Kalewala, das National-Epos der Finnen/Vierundvierzigste Rune
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Dachte nun in seinem Sinne:
„Passend wär’ es jetzt zu spielen,
Schicklich Freude nun zu wecken
In dem neuen Aufenthalte,
In dem wunderschönen Hofe;
Doch verborgen ist die Harfe,
Ewig fort mir meine Freude,
Sank zur Wohnung von den Fischen,
Zu der Meereshechte Freude,
Hin zum Volke von Wellamo;
Kann sie mir von dort nicht holen,
Nicht giebt Ahto sie mir wieder.“
„O du Schmieder Ilmarinen!
Hast geschmiedet sonst und gestern,
Schmiede auch am heut’gen Tage,
Schmiede eine Eisenharke,
Dichte Zähne an der Harke,
Daß ich in den Fluthen harke,
Daß die Wellen ich in Haufen
Und das Schilf zusammenziehe,
Daß den Strand ich ganz durchharke,
Ich ein Spielzeug mir verschaffe,
Meine Harfe wiederfinde
Aus der Fische Wohnungsstätte,
Aus der Lachse Steinesschluchten!“
Selbst der Schmieder Ilmarinen,
Schmiedet eine Eisenharke,
Macht ihr einen Schaft von Kupfer,
Hundertklafterlange Zähne,
Fünffach war des Schaftes Länge.
Nahm der alte Wäinämöinen
Drauf die Harke starken Eisens,
War ein wenig nur gegangen,
Nur ein wenig hingewandert,
Zu den reichbetheerten Walzen,
War ein Boot dort, zwei der Nachen,
Zwei der Böte in Bereitschaft
Auf den reichbetheerten Walzen,
Auf den kupferreichen Rollen,
Neu war einer von den Nachen,
Alt das zweite von den Böten.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet’ zu dem jungen Boote:
„Gehe, Boot, nun in das Wasser,
Von den Händen nicht gewendet,
Von dem Daumen nicht gehalten!“
Ging sogleich das Boot in’s Wasser
Stieg hinab zur Fluth des Meeres;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Setzet selbst sich an das Ende,
Ging das Meer nun zu durchfegen,
Ging die Fluthen zu durchkehren;
Kehrt die Wasserblümlein alle,
Selbst des Schilfes kleinste Stückchen,
Schilfes-Stückchen, Rohres-Brocken,
Harkt zusammen jedes Ästchen,
Streifte mit der Hark’ die Klippen,
Nirgends kann er jedoch finden
Seine Harf’ aus Hechtes-Gräten,
Fort war seine Freud’ auf immer,
Seine Harfe blieb verloren.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Kopfgesenkt und schlechter Laune,
Schiefgeschoben seine Mütze,
Redet nochmals diese Worte:
„Werde niemals wieder wecken
Freude aus des Hechtes Zähnen,
Auf des Fisches Gräte Töne.“
Als die Waldung er durchwandert,
An dem Rand des Haines schreitet,
Hört er eine Birke weinen,
Schreitet rasch in seine Nähe,
Gehet näher hin zum Baume,
Fragte so zur Birke sprechend:
„Weshalb weinst du, schöne Birke,
Klagst du also, grünbelaubte,
Jammerst du mit weißem Gürtel?
Wirst ja nicht zum Krieg geführet,
Nicht zum Kampfe du gezwungen.“
Klüglich antwortet die Birke,
„Also mögen viele sprechen,
Mögen manche von mir reden,
Daß ich nur in Freude lebe,
Daß ich voller Jubel rausche;
Arme, die ich bei den Sorgen,
Bei der Wehmuth mich nur freue,
Die ich in den Unheilsstunden,
Bei dem Kummer mich beklage.“
„Weine jetzt ob meiner Kleinheit,
Da ich Arme ohne Antheil
Elend ohne alle Stütze
Hier auf dieser schlechten Stelle,
Auf dem Weideplatze stehe.“
„Voller Glück und reich an Wonne
Hoffen andre immerwährend,
Daß der schöne Sommer komme,
Daß die warme Zeit erscheine,
Anders muß ich dummes Bäumchen,
Meine Rinde zum Zerschneiden,
Meine Zweige fortzuführen.“
„Oftmals sind zu mir, der Zarten,
Oft zu mir, der armen Birke,
Kinder in dem raschen Frühjahr
Her zu meinem Stamm gekommen,
Schlitzen mit dem scharfen Messer
Aus dem Bauch mir meine Säfte,
Böse Hirten ziehen Sommers
Machen Schalen, machen Scheiden,
Machen daraus Beerenkörbchen.“
„Oftmals sind bei mir, der Zarten,
Oft bei mir, der zarten Birke,
Mädchen, die am Stamme sitzen,
Die an meiner Seite weilen,
Schneiden Laub mir von der Krone,
Binden Zweige fest zu Besen.“
„Oftmals hat man mich, die Zarte,
Schon beim Schwenden umgehauen,
Mich zu Brennholz kleingespalten;
Dreimal sind in diesem Sommer,
In dem Lauf der warmen Jahrszeit
Männer an dem Stamm gewesen,
Haben ihre Axt gewetzet
Gegen meine arme Krone,
Daß ich um mein Leben käme.“
„Dieses war die Freud’ im Sommer,
Doch nicht besser war der Winter,
Nicht die Schneezeit angenehmer.“
„Stets hat schon in frühen Zeiten
Kummer mein Gesicht verändert,
Mir mein Haupt schlimm zugerichtet,
Meine Wangen sind erblichen,
Wenn ich an die schwarzen Tage,
An die schlechten Zeiten dachte.“
„Schmerzen bringen dann die Winde
Winde führen fort den Laubpelz,
Fort der Reif die hübsche Kleidung,
Daß ich arme, schwache Birke,
Ich, das unglücksvolle Bäumchen,
Unbekleidet hier verbleibe,
Aller Kleidung ganz beraubet,
In der strengen Kälte zittre,
In dem Froste heftig klage.“
Sprach der alte Wäinämöinen:
Klage nicht, du reichbelaubte,
Jammre nicht mit weißem Gürtel!
Sollst ein wonnig Loos erhalten,
Voller Lust ein neues Leben;
Wirst sogleich vor Freude weinen,
Wirst voll lauter Lust ertönen.“
Schuf der alte Wäinämöinen
Aus der Birke nun ein Spielzeug,
Schnitzte einen Tag des Sommers,
Auf der nebelreichen Spitze,
Auf dem waldungsreichen Eiland;
Schnitzt die Wölbung von der Harfe,
Neue Freude auf dem Stammholz,
Schnitzt aus festem Holz die Wölbung,
Schnitzt aus Maserholz das Stammholz.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Fertig ist der Harfe Wölbung,
Woher nehm’ ich jetzt die Schrauben,
Woher hol’ ich gute Pflöcke?“
Wuchs ein Eichbaum an dem Wege,
In die Höhe auf dem Hofe,
Hatte Zweige gleicher Größe,
Eicheln dort auf jedem Zweige,
Goldne Kugeln an den Eicheln,
Auf der Kugel einen Kuckuck.
Wenn der Kuckucksruf ertönte,
Floß ihm Gold aus seinem Schnabel,
Goß herab sich reiches Silber
Auf die goldbedeckten Hügel,
Auf die silberreichen Höhen;
Daher nahm er Harfennägel,
Daher Pflöcke zu dem Spielzeug.
Sprach der alte Wäinämöinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Habe Nägel nun zur Harfe,
Etwas fehlet noch der Harfe,
Fehlen ihr noch fünf der Saiten,
Woher nehme ich die Saiten,
Schaffe ich die tönereichen?“
Ging sich Saiten nun zu suchen,
Schritt einher entlang der Waldung;
Saß ein Mädchen in dem Haine,
Eine Jungfrau in dem Thale,
Dieses Mädchen weinte zwar nicht,
Sang ein Liedchen vor sich selber,
Daß der Abend schwinden möchte,
In der Hoffnung, daß der Liebste,
Daß er ja recht bald erschiene.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Eilte dorthin ohne Schuhe,
Springet zu ihr ohne Strümpfe;
Als er bei ihr angelanget,
Fing er an um Haar zu bitten,
„Gieb, o Jungfrau, deine Haare,
Locken deiner zarten Haare,
Daß sie Saiten auf der Harfe
Zu beständ’ger Freude werden!“
Ihre Haare gab die Jungfrau,
Gab von ihren weichen Haaren,
Gab derselben fünf, ja sechse,
Gab ihm sieben ganze Haare,
Daraus sind der Harfe Saiten,
Fertig war nun seine Harfe;
Setzt der alte Wäinämöinen
Sich auf einen Sitz von Steinen,
Auf den Block an einer Thüre.
Nahm die Harfe in die Hände,
Nahm sein Labsal näher zu sich,
Dreht die Wölbung zu dem Himmel,
Stützt den Knopf auf seine Kniee.
Setzt die Saiten dann in Ordnung,
Hatte nun gestimmt die Saiten,
Seine Harfe gut geordnet;
Nimmt sie darauf in die Hände,
Stützt sie auf die Knie querüber,
Ließ das Zehend seiner Nägel,
Fünf von seinen Fingern laufen,
Auf den Saiten munter lärmen,
In denselben lustig springen.
Als der alte Wäinämöinen
Zart von Hand und weichen Fingers,
Seinen Daumen auswärts krümmte,
Da ertönt das Holz der Birke,
Klinget laut die reichbelaubte,
Rief voll Lust das Gold des Kuckucks,
Jubelte das Haar der Jungfrau.
Wäinämöinen’s Finger spielen,
Seiner Harfe Saiten tönen,
Berge springen, Blöcke krachen,
Steine bersten auf den Fluthen,
Kies selbst schwimmet in dem Wasser,
Fichten waren voller Freude,
Stämme hüpften auf der Heide.
Alle Frauen Kalewala’s
Eilen fort von ihrem Nähen
Dorthin gleichwie mit dem Strome,
Stürzen hin gleich einem Flusse,
Junge Weiber munter lachend,
Um das Spiel mit anzuhören,
Um die Freude anzustaunen.
Wieviel Männer nahe waren,
Standen, in der Hand die Mütze,
Wieviel Weiber nahe waren,
Hielten ihre Hand zur Wange,
Thränend sind der Mädchen Augen,
Auf der Erde knie’n die Knaben,
Lauschen auf der Harfe Töne,
Reden wie mit einem Munde,
Sprechen wie mit einer Zunge:
„Niemals ist zuvor gehöret
Solch ein Spielen voller Anmuth,
Nie, so lang’ die Zeiten dauern,
Nie, so lang’ das Mondlicht strahlet.“
Tönte weit das schöne Spielen,
Tönte über sechs der Dörfer,
Gab daselbst kein einz’ges Wesen,
Dieses Spielen voller Anmuth,
Dieses Tönen auf der Harfe.
Alle Thiere in dem Walde
Hocken nieder auf die Krallen,
Um die Harfe anzuhören,
Um die Freude anzustanen;
Alle Vögel in den Lüften
Lassen sich auf Zweige nieder,
Wasserfische jeder Gattung
Würmer kommen aus der Tiefe
Auf der Erde Staub gekrochen,
Wenden sich und hören fleißig
Auf das Spielen voller Anmuth,
Auf die Freude von der Harfe,
Auf das Drehen Wäinämöinen’s.
Spielt’ der alte Wäinämöinen
Wohl auf wunderbare Weise,
Ließ gar schöne Töne klingen;
Spielte ohne anzuhalten
Von dem Frühstück an dem Morgen,
Von demselben Gurt umschlossen,
Mit demselben Hemd bekleidet.
Spielte er in seinem Hause,
In der Wohnung, die von Tannen,
Dann ertönte die Bedachung,
Dann erdröhnte oft der Boden,
Sang die Decke, heult’ die Thüre,
Selbst des Ofens Steine schwankten
Und die Pfeiler selbst ertönten.
Wandert er im Fichtenwalde,
Gehet er durch Tannenhaine,
Bücken tief sich alle Fichten,
Neigen sich zur Erd’ die Tannen,
Nieder fallen ihre Zapfen,
Zu den Wurzeln ihre Zweige.
Wandelte er durch die Haine,
Spielten munter gleich die Haine,
Freuten immer sich die Büsche,
Wurden liebevoll die Blumen,
Beugten sich die jungen Reiser.