Kalewala, das National-Epos der Finnen/Vierzigste Rune

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aus: Kalewala, das National-Epos der Finnen
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Vierzigste Rune.


     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Steuert mit dem Boote vorwärts
Von der langen Landzung’ Ende,
Aus des armen Dorfes Nähe;
Steuert singend durch die Wogen,
Voller Freude durch die Fluthen.
     Auf der Landspitz’ schauen Mädchen,
Schauen sie und lauschen also:
„Was für Jubel ist im Meere,

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Was für Sang dort auf den Fluthen,

Bess’rer Jubel als je früher,
Sang weit schöner als der sonst’ge?“
     Steuerte nun Wäinämöinen
Einen Tag durch Landgewässer,
Darauf durch des Sumpfs Gewässer,
An dem dritten Tag durch Ströme.
     Da gedachte Lemminkäinen
Seiner einst gehörten Worte
In der Näh’ des Feuerstromes,

20
Bei des heil’gen Flusses Wirbeln;

Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
„Laß, o Wasserfall, dein Schäumen,
Wasser, du dein heft’ges Schwanken!
Stromesjungfrau, Schaumesmädchen,
Setz’ dich auf den Sprudelfelsen,
Auf den Steinblock voll Gezische,
Nimm die Wogen in die Arme,
Drück’ die Brandung mit den Händen,

30
Press’ den Schaum mit deinen Fäusten,

Daß er auf die Brust nicht sprütze,
Nicht auf unsre Köpfe zische!“
     „Alte, du im Meere unten,
Die du bei dem Schaume weilest!
Steige schwimmend auf zum Schaume,
Heb’ die Brust du auf die Wogen,
Um den Schaum fest anzusammeln,
Um die Wellen zu bewachen,
Daß sie nicht den Schuldentblößten,

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Nicht den Fehlerfreien stoßen!“

     „Steine in des Flusses Mitte,
Felsen in des Schaumes Wölbung
Mögen ihre Stirne senken,
Ihren Kopf nach unten drücken
Auf der Bahn des rothen Bootes,
Auf dem Weg des theer’gen Nachens!“
     „Sollte dieß genug nicht scheinen,
Kimmo, du, o Sohn von Kammo!
Bohr’ ein Loch mit deinem Bohrer,

50
Haue du hier eine Öffnung

Mitten durch des Stromes Felsen,
An der bösen Klippe Seite,
Daß das Boot ohn’ festzusitzen
Unbeschädigt weiter laufe!“
     „Sollte dieß genug nicht scheinen,
Wirth des Wassers in den Fluthen!
Mach’ zu Moos die starren Steine,
Mach’ das Boot zur Hechtesblase,
Wenn es durch die Wogen ziehet,

60
Durch der Wellen Berge eilet!“

     „Jungfrau an dem Wasserfalle,
Die du in dem Flusse weilest!
Drehe einen weichen Faden
Aus der weichen Flachsesknocke,
Zieh den Faden durch das Wasser,
Durch die Fluth den blaugefärbten,
Daß an ihm mein Nachen laufe,
Mit betheerter Wölbung ziehe,
Daß den Weg auch schlichte Männer,

70
Unerfahr’ne selbst ihn finden.“

     „Steuergöttin, Weib voll Einsicht!
Nimm dein Steuer voller Güte,
Womit du den Nachen lenkest,
Durch die Zauberfluthen eilest,
Vor der Mißgunst Haus vorüber,
An der Zauberkünstler Fenster!“
     „Sollte das genug nicht scheinen,
Ukko, du, o Gott im Himmel!
Lenk’ das Boot du mit dem Schwerte,

80
Lenk’ es mit der blanken Klinge,
[236]

Daß das Boot von Planken laufe,
Daß der Tannennachen eile!“
     Selbst der alte Wäinämöinen
Steuert fort nun durch die Wogen,
Steuerte durch Felsenspalten,
Durch den Schaum voll wilden Brausens,
Hängen blieb dort nicht der Nachen,
Stecken nicht das Boot des Kund’gen.
     Erst als es darauf gekommen

90
In die weitgedehnten Wasser,

Blieb das Boot im Laufe stecken,
Blieb der Nachen stehn im Eilen;
Haftet fest auf einer Stelle,
Kann vom Fleck sich nicht bewegen.
     Selbst der Schmieder Ilmarinen,
Munter mit ihm Lemminkäinen
Stoßen in das Meer das Steuer,
In die Fluth die Fichtenplanke,
Schieben emsig, um zu treiben

100
Von der Stelle ihren Nachen;

Doch nicht laufen will der Nachen,
Frei kommt nicht das Boot von Planken.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„O du muntrer Lemminkäinen,
Bücke dich um zuzuschauen,
Worauf denn das Boot wohl haftet,
Worauf unser Nachen stecket
In den weitgedehnten Fluthen,

110
In den überstillen Tiefen,

Ob auf Klippen oder Zweigen,
Ob auf einer andern Hemmniß.“
     Selbst der muntre Lemminkäinen
Wendet sich um zuzuschauen,
Schauet unterhalb des Bootes,
Redet Worte solcher Weise:
„Sitzet nicht auf einer Klippe,
Einer Klippe, einem Strauche,
Auf der Schulter eines Hechtes,

120
Auf des Wasserhundes Hüftbein.“

     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„Alles findet man im Wasser,
Zweige oder auch wohl Hechte;
Sind wir auf des Hechtes Rücken,
Auf des Wasserhundes Hüftbein,
Fahre mit dem Schwert in’s Wasser,
Schlage du den Fisch in Stücke!“
     Selbst der muntre Lemminkäinen,

130
Dieser lebensfrische Bursche,

Zog die Klinge aus dem Gurte,
Von der Hüft’ den Knochenbeißer,
Fuhr in’s Wasser mit der Klinge,
Hieb hinab am Rand des Bootes,
Stürzet selber in das Wasser,
Fährt in’s Meer mit seinen Fäusten.
     Darauf faßt Schmied Ilmarinen
Bei den Haaren diesen Helden,
Hebt den Mann aus Meeresfluthen,

140
Redet selber diese Worte:

„Alle sind gemacht zu Männern,
Sind gemacht zu Bartesträgern,
Daß erfüllt ein Hundert werde,
Voll ein Tausend sich gestalte.“
     Zog das Schwert aus seinem Gurte,
Aus der Scheid’ das wilde Eisen,
Daß den Fisch er jetzt zerhaue,
Schlägt hinab zur Seit’ des Bootes;
Doch in Stücke sprang die Klinge,

150
Ohne daß der Hecht was merkte.

     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„Nicht seid ihr des Mannes Hälfte,
Nicht das Drittel eines Helden;
Kommt Bedürfniß nach dem Manne,
Hat des Mannes Sinn man nöthig,
Ist der ganze Sinn bei Schlichten,
Alle Einsicht bei den Andern.“
     Selber zieht er seine Klinge,

160
Greift er nach dem scharfen Eisen,

Stößt die Klinge in die Fluthen,
An des Bootes Seit’ zur Tiefe,
In des Hechtes breiten Rücken,
In des Wasserhundes Rippen.

[237]

     Doch sein Schwert blieb dorten stecken,
Haftet in des Fisches Rachen;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Zog den Fisch nun in die Höhe,
Zog den Hecht hoch aus dem Wasser:

170
Dieser bricht darauf in Stücke,

Auf den Boden stürzt der Fischschweif,
In das Boot der Kopf des Hechtes.
     Wieder konnt’ der Nachen laufen,
Kam das Boot von seiner Stelle;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Lenkt das Boot zu einer Klippe,
Treibt den Nachen hin zum Strande,
Schaut und blickt nach allen Seiten,
Nach des Hechtkopfs Trümmerstücken,

180
Selber spricht er diese Worte:

„Wer der älteste der Jungen,
Soll den Hecht hier mir zerspalten,
Soll den Fisch in Scheiben schneiden,
Soll den Kopf in Stücke schlagen!“
     Sprachen aus dem Boot die Männer,
Von den Kanten so die Weiber:
„Schöner sind des Fängers Hände,
Heiliger sind seine Finger.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft

190
Holt das Messer aus der Scheide,

Von der Hüft’ das kalte Eisen,
Daß den Hecht er damit spalte,
Diesen Fisch in Stücke schneide,
Selber spricht er diese Worte:
„Wer die jüngste von den Jungfraun,
Soll den Hecht hier für mich kochen,
Mir zu einem Frühstücksbissen,
Mir zu einem schönen Schmause!“
     Kochen gingen nun die Jungfraun,

200
Um die Wette zehn der Jungfraun;

So nun ward der Hecht gekochet
Zu den Bissen eines Mahles,
Auf der Klippe blieben Knochen,
Fischesgräten auf dem Felsen.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Blickte hin auf diese Gräten,
Schaut’ sie an von allen Seiten,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Was wohl könnte hieraus werden,

210
Aus den Zähnen dieses Hechtes,

Aus den weitgestreckten Kiefern,
Wär’n sie in des Schmiedes Esse,
Bei dem kund’gen Schmiedekünstler,
In der Hand des klugen Mannes?“
     Sprach der Schmieder Ilmarinen:
„Nichts kann aus dem Nutzenlosen,
Aus des Fisches Gräten werden,
Niemals in des Schmiedes Esse,
Bei dem kund’gen Schmiedekünstler,

220
In der Hand des klugen Mannes.“

     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Dennoch kann aus ihnen werden,
Aus den Gräten eine Harfe,
Wenn ein Künstler sich nur fände,
Sie zu einem Spielzeug schüfe.“
     Da kein andrer Künstler nahte,
Keiner, der die Gräten fügte,
Sie zu einem Spielzeug bindet,

230
Macht der alte Wäinämöinen

Selber sich an das Verbinden,
Machet selber sich zum Künstler;
Macht ein Spielzeug aus den Gräten,
Macht ein Werkzeug ew’ger Freude.
     Woher ist der Harfe Wölbung?
Aus des großen Hechtes Kiefer!
Woraus sind der Harfe Stifte?
Aus des grossen Hechtes Zähnen;
Woraus sind der Harfe Schrauben?

240
Aus dem Haar des Hiifi-Wallachs.

     Schon bereitet war das Spielzeug,
Fertig war bereits die Harfe,
Aus des Hechtes Bein das Spielzeug,
Aus der Gräte schon die Harfe.
     Kamen nun die jungen Männer,
Kamen die beweibten Helden,
Kamen halberwachsne Knaben,
Kamen kleine Mädchen ferner,

[238]

Junge Mädchen, alte Weiber,

250
Frauen von dem mittlern Alter,

Um die Harfe anzuschauen,
Um das Spielzeug zu betrachten.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ließ die Jungen, ließ die Alten,
Ließ die Leute mittler Jahre
Mit den Fingern munter spielen
Auf dem Spielzeug aus der Gräte,
Auf der Harfe aus dem Fischbein.
     Spielten Junge, spielten Alte,

260
Spielten Leute mittler Jahre;

Spielten Junge, Finger brachen,
Drehten Alte, Köpfe bebten,
Freude wollte nicht entstehen,
Frohes Spiel sich nicht erheben.
     Sprach der muntre Lemminkäinen:
„O ihr Kinder halber Einsicht,
Und ihr Mädchen stumpf von Sinnen,
Auch du andres Volk voll Jammer!
Nicht verstehet ihr zu spielen,

270
Ordentlich nicht vorzutragen;

Gebet mir das schöne Spielzeug,
Traget her die hübsche Harfe,
Stellt sie her auf meine Kniee,
An die Spitzen meiner Finger!“
     Hat der muntre Lemminkäinen
In den Händen nun die Harfe,
Hat das Spielzeug vor sich stehen,
Hat es unter seinen Fingern;
Setzt zurecht darauf das Spielzeug,

280
Wendet hin und her die Harfe,

Doch nicht tönen will das Spielzeug,
Will nicht Freude von sich geben.
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Nicht ist bei den jungen Leuten,
Nicht im Volk, das jetzo wächset,
Auch nicht bei den alten Leuten,
Wer auf diesem Spielzeug spielen,
Hierauf Freude wecken könnte;
Sollte Pohjola wohl besser

290
Auf dem Spielzeug spielen können,

Auf demselben Freude wecken,
Wenn ich’s nach Pohjola brächte?“
     Bracht’ das Spielzeug nach Pohjola,
Bracht’ es hin nach Sariola;
Spielten Knaben in Pohjola,
Spielten Knaben, spielten Mädchen,
Spielten auch beweibte Männer,
Spielten Frauen, die verehlicht,
Spielte selbst die alte Wirthin,

300
Dreht’ und wendete die Harfe,

Faßt’ sie fest mit ihren Fingern,
Hielt sie mit den Fingerspitzen.
     Spielten Knaben in Pohjola,
Spielten Leute jeder Gattung,
Nicht zu merken war dort Freude,
Keine Melodie im Spiele;
Ganz verdrehet sind die Saiten,
Elend wimmerten die Haare,
Hart nur waren ihre Töne,

310
Gräulich war der Klang der Harfe.

     Schlief ein Blinder in dem Winkel,
Auf dem Ofen dieser Alte,
Wachte auf dort auf dem Ofen,
Fuhr empor von seiner Schlafstatt,
Knurrte so auf seinem Sitze,
Murmelte in seinem Winkel:
„Höret auf und laßt das Spielen,
Macht dem Lärmen ihr ein Ende!
Bläst mir Löcher in die Ohren,

320
Sprenget mir den Kopf in Stücke,

Gehet mir durch alle Haare
Und entführt den Schlaf auf lange!“
     „Bringt des Suomi Volkes Harfe
Nicht zum Vorschein wahre Freude,
Führt sie nicht zu süßem Schlummer,
Nicht zu angenehmem Schlafe,
O, so werft sie in das Wasser,
Senkt sie in des Meeres Fluthen;
Oder traget sie zurücke,

330
Bringt das Spielzeug wieder dorthin,

In die Hände, die sie schufen,
Zu den Fingern, die sie fügten!“

[239]

     Hastig antwortet das Spielzeug,
Tönt die Harfe solche Worte:
„Will nicht in das Wasser sinken,
In die Fluthen mich nicht senken,
Eher töne ich beim Meister
In der eignen Hand des Künstlers.“
     Ward die Harfe nun bedächtig,

340
Ward gar vorsichtig getragen

In die Hand, die sie geschaffen,
Auf die Knie, die sie sich wünschte.