Kalewala, das National-Epos der Finnen/Einundvierzigste Rune
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Legt die Finger nun in Ordnung,
Wäschet rein die beiden Daumen;
Setzt sich auf den Freudefelsen,
Stellt sich auf den Stein des Sanges,
Auf die silberreiche Höhe,
Auf den goldbedeckten Hügel.
Nimmt die Harfe in die Finger,
Nimmt die Harfe in die Hände,
Redet Worte solcher Weise:
„Komme her um zuzuhören,
Wer es früher nicht gehöret,
Wie die ew’gen Lieder tönen,
Wie die Harfe munter klinget!“
Fing der alte Wäinämöinen
Darauf schön an vorzutragen
Auf dem Spielzeug aus der Gräte,
Schnell erhoben sich die Finger,
In die Höhe stieg der Daumen.
Nun war Freude bei der Freude,
Jubel kam nun aus dem Jubel,
Jetzt ertönte wahres Spielen,
Zum Gesange ward das Singen;
Töne gab der Zahn des Hechtes,
Laute gab des Fisches Gräte,
Laut ertönten dort die Haare,
Spielt der alte Wäinämöinen,
Nicht gab’s zu der Zeit im Walde
Thiere laufend auf vier Füßen,
Die mit langen Stelzen gingen,
Die nicht kamen zuzuhören,
Um bewundernd sich zu freuen.
Lustig sprang das muntre Eichhorn,
Kletterte von Ast zu Aste;
Näher kamen Hermeline,
Auf den Fluren hüpft das Elenn,
Luchse theilen selbst die Freude.
Es erwacht der Wolf im Sumpfe,
Von der Heide selbst erhebet
Sich der Bär vom Tannenlager,
Aus dem fichtenreichen Dickicht;
Läuft der Wolf durch weite Strecken,
Kommt der Bär durch lange Heiden,
Setzt sich endlich an dem Zaune,
Daß der Zaun zum Stein sich senket,
Auf den Hain die Pforte stürzet;
Steiget dann auf eine Fichte,
Wälzt sich hin zu einer Tanne,
Um dem Spiele zuzuhören,
Um bewundernd sich zu freuen.
Tapiola’s kluger Alter,
Selbst der Hausherr von Metsola
Und das ganze Volk Tapio’s,
Stiegen auf des Berges Spitzen,
Um das Spielen anzuhören;
Selbst die Wirthin von dem Walde,
Tapiola’s kluge Alte
Zog nun an die blauen Strümpfe,
Band sie fest mit rothen Bändern,
Setzt sich auf der Birke Beule,
Auf die Krümmung einer Erle,
Um das Harfenspiel zu hören,
Alle Vögel in den Lüften,
Alle Schwinger zweier Flügel
Kamen munter da geflattert,
Kamen eiligst angeflogen,
Um die Töne anzuhören,
Um bewundernd sich zu freuen.
Als der Aar zu Hause hörte
Dieses schöne Spiel Suomi’s,
Ließ die Jungen er im Neste,
Zu des hehren Helden Harfe,
Zu dem Spiele Wäinämöinen’s.
Von der Höhe flog der Adler,
Durch die Wolken kam der Habicht,
Enten aus der Fluthen Tiefe,
Schwäne aus den schwanken Sümpfen,
Selbst die allerkleinsten Finken,
Vöglein, die gar munter zwitschern,
Zeisige in hundert Schaaren,
Freuen sich im Raum der Lüfte,
Lärmen auf des Mannes Schultern,
Als der liebe Vater spielte,
Bei den Tönen Wäinämöinen’s.
Selbst der Lüfte Schöpfungstöchter,
Voller Lust der Lüfte Jungfraun,
Hatten voller Staunen Freude,
Lauschten auf den Klang der Harfe,
Eine auf der Lüfte Wölbung,
Auf dem Wölklein saß die andre,
Strahlte auf dem rothen Saume.
Hielt des Mondes schöne Jungfrau
Und der Sonne schöne Tochter
In der Hand die Weberkämme,
Heben auf die Weberschafte,
Weben an dem Goldgewebe,
Rauschen mit den Silberfäden
An dem Rand der rothen Wolke,
Als sie aber nun vernahmen
Dieser schönen Harfe Klänge,
Fiel der Kamm rasch aus den Händen,
Rauscht das Schifflein aus den Fingern,
Ging entzwei der goldne Faden,
Riß die Schnur von schönem Silber.
Damals gab es keine Wesen,
Keine Thiere in dem Wasser,
Die mit sechs der Flossen wandern,
Die zum Hören nicht gekommen,
Sich nicht freuten voller Staunen.
Angeschwommen kamen Hechte,
Ungelenk die Wasserhunde,
Von den Klippen kamen Lachse,
Schnäpel aus des Meeres Tiefe;
Mit dem Rothaug’ kamen Barsche,
Stinten kamen, andre Fische
Mit der Brust gestützt aufs Schilfrohr,
Wäinämöinen’s Lied zu hören,
Seinem Spiele beizuwohnen.
Ahto, König in den Fluthen,
Mit dem Grasbart dieser Alte,
Schleppt sich zu der Wasserfläche,
Schwimmt auf einer Wasserblume,
Lauschte auf die schönen Töne,
Redet’ selber diese Worte:
„Hab’ dergleichen nie gehöret,
Dieses Spiel von Wäinämöinen,
Töne dieses Zaubersängers.“
Glätten an dem Meeresufer,
An dem Strand die Schilfesschwestern,
Ihre Haar’ die Sotkotöchter,
Kämmen diese Zier der Stirne
Mit der silberreichen Bürste,
Mit den goldgeschmückten Borsten;
Hören da die neuen Töne,
In das Wasser glitt die Bürste,
Stürzte hastig in die Wogen,
Ungekämmt die Haare blieben
Und zur Hälfte nur geordnet.
Selbst die Wirthin von den Fluthen,
Sie die schilfbedeckte Alte
Hob sich aus des Meeres Tiefe,
Taucht’ bedächtig aus den Fluthen,
Schlich heran zum Schilfesrande,
Um die Töne anzuhören,
Wäinämöinen’s schönes Spielen,
Da die Töne wunderseltsam,
Wunderschön das Spiel erschallte;
Fing gar rasch an einzuschlummern,
Sank zum Schlafen dorten nieder,
Auf des bunten Felsens Rücken,
Auf der dicken Klippe Kante.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Gab dort keinen von den Helden,
Keinen von den kräft’gen Männern,
Keinen Mann und keins der Weiber,
Keine Flechtenträgerinnen,
Die er nicht zu Thränen rührte,
Deren Herz er nicht bewegte;
Weinten Junge, weinten Alte,
Weinten unbeweibte Männer,
Helden, die schon längst beweibet,
Wie die Knaben, so die Mädchen,
Ja die allerkleinsten Mädchen,
Da die Töne wunderseltsam
Und des Alten Spiel voll Anmuth.
Selbst des alten Wäinämöinens
Thränendrüsen schwollen kräftig,
Aus den Augen fielen Tropfen,
Wasserperlen rannen nieder,
Größer als des Sumpfes Beeren,
Runder als des Feldhuhns Eier,
Größer als die Schwalbenköpfe.
Aus den Augen tropfte Wasser,
Quoll hervor in reichen Tropfen,
Strömte auf die Backenknochen,
Gleitet auf der Wangen Fläche,
Von der schönen Wangen Fläche
Auf des Kinnes breite Strecke,
Von des Kinnes breiter Strecke
Von des Busens hoher Wölbung
Auf die Knie von großer Stärke,
Von den Knieen großer Stärke
Auf des Fußes hohe Fläche,
Von des Fußes hoher Fläche
Auf den Boden an den Füßen,
Rinnet durch fünf wollne Röcke,
Sechs der goldgestickten Gürtel,
Ja, durch sieben blaue Hemde
Rannen so die Wassertropfen
Von dem alten Wäinämöinen
Zu dem Strand des blauen Meeres,
Von dem Strand des blauen Meeres
In des klaren Wassers Tiefe,
Auf des schwarzen Schlammes Masse.
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte solcher Weise:
„Ist in diesen Jünglingshaufen,
In dem ausgedehnten Stamme,
Von des Vaters Söhnen einer,
Der nun meine Thränen sammelt
Aus der klaren Fluthen Tiefe?“
Also sprachen da die Jungen,
Antwort gaben so die Alten:
„Nicht ist in dem Jünglingshaufen,
In den schönen Jugendschaaren,
In dem ausgedehnten Stamme
Der jetzt deine Thränen sammelt
Aus des klaren Wassers Tiefe.“
Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte dieser Weise:
„Wer mir meine Thränen brächte,
Wer die Wassertropfen sammelt
Aus der klaren Fluthen Tiefe,
Wird ein Federkleid erhalten.“
Kam der Rabe angekrächzet;
„Hol’, o Rabe, meine Thränen
Aus der klaren Fluthen Tiefe!
Werd’ ein Federkleid dir geben.“
Nicht erhascht der Rab’ die Thränen.
Hörte das die blaue Ente,
Kam herbei die blaue Ente;
Sprach der alte Wäinämöinen:
„Oftmals tauchst du, blaue Ente,
Mit dem Schnabel in die Tiefe,
Gehe, sammle meine Thränen
Aus der klaren Fluthen Tiefe!
Guten Lohn wirst du erhalten,
Werd’ ein Federkleid dir geben.“
Ging die Ente aufzusammeln
Wäinämöinen’s schöne Thränen
Aus der klaren Fluthen Tiefe,
Von dem Grund des schwarzen Schlammes;
Sammelt aus dem Meer die Thränen,
Waren anders schon gestaltet,
Waren wunderschön geworden:
Schimmern nun als schöne Perlen,
Schillern bläulich voller Klarheit,
Zu dem Schmucke manches Königs,
Zu der Mächt’gen ew’gen Freude.