit entstandenen Bekenntnisse ihren vollen Ausdruck gefunden, sondern sei durch die Auffassung, welche Melanchthon vom Abendmahl hatte, temperirt worden und der Melanchthonische Typus sei für lange in der lutherischen Kirche der herrschende geblieben. Erst die Concordienformel habe die Lehre Luthers in ihrer ganzen Schärfe geltend gemacht.
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 Diese Ansicht findet sich früh bei reformirten Schriftstellern ausgesprochen, am ausführlichsten bei Hospinian in seiner historia sacramentaria und seiner concordia discors. Er behauptet: schon die Augustana von 1530 lehre nicht die manducatio oralis und noch weniger die Ubiquität des Leibes Christi,[3] die Reformirten könnten sich also dieses Bekenntniss recht wohl aneignen.[4] Auch die Apologie der A. C., behauptet er, spreche nicht zu Gunsten der manducatio oralis,[5] und selbst die Schmalkaldischen Artikel seien nicht gegen die Zwinglianer, sondern gegen die Ubiquitisten gerichtet.[6] Alle diese Bekenntnisse also enthielten nicht genau und ganz die Lehre Luthers, sondern vielmehr die Melanchthons. Das sei auch Luthern nicht entgangen, er habe es sich aber bei Melanchthon gefallen lassen, habe dagegen den alten Groll gegen die Schweizer nicht so weit überwinden können, dass er zu ihnen, deren Lehre doch mit der Melanchthons übereinstimmte, die gleiche Stellung eingenommen hätte.[7] Es sei also, behauptet Hospinian weiter, Einigkeit zwischen den Reformirten und Lutheranern erzielt gewesen und| diese sei auch in dem Frankfurter Recess von 1558 und in den Schlüssen des Naumburger Fürstentags von 1561 ausgesprochen worden, nur ein Theil der Lutheraner habe sich dieser Einigkeit entzogen, die Flacianer und die Würtemberger, welche beide nicht nur die Abendmahlslehre Luthers in allen Punkten und im Widerspruch mit den genannten Bekenntnissen geltend gemacht, sondern auch die Lehre von der Ubiquität, die selbst Luther zurückgestellt hatte, und zwar in einem Luthern gar nicht gemässen Sinne, zum Mittelpunkt der lutherischen Lehre gemacht hätten.[8]
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 In die Fusstapfen dieses Theologen sind in der neueren Zeit Ebrard[9] und Heppe[10] getreten und der Letztere namentlich hat diese schon fast vergessene Ansicht mit grossem Eifer wieder geltend zu machen gesucht. Calvin, behauptet er, habe an der Zwinglischen Lehre gerade das beseitigt, was Luthern das Anstössige daran gewesen war. Das sei bald nach Luthers Tod erkannt worden und bald auch habe man erkannt, dass Calvins Lehre vom Abendmahl wesentlich die gleiche sei mit der Melanchthons. In Folge dessen habe sich der Gegensatz gegen die Reformirten gemildert und er wäre wohl gänzlich verschwunden, wenn nicht in der lutherischen Kirche auf Anlass der durch das Interim erzeugten Verstimmung sich eine zelotische Partei gebildet hätte, welche ihre Augen vor der Einigung, die sich zwischen der Lehre Luthers und der Calvins angebahnt hatte, verschlossen hätte. Diese Partei habe sich auf die Lehre Luthers gesteift, habe sie im Gegensatz gegen Calvin geltend gemacht, so wie sie früher nur im Gegensatz gegen Zwingli geltend gemacht worden war, habe diese für die in der lutherischen Kirche allein geltende ausgegeben und die Melanchthonische Lehre als unkirchlich ausgestossen, während doch die Lehre Luthers höchstens neben der Melanchthonischen einen Platz in| der lutherischen Kirche habe beanspruchen dürfen. Diese Partei sei es dann gewesen, welche in der Concordienformel den Sieg davon getragen habe.

 In der einen wie in der anderen Auffassung liegt eine Verdammung des ganzen Entwicklungsganges, welchen die lutherische Kirche von der Augustana an bis zur Concordienformel durchgemacht hat, und die Verdammung trifft nicht blos den Gang, den die Abendmahlslehre durchgemacht hat, sie gilt der ganzen Stellung, welche die Lutheraner, die in der Concordienformel zum endlichen Sieg gelangten, zum Melanchthonismus und Calvinismus eingenommen haben. Sie haben die Elemente, welche in der lutherischen Kirche eine gute Berechtigung hatten, ausgestossen und dadurch den Gegensatz zwischen der lutherischen und reformirten Kirche, der bereits im Verschwinden begriffen war, gefestigt.

 In dieser Auffassung hat dann die Union ihre vornehmste Stärke. Das hat Heppe richtig erkannt, als er seine Geschichte des deutschen Protestantismus schrieb. Lässt es sich geschichtlich nachweisen, dass der Gegensatz zwischen lutherischer und reformirter Kirche nur eine Episode in der Geschichte der lutherischen Kirche bildet, dass die grundlegenden Bekenntnisse der lutherischen Kirche selbst die Ueberwindung des Gegensatzes schon in sich tragen, dass also die Wiedervorkehrung des Gegensatzes ein Abfall von den Bekenntnissen der lutherischen Kirche ist, ein Abweichen von der Bahn, welche die lutherische Kirche selbst betreten hat, so ist damit die ganze Gestaltung, welche die lutherische Kirche durch die Concordienformel gewonnen hat, in Lehre und Principien gerichtet, und man ist, wenn man der lutherischen Kirche treu bleiben will, genöthigt, reuig zu ihrem Anfang zurückzugehen und jenen Geist der Mässigung und Milde anzuziehen, von dem jene grundlegenden Bekenntnisse getragen sind, und der zum Unglück für die Kirche dem Geist des Haders und der Sylbenstecherei gewichen war. Mit der Berufung auf die Treue, die man der lutherischen Kirche schuldig sei, die es verbiete, von einer Lehrentwicklung sich abzuwenden, die ihre geschichtliche Berechtigung habe, ist es dann gründlich aus. Sie schlägt vielmehr in das Gegentheil um.| Gerade die Treue gegen die Kirche fordert die reuige Rückkehr. Freilich aber kostet sie ihr Opfer: denn die stellen sich die Sache zu leicht vor, welche sagen, es handle sich nur darum, jener zelotischen Partei, welche von Hass gegen Melanchthon geleitet die Dinge in so üble Bahn gebracht habe, den Absagebrief auszustellen. In Wahrheit muss man sich auch von Luther abwenden: denn so viel man auch die Partei, welche im Gegensatz gegen Melanchthon sich an Luther anschloss, schmähen mag, die Verwandtschaft zwischen ihr und Luther, Luthers Lehre und Luthers Geist kann man nicht ableugnen, und gar zu dürftig sind die Anhaltspunkte für die Behauptung, dass Luther dem Lehrtypus Calvins nicht abhold und nicht fern davon gewesen sei, in ihm die Ueberwindung des Gegensatzes zu erblicken, so dürftig, dass Dorner nur schüchtern und eilenden Fusses derselben gedenkt. Die reuige Rückkehr fordert das Opfer, dass man auch Luthern preisgibt, denn die Reue darf nicht auf halbem Weg stehen bleiben. Und nur wahrer und offener sind die Reformirten, welche, der Sache auf den Grund gehend, Luthern selbst den eingetretenen und fortdauernden Zwiespalt Schuld geben und, wie Hospinian in der schon angeführten Stelle, denselben auf den Zorngeist Luthers zurückführen, oder wie Hundeshagen auf eine Versündigung Luthers gegen den Geist der Liebe, eine Versündigung, die von da an als ein Fluch auf der lutherischen Kirche ruht und nur durch volle Reue und gänzliche Abkehr von dem Geist der Lieblosigkeit getilgt werden kann.[11]
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 Wir kennen also den Preis, um den wir die Union zu erkaufen haben. Müssen wir ihn erlegen? Fordert das die Treue gegen die lutherische Kirche und die Achtung vor der geschichtlichen Wahrheit? Wir sind vom Gegentheil überzeugt. Wir sind überzeugt, dass die lutherische Kirche von Luther und von ihren Grundbekenntnissen abfiele, wenn sie nicht an der Lehre vom Abendmahl festhielte, welche in der Concordienformel bekannt ist, und sind überzeugt, dass der Kampf, welcher von Luthers Tod bis zur Concordienformel für die Lehre Luthers geführt| wurde, ein rechter und gerechter war. Das glauben wir aus der Geschichte erweisen zu können. Wir verfolgen zu diesem Endzweck den Gang der Dinge von Luther bis an die Concordienformel hinan.

 Das ist die Aufgabe, welche dieses Buch sich stellt.

 Wir zerlegen diese ganze Zeit in zwei Abschnitte. Der erste umfasst die Zeit bis zu Luthers Tod. Der zweite beginnt mit dem Interim.

 Im ersten handelt es sich vor allem um den Beweis, dass Luthers Lehre vom Abendmahl auch den Gegensatz gegen die calvinische Lehre in sich schloss, und diess ist an der Stellung nachzuweisen, welche Luther bei Abschluss der Wittenberger Concordie zu Bucer, und nach dem Abschluss derselben zu den Schweizern einnahm; dann um den Beweis, dass Luthers Lehre ihren Ausdruck in den Bekenntnissschriften gefunden hat; endlich um die Frage, ob durch die Aenderung, welche Melanchthon mit der Augustana vornahm, der Bekenntnissstand der lutherischen Kirche geändert worden ist?

 Im zweiten Abschnitt haben wir von den Streitigkeiten zu berichten, welche von Westphal an bis zum Abschluss der Concordienformel über die Lehre vom Abendmahl geführt wurden, wie von den Versuchen, welche zur Beilegung der Streitigkeiten von den Fürsten angestellt wurden. Und der Beweis soll geliefert werden, dass die Streitigkeiten im Interesse der Lehre Luthers und der lutherischen Kirche geführt wurden.





  1. Geschichte der protestantischen Theologie, besonders in Deutschland, nach ihrer principiellen Bewegung und im Zusammenhang mit dem religiösen, sittlichen und intellectuellen Leben betrachtet von D. J. A. Dorner. München 1867. p. 300.
  2. Dorner, l. c. p. 327.
  3. Hospinian, hist. sacr. II, 93 a u. b.
  4. Ibid. 94 b. 96 a.
  5. Ibid. 120 b.
  6. Ibid. 156 a.
  7. Ibid. 196 a. Cum Lutherus Philippum a se in controversia coenae dominicae dissentientem non modo tulerit, sed etiam coluerit, non injuria quaeritur, cum Philippum sibi repugnantem domi inque eadem cathedra amice complexus sit, Helvetios autem longe remotos tanta vehementia impugnarit? Cur Philippum cum Helvetiis facientem in collegii et fraternitatis communione perpetuo retinuerit ac tutatus sit, Helvetios autem in fraternitatis conjunctionem recipere noluerit? Quid hic aliud causae subesse quis diceret, quam privatum adversus Helvetios odium? quid? quam immane contentionis studium et propriae gloriae immoderatum amorem?
  8. Ibid. 282.
  9. Ebrard, Das Dogma vom heil. Abendmahl und seine Geschichte. II. 1846
  10. Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555–1581. 4 Bde. 1852–59. Id. die confessionelle Entwicklung der altprotestantischen Kirche Deutschlands etc. 1854.
  11. Hundeshagen, Beiträge zur Kirchenverfassungsgeschichte und Kirchenpolitik. I. Bd. 1864. p. 438.


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