Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance/VII. Der „Verwandler der Welt“

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VII. Der „Verwandler der Welt“

Abb. 50. Aus dem Matutinalbuch des Mönches Konrad von Scheyern 1240 Cod. lat. Monac. 14401. Aufnahme A. Reusch, München

„Verwandler der Welt“ wurde Friedrich II. von Zeitgenossen genannt, nicht deshalb, weil sie erkannten, daß seine Titanenfäuste das Werk von Jahrhunderten, den mitelalterlichen Staat und die mittelalterliche Gesellschaft, mit bewußter Berechnung untergruben, reif zum Zusammenbruche machten, und schon die ersten mächtigen Quadern zum Ideenbau des neuen staatlichen und geistigen Lebensgefühls herbeitrugen, sondern weil sein Schöpfergeist als solcher gesehen werden wollte. Daß er in Staat und Kirche ein Umgestalter wirklich war, das wußten nur er und vielleicht seine nächste Umgebung. Zwar die Kurie erkannte mit Grauen, daß dieser sizilische Staatsgedanke des Staufers mit seinem naturrechtlichen Lebensprinzip wie zehrendes, zerstörendes Feuer an dem von kirchlichem Geiste erfüllten morschen Gebälk des mittelalterlichen feudalen Staates emporlodern konnte. Zwar erbebte das verweltlichte Papsttum, als es ihm dämmerte, daß das Wort „Reformation“, vom Kaiser drohend in die Welt geschrien, von tausend Lippen wiederholt, alsbald mit dem Dröhnen der Posaune des Weltgerichts die Grundvesten der Kirche erschüttern würde. Kaum einer an der damaligen Kurie aber wird daran gezweifelt haben, daß diese doppelköpfige Hydra mit dem geistlichen Schwert zur größeren Glorie des kirchlichen Weltherrschaftsgedankens vernichtet werden würde.

Diese Staatsauffassung und diese kirchliche Forderung kennzeichnen den Staufer wirklich in den Augen der Nachgeborenen als Verwandler der Welt. Die umgestaltenden Kräfte des Riesen erschöpften sich aber nicht in diesem Prinzip und in diesem Angriff; sie wirkten sich auch aus auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Kunst. Was er hier schaffte, das konnten auch die erleuchteten Köpfe seiner Zeit, die zahlreicher als zuvor in der Umgebung des Kaisers auftauchten, und die er zu wecken schien, als etwas tatsächlich Neues erkennen. Friedrich selber aber war auch [64] hier ein bewußter Erneuerer. Die Wiedergeburt der Augusteischen Roma war das Ziel seines Schaffens. Und er allein konnte ja von allen germanischen Herrschern den Grund zu dieser Erneuerung legen. Er nämlich herrschte, wenn auch nur in einem Teil des italienischen Mutterbodens, auf dem die Kaiseridee des Ostens wie der Weltenbaum des Mythus, der die ganze Erde überschatten möchte, aufgewachsen war, mit der Allgewalt eines Augustus. Weitere Kreise der Halbinsel mußten in ihm den Cäsar erkennen, und in ihm und mit ihm sahen diese, wie die Schatten der eigenen lateinischen Vergangenheit Blut gewannen.

Abb. 51. Steinernes Astrolabium für Sternbeobachtung. Erste Hälfte des 13. Jahrh. Regensburg, Museum des Historischen Vereins. Aufnahme Quellenforschung Feldhaus, Berlin

Wiedergeburt der goldenen Roma war gewiß nicht erst die Losung des letzten staufischen Imperators. Nach dem Siege des Stilicho über die Goten läßt der Dichter Prudentius die Matrone Roma die Worte sagen: „Alle Greisenhaftigkeit legte ich wiedergeboren ab und sah mein Haar wieder blond werden!“ Den gleichen Gedanken kleiden auch die Verse des Claudian und des Rutilius Claudius Namatianus ein. Als später nach den Wirren der germanischen Reichsgründungen auf römischem Boden das Imperium des großen germanischen Cäsar Karl entstanden war, als die hohe Stimmung der Augusteischen Zeit in der Umgebung dieses allwaltenden Kaisers das Bewußtsein des ewigen Ruhmes des römischen Namens und die Ahnung der ewigen Schönheit der Antike weckte, da sang ein Mitglied dieses Kreises: „Goldene Roma, verjüngte, dem Erdkreis wiedergeboren …“ Wann immer der Imperialismus der deutschen Könige in der Folgezeit sich selbstbewußt und kraftvoll regte, dann erwachte auch stets wieder die alte Hoffnung auf ein Neuwerden Roms. Und als dieses Machtstreben mit dem Rotbart anhub, aus dem Reiche der Idee in die Wirklichkeit des Lebens herabzusteigen, da ertönten diese Verheißungen der Wiedergeburt Romas häufiger und gewißheitsfreudiger denn je. Friedrich Barbarossa als „Cäsar der Welt“ wird „dem Reich seinen alten Zustand zurückgeben!“ hieß es damals in der Dichtung der Vaganten. Wenn auch schließlich der Freiheitssinn der italienischen Städte den deutschen „Barbaren“ nicht erlaubte, der unbedingten römischen Kaiseridee ihr Heimatland: Italien mit Rom als das Erbe dieser Idee und als die Grundlage ihrer von hier aus zu sichernden Machtstellung in Deutschland und Weltstellung im Abendlande dauernd wiederzugewinnen, so wurden dennoch in des Rotbart hoher Zeit die Gemüter der Deutschen ergriffen von der Größe, Erhabenheit und Weltenweite des staufischen Reichsgedankens. Allgemein menschliche, festigende, formende, Leben zeugende Kräfte strömten von diesem aus über das geistige Leben des damaligen Germanien.

Die Kreuzzüge bilden einen Wendepunkt in der Kulturentwicklung des Abendlandes. Das nachdenkliche beständige Rückwärtsblicken in die Urzeit christlicher Größe, das fromme [65] Ausschauen nach dem erdenfernen Ziel macht der Erkenntnis des Rechtes der Gegenwart und der Freude an dieser Platz. Die Kreuzfahrer, denen sich des Orients Pracht, des Orients in vielem überragende Kultur auftat, entdeckten die Größe, die Schönheit, die Wunder der Welt. Und plötzlich mitten hineinversetzt in das Fremde und Sonderbare kamen sie sich selbst sehr bedeutend vor. Das Gefühl, daß auch ihre Zeit Großes und Neues leisten könne, berauschte sie. Der Kreuzzüge große Mißerfolge wandelten dann die fromme Begeisterung, mit der ausgezogen wurde, in Mißtrauen gegen die kirchliche Leitung und gegen die Kirche selbst. Das Jenseitige verblaßte. Die Wunder der Umwelt lockten um so mehr. Der Sarazenen hohe Kultur lehrte die Kreuzfahrer, daß es auch außerhalb der geistlichen Republik eine menschenwürdige Tugend und Sittlichkeit gebe. Damit gesellte sich zu der gesteigerten Lebensenergie der ins Heilige Land Gezogenen der große Gedanke der Menschheit. Zunächst freilich wurde das neue Empfinden noch überwuchert von einer überreichen und zügellosen Phantastik. In abenteuerlichen Reiseberichten und in ausschweifenden Erzählungen offenbart sich die Erregung der Beobachter. Diese Erregung teilen sie, heimgekommen, weiteren Kreisen des Abendlandes mit und erzeugen dort so eine Kreuzzugromantik. Die mußte dann sogleich den ohnehin sich austobenden Hang der Ritter zum Phantastischen, Abenteuerlichen, Bizarren, Wirren, Bunten noch steigern, zugleich aber auch den Unterton der Sehnsucht nach dem Fremden, Unbekannten – dem Grale – verstärken, der leise in den barocken literarischen Äußerungen des erwachten freieren ritterlichen Lebensgefühls mitklingt.

Abb. 52. Malerei aus Cod. lat. 17405 der Staatsbibliothek in München
Verfaßt 1241. Oben Glockenspiel, rechts ein Mann mit Astrolabium,
links ein Mann mit einem Fernrohr, einen Stern beobachtend
Aufnahme Quellenforschungen Feldhaus, Berlin

Diese Romantik: Sehnsucht nach der Ferne, Mißklang zwischen Stoff und Behandlung, Vorbild und Nachahmung klärt sich dann unter Barbarossa „zu einer kurzdauernden Harmonie in edler schöner Menschlichkeit – eine Art Klassik so gut wie die Antike“ – ab. So etwas wie idealer Humanismus spricht jetzt zu uns aus den Werken der Kunst der nunmehr anhebenden, aber mit der Kaiseridee jäh wieder versinkenden deutschen Schönheitskultur. Hinreißende Plastiken in Bamberg und Magdeburg geben das schöne und ritterlich adlige Menschenideal des damaligen Germanien wieder. Ein Wolfram von Eschenbach, dessen Denken weltweit geworden war, zeigt diesen neuen Menschentyp [66] in seinem „Parzival“, der sich als Vertreter der irrenden und strebenden Erdenkinder zur Erkenntnis der reinen Menschlichkeit durchringt. Als wesentliche Züge dieses Menschentums kann kurz vor Wolfram die freie Persönlichkeit Walters von der Vogelweide: Mâze: ritterliche Bildung und sittliche Zucht, sowie Stäte: männliche Festigkeit, Ehrenhaftigkeit gegen sich selbst und andere aufrufen. Das aber ist im wesentlichen die virtus, das Lebensideal des Römers. Ja, diese römische virtus strahlte aus von dem kraftvoll sich regenden, erdnahen und erdumfassenden Reichsgedanken der Staufer. Die Freude an der wieder in die Erscheinung getretenen Größe und Tatengewalt des Imperium Roms, die Erkenntnis des Allgemeinmenschlichen, die nun einmal in der Vorstellung von der Weltherrschaft beschlossen liegt, werden seit der hohen Zeit Barbarossas mit der Kaiseridee selbst zu einer geistigen Macht. Diese gibt den Werken der Kunst das naturhaft Wesentliche, die freie Ungebundenheit, die heitere Ruhe und dabei die innere Geschlossenheit. Weil die Deutschen, deren innerer Zusammenhang damals immer noch ein lockerer war, nur zusammengehalten wurden durch den weiten Gedanken des Kaisertums, weil sie der Erhabenheit ihres Imperators froh sich bald hier, bald dort gern Römer nannten, weil sie, selber imperialistisch geworden, das Recht des Weltstaates sich anzueignen begannen, konnte der deutsche Geist in dieser rasch vergehenden weltgeschichtlichen Gnadenstunde sich selbst finden. Es war eine Wiedergeburt der deutschen Lebensenergie im Verjüngungsbade der römischen virtus, nicht aber war es eine Wiedergeburt der Antike. Diese wurde erst eingeleitet, als der zweite Friedrich den römischen Imperialismus im Lande seines Ursprungs zum Ausdruck eines nationalitalienischen Wollens zu machen strebte.

Abb. 53–55. Goldmünzen. Links und rechts von Friedrich II. (sog. Augustalen), Mitte von Karl von Anjou. Berlin, Münzkabinett
Abb. 56–60. Bildnisse Friedrichs II. auf Münzen und Gemmen nach Huillard-Bréholles Hist. Diplom. Frid. II.
Abb. 61. Idealkopf Friedrichs II., gezeichnet nach der Raumerschen Gemme (s. Abb. 58)

Dante, der dem Strom des geschichtlichen Beharrens mit der ungeheueren Schöpferkraft des Genies die neue Richtung gab, der ein so feines Gefühl hatte für die geschichtlichen Kräfte, die das Neuwerden der Welt vorbereiteten, hat einige Jahrzehnte nach dem Ableben Friedrichs diesen als König Trinakriens gefeiert: „Weil aber die Erlauchten Heroen, Kaiser Friedrich und Manfred, sein wohlgeratener Sohn, Adel und Rechtheit ihrer Form offenbarten und, solange [67] das Glück ihnen blieb, dem wahrhaft Menschlichen gefolgt sind, das Viehhafte verachtend: deshalb haben die adligen Herzens und die Begnadeten der Erhabenheit solcher Fürsten anzuhängen getrachtet, so daß zu ihrer Zeit, was immer an hohen Geistern unter den Lateinern erglänzte, zuerst am Hofe solcher Kronenträger aufgekeimt ist. Und weil der königliche Thron Sizilien war, so ist es geschehen, daß alles, was unsere Vorgänger im Volgare hervorgebracht haben, sizilisch genannt wird.“ Das wahrhafte Menschentum Friedrichs erkennt Dante also aus dessen Wirkungen auf die Zeit des Staufers; der Dichterphilosoph würde sicherlich auch keinen Anstand genommen haben, zu bestätigen, daß diese Wirkungen ausstrahlten bis auf seine eigene Zeit und bis auf ihn selbst.

Abb. 62. Die Krone der Kaiserin Konstanze. 13. Jahrh. Palermo, Kathedrale. Aufnahme Alinari, Florenz
Abb. 63. Kassette aus dem 12. Jahrh. Sarazenische Arbeit

Das Ideal des Menschentums, den römischen Menschen, will Friedrich wieder erwecken. Mit glühenden Worten erinnert er die Quiriten an die Taten und Tugenden ihrer Vorfahren. „Vielleicht aber“, ruft er aus, „werdet Ihr antworten, daß jene Großtaten Könige und Cäsaren vollbrachten. Wohlan denn! Ihr habt den König und Cäsar, der für des römischen Reiches Erhöhung seine Person dargebracht, seine Schatzkammern geöffnet und seine Anstrengungen nicht geschont hat.“ Gern schmückt er sich als Cäsar im lateinischen Lande mit den Titeln des alten Rom. Ihn erheben die Triumphe, die Roma gewährt; „aber,“ sagt er, „wenn wir auch gern den alten Weihefeiern folgen, noch lieber zielen wir auf die Erneuerung des alten Adels der Stadt.“ Weil er Roma seine geistige Mutter nennt, weil er sich als Erbe des Augustus und als Römer [68] fühlt, will er nicht nur den antiken Staat, sondern auch den antiken Menschen erneuern. Mit der virtus der alten Römer sollen deren Enkel als Beamte des Kaisers im gesamtitalienischen Staat zu Ruhm und Ehren der Stadt den Staatsgeschäften vorsitzen und „in Würden erglänzen“.

Kulturgeschichtlich von größter Bedeutung wurde die Tatsache, daß Friedrich, um das Recht des Imperium zu stützen, in seinem Gesetzbuche von Melfi auch auf die schon erwähnte Adams-Mystik zurückgriff. Nach dem Bilde des Weltkönigtums des Urmenschen, unter dem die goldene Zeit der Freiheit war, solange das Gesetz beobachtet wurde, gestaltete der neue Herrscher über das All sein durch den Sündenfall notwendig gewordenes Regiment, das Friede und Gerechtigkeit der paradiesischen Zeit zurückbringen soll. Die Bezugnahme auf die alte Verklärung des Urvaters, welche zum humanistischen Kultus des primitiven Menschen und des goldenen Zeitalters werden sollte, beweist, daß in Sizilien damit begonnen wurde, die Idee des die ganze Menschheit umfassenden Kaisertums in die ideale Sphäre des Allgemeinmenschlichen und Geistigen zu erheben. Diese Adams-Mystik fand in Friedrichs antikem Empfinden für das „mehr Mensch sein“ einen vortrefflichen Nährboden. Antike Humanität beseelte überhaupt die Kulturpolitik des Staufers.

Friedrich II. hielt unbedingt fest an der Gemeinschaftsidee der Kulturwelt des römischen Erdkreises – im letzten Grunde also an der auf das Allgemeinmenschliche sich gründenden Ökumene der griechischen Weisen –, die sich in der von sittlicher und künstlerischer Größe erfüllten römischen Weltherrschaft für ihn verkörperte. Damit nimmt sein italienisches Cäsarentum einen neuen, einen geistigen Bezug auf die abendländische Welt. Der so häufig kundgetane Wille unseres Staufers, auch das antike italienische Menschentum neu zu schaffen, mußte für seine Zeit noch ein großer Gedanke bleiben. Dieser Wille zur Una Italia, einmal angeregt, blieb aber eine im Verborgenen wachsende Macht bis auf Dante. Unter den Hammerschlägen dieses Gewaltigen fielen die Schlacken des Cäsaristischen von dem nationalen Wiedergeburtsgedanken ab; aber sogleich wieder, wie im alten Rom, wo sich das unbändige römische Kraftgefühl mit dem Humanitätsideale der Stoa vermählte, überzog dieser sich mit der Patina des weltbürgerlichen Bildungsdranges und des römischen Naturtriebes in die Weite. In dieser Tatsache, daß Friedrich die Umwandlung des universalen Herrschaftsgedankens des Mittelalters in einen national-geistigen einleitete, ihm aber sogleich das weltbürgerliche Streben zugesellte, liegt vornehmlich das Renaissancehafte der Persönlichkeit dieses Kaisers.

Dem Kaiser war es nicht vergönnt, das ewig schöne Antlitz der Antike vollends zu entschleiern. Was er, und was seine Umgebung mit ihrer sicherlich warmen Liebe und Bewunderung des klassischen Altertums in dessen Dienste schufen, enthielt gewiß Zukunftswerte; wirkliche Neuschöpfungen der von dem antiken Geiste gelösten Schöpferkraft von wahrhaft klassischem Gepräge gelangen noch nicht. Gewiß hat der humanistische Geist, der Peter von Vinea, den Mund des Kaisers, und mit ihm die seit 1220 hervortretende Schule von Capua erfüllte, große Fernwirkungen in Raum und Zeit ausgeübt. Langobarden waren es zumeist, die dieser Schule angehörten. Indem diese Beziehungen zu der gleichfalls langobardischen Städtekultur des nördlichen Italien anknüpften, halfen sie die national-italienische Kulturbewegung der Renaissance und des Humanismus vorzubereiten. Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die hier im Süden aufblühende Literatur schon das Streben nach höherer Entfaltung formaler Kunst erkennen läßt. Auf ihrem so dürftigen Boden „erwuchs die giftige Satire, die schmuckreiche, manchmal mythologische Landschaftsschilderung, der groteske Bettelbrief, den die späteren Humanisten so gut verstanden, das derb erotische Idyll“. Auf ihrem Boden erwuchs auch die Neigung, die Person des Kaisers zu antikisieren. Das geschah nicht zuletzt durch die Dichterschule

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Abb. 64. Ketzerordnung Kaiser Friedrichs II. (Ausfertigung für die Bremischen Dominikaner). Ravenna, März 1232. Original im Staatsarchiv in Bremen Transkription und Übersetzung s. S. 89 u. 90

der Ritterlichen und Juristen am Hofe. Das alles aber ist noch unendlich weit entfernt von dem leidenschaftlichen, von der Antike geweckten Schöpferdrang der ihrer selbst sich bewußt gewordenen persönlichen Kraft der Renaissancemenschen.

Das Stoffliche der Antike hat Friedrich nicht bereichert. Die Zahl der antiken Autoren, die am Kaiserhofe damals gelesen wurden, ist, wie es scheint, nicht übermäßig groß gewesen. Gerade solche wurden bevorzugt, die kaum etwas von dem wirklich antiken Leben erkennen lassen. Das aber ist nicht etwa kennzeichnend für die Sinnesrichtung des Hofes, sondern einfach dadurch zu erklären, daß die Araber in Sizilien die Vermittler des Erbgutes der Alten waren. Deren höchst einseitige Vorliebe für Schriften naturwissenschaftlichen, medizinischen und philosophischen Inhalts bestimmte den Umkreis des Stofflichen. Friedrichs wissenschaftliche Neigungen waren ja von früher Jugend an durch arabische [70] Weisheit in die gleiche Richtung gelenkt worden, ohne daß damit freilich seine anderen geistigen Bedürfnisse ganz unterdrückt worden wären.

Die Araber waren es auch, die den Kaiser für die von ihnen gehüteten Geheimwissenschaften der Astrologie, der Nekromantie, der Chiromantie und wie sonst die dunklen Irrlehren sich nannten, gewannen. In Toledo war der Hochsitz dieser arabischen Scheinwissenschaften. Durch Übersetzungen kamen diese zugleich mit Übersetzungen griechischer Philosophen, besonders des Aristoteles, an den Kaiserhof. Aber auch ernste naturwissenschaftliche und mathematische Werke islamistischen Forschergeistes wurden von Friedrich und seiner Umgebung gern aufgenommen.

Abb. 65. Papst Gregor IX. Subiaco, Sacro, Speco
Aufnahme Alinari, Florenz

Eine bunte Schar von Gelehrten aus aller Herren Ländern, deren Sprachen der ungemein sprachkundige Herrscher wohl sämtlich beherrschte, sammelte sich um diesen. An die späteren Tage der Renaissance erinnert es, daß Friedrich sich in diesem Kreise – wie Cosimo in seiner Florentiner Akademie – als Freund den Freunden gab. Unter diesen ragt der schon häufiger genannte Peter von Vinea besonders hervor. Ein feingebildeter Literat, wie später Petrarca, verstand er es, dem lateinischen Idiom seiner Zeit etwas von dem alten Adel wiederzugeben. Unterstützt von der Capuaner Stilistenschule konnte er es zu einer Kunstsprache erheben. Das starke Formengefühl dieser später an den Hof verpflanzten Schule ergötzte den Kaiser. Am meisten staunten die Zeitgenossen – nicht wenige mit abergläubischer Furcht – ein anderes Mitglied dieses Kreises an, den Michael Scotus. Als „Meister des Blendwerks“ erscheint er in Dantes Hölle. Dieser seltsame Mann war Übersetzer, Philosoph und Mathematiker, aber auch Zeichendeuter und kundig des Wissens von den Sternenmächten. Den starken astrologischen und philosophischen Neigungen des Kaisers kamen auch jüdische Gelehrte dieser „Akademie“ entgegen, besonders Juda ben Salomon Cohen.

Es war eine geistige Großtat, daß Friedrich schon in jungen Jahren diesen Studien in seinem Königreiche einen Mittelpunkt gab. Er gründete nämlich die Universität Neapel, die erste Staatsuniversität Europas. Von vornherein war diese Hochschule, da sie nicht für die Kleriker, sondern für die Heranbildung von königlichen Staatsbeamten bestimmt war, aber daneben auch noch anderen allgemeineren Bildungszielen dienen sollte, der kirchlichen Beeinflussung entzogen. Diese Universität hat wesentlich dazu beigetragen, den Sieg der Laienbildung in Sizilien zu sichern.

Von den antiken Autoren aus fand man nun auch den Weg zu den Geheimnissen der Natur. Neue Funde haben die zuvor schon bekannte Tatsache erhärtet, daß der Kaiser den „echt faustischen Versuch“ unternahm, „die Welt in ihren Tiefen und Weiten allseitig zu erfassen“. Hier kündet sich am meisten die spätere Renaissance an. Es ward an dem Kaiser offenbar, wie man mit und seit dem starken Lebens- und Naturgefühl des großen Heiligen von Assisi begonnen hatte,

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Abb. 66. Manifest Kaiser Friedrichs II. über seine Exkommunikation durch Papst Gregor IX. Treviso 1239, 20. April. Original im Staatsarchiv in Wien

[72] „die Außenwelt in ihrer Wirklichkeit und in ihrer Geschichte in die eigene Seele aufzunehmen“. Damit hatte das Mittelalter, das die Welt mit dem Maßstabe des eigenen Innern gemessen hatte, aufgehört. Die Wiedergeburt der Zeiten kündete sich an.

Abb. 67. Statue vom Capuaner Triumphtor. Vgl. Abb. 1
Aufnahme Moscioni, Rom

Friedrich war wirklich auf geistigem Gebiet ein Allseitiger. Nicht übertrieben ist das Lob, das ihm Michael Scotus spendet: „O glücklicher Kaiser! Wirklich ich glaube, wenn jemals ein Mensch in dieser Welt durch sein Wissen dem Tode entging, dann müßtest Du jener sein …“ Zeitgenossen nannten Friedrich das „Staunen der Welt“. Stets von dem Grundsatze ausgehend: „Gewißheit erhält man nicht durch das Ohr,“ lernte Friedrich wieder sehen, beobachten. Einen großen Tierpark hielt er sich, um Leben und Lebensbedingungen der einzelnen Gattungen durch eigenes Schauen zu ergründen. Erst nachdem er viele Jahre besonders die Vogelwelt gründlich beobachtet hatte, schrieb er sein Buch „Über die Kunst mit Vögeln zu jagen“. Das Große und Neue an diesem Buche erkannte schon der Chronist, wenn er sagte: „Dank seinem ungeheuer durchdringenden Blick, betätigt zumal bei der Naturerkenntnis, verfaßte der Imperator selbst ein Buch über Natur und Pflege der Vögel, in welchem er bewies, wie sehr er der Wahrheitsliebe beflissen war.“ Wie hoch erhebt sich hier plötzlich der freigewordene Geist über des Mittelalters Kenntnis von der Natur, wie sie vor allem in dem „Physiologus“ niedergelegt ist, jener Tierbeschreibung, die etwas von den Tieren, mehr aber von deren moralischer, astraler und kosmischer Bedeutung zu berichten weiß. Mitten hinein in das bizarre, phantastische, von kindlichen Allegorien und mehr als kindlicher Wundersucht erfüllte Zerrbild der Natur schleudert Friedrich den Satz, der es für immer auseinanderriß: „Unsere Arbeit ist, sichtbar zu machen die Dinge, die sind, so wie sie sind!“ Wenige Jahrzehnte, bevor Friedrich diesen Satz niederschrieb, hatte Joachim von Fiore mit seiner Lehre von der Möglichkeit eines irdischen Glücks zwangsläufig hinübergeführt zu der Freude an der Umwelt. Zu dieser Großtat des Abtes gesellte sich jetzt die neue des Kaisers, jene Umwelt zu sehen, so wie sie ist. Mit diesem lapidaren Satze ist Friedrich als Begründer der modernen Naturwissenschaften anzusprechen.

Die Fülle der Beobachtungen, die Friedrich in seinem Buch von der Vogeljagd übersichtlich geordnet und stets vom Allgemeinen zum Besonderen schreitend darbietet, ist erstaunlich. Der Kaiser geht aus von einer Schilderung der Vogelwelt überhaupt. Er teilt diese in Gattungen, deren verschiedene Lebensgewohnheiten er hervorhebt, beschreibt die Arten anatomisch bis ins [73] kleinste und handelt von der Mechanik des Vogelfluges. Auch die Tiergeographie in ihrer Bedeutung für Körperbau und Leben der Vögel ist ihm nicht fremd. Gerade diese hat, ebenso wie die Verteilung der Pflanzen auf der Erde, ihn immer lebhaft beschäftigt. Er stützt sich bei seinen Darlegungen aber nicht nur auf die eigene Erfahrung, sondern auch auf die „Erfahrung Anderer“. Besonders aus Arabien ließ er zur Ergänzung seiner Kenntnisse sich Sachverständige herbeiholen.

Abb. 68. Denkmal mit dem Fragment der Statue Friedrichs II. Capua, Museum. Rekonstruktionsversuche mit den Trümmern des Capuaner Triumphtores Friedrichs II. Aufnahme Kunsthistor. Museum, Marburg

[74] Zieht er auch u. a. bei seinem Versuche, die Mechanik des Vogelfluges klar zu stellen, die „Mechanik“ heran, welche damals dem Aristoteles zugeschrieben wurde, so wagt er es doch, auf Grund seiner besseren Beobachtungen selbst dieser Autorität zu widersprechen: „Dem Aristoteles sind wir gefolgt, wo es sein mußte. In mehr Fällen aber scheint er, wie wir durch Erfahrung gelernt haben, besonders bei der Natur gewisser Vögel von der Wahrheit abzuweichen. Deshalb sind wir dem Fürsten der Philosophen nicht in allem gefolgt … denn selten oder nie hat Aristoteles die Vogeljagd betrieben; wir aber haben sie immer geliebt und geübt.“ Vielleicht hat der Kaiser selber, da er sich ja der Kunst des Zeichnens rühmt, seinem Buche erläuternde Bilder beigegeben. Jedenfalls enthielt das von seinen Feinden 1248 bei Parma erbeutete Exemplar Bilder, welche sich in den zahlreichen Abschriften wiederfinden. Durch dieses Buch darf Friedrich neben Albertus Magnus und Roger Bacon der dritte große Empiriker des dreizehnten Jahrhunderts genannt werden.

Dieser Kaiser, der mit seinem freien, voraussetzungslosen, folgerichtigen Denken der Umwelt gegenübertrat, stand nun allen sichtbar auf der einen Hochwarte der Christenheit. Schon aus diesem Grunde mußte trotz aller kirchlichen Gegenwirkungen etwas wenigstens von dem leidenschaftlichen Wissensdrange Friedrichs sich den von der Persönlichkeit dieses Taten- und Willensmenschen hingerissenen erleuchteten Köpfen mitteilen. Im wesentlichen beruhte die von Friedrich bei diesen eingeleitete Läuterung des Naturerkennens zunächst freilich nur darin, daß der Nebelschleier des Zaubers, des Wunders, des Übersinnlichen von der Natur genommen ward. Mit seinem auch erkennenden Sehen stand Friedrich selbst in seiner geistesstolzen „Akademie“ als Einsamer da. Nur seine Söhne Manfred und Enzio, sowie der sizilische Beamte Jordanus Ruffus und der arabische Falkner Moanim konnten diesem Höhenfluge des Genius folgen. Als Entdecker der Natur ist Friedrich ein Wegbereiter der Renaissance. Als solcher erscheint er aber auch in der unter ihm sich auftuenden und dann mit ihm rasch wieder welkenden Blüte der sizilischen Kunst.

Schon in Deutschland wirkte, wie wir sahen, in der Hochzeit des Imperium Romanum unter Barbarossa Romas virtus reinigend, befruchtend, befreiend, befestigend auf die Kunst in Wort und Bild. Zum wirklichen Höhenflug schien der Genius der Antike aber erst wieder mählich die Schwingen zu breiten, als der römische Cäsar Friedrich II. im „Garten des Imperium“ nach seinem Siege bei Cortenuova gemäß der alten Sitte der Quiriten den Triumph feierte. Das war für die dem Jenseitigen noch zugewandte Welt der unerhörte Triumph eines Menschen, der sich überdies noch das cäsaristische Beiwort „göttlich“ zu geben wagte. Erst dieser, dann jener, dann mehrere beugten sich dieser wiedererstandenen Größe des italienischen Menschen und huldigten ihr in der Formensprache der Antike. Wie mit einem Zauberschlage erstand eine vom Kaiser unterstützte profane Kunst. Friedrich erzwang geradezu deren Hinwendung zum antiken Vorbild, indem er in größerer Zahl Bildwerke der klassichen Epoche als Muster sammelte. Ein neuer Geist kam in die Bildhauerschulen, die er, selbst die künstlerisch befähigten Landeskinder aufspürend, einrichtete. Die Größe der Vorbilder weckte in den einfachen apulischen Steinmetzen hier und da schöpferisches Begehren. Bildwerke, die sich der antiken Form und dem antiken Lebensgefühl annäherten, konnten damals entstehen. In Capua erbaute der Kaiser ein stolzes Triumphtor mit Bildhauerarbeiten. Auf diesem sahen wir schon die Figur des Kaisers unter der überlebensgroßen Figur der Fortuna Caesarea als der Weltordnung thronen. Die aus der Regierungszeit Friedrichs stammende Baukunst hat aber kaum stilbildend auf die Folgezeit gewirkt. In den Schlössern, die der Kaiser in der Capitanata errichtete, herrschte die kraftvolle Nüchternheit der normannischen Bauweise vor. Und doch deuten auch hier die Reste der Bauten, von denen namentlich das ziemlich gut erhaltene Castell del Monte unweit von Barletta [75] besonders zu nennen ist, auf die italienische Renaissance hin, „nicht nur durch einzelne verblüffende Renaissance-Motive, sondern fast noch mehr durch Zweckmäßigkeit und Monumentalität“.

Abb. 69. Kopf eines Feldherrn vom Denkmal in Capua (Abb. 68). Aufnahme Moscioni, Rom
Abb. 70. Büste des Peter von Vinea vom Denkmal in Capua
Aufnahme Moscioni, Rom

Dieses in der Kunst hervorstechende starke Formen- und Lebensgefühl gestaltete am Hofe Friedrichs II. auch die italienische Schriftsprache. Ein Jahrhundert nach dem Staufer sah die Welt auch einen deutschen Kaiserhof inmitten eines fremden Volkstums, und auf dieses sich gründend, mit einem Kaiser, der ein lebendiges Gefühl für antike Formen in Sprache und Leben hatte. Ihm zur Seite einen Kanzler, Johann von Neumarkt, der an der Stilkunst des Peter von Vinea sich gebildet hatte. In dem Frühhumanismus am Prager Königssitze des vierten Karl erhielt die deutsche Sprache ihre kunstmäßige Form. Die Ähnlichkeit dieses Königshofes mit dem unter der heißen Sonne Siziliens ist überraschend. Auch hier, wo König und Kanzler sich an der Antike ihr Formgefühl auf dem Gebiete der Sprache errungen hatten, wird eine Volkssprache zur Schriftsprache erhoben. Dante hat nicht mit Unrecht gesagt, daß Friedrich und sein Sohn Manfred das Verdienst der Veredelung des von ihnen so geliebten Volgare zukomme.

Tatsächlich wurde am sizilischen Großhofe aus den Sprachelementen, die von den zu diesem strömenden provenzalischen und italienischen Minnesängern herbeigetragen wurden, eine geläuterte Hofsprache gemacht. Und daß Friedrich in dieser Sprache nicht nur den Minnesang förderte, sondern diesen selbst sogar wahrscheinlich übte, hat zur Verbreitung dieser Schriftsprache wesentlich beigetragen. Auch in dieser sizilischen Poesie – was wirklich dem Kaiser angehört, ist mit Sicherheit nicht festzustellen – steckt viel von der sinnlichen Lebensfreude, die nach kampfdurchtobten Zeiten in Tagen der Ruhe, einmal geweckt, in Sizilien immer [76] wieder ihr Recht verlangte. Ob Friedrich selber über verständnisvolle Anregung hinaus sprachschöpferisch tätig war, das ist nicht zu erkennen.

Abb. 71. Castell del Monte. Außenansicht. Aufnahme Alinari, Florenz

War der Kaiser überhaupt ein Neuschöpfer?

Mit seiner Forderung: Sieh die Dinge, wie sie sind, wuchs er in der Tat in das Riesengroße eines Schöpfers, der den Naturwissenschaften ihr: Es werde! zurief. Sonst aber ist er mehr Vollender oder Wegbereiter als Neugestalter. Sein gewiß monumentales sizilisches Gesetzbuch ist ohne die weise Vorarbeit seiner normannischen Ahnen undenkbar. Erst deren verständnisvolle Pflege der in Sizilien vorgefundenen Kulturen ermöglichte es ihm, mit durch diese sichtig gewordenen Augen das gelobte Land der antiken Schönheit und Großheit für die Nachgeborenen zu entdecken, das er selbst freilich nur von weitem sah. Dem bald alles umstürzenden Ruf nach Reform hat Friedrich nur Nachdruck und Stärke verliehen. Die Größe dieses Kaisers liegt darin, daß er die lebenzeugenden Elemente der Mischkultur seines Königreiches in seiner allseitigen Persönlichkeit zusammenfaßte. Indem dieser Sizilianer Jahrzehnte lang die Augen der Welt auf sich zog, wirkte er für die west-östliche Kultur, deren Träger er war, beeinflußte er das Geistesleben des Abendlandes, wies er den Weg zum „Neuen Leben“ der Renaissance, aber auch zum deutschen Geistesfrühling des vierzehnten Jahrhunderts und zur Epoche der Reformation.