Kaiser Wilhelm I.
[180] Kaiser Wilhelm I. (Mit Portrait.)
„Er war ein Mann – nehmt alles gleich in allem,
Ihr werdet niemals seines Gleichen sehn!“
Könnte dem verstorbenen deutschen Kaiser eine schönere Grabschrift zu Theil werden, als sie in diesen Worten des großen Dichters liegt?
Und so sehen wir ihn auf diesem Bilde; einen Helden an Ehren und Siegen reich, männlich fest und würdevoll, eines großen Reiches Begründer, vertrauend der eigenen Kraft und dem Schutze der Vorsehung für die hohe Sendung, die sie in seine Hand gelegt! So wird sein Bild fortleben in des Volkes Erinnerung, diese Züge voll Milde und Würde: Preußens König, ein Feldherr wie wenige, den Sieg an seine Fahnen bannend, rastlos strebend, große Ziele zu erreichen; Deutschlands Kaiser – ein Friedensfürst wie wenige, der fast zwei Jahrzehnte hindurch Europa die Ruhe verbürgte, anerkannter Schiedsrichter der Nationen, weit hinaus bis in den dunklen Welttheil, bis in ferne Zonen, in denen auf einmal des Reiches Flagge wehte, ein gepriesener Herrscher. Und jetzt – am Todtenbette des hochbetagten Greises, der noch immer die Wage der Gerechtigkeit in festen Händen hielt, steht Europa trauernd – und auf Augenblicke, vom Mitgefühl besiegt, schweigt selbst der Waffenlärm der Revanche jenseit der Vogesen. Und dies Mitgefühl gilt vor allem dem schmerzlichen Schlage, der dem großen Herrscher nicht erspart blieb! Wenn irgend einer zu den Glücklichen gehörte, so war es der Kaiser. Einem Napoleon mochte die Sonne von Austerlitz einmal glorreich aufgehen: die Sonne der Hohenzollern ging dem deutschen Kaiser nicht unter. Bei allem, was er unternahm, strahlte sie ihm im hellsten Glanze; kein Unfall wurde ihm verhängnißvoll, und selbst Mörderhände, die nach seinem ehrwürdigen Haupte zielten, hatten den Lohn ihrer schnöden That dahin.
Und doch – niemand ist vor seinem Ende selig zu preisen. In einem Alter, das alltägliche Lebensdauer auch der Bejahrten weit hinter sich läßt, tritt ein tiefer Schmerz an ihn heran, verschleiert sich die Sonne eines so lange ungetrübten Glückes. Die Krankheit seines Sohnes und Erben, welche das ganze deutsche Volk mit banger Sorge erfüllt, fällt wie ein düsterer Schatten in die sonst so hellen Tage seines hohen Alters.
Die Bulletins von der Riviera, meist trübe, selten hoffnungsvoll; sie, welche die Theilnahme unseres Volkes, die Theilnahme aller Völker wachriefen – wie mußten sie das Herz des Kaisers, das Herz des Vaters im Innersten ergreifen! Ein herrlicher Kriegsfürst, Sieger in großen Schlachten, Liebling des Volkes durch seine Leutseligkeit, seine Toleranz, seine Friedensliebe bei aller glorreich bewährten Kriegskunde und Tapferkeit, einem bösartigen Leiden verfallen, gegen das die Kunst der Aerzte nur mit oft versagender Hoffnung ankämpft!
Und jetzt: welches seltene Schauspiel für die Welt! Von seiner Krankenstation an dem Ufer des Mittelländischen Meeres, aus der warmen heilenden Luft des Südens eilt der neue Kaiser an die Todtenbahre des Vaters, mit dem hohen Pflichtgefühl, das den Hohenzollern eigen ist, nicht des eigenen Leids gedenkend, sondern der Pietät gehorchend und der großen Aufgabe seines Lebens alle Kraft widmend, welche der Dämon der Krankheit ihm gelassen hat.
Ein feindlich Schicksal wirft seinen Trauerflor über das Deutsche Reich: doch am Grabe eines Fürsten, der seine Regentenpflichten stets in vollstem Maße erfüllt hat, steht des Reiches neuer Kaiser, dem das Schicksal in die Lorbeerkrone auch die Dornenkrone geflochten hat, gleich mit seiner ersten That bekundend, daß höher als jedes Gut des Lebens ihm das unerbittliche Gebot der Pflicht steht und jener hohe Opfermuth, der sich nicht bloß im Wetter der Schlachten erprobt. †