Kalewala, das National-Epos der Finnen/Achtundzwanzigste Rune
Ahti, er, der Inselländer,
Selbst der muntre Lemminkäinen
Eilte nun sich fortzumachen,
Drängte nun davonzufliehen
Aus dem nimmerhellen Nordland,
Aus dem dunkeln Hause Sara’s.
Stürmend ging er aus der Stube,
Eilet gleich dem Rauch zum Hofe,
Um der Unthat zu entfliehen,
Als er auf den Hof gekommen,
Blicket er nach allen Seiten,
Suchet, wo sein Roß er fände,
Siehet nirgends stehn das Rößlein,
Einen Block nur auf dem Felde,
Auf der Flur ein Weidendickicht.
Wer wohl sollte hier nun rathen,
Wer ihm gute Weisung geben,
Daß sein Kopf ihm nicht gefährdet,
Nicht zersauset ihm dasselbe
Auf dem Hofe von Pohjola?
Lärm schon hört man aus dem Dorfe,
Und Getös’ von andern Höfen,
Schimmern sieht man’s schon im Dorfe,
Augen an den Fenstern funkeln.
Darauf mußte Lemminkäinen,
Er, der Inselländer Ahti,
Sich in andern Körper bannen,
Flog als Adler in die Höhe,
Wollte zu dem Himmel fliegen,
Doch die Sonne dörrt die Wangen,
Und der Mond schmilzt seine Schläfen.
Bittend wendet Lemminkäinen,
Er, der Muntre, sich an Ukko:
„Ukko, du, o Gott voll Güte,
Du, der Weise in dem Himmel,
Lenker du der Donnerwolken,
Leih mir eine Nebelhülle,
Schaff’ mir eine kleine Wolke,
Damit ich in ihrem Schutze
Nach der Heimath nun enteile,
An der lieben Mutter Seite,
Hin zu ihr, der greisen Alten!“
Flieget dann beständig weiter,
Schaut sich einmal um nach hinten,
Sieht da einen grauen Habicht;
Wie des Pohjaländers Augen,
Wie des frühern Nordlandswirthen.
Also sprach der graue Habicht:
„Heda Ahti, du, der Muntre,
Denkst du noch an unsre Kämpfe,
An den Streit mit gleichen Köpfen?“
Sprach der Inselländer Ahti,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Habicht, du o schöner Vogel!
Bist daselbst du angekommen,
In dem nimmerhellen Nordland:
Sprich, wie schwer der Aar zu fangen,
Wie gar schwer er zu verspeisen.“
Eilte nun geraden Weges
Hin zu seiner lieben Mutter,
Im Gesichte voll von Sorgen,
Voll Betrübniß in dem Herzen.
Ihm entgegen kam die Mutter,
An dem Vorrathshause schreitet,
Früher fragte ihn die Mutter:
„Du der jüngste meiner Söhne,
Du das stärkste meiner Kinder!
Weßhalb bist du so verdrießlich
Bei der Rückkunft aus Pohjola,
Bist am Trinkkrug du gekränket
Bei dem Schmause von Pohjola?
Bist am Trinkkrug du gekränket,
Den dein Vater aus dem Kriege,
Aus dem Kampf einst mitgeholet.“
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Mutter, die du mich getragen,
Wär’ am Trinkkrug ich gekränket,
Würd’ ich selbst den Wirthen kränken,
Würde hundert Helden kränken,
Würde tausend Männer lehren.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
Bist du mit dem Roß beschimpfet,
Mit dem Pferde du gekränket?
Bist du mit dem Roß beschimpfet,
Sollst du dir ein bess’res kaufen
Mit dem Reichthum deines Vaters,
Mit den Mitteln deines Alten!“
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Mutter, die du mich getragen!
Wär’ ich mit dem Roß gekränket,
Würd’ ich selbst den Wirth beschimpfen,
Würd’ die Rosselenker kränken,
Starke Männer mit den Rossen,
Helden auch mit ihren Pferden.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Weßhalb bist du so verdrießlich,
So betrübt in deinem Herzen,
Du, der aus Pohjola kommest,
Bist von Weibern du verspottet,
Bist von Weibern du verspottet,
Von den Mädchen ausgelachet,
Giebt es Andre zu verlachen,
Giebt es Weiber zu verspotten.“
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Mutter, die du mich getragen!
Wär’ von Weibern ich verspottet,
Von den Mädchen ich verlachet,
Würd’ ich selbst den Wirth verspotten,
Würde hundert Weibern trotzen,
Tausend andern Frauenzimmern.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s:
„Was geschah dir denn, mein Söhnchen!
Ist dir etwas zugestoßen
Auf dem Wege nach Pohjola;
Hast du etwas viel gegessen,
Viel gegessen und getrunken,
Hast auf deiner Ruhestätte
Sprach der muntre Lemminkäinen
Darauf Worte dieser Weise:
„Alte Weiber mögen denken,
Was man in dem Traum gesehen!
Kenn’ die Träume meiner Nächte,
Besser noch des Tages Träume:
Mutter du, o liebe Alte!
Fülle meinen Sack mit Wegkost,
Lege Mehl du in die Tasche,
Weiter muß dein Sohn nun wandern,
Muß nun aus dem Lande ziehen,
Aus dem lieben, goldnen Hause,
Aus dem wunderschönen Hofe;
Männer schärfen ihre Schwerter,
Wetzen ihre Lanzenspitzen.“
Früher fragte ihn die Mutter,
Forschte nach dem Grund in Eile:
„Weßhalb wetzen sie die Schwerter,
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Deshalb wetzen sie die Schwerter,
Schärfen ihre Lanzenspitzen,
Mir, dem Armen, zum Verderben
Gegen meinen Kopf, ich Armer;
Kam ein Streit, entstand ein Kämpfen
Auf dem Hofe von Pohjola:
Tödtete den Pohjaländer,
Auf zum Kampf hob sich das Nordland,
Zu dem Streit der wilde Haufen,
Gegen mich, den Mühbeladnen,
Alle gegen mich, den einen.“
Diese Worte sprach die Mutter,
Redet’ zu dem Kind die Alte:
„Hab’ es dir bereits gesaget,
Habe dich gar sehr gewarnet,
Dir in einem fort verboten,
Konntest ja beim Rechte bleiben,
In der Mutter Stube wohnen,
In dem Schutze deiner Alten,
In dem Hofe deiner Lieben,
Wäre dann kein Krieg entstanden,
Hätte sich kein Streit erhoben.“
„Wohin willst du nun, mein Söhnchen,
Wohin willst du, Ärmster, eilen,
Um der Unthat zu entfliehen,
Daß dein Kopf dir nicht gefährdet,
Nicht dein Hals gespalten werde,
Daß dein Haar dir nicht beschädigt,
Es dir nicht zerzauset werde?“
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Kenne keine solche Stelle,
Wo ich Zuflucht finden könnte,
Mich verbergen nach der Unthat;
Mutter, die du mich getragen,
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s,
Redet’ selber diese Worte:
„Weiß nicht, wohin ich dich schicken,
Wohin schicken soll und senden;
Werd’ zur Tanne auf dem Berge,
Zum Wachholder auf dem Felde,
Dort auch könnt’ dich Unglück treffen,
Könnte Unheil dich befallen:
Oftmals wird des Berges Tanne
Oftmals wird der Feldwachholder
Zu Staketen abgeschälet.“
„Steig’ als Birke in die Niedrung
Oder in den Hain als Erle,
Dort auch könnt’ dich Unglück treffen,
Könnte Unheil dich befallen:
Oftmals wird des Thales Birke
Zu der Stapelung zerschnitten,
Oftmals wird der Hain von Erlen
„Werd’ zur Beere auf dem Berge,
Werd’ ein Beerlein auf der Heide,
Eine Erdbeer’ auf dem Felde,
Eine Schwarzbeer’ auf dem Boden,
Dort auch könnt’ dich Unglück treffen,
Könnte Unheil dich befallen:
Würden dich die Mädchen pflücken,
Dich die Zinngeschmückten rauben.“
„Werd’ zum Hechte in dem Meere,
Dort auch könnt’ dich Unglück treffen,
Könnte Unheil dich befallen;
Würd’ ein junger Rußbedeckter
Seine Netz’ in’s Wasser lassen,
Junge dich im Garn entführen,
Alte mit dem Netze fangen.“
„Werd’ zum Wolfe in dem Walde,
In dem Dickicht du zum Bären,
Dort auch könnt’ dich Unglück treffen,
Könnt’ ein junger Rußbedeckter
Seine Lanze dorten spitzen
Zu dem Untergang des Wolfes,
Zum Verderben von dem Bären.“
Sprach der muntre Lemminkäinen,
Redet’ selber diese Worte:
„Kenne selbst die schlechten Stellen,
Selbst die allerunbequemsten,
Wo der Tod mich packen könnte,
Mutter, die du mir das Leben,
Die du Milch dem Kind gegeben!
Wohin willst du, daß ich fliehe,
Wohin soll ich gehn und fliehen?
Vor dem Mund’ steht das Verderben,
Unglück schon auf meinem Barte,
Morgen gilt’s den Kopf des Mannes,
Ist das Unheil ganz vollendet.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s
„Werd’ dir eine gute Stelle,
Eine gar gelegne nennen,
Wo du dich verbergen könntest,
Wo dem Unglück du entfliehen:
Kenn’ ein Land geringer Strecke,
Eine Stelle kleinen Umfangs,
Ungefressen, ungeschlagen,
Von dem Schwert nicht heimgesuchet;
Schwöre du nur kräft’ge Eide
Daß im Lauf von sechzig Sommern
Du in keinen Kampf wirst ziehen,
Hättest du auch Lust nach Silber,
Nach dem Golde du Verlangen.“
Sprach der muntre Lemminkäinen:
„Schwöre dir mit kräft’gem Eide,
Daß ich nicht im ersten Sommer,
Schwöre, daß ich nicht im zweiten
Zu dem großen Kampfe ziehe,
Hab’ noch Wunden an der Schulter,
Auf der Brust noch tiefe Löcher
Von den frühern Kampfesfreuden,
Von den letzten Schlägereien
Auf den großen Streitgefilden,
Auf dem Tummelplatz der Männer.“
Sprach die Mutter Lemminkäinen’s
Selber Worte solcher Weise:
„Nimm du nun das Boot des Vaters,
Fahre über neun der Meere
Und die Hälfte noch des zehnten
Zu der Insel auf dem Meere,
Zu der Klippe in dem Wasser;
Früher hat daselbst dein Vater
Sich verborgen und verstecket
Einst zur Zeit des Kriegessommers,
In dem harten Kampfesjahre,
War gar gut daselbst zu weilen,
Birg dich ein Jahr und das zweite,
Komm nach Hause in dem dritten
Zu des Vaters lieben Stuben,
Zu des Alten Stapelplatze!“