Kalewala, das National-Epos der Finnen/Fünfundvierzigste Rune
Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Hört die Kunde mit den Ohren,
Daß Wäinölä wohl gedeihet,
Kalewala sich erhebet
Durch die Trümmer von dem Sampo,
Durch des bunten Deckels Brocken.
Wurde drob gewaltig neidisch,
Dachte selbst bei sich beständig,
Welchen Tod sie wohl bereiten,
Zu dem Volke von Wäinölä,
Zu den Männern Kalewala’s.
Wandte bittend sich an Ukko,
Bittet so den Gott des Donners:
„Ukko, Gott du in dem Himmel!
O, verdirb das Volk Kalewa’s
Mit dem scharfen Eisenhagel,
Mit den stahlbespitzten Pfeilen,
Oder bring sie um durch Krankheit,
Auf dem langen Hof die Männer,
In der Hürde ihre Weiber!“
Eine blinde Tochter Tuoni’s
War das alte Weib Lowjatar,
Sie, die schlechteste der Töchter,
Häßlich unter Mana’s Töchtern,
Allen Nebeln eine Quelle,
Anfang war sie tausend Freveln;
Hatte ein Gesicht voll Schwärze,
Diese schwarze Tochter Tuoni’s,
Sie, die Blinde Ulappala’s,
Machte sich ihr Bett am Wege,
Sich auf schlechtem Land ihr Lager,
Mit dem Rücken hin zum Winde,
Schräggewandt zum bösen Wetter,
Zu dem Zugwind voller Kälte,
Zu des Tages Morgenwinden.
Fing ein Windstoß an zu wehen,
Blies das dumme Mädchen schwanger,
Schwellte ihren Leib voll Fülle,
Auf den zweigentblößten Fluren,
Auf den rasenlosen Wiesen.
Und es trug des Leibes Schwere,
Seine Fülle sie mit Schmerzen,
Trug sie zwei, ja drei der Monde,
Trug den vierten sie und fünften,
Trug den siebenten und achten,
Nach der Rechnung alter Weiber,
Noch die Hälfte von dem zehnten.
Nach des neunten Monats Ablauf,
In des zehnten Monats Anfang
Ward der Leib gar hart gestaltet,
Drückt’ er sie mit großen Schmerzen,
Ohne daß die Frucht sich zeigte,
Daß die Frucht zum Vorschein eilte.
Gehet da von ihrem Sitze,
Zu gebären ging die Buhle,
Sie die Hure von dem Winde
In der Mitte zweier Felsen,
In der Enge von fünf Bergen,
Ohne daß das Kind sich zeigte,
Daß die Frucht zum Vorschein eilte.
Einen Platz sucht zum Gebären,
Sucht sie um den Leib zu leeren
Auf den Quellen voller Leben,
Konnte keinen Platz dort finden,
Wo des Leibes Last sie ließe.
Will die Kinder nun gebären,
Will des Leibes Last entsenden
In den Schaum des Stroms voll Feuer,
In des heft’gen Wassers Strudel,
An dem Wirbel dreier Fälle,
An der steilsten Ufer Neunzahl,
Doch nicht kommt das Kind zum Vorschein,
An zu weinen fing die Garst’ge,
Sie, die Scheußliche, zu jammern,
Wußte nicht wohin sie gehen,
Nicht, wohin sie wandern sollte,
Um des Leibes Last zu leeren,
Ihre Kinder zu gebären.
Sprach der Höchste aus den Wolken,
Sprach der Schöpfer aus dem Himmel:
„In dem Sumpfe giebt’s ein Dreieck,
In dem nimmerhellen Nordland,
In dem düstern Sariola;
Gehe dorthin zu gebären,
Deines Leibes Last zu lassen;
Dort hat man nach dir Verlangen,
Sehnsucht dort nach deinen Kindern!“
Kam die schwarze Tochter Tuoni’s,
Sie die, garst’ge Jungfrau Mana’s,
Hin zur Stube von Pohjola,
Ihre Kinder zu gebähren,
Ihre Frucht dort zu erlangen.
Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Nordlands Alte arm an Zähnen,
Führt sie heimlich nach der Badstub’,
Zu dem Bade in die Hütte,
Ohne daß das Dorf es hörte,
Es ein Wort vernehmen konnte.
Heizte heimlich ihre Badstub’,
Schmiert mit Bier der Badstub’ Thüren,
Netzt mit Dünnbier ihre Riegel,
Daß die Thür nicht heulen möchte,
Nicht die Riegel laut ertönen.
Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
„Schöne Alte, Schöpfungsjungfrau,
Schöne, du mit goldnem Glanze,
Du, die älteste der Frauen,
Lauf vom Knie du hin zum Meere,
Von dem Hüftblatt in die Fluthen,
Nimm vom Kaulbarsch du den Geifer,
Nimm die Glätte von der Quappe,
Schmier’ damit Knochenhöhlung,
Streiche du damit die Seiten,
Mach’ die Jungfrau frei vom Drucke,
Von dem Leibesschmerz das Mädchen,
Von den gar zu harten Qualen,
„Sollte das genug nicht scheinen,
Ukko, du, o Gott im Himmel!
Komme her, du bist vonnöthen,
Eile her, wo man dich rufet;
Ist ein Mädchen hier in Wehen,
Ist ein Weib mit Leibesschmerzen
In dem Rauche einer Badstub’,
In dem Badehaus des Dorfes!
„Nimm die goldbedeckte Keule
Scheuche alle Hindernisse,
Schlage du der Pforte Pfeiler,
Setz’ des Schöpfers Schloß in Schwanken,
Mache, daß durch alle Riegel
Große gehen, Kleine gehen,
Daß der Allerkleinste wandre!“
Da entsendet diese Schlechte,
Tuoni’s Tochter ohne Augen,
Endlich ihres Leibes Fülle,
Unter eine bunte Decke,
In die Wiege voller Weichheit.
Bracht zum Vorschein neun der Söhne,
Während einer Nacht des Sommers,
Während einer Badeheizung,
In dem Laufe eines Bades
Mit der Kraft desselben Leibes
Aus der Fülle ihres Bauches.
Giebt drauf Namen ihren Söhnen,
Wie der Künstler seine Werke,
Was er sichtbar selbst geschaffen:
Einen bildet sie zu Stichen,
Treibt zur Windkolik den einen,
Einen, daß er Gicht errege,
Einem leihet sie die Dürrsucht,
Einen drängt sie zu Geschwülsten,
Einen steckt sie an mit Krätze,
Einen stößt sie zu der Zehrung,
Ohne Namen blieb nur einer,
Blieb der unterste im Strohbett,
Diesen trieb sie drauf von dannen,
Stieß als Zaubrer ihn auf’s Wasser,
Auf der Niedrung Rand zu zaubern,
Überall den Neid zu üben.
Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,
Hieß die andern alle gehen
Nach der nebelreichen Spitze,
Reizte diese bösen Wesen,
Diese Übel sonder Gleichen
Auf die Männer von Wäinölä,
Zum Verderb des Kalewstammes.
Es erkrankt das Volk Wäinölä’s,
Liegen sieht man Kalew’s Söhne
An den Übeln sonder Gleichen,
Mit den unbekannten Namen;
Daß der Boden unten faulet
Ging der alte Wäinämöinen,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Um die Köpfe zu befreien,
Um die Seelen zu erlösen,
Ging zum Kampfe zu Tuoni,
Mit den Krankheiten zu streiten.
Läßt die Badestub’ erwärmen,
Läßt die Steine dort erhitzen
Mit dem allerreinsten Holze,
Führet Wasser wohl verdecket,
Bringet Besen gut verwahret,
Bähet warm die Badebesen
Und erweicht die hundertäst’gen.
Weckte eine Honighitze,
Weckte eine süße Hitze
Durch die glühendheißen Steine,
Durch die brennendheißen Blöcke,
Redet Worte solcher Weise,
„Komme, Gott, zur Badehitze,
Lüftevater, in die Wärme,
Uns Gesundheit zu verleihen,
Um uns Ruhe zu bereiten!
Wische fort die heil’gen Funken,
Lösche aus die heil’gen Schlacken,
Schlag’ der Hitze Unmaaß nieder,
Send’ hinaus die schlechte Hitze,
Daß sie nicht dein Kind verbrenne,
„Welches Wasser ich nun sprütze
Auf die Steine voller Hitze,
Dieses werde gleich zu Honig,
Soll als süßer Seim gleich rieseln;
Mag der Honigstrom dann fließen,
Sich der Honigsee ergießen
Durch die Steine dieses Ofens,
Durch die moosbedeckte Badstub’!“
„Werden schuldlos nicht verzehret,
Ohn’ Erlaubniß von dem Schöpfern,
Ohne Tod, den Gott gesendet;
Wer uns ohne Schuld verzehret,
Komm’ das eigne Wort zum Munde,
Zu dem Kopfe schlechte Lage,
Zu ihm selber böses Sinnen!“
„Sollt’ in mir ein Mann nicht stecken
Nicht ein Held im Sohne Ukko’s,
Um vom Übel zu erlösen,
Ist ein Mann noch Ukko selber,
Der die Wolken selber lenket,
Der auf Dürrewolken weilet,
Der die Lämmerwolken leitet.“
„Ukko, du, o Gott dort oben,
Höchster auf den Wolken oben,
Komm herbei, du bist vonnöthen,
Eile her, da man dich bittet,
Diese Qualen wahrzunehmen,
Diese Übel zu verscheuchen,
Dieses Siechthum zu vertreiben!“
„Bringe mir ein Schwert voll Feuer,
Bring’ mir eine Feuerklinge,
Daß die Bösen ich bezwingen,
Ich die Garst’gen bannen könne,
Auf des Windes Bahn die Schmerzen,
Auf das weite Feld die Qualen.
„Dahin treibe ich die Schmerzen,
Zu den Kellern in den Felsen,
Zu den eisenreichen Haufen,
Um den Steinen Schmerz zu bringen,
Um die Felsen zu beläst’gen;
Nimmer weint der Stein vor Schmerzen,
Klagt der Felsen über Qualen,
Sollt’ man auch gar viel ihn quälen,
Ohne Maaß denselben stoßen.“
„Schmerzensjungfrau, Tuoni’s Tochter,
An dem Laufe dreier Flüsse,
Bei der Theilung dreier Ströme,
Die die Schmerzenssteine drehet,
Die den Berg der Schmerzen wendet!
Geh die Schmerzen abzuwenden
In des blauen Steines Rachen,
Oder führ’ sie in das Wasser,
Senk’ sie in des Meeres Tiefe,
Welche nie vom Wind berühret,
„Sollte dieß genug nicht scheinen,
Schmerzensjungfrau, gute Wirthin,
Qualenjungfrau, Weiberzierde,
Komm zugleich, erscheine gleichfalls,
Um Gesundheit zu verschaffen,
Um uns Ruhe zu bereiten!
Nimm den Schmerzen ihre Wirkung,
Laß die Qualen bald verschwinden,
Daß der Kranke schlafen könne,
Daß Besinnung er behalte,
Sich der Sieche wenden könne.“
„Nimm die Schmerzen in das Fäßchen,
In die Kupfertruh’ die Qualen,
Daß die Schmerzen du entführest,
Du die Qualen schleppen mögest
In des Schmerzenberges Mitte,
Zu des Schmerzenfelsens Spitze;
Dort sollst du die Schmerzen kochen
Von der Größe eines Fingers,
Von der Weite eines Daumens!“
Mitten ist ein Stein im Berge,
Ist ein Loch in seiner Mitte,
Ist gebohret mit dem Bohrer,
Durchgeschlagen mit dem Eisen,
Dahin wirf du alle Schmerzen,
Dahin schütt’ die bösen Qualen,
Dränge du die wilden Wesen,
Daß sie Nachts sich nicht erheben,
Nicht bei Tag’ in Freiheit kommen.“
Schmiert der alte Wäinämöinen,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Darauf alle kranken Stellen,
Überstreicht des Schmerzes Sitze
Dann mit neun der besten Salben
Und mit acht der Zaubermittel,
Redet Worte solcher Weise,
„Ukko, du, o Gott dort oben,
Alter Mann du in dem Himmel!
Send’ aus Osten eine Wolke,
Eine Hängewolk’ aus Nordwest,
Schicke eine aus dem Westen,
Sende Honig, sende Wasser,
Um die Schmerzen zu beschwicht’gen,
Um die Qualen zu besänft’gen!“
„Werde selber nichts vermögen,
Hülfe mußt du, Schöpfer, geben,
Hülfe Gott du, Höchster, bringen,
Da mit eignem Aug’ ich schaute,
Mit der eignen Hand berührte,
Mit dem Munde ich gesprochen,
Mit dem Athem ich gehauchet!“
„Wohin meine Hand nicht gehet,
Mögen Gottes Hände gehen,
Wohin niemals meine Finger,
Schöner sind des Schöpfers Finger,
Seine Hände sind weit rascher!“
„Komme, Schöpfer, nun zu zaubern,
Komme, Gott, du um zu sprechen,
Machterfüllter, zuzuschauen!
Laß sie in der Nacht gesunden,
Lindrung sie bei Tage finden,
Daß der Schmerz nicht oben fühlbar,
Qual nicht in der Mitte drücke,
Daß sie keinen Schmerz empfinden,
Selbst Beschwerde nicht ein wenig
In dem Laufe dieser Zeiten,
Nicht, so lang der Goldmond glänzet!“
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Dieser ew’ge Zaubersprecher,
Treibet also fort das Übel,
Scheuchet also fort das Siechthum;
Wendet ab der Menschen Leiden,
Und erlöst vom Tod die Leute,
Vom Verderb den Stamm Kalewa’s.