Kalewala, das National-Epos der Finnen/Siebzehnte Rune
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hatt’ die Worte nicht erlanget
Aus den Häusern von Tuonela,
Aus Manala’s Wohngebäuden,
Dachte stets in seinem Sinne
Und erwägt’s in seinem Kopfe,
Wo er wohl die Worte fände,
Wo die günst’gen Sprüch’ erlangte.
Kommt ein Hirte ihm entgegen,
„Hundert Worte kannst du finden,
Tausend Lieder du erkunden
Aus dem Munde von Wipunen,
Aus dem Bauch des Krafterfüllten;
Führet wohl ein Weg zur Stelle,
Führt ein Fußsteig zu dem Orte,
Nicht gehört er zu den besten,
Auch nicht zu den allerschlimmsten;
Eine Strecke mußt du laufen
Darauf eine Strecke gehen
Auf des Männerschwertes Spitze,
Drittens mußt du vorwärts schreiten
Auf des Heldenbeiles Schneide.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Überlegte diese Wandrung,
Schreitet zu des Schmiedes Esse,
Redet Worte solcher Weise:
„Ilmarinen, du, o Schmieder,
Mache Handschuh’ mir aus Eisen,
Schmiede mir ein Hemd aus Eisen,
Einen Hebebaum aus Eisen,
Gegen Lohn aus Stahl den Kolben,
Lege Stahl genug nach innen,
Überziehe ihn mit Eisen;
Worte geh’ ich jetzo holen,
Sprüche will ich mir verschaffen
Aus dem Bauch des Krafterfüllten,
Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte solcher Weise:
„Längst gestorben ist Wipunen,
Längst Antero hingeschwunden,
Nicht mehr legt er seine Fallen,
Stellet nicht mehr seine Schlingen,
Kannst von ihm nicht Worte holen,
Nicht einmal des Wortes Hälfte.“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Läuft den ersten Tag behende
Auf der Weibernadel Spitze,
Schläfrig schreitet er den zweiten
Auf des Männerschwertes Spitze,
Schwingt sich an dem dritten Tage
Auf des Heldenbeiles Schneide.
Selbst Wipunen reich an Liedern,
Er, der Alte, stark an Kräften,
Lag mit seinen Liedern dorten,
Auf den Schultern wuchs die Espe,
An den Schläfen eine Birke,
Eine Erle auf dem Kinne,
Auf dem Barte wuchsen Weiden,
Auf der Stirn die Eichhornfichte,
Aus den Zähnen eine Tanne.
Schon erscheinet Wäinämöinen,
Zieht das Schwert, entblößt das Eisen
Aus der Scheide starken Leders,
Fällt die Espe von den Schultern,
Fällt die Birke von den Schläfen,
Von dem Kinn die breiten Erlen,
Von dem Bart die grauen Weiden,
Von der Stirn die Eichhornfichte,
Fällt die Tanne an den Zähnen.
Stieß die lange Eisenstange
In den großen Mund Wipunen’s,
In das schauderhafte Zahnfleisch,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Stehe auf, o Knecht des Menschen,
Aus dem Schlafe von dort unten,
Aus dem ewiglangen Schlummer!“
Selbst Wipunen reich an Liedern
Ist alsbald vom Schlaf erwachet,
Fühlet, daß er hart getroffen
Und von heft’gem Schmerz geplaget,
Beißet in die Eisenstange,
Kann den Stahl nicht gleichfalls beißen,
Nicht des Eisens Herz verzehren.
Wäinämöinen, er, der Alte,
Stolpert an dem Munde stehend
Mit dem einen Fuß ins Innre,
Gleitet mit dem linken Fuße
In den großen Mund Wipunen’s,
Mitten durch die Backenknochen.
Selbst Wipunen reich an Liedern
Breitet aus des Mundes Winkel,
Schlingt den Mann mit seinem Schwerte,
Schluckt ihn rauschend durch die Kehle,
Ihn, den alten Wäinämöinen.
Selbst Wipunen reich an Liedern
Redet Worte solcher Weise:
„Habe manches schon gegessen,
Eine Zieg’, ein Schaf gespeiset,
Eine güste Kuh verschlucket,
Nie doch hab’ ich solche Speise,
Solchen Bissen nie gekostet.“
Selbst der alte Wäinämöinen
Redet Worte solcher Weise:
„Seh’ bereits mein Unglück kommen,
Seh’ herein das Unheil brechen
In der engen Hürde Hiisi’s,
In dem Grabgewölbe Kalma’s.“
Dachte nach und überlegte,
Hatt’ ein Messer in dem Gürtel
Mit dem Schaft vom Masernholze,
Zimmert aus dem Schaft ein Fahrzeug,
Baut ein Boot sich voller Kunde,
Rudert fleißig mit dem Boote
Durch den Darm nach beiden Enden,
Ruderte durch alle Gänge,
Schleppt’ sich fort durch alle Winkel.
Selbst Wipunen reich an Liedern
Darum machte Wäinämöinen
Selber sich sofort ans Schmieden,
Fing das Eisen an zu hämmern,
Macht sein Hemd geschwind zur Schmiede,
Aus den Ärmeln macht er Bälge,
Aus dem Pelz des Balges Öffnung,
Aus dem Hosenpaar die Röhren,
Aus den Strümpfen dann die Mündung,
Brauchet seine Knie als Amboß,
Schmiedete mit großem Lärmen,
Hämmerte mit lautem Klopfen,
Schmiedet’ ohne Rast die Nächte,
Schmiedete am Tage emsig
In des Krafterfüllten Magen,
In des Zauberkund’gen Innerm.
Selbst Wipunen reich an Liedern
Redet Worte solcher Weise:
„Wer wohl bist du von den Männern,
Hab’ verzehret hundert Helden,
Tausend Männer wohl verschlungen,
Nie gegessen deinesgleichen:
Kohlen steigen auf zum Munde,
Brände kommen an die Zunge,
Eisenschlacken in die Kehle.“
„Gehe, Scheusal, auf die Wandrung,
Fliehe fort, du Landes Plage,
Eh’ ich deine Mutter suche,
Sage ich es deiner Mutter,
Offenbare ich’s der Alten,
Hat die Mutter mehr zu leiden,
Größre Mühe dann die Alte,
Wenn der Sohn so schlecht gehandelt,
Wenn das Kind so schlimm gerathen.“
„Kann es auch nicht recht begreifen,
Kann’s nicht ordentlich ergründen,
Wie du, Hiisi, hier verschlucket,
Mich zu beißen, mich zu plagen,
Mich zu fressen und verzehren;
Bist du Krankheit, die der Schöpfer,
Siechthum, die der Höchste sandte,
Oder bist du sonst geschaffen,
Bist von andern mir bereitet,
Gegen Lohn hieher gesendet,
Gegen Geld hieher bestellet?“
„Bist du Krankheit, die der Schöpfer,
So vertraue ich dem Schöpfer,
Übergebe mich dem Höchsten,
Nicht verläßt der Herr die Guten,
Nicht verdirbt er je den Braven.“
„Bist von Menschen du geschaffen,
Bist durch Andre du verursacht,
Werd’ ich dein Geschlecht erfahren,
Deinen Ursprung schon erkunden.
„Früher kam von dort Verletzung,
Aus dem Umkreis mächt’ger Zaubrer,
Aus der Nähe Sangeskund’ger,
Aus dem Sitze böser Geister,
Von der Zeichendeuter Fluren,
Von des Todtengottes Ebnen,
Aus dem Inneren der Erde,
Aus des todten Mannes Wohnung,
Aus dem Hause des Entschwundnen,
Aus dem aufgeschwollnen Boden,
Aus dem Kiesland voller Wirbel,
Aus dem Sandland voller Rauschen,
Aus den senkungsreichen Thälern,
Aus den moosberaubten Sümpfen,
Aus den Quellen voller Leben,
Aus den Wogen voller Schwankung,
Aus des Hiisi-Waldes Hürden,
Aus den Schluchten von fünf Bergen,
Von des Kupferberges Seiten,
Von der Fichte reich an Brausen,
Von der Tanne reich an Sausen,
Von der hohlen Föhre Wipfel,
Aus dem morschen Tannenwalde,
Aus dem Jammerloch des Fuchses,
Von der Flur der Elennthiere,
Aus des Bären Felsenhöhlen,
Aus des Breitbeins Steingemächern,
Von den weiten Nordlandsgränzen,
Aus den schößlingsarmen Hainen,
Von den ungepflügten Feldern,
Von den großen Schlachtgefilden,
Von der Männer Kampfesstätte,
Von den welkgewordnen Kräutern,
Von dem Blute, das da dampfet,
Von des weiten Meeres Rücken,
Von den ausgedehnten Ebnen,
Von dem schwarzen Schlamm der Meeres,
Aus den Strömen voller Zischen,
Aus den Wirbeln voller Flammen,
Aus dem heft’gen Rutjafalle,
Aus des Wassers kräft’ger Wendung,
Von des Himmels hintrer Hälfte,
Von dem Rand der dürren Wolken,
Von dem Pfad der Frühlingswinde,
Von des Windes Ruhestätten.“
„Bist von dort du hergerathen,
In das Herz, das nichts verschuldet,
In den Bauch, der nichts verbrochen,
Ihn zu fressen, zu verzehren,
Ihn zu beißen, ihn zu spalten?“
„Weich’ von hinnen, Hund des Hiisi,
Stürze nieder, Welp Manala’s,
Geh mir, Scheusal, aus dem Leibe,
Aus der Leber mir, o Unthier,
Laß das Herzblatt unverzehret,
Meinen Magen ungewalket,
Meine Lunge ungewendet,
Meinen Nabel undurchbohret,
Meine Schläfen ungefährdet,
Quäle nicht den Rückenknochen,
Hau’ nicht los auf meine Hüften!“
„Wenn ich nicht als Mann erscheine,
Werd’ ich einen bessern senden,
Um das Unheil wegzuschaffen,
„Ruf’ von unten Erdenweiber,
Ruf’ der Felder alte Wirthe,
Aus der Erde Schwertesmänner,
Aus dem Sand berittne Helden
Mir zur Hülfe, mir als Mächte,
Mir zur Stütze, mir zu Nutzen
Bei den mühereichen Qualen,
Bei den überharten Schmerzen.“
„Wenn du dieses nicht beachtest,
Komm, o Wald, mit deinen Männern,
Mit dem Volke, du Wachholder,
Tannenhain mit deinen Knechten,
Binnensee mit deinen Kindern,
Hundert Mann mit ihren Schwertern,
Tausend Helden voller Eisen,
Diesen Hiisi hier zu quälen,
Ihn, den Unhold, zu zerdrücken!“
„Wenn du dieses nicht beachtest,
Steig empor, o Wassermutter,
Blaubemützet aus den Wogen,
Weichen Saumes aus der Quelle,
Aus dem Schlamme reingestaltet
Zu dem Schutz des schwachen Helden,
Zu des kleinen Mannes Besten,
Daß ich schuldlos nicht gefressen,
Krankheitlos getödtet werde!“
„Wenn du dieses nicht beachtest,
Komm, der Schöpfung hehre Tochter,
Du, o schöne, goldne Iungfrau,
Du, die älteste der Frauen,
Du, die früheste der Mütter,
Komm, die Schmerzen hier zu sehen,
Komm, das Unheil abzuwenden,
Diese Qualen zu entfernen,
Diese Plage fortzuschaffen.“
„Willst du dieses nicht beachten,
Ukko an des Himmels Nabel,
An dem Rand der Donnerwolke,
Komm herbei, du bist von Nöthen,
Komme rasch, du wirst gerufen,
Schlechte Werke wegzuschaffen,
Die Bezaub’rung fortzutreiben
Mit dem Schwerte voller Feuer,
Mit der Klinge voller Funken.“
„Gehe, Scheusal, auf die Wandrung,
Nimmer ist hieselbst dein Wohnsitz,
Wenn du auch des Sitz’s benöthigt;
Anderswo setz’ deine Stätte,
Weiter fort du die Behausung,
Bei dem Wohnsitz deines Wirthen,
Auf den Wegen deiner Wirthin!“
„Bist du dann dorthin gekommen,
An des Weges End’ gelanget,
In die Nähe deiner Eltern,
Gieb ein Zeichen, daß du da bist,
Ganz geheim, daß du gekommen,
Tose wie des Donners Krachen,
Blitze wie des Feuers Schimmer,
Stoße an die Thür vom Hofe,
Zieh ein Brett herab vom Fenster,
Schlüpfe darauf in das Innre,
Fliege flatternd in die Stube,
Fasse an des Fußes Sehne,
Pack’ den Wirth im fernsten Winkel
An der Thüre du die Wirthin,
Grabe aus des Wirthen Auge,
Und zerbrich den Kopf der Wirthin,
Krumm’ die Finger du zu Haken,
Krumm dreh’ ihnen du die Köpfe!“
„Sollte dieses wenig frommen,
Flieg als Hahn du auf die Gasse,
Als ein Küchlein zu dem Hofe,
Scheuch die Rosse von der Krippe,
Von dem Freßtrog du das Hornvieh,
Drücke du in Mist die Hörner,
Auf den Boden hin die Schwänze,
Dreh die Augen in die Schiefe,
Und zerbrich mit Kraft die Nacken.“
„Bist du Krankheit, die vom Winde
Her zu mir gesandt, geblasen,
Von der Frühlingsluft geführet,
Gehe auf dem Weg des Windes,
Auf der Bahn der Frühlingslüfte,
Ohne auf dem Baum zu sitzen,
Auf der Erle auszuruhen,
Grade zu dem Kupferberge,
Zu dem kupferreichen Gipfel,
Daß der Wind dich dorten wiege,
Dort die Lüfte dich behüten!“
„Bist vom Himmel du gekommen,
Steige dann zurück zum Himmel,
Und erheb dich in die Lüfte
In die tropfenreichen Wolken,
In die Sterne voll Geflimmer,
Daß du gleich dem Feuer brennest,
Daß du gleich den Flammen glühest
Auf der Sonne langer Laufbahn,
An des Mondes rundem Hofe!“
„Bist du von der Fluth geführet,
Mögst du zu dem Wasser kehren,
In die Fluthen wieder jagen,
Zu dem Rand des schlamm’gen Schlosses,
Zu des Wasserberges Rücken,
Daß dich dort die Fluthen wiegen,
Dort die Wogen fleißig schaukeln!“
„Bist du von den Fluren Kalma’s,
Aus des Hingeschiednen Wohnung,
Kehre in die Heimath wieder,
In den aufgeschwollnen Boden,
In die oft durchwühlte Erde,
Wo das Volk hineingesunken,
Wo die starke Schaar gefallen!“
„Bist du, Thor, von dort gekommen
Aus des Hiisi-Waldes Schluchten,
Aus des Tannendickichts Winkel,
Aus des Föhrenhaines Wohnung,
Banne ich dich nun von dannen,
Zu des Föhrenhaines Wohnung,
In des Tannendickichts Winkel,
Daß du dorten bleiben mögest,
Bis des Bodens Bretter faulen,
Schwamm sich an die Wände setzet
Und herab die Decke stürzet.“
„Werde dich, o Schlechter, bannen,
Werd’, o Unhold, dich vertreiben
Zu des alten Bären Wohnung,
In die morastreichen Thäler,
In die lautentblößten Sümpfe,
In die Quellen voller Leben,
In die starkbewegten Fluthen,
In die Seeen ohne Fische,
In die barschberaubten Wasser.“
„Findst du dorten keine Stätte,
Werde ich dich ferner bannen
Nach des Nordlands weiten Gränzen,
Zu den schößlingsarmen Fluren,
Zu dem ungepflügten Boden,
Ohne Mond und ohne Sonne,
Ohne alle Tageshelle;
Dort ist’s wonnig dir zu leben,
Dort vergnüglich dir zu flattern,
Im Gehölz sind Elennthiere
Edelhirsche dort erhänget,
Daß der Mann den Hunger stille,
„Ferner bann’ ich dich, den Schlechten,
Banne ich und treib’ von hinnen
Dich zum heft’gen Rutjafalle,
Zu dem feuerreichen Wirbel,
Wo die Bäume niederfallen,
Wo die Tannen niederstürzen,
Mit dem Stamm die großen Fichten,
Mit der Kron’ belaubte Tannen;
Schwimme da, du böser Heide,
Wirble durch die weiten Fluthen
Weile in den engen Wogen!“
„Findst du dorten keine Stelle,
Werd’ ich dich von hinnen bannen
In den schwarzen Fluß Tuoni’s,
In den ew’gen Strom Manala’s,
Daß du nie in deinem Leben
Von der Stelle dort entkommest,
Sollte ich dich nicht befreien,
Gegen neun der besten Hammel,
Die ein einzig Schaf getragen,
Gegen neun der stärksten Stiere,
Die dieselbe Kuh geworfen,
Gegen neun der schönsten Hengste,
Die da Füllen einer Stute.“
„Fragest du nach Reisepferden,
Wünschest Rosse du zum Fahren,
Werde Rosse ich dir leihen,
Hiisi hat ein Pferd voll Schönheit,
Auf dem Berg’ ein rothgemähntes,
Feuer sprühet aus dem Maule,
Weiß sind an der Spitz’ die Nüstern,
Hufe hat es ganz von Eisen,
Stählern sind des Rosses Beine,
Kann bergaufwärts sich erheben,
In dem Thale sich bewegen,
Wenn der Reiter selber tüchtig,
„Sollte dieses nicht genügen,
Mögest du des Hiisi Schneeschuh,
Lempo’s Erlenschuh erhalten,
Einen Stab des bösen Mannes,
Daß du in das Land von Hiisi,
Nach dem Walde Lempo’s schreitest,
Hiisi’s ganzes Land durchschneidest,
Dieses Bösen Land durchgleitest;
Liegen Steine auf dem Wege,
Liegen Zweige in die Länge,
Brech’ dieselben rasch in Stücke,
Steht ein Held quer in der Mitte,
Schick’ ihn fort geraden Weges!“
„Gehe, rühr’ dich, Überflüß’ger,
Fliehe, schlechter Mann, von hinnen,
Ehe noch der Tag beginnet,
Eh’ der Morgenschimmer dämmert,
Eh’ die Sonne sich erhebet,
Zeit ist’s, Arger, nun zu gehen,
Zeit, o Schlechter, zu entfliehen,
Bei dem Mondschein fortzugehen,
Bei dem Lichte wegzuwandern!“
„Fliehst du, Böser, nicht von hinnen,
Gehst, o Hund, du nicht geschwinde,
Nehme ich des Adlers Klauen,
Nehm’ des Blutaussaugers Krallen,
Nehm’ des Vogels Fleischeszangen,
Daß den Schlechten ich zerdrücke,
Daß das Scheusal ich bezwinge,
Ohne daß der Kopf erbrauset,
Und die Seele überwallet.“
„Früher floh der grause Lempo,
Floh das liebe Muttersöhnchen,
Als mir Beistand Gott verliehen,
Seine Hülf’ der Schöpfer brachte;
Fliehe du, o Mutterloser,
Du, o Hund, du Herrenloser,
Gehe Welp, du Mutterloser,
Während diese Zeit entschwindet,
Dieser Mond zu Ende gehet!“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Gut ist mir’s hieselbst zu weilen,
Angenehm hieselbst zu bleiben,
Statt des Brotes dient die Leber,
Gut zu kochen sind die Lungen,
Gute Kost gewährt das Speck mir.“
„Werde meine Schmiedestätte
Tiefer in das Herzfleisch setzen,
Werd’ den Hammer kräft’ger schlagen
In die allerschlimmsten Stellen,
Daß du nie in deinem Leben,
Nie von mir befreiet werdest,
Wenn ich nicht die Worte höre,
Nicht mich daran satt gehöret,
Tausend gute Zauberweisen;
Nimmer darf das Wort verborgen,
Nicht versteckt die Sprüche bleiben,
In die Erde nicht versinken,
Wenn die Zaubrer auch verschwinden.“
Selbst Wipunen reich an Liedern,
Er, der krafterfüllte Alte,
Hat im Munde großen Zauber,
Öffnete der Worte Kiste,
Machte auf der Lieder Lade,
Um gar guten Sang zu singen,
Um den besten vorzulegen:
Von der Dinge erstem Ursprung,
Sprüche von der Dinge Anfang,
Welche Kinder nimmer singen,
Nicht die starken Helden kennen,
Jetzt in diesen bösen Zeiten,
Sang den Ursprung bis zum Grunde,
Nach der Ordnung allen Zauber,
Wie sich nach des Schöpfers Willen,
Auf des Machterfüllten Fordrung
Von ihm selbst die Luft geschieden,
Aus der Luft sich Wasser trennte,
Aus dem Wasser dann die Erde,
Aus der Erde die Gewächse.
Sang, wie einst der Mond geschaffen,
Wie der Lüfte Pfeiler wurden,
Wie die Sterne an dem Himmel.
Selbst Wipunen reich an Liedern
Singt genug, versteht die Sache,
Nimmer ist gehört, gesehen,
Nie so lang’ die Zeiten dauern,
Einer, der da besser sänge,
Der den Zauber kräft’ger könnte;
Worte trieb der Mund in Menge,
Gleich des Füllens raschen Beinen,
Gleich des Reitpferds schnellen Füßen.
Singt so Tagelang die Lieder,
Singt die Nächte nach einander,
Seinem Sange lauscht die Sonne,
Stehen bleibt der Mond im Laufe,
Auf dem Meere stehn die Wellen,
In der Bucht die großen Wogen,
Selbst des Flusses Strom hält inne,
Mit dem Strömen der Wuoksen,
Stille stand sogar der Jordan.
Als der alte Wäinämöinen
So die Worte hatt’ vernommen,
Sie genugsam angehöret,
Gute Sprüche sich verschaffet,
Bricht er auf davonzugehen
Aus dem Munde von Wipunen,
Aus dem Bauch des Krafterfällten,
Sprach der alte Wäinämöinen:
„O du Antero Wipunen,
Öffne deinen Mund nun breiter,
Thue auf des Mundes Winkel
Möchte aus dem Bauch zur Erde,
Nach der Heimath wieder wandern!“
Selbst Wipunen reich an Liedern
Redet Worte solcher Weise:
„Manches habe ich verzehret,
Nie doch einen Mann dergleichen,
Wie den alten Wäinämöinen,
Bist geschickt hereingekommen,
Thuest gut, daß du nun gehest.“
Selber Antero Wipunen
Öffnet nun die Backenknochen,
Giebt dem Munde größre Weite,
Machet auf des Mundes Winkel,
Selbst der alte Wäinämöinen
Aus dem Bauch des Krafterfüllten,
Aus des Zauberkund’gen Innerm,
Gleitet eilends aus dem Munde,
Schlüpft behende auf die Fluren
Wie ein muntres, goldnes Eichhorn,
Wie der Marder mit der Goldbrust.
Ging nun weiter fort des Weges,
Kam zur Esse seines Schmiedes,
Sprach der Schmieder Ilmarinen:
Hast die Sprüche du erhalten,
Um des Bootes Rand zu zimmern,
Um den Hinterstamm zu binden,
Um den Vorderstamm zu fügen?“
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
„Wohl erhielt ich hundert Worte,
Hörte tausend Zaubersprüche,
Offenbar verborgne Worte,
Ging dann hin zu seinem Boote,
Zu der Stätte weiser Arbeit,
Bringt das Boot gar bald zu Stande,
Bindet fest des Randes Leisten,
Arbeitet am Hinterstamme,
Fügt den Vorderstamm zusammen,
Ungezimmert ward der Nachen,
Ohne Spän’ das Boot so fertig.