Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance/VI. Der „Hammer der Kirche“

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VI. „Der Hammer der Kirche“

Der ganze Weltlauf ist nach der iranischen Lehre ein ewiger Kampf zwischen dem Reiche des Lichtes und dem der Finsternis. Angra Mainu ringt mit Ahriman, der Urgrund des Guten mit dem Urgrund des Bösen. Des Gottes strahlende Herrlichkeit senkt sich nieder auf den König-Heiland der Kinder des [51] Lichtes; das finstere Grauen des Dämons geht aus von dem Zwingherrn der Söhne der Finsternis.

Abb. 39. Litanei aus dem Landgrafenpsalter (Württemb. Landesbibliothek
Anfang des 13. Jahrh.) Nach Löffler, Der Landgrafenpsalter
Leipzig, K. W. Hiersemann

Vieles an dem weltgeschichtlichen System, das der große Augustinus mit seinen „Büchern vom Gottesstaate“ als ragenden Pharos für die mittelalterliche Auffassung des Weltgeschehens errichtete, erinnert an dieses persische Vorbild, nicht zuletzt die typische Schilderung der Beherrscher der beiden grundsätzlich sich gegenüberstehenden Gemeinschaften Gottes und des Teufels. Der eine, „der gerechte König“, ist mit allen Tugenden begabt und nur bestrebt, den Frieden, die Harmonie der Welt, zu verwirklichen; der andere, der „ungerechte König“, ist das Urbild des Lasters, das die Welt in furchtbare Verwirrung bringt. Diese in der Lehre von den zwei Staaten herrschende Typisierung kennzeichnet auch das mittelalterliche literarische Porträt. Alle Menschen sind entweder ganz gut oder ganz schlecht.

Die immer wiederkehrende und immer gleichbleibende Schilderung der Herrscher, bald als Friedebringer, bald als Tyrannen, begegnet uns auch in den Manifesten und Streitschriften, die das Todesringen Friedrichs mit dem Papste begleiteten. Ein jeder möchte den anderen vor der Welt als den Fürsten des Unheils kennzeichnen. Wenn sie sich dabei der größten Schandtaten zeihen, so darf bei der Bewertung dieser Anschuldigungen der Einfluß jener augustinischen Ideen nicht außeracht gelassen werden. Und dennoch! Auch bei vorsichtiger Beurteilung dieser in die Welt geschleuderten Schriften läßt sich feststellen, daß hier ein aus dem Ursprünglichen des Lebens aufsteigender Haß den Typen Augustins ein wildes Leben gibt und diese zum Vertreter zweier Weltanschauungen macht, die, wenn sie sich nicht selbst aufgeben wollen, ringen mußten mit einander bis zum bitteren Ende.

Das Manifest Gregors IX. vom Jahre 1239 und die Antwort darauf, die Friedrich verbreiten ließ, kennzeichnen die ganze Leidenschaft dieses Streites. Der Papst schreibt: „Es steigt aus dem Meere die Bestie voller Namen der Lästerung, [52] die, mit der Tatze des Bären und dem Löwenmaul wütend, an den übrigen Gliedern von Pardels Gestalt, ihren Mund zu Lästerungen des göttlichen Namens öffnet und nicht aufhört, auf Gottes Zelt und die Heiligen, die in den Himmeln wohnen, die gleichen Speere zu schleudern. Mit eisernen Klauen und Zähnen begehrt sie, alles zu zermalmen und mit ihren Füßen die Welt zu zerstampfen. Um die Mauern des katholischen Glaubens umzureißen, hat sie längst heimlich die Sturmböcke gerüstet. Jetzt aber stellt sie offen ihre Maschinen auf, ismaelitische Kampfplätze, seelenzerstörende, baut sie auf, und wider Christus, den Heiland des Menschengeschlechtes, dessen Bundestafeln sie mit dem Falz ketzerischer Verstocktheit zu verwischen sinnt – so bezeugt das Gerücht –, richtet sie sich empor.“ Friedrich aber schreitet zum Gegenangriff mit dem Satze: „Der da sitzt auf dem Lehrstuhl verkehrten Dogmas, der Pharisäer, gesalbt mit dem Öle der Bosheit über seine Genossen, der römische Priester unserer Zeit, er begehrt, sinnlos zu machen, was aus Nachahmung himmlischer Ordnung herabgestiegen ist: und glaubt vielleicht, so passe er zu den Dingen droben, die von Natur, nicht vom Willen geführt werden. Den Glanz unserer Majestät sinnt er, zur Verfinsterung zu bringen; denn mit zur Fabel verwandelter Wahrheit, voll von Lügen, ergehen Briefe in die verschiedenen Teile der Welt. Mit Deutelei, nicht mit Vernunft, beschuldigen sie unsere Glaubensreinheit. Da hat er geschrieben, der Papst bloß nach dem Namen, wir seien die Bestie, die aus dem Meere aufsteigt, voll Namen der Lästerung, mit des Pardels Buntheit übermalt. Und wir behaupten, er sei jenes Ungetüm, von dem man liest: es ging heraus ein ander Pferd, ein rotes, aus dem Meere, und, der darauf saß, nahm den Frieden von der Erde, daß die Lebenden sich untereinander erwürgen.“

Abb. 40. Der 1098 errichtete Bischofsthron in der von Heinrich VI. begünstigten Kirche S. Niccolò in Bari. Aufnahme W. Miesler, Lippstadt i. W.

Derartige Schmähungen werden namentlich in Flugschriften noch vergröbert, aber dadurch gerade volkstümlicher. So sollten diese vornehmlich vielfach das Urteil der Nachwelt bestimmen. Zum Wahnwitz wird der Haß in Flugschriften des Kardinals Rainer von Viterbo aus der späteren Zeit der Regierung Friedrichs. Da lesen wir Sätze wie diesen: „Dieser Nimrod – rasender Jäger der Unzucht vor dem Herrn, der nur Worte der Lüge liebt – hat nur Ruchlose zu Dienern, die mit ihrer Bosheit den König ergötzen und mit Lügen den Fürsten … Er höhnt den Bann, schlürft vielmehr seine Strafen aus vollen Bechern wie Wasser. Er verachtet die Schlüsselgewalt, er, der Tyrannei Fürst, der Umstülper [53] des kirchlichen Glaubens und Kults, der Vernichter der Satzungen, der Grausamkeit Meister, der Zeiten Verwandler, der Verwirrer des Erdrunds und Hammer der ganzen Kirche … Wie Luzifer unterfing er sich, zum Himmel der Kirche zu steigen, über den Sternen des Himmels und den Leuchtern der Braut seinen Thron aufzurichten und seinen Sitz gen Mitternacht, daß er ähnlich, ja höher sei, als des Höchsten Statthalter … Da er das freche Stirnhorn der Macht hat und einen Mund, der Ungeheuerlichkeiten herausbringt, so glaubt er, Gesetze und Zeiten verwandeln zu können, daß die Wahrheit im Staube liege. Und deshalb schwatzte er gegen den Höchsten und stieß Schmähungen aus gegen Moses und Gott!“

Abb. 41. Zwergsäulen in der Galerie des Oberstocks des Domes in Vitonto
13. Jahrhundert. Aufnahme W. Miesler, Lippstadt

Die Fähigkeit, zu hassen, glühend zu hassen, haben auch den Kampfschriften Friedrichs im Verlaufe des Streites immer mehr von der Glut, die in diesem Staufer loderte, mitgeteilt. Lange vermochte er diese in seinem Innern zu bannen. Er wußte, daß er die Autorität der Kirche brauchte. Seine Lehre von „des Weltalls gebietender Notwendigkeit“, welche die Herrscher über die Menschen heische, mußte außerhalb Siziliens der mittelalterlichen Denkweise noch fremd bleiben. Die gottesstaatliche Idee beherrschte noch die Gemüter. Den Massen war immer noch die göttliche Vorsehung die Spenderin der Herrschgewalt. Nur der von der Vorsehung Berufene war der legitime Fürst. Das äußere Zeichen dieser Berufung war immer noch die Weihe durch den Stellvertreter Christi. Lachte Friedrich auch über derartige Vorstellungen, so rechnete er doch mit ihnen. Aus diesem Grunde blieb er in seinen Gegenschriften wider die maßlosen Kampfschriften der Kurie zunächst der Gemessene und Zurückhaltende. Schon deshalb erscheint er in seinen Manifesten als der Überlegene. Die längst verbrauchten biblischen Bilder, die ewigen Wiederholungen augustinischer Gedanken vom Tyrannen, die allbekannten frommen Verbrämungen eines nackten hierarchischen Begehrens in den päpstlichen Erlassen sind kennzeichnende Äußerungen der Idee der geistlichen Weltherrschaft in dieser Zeit. Trotzdem Kraftnaturen deren Träger waren, trotzdem scharfsinnige Publizisten in Gedankenreihen, die sich von Tag [54] zu Tag mehr zuspitzten, den Papst immer unbedingter erscheinen ließen, trägt jene Idee, welche die Welt jahrhundertelang in Aufregung hielt, wie jene Äußerungen erkennen lassen, greisenhafte, hippokratische Züge. Aus Friedrichs Manifesten aber brechen mit elementarer Gewalt neue Gedanken hervor. Diese ergießen sich, wie der aus dem Felsen sich stürzende Gießbach, aufwühlend und vieles mit sich fortreißend über das Land. Der Staufer war feinhörig für die Stimmen der Zeit. Mit dem Instinkte des Genies fühlte er, daß in den Massen sich ungestüm das Verlangen nach dem Neuwerden der Welt regte. Er wird es verachtet haben dieses nicht abgeklärte Gären und Drängen; aber er erkannte, daß hier Kräfte sich regten, die er gegen den Papst auf dessen ureigenstem Gebiete, dem geistigen, ausspielen konnte, die er aber auch selber in den Dienst seines auf dem neuen Gedanken der natürlichen Ordnung der Welt aufgebauten absoluten Herrscherideals zwingen konnte. Der Friede des Augustus, die Harmonie der Welt, von der die lobpreisenden römischen Sänger kündeten, war des Kaisers Staatsziel. Das Wort „Friede“, das in den Massen noch ein religiöser Notschrei war, hat er zu einem Schlachtruf wider die Kurie gemacht.

Abb. 42. Von Friedrich II. erneuerte Normannenburg in Gioja del Colle. Außenansicht. Aufnahme W. Miesler, Lippstadt

Im Jahre 1232 ertönte „das große Hallelujah“. So nannte man die Friedens- und Bußandachten in weiteren Teilen Oberitaliens. Minderbrüder, welche die aus Inbrunst und Herzensreinheit geborenen Gedanken des Franz von Assisi vergröberten, waren die Urheber dieser geistigen Bewegung. Laut verkündeten diese den Frieden, kehrten aber die von ihnen entzündete Glaubensglut gegen die Ketzer. Diese Bewegung wurde unterdrückt. Die Sehnsucht nach Frieden blieb aber eine Macht. Und dieser Stimmung kam der Kaiser bald darauf entgegen. „Den liebsten Dienst,“ sagte er, „meinen wir dem lebendigen Gott zu erweisen, wenn wir auf den Friedensstand des ganzen Imperium um so freudiger sinnen, je sichtbarer die Vorzeichen sind, unter denen wir solches dem himmlischen Willen entnehmen.“ Dann standen Propheten auf, welche sich Joachims von Fiore gefeierten Namen beilegten. Sie verkündeten die Nähe des Friedensreiches. Und Friedrich, so abhold er auch jeglicher Mystik war, spielte den Heros dieser [55] Bewegung. Im hohen Dom von Pisa bestieg er selbst die Kanzel und verhieß den baldigen Anbruch des Friedens. Gleich darnach stellte er sich als den Bringer dieses Friedens vor. Mit kaum mißzuverstehenden biblischen Wendungen ruft er aus: „Weil also die Zeit gekommen ist, da Ihr, die uns und dem Reiche immer Genehmen, genehmer Euch machen könnt, so bitten wir Euch: Steht auf! Richtet Eueren Sinn, zu schauen des Reiches Weisheit und Kraft! Und Uns, Eueren Fürsten und gnädigen Beschützer erkennet! Bereitet den Weg des Herrn und machet richtig seine Steige. Nehmet fort die Riegel Euerer Türen, auf daß Euer Cäsar komme, den Rebellen furchtbar und Euch hold, bei dessen Ankunft die Geister schweigen, die Euch so lange plagten!“ Ja, er gleicht sich selbst als Bringer des Heiles dem Erlöser an, indem er, wie wir sahen, seinen Geburtsort Jesi mit biblischen Worten als sein Bethlehem feiert. Als Heiland der Welt erschien er in der Tat seinen Getreuen. Ein gefangener kaiserlicher Notar ruft einmal aus: „O Hafen des Heils der Gläubigen! Auf Euch, Euere Heilshände richten wir unsere Hoffnungen … Führet heraus Israels Söhne aus Ägypten, sendet Erlösung Eueren Knechten!“ Ihm erscheint der „Allerheiligste Thronsitz als Hoffnung des Heils.“ Ein Prälat Siziliens, den der Kaiser zu sich rief, schreibt: „Über die Wasser schreitend werde ich zu meinem Dominus kommen!“ Diese Heilserwartungen erfüllen auch Peters von Vinea große Lobrede auf den Kaiser: „Alle Habe der Tugend“, so heißt es hier, „sind in Friedrichs Brust eingeströmt. Auf ihn regneten die Wolken Gerechtigkeit, und über ihn tauten die Himmel von oben!“ „Unter seinem Zeichen,“ verheißt er, „werden die Verbände der Bosheit zerrissen, wird machtvolle Sicherheit gesät. Nun schmiedet man die Schwerter zu Pflugscharen, da ja der Bund des Friedens alle Angst erstickt!“

Abb. 43. Das von Wilhelm II. 1182 errichtete Lustschloß Cuba bei Palermo
Aufnahme C. Delius, Berlin

Ein glänzenderes Bild vom „gerechten König“, wie das in Friedrichs Staatsschriften in die Erscheinung tretende, ist nie zuvor und niemals wieder gezeichnet worden. Der Papst dagegen wird in diesen zum Gegenbild des idealen Herrschers, zum Tyrannen, der der Ketzerei verfallen, der Gerechtigkeit und Friede, die Grundlage des Staates, zerstören will. Wir hören den [56] Kaiser einmal rufen: „Vielfältig und mit vielen Mitteln … neigte zu des weltersehnten Friedens Süße die kaiserliche Milde ihren Sinn: aber so dringend sie nach ihm suchte und auf der Demut Pfaden ihm folgte, so ehrerbietig sie ihn rief, ja geradezu unvorsichtig forderte – des römischen Priesters Heftigkeit, den wir für des Friedens Anführer hielten, führte ihn … auf des Irrtums Abweg, und den er feurig hätte umarmen sollen, trieb er schmählich, o Schande, davon!“

Mit dem Gedanken des Friedens griff der Kaiser nach dem Konzil von Lyon den mit diesem wahlverwandten anderen der Reform der Kirche auf. Schon lange war dieser in den Massen lebendig. An die Könige von Europa richtete der Staufer sein Reformmanifest: „Immer war es unseres Willens Absicht, die Kleriker jeglichen Ranges – und am meisten die höchsten – dahin zu führen, daß sie, wie sie in der Urkirche gewesen sind, als solche auch am Ende verharrten: das apostolische Leben führend, die meisterliche Demut nachahmend. Einen solchen Geistlichen pflegen die Engel zu schauen; er schimmert von Wunden, heilt Kranke, erweckt Tote, macht sich durch Heiligkeit, nicht durch Waffengewalt Könige und Fürsten dienstbar. Dagegen diese, der Welt ergeben, von Genuß trunken, setzen Gott hintan. Ihnen wird durch den Zustrom von Schätzen die Frommheit erstickt. Solchen also die schädlichen Schätze entziehen, mit denen sie sich fluchwürdig beladen: das ist das Werk der Liebe!“ Wenn nicht das sarkastische Lächeln dessen, der diese Worte schrieb, oder schreiben ließ, den Zauber bräche, so würden die Gestalten Joachims von Fiore und Franz’ von Assisi sich im Hintergrunde dieses Bildes der reformierten Kirche erheben. Namentlich in den Kreisen der Bettelmönche hat dieser Ruf nach Reform gezündet. In einer Flugschrift aus deren Kreise erscheint der Papst als der antichristliche Widersacher der Reform, der Kaiser aber als deren glorreicher Förderer.

Papst und Kaiser bekämpften sich in ihren Manifesten mit geistigen Waffen. Der Streit selber aber, der so viele Jahre in Italien tobte, drehte sich um den Bestand der durch die Vereinigung der Würde des römisch-deutschen Kaisers mit der Macht des sizilischen Königs gefährdeten, weltlichen Herrschaft des Papstes auf der Halbinsel. Die mit irdischen Mitteln kämpfenden Tatmenschen: Innocenz III., Gregor IX., Innocenz IV., lassen in ihrem ganzen, durchaus erdnahen Gebaren erkennen, daß sie die weltlichen Ziele der päpstlichen Macht endgültig verwirklichen wollen. Erklärt aber das Begehren nach diesem Siegespreis genügend den abgrundtiefen Haß gegen Friedrich, den diese Päpste nicht nur in ihren Manifesten, sondern auch in der manchmal skrupellosen Wahl ihrer Mittel und in der rücksichtslosen Anwendung dieser erkennen lassen? Hat die Hartnäckigkeit und die Wildheit dieses päpstlichen Machtwillens nicht vielleicht auch andere Gründe?

Der Zeitgenosse Friedrichs, Salimbene, trug in seine Chronik das Urteil über Friedrich ein: „Wäre er gut katholisch gewesen, hätte er Gott und die Kirche geliebt, wenige in der Welt wären ihm gleichgekommen. Er aber glaubte, die Seele gehe mit dem Körper zu Grunde. Und was er selbst und seine Gelehrten nur irgend derart in der Heiligen Schrift auffinden konnten, das führten sie zum Beweise an, daß es ein Jenseitsleben nicht gebe. Deshalb genoß er und genossen die Seinen um so mehr das Diesseits dafür.“ Der Chronist, der ersichtlich ein Gefühl für die Größe der Persönlichkeit Friedrichs hat, deutet hier auf die tiefsten Wurzeln des Ringens zwischen dem Titanen und seinen gewaltigen Gegenspielern.

Friedrich selbst lebte und webte tatsächlich nur im Diesseits. Sein Staatsgedanke, der sich in Sizilien die Form geschaffen hatte, ist aufgebaut auf der in den Dingen liegenden Naturnotwendigkeit. Für eine göttliche Vorsehung, die durch jene Fortuna Caesarea verdrängt ward, ist in diesem Staat kein Raum.

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Abb. 44. Kopf des Reiterstandbildes im Dom zu Bamberg
Anfang des 13. Jahrhunderts
Aufnahme Staatliche Bildstelle, Berlin

Dieser weltliche Staat mit seiner unter außerkirchlichem Einfluß sich entwickelnden Laienbildung suchte seine Aufgabe nur im Diesseits. Damit war die Kirche durch diesen Staat nicht nur in ihrem weltlichen Besitz bedroht, sondern auch ihre dogmatische Grundlage konnte von hier aus durch eine der kirchlichen Fesseln bare Kultur untergraben werden. Als grundsätzliche Gegnerin der mittelalterlichen Staatsauffassung erhebt sich unheilkündend Friedrichs neue. Da diese sich in der Person des Kaisers verkörpert, so kehrte sich der ganze Haß der Verteidiger des Alten gegen diesen. Daß der Kampf in Wahrheit außer um den Besitz Italiens auch um die Niederringung eines kirchenfeindlichen Prinzips geführt wurde, das geht schon aus dem Tadel der sizilischen Konstitutionen von Melfi durch Gregor IX. hervor: „Es kam uns zu Ohren, daß Du aus eigenem Antriebe oder verführt durch übel beratene Räte Verderbter neue Gesetze herauszugeben [58] im Sinne hast, aus denen notwendig folgt, daß man Dich einen Verfolger der Kirche und Umstürzer der staatlichen Freiheit nennt, der Du solchermaßen Dir selbst entgegen, gegen Dich mit Deinen Kräften wütest.“ Von den Gesetzen selbst sagt er in einem anderen Briefe, daß sie „das Heil abschwören und unermeßliches Ärgernis heraufbeschwören.“ Nicht nur, um das weltliche Kampfziel zu verhüllen, wüten die päpstlichen Kundgebungen gegen Friedrich. Diese Gegenspieler des Kaisers waren durchdrungen von der Überzeugung, daß in ihm eine antichristliche Macht erschienen sei, der „Hammer der Kirche“, von dem die Weissagungen dieser Tage so Grausiges zu erzählen wußten. Gegen diesen Widersacher, gegen die dunkel erkannte Macht der Zukunft rafft der mittelalterliche Geist im Selbsterhaltungstriebe noch einmal all seine Kräfte zusammen.

Abb. 45. Erste Seite des Vogelbuches Friedrichs II. in der Papierhandschrift des 16. Jahrhunderts der Wiener Nationalbibliothek

Als der Kaiser die ganze dräuende Größe der Welt des Widerstandes gegen sich und seine Schöpfung erkannte, trat er aus seiner politischen Zurückhaltung heraus. In seinem Innern reckte sich der bis dahin mühsam gebändigte Dämon des Widerstandes. Die Wollust des Niederreißens dessen, was er schon in jungen Jahren als morsch erkannt hatte, ergriff den prometheischen Geist des Titanen, als er die Fesseln spürte. Jetzt will er, durch die Gefahr zu wilder Tatbegier entflammt, die Welt mit Feuer und Schwert und das „notwendige Joch“ des Römerimperium zwingen.

Ein Widerchrist war Friedrich. Die Heimat seiner Gedanken lag nicht in dem vom Dogma festgezogenen Vorstellungskreis der mittelalterlichen Kirche, sondern in dem frei sich rundenden der Weltanschauung des Ostens. Die Aristoteliker Avicenna und Averroës lernten wir als seine geistigen Lehrer kennen. Der erstere wurde von den strenggläubigen Söhnen des Propheten verfolgt, der andere hatte gelehrt, daß die Philosophie, die Erkenntnis dessen, was ist, die erhabenste [59] und einzige Religion sei.
Abb. 46. Bildnis des Kaisers Friedrich II. Miniatur aus einer Handschrift des Vogelbuches Friedrichs II.
Die Unsterblichkeit der Seele hatte er geleugnet. Viel beschäftigte sich Friedrich auch mit den Schriften eines anderen Anhängers des Stagiriten, des Juden Maimonides, der zu Kairo im Dienste des Sultans 1204 starb. Dieser lehrte, daß es ein vom Glauben unabhängiges Wissen gebe. Die Unsterblichkeit gestand er nur den Weisen, nicht aber der Allgemeinheit zu. Das wäre also eine bedingte Unsterblichkeit, die sich mit der antiken Auffassung von einem verklärten Jenseits für die großen Männer im „Traum des Scipio“ berührt. Ob Friedrich sich diese Vorstellung zu eigen machte, wissen wir nicht. Das aber ist gewiß, daß ihn die Fragen nach dem Fortleben über den Tod hinaus fortwährend lebhaft beschäftigten. Von dem marokkanischen Gelehrten Ibn Sabin erbat er sich einen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele. Die wortreiche Antwort auf diese Bitte war wenig befriedigend. Die Anekdote erzählt, die Freude des Kaisers am Experiment wiedergebend, daß er diese den Menschen am meisten beschäftigende Frage einmal auch praktisch zu lösen versucht habe. Darnach sperrte er einen Mann in ein dicht verschlossenes Weinfaß und ließ ihn umkommen, zum Beweis, daß die Seele, die aus dem Fasse nicht entweichen konnte, mit dem Körper untergehe. Mag das eine Erfindung sein oder nicht, – die Behauptungen seiner Gegner, daß er an Unsterblichkeit und Jenseits nicht glaube, treten zu verschiedenen Zeiten und so häufig auf, entsprechen auch so sehr der ganzen Sinnesart Friedrichs, daß wir sie nicht bezweifeln können. „Die Seele“, sagt Kardinal Rainer, habe Friedrich gelehrt, „verweht wie ein Hauch und wird verzehrt wie ein Apfel, den man vom Baume abpflückt, und der, gleich dem Menschen, aus den vier Säften zusammengesetzt ist.“ Auch die Fragen, die er an den ersten Gelehrten seines Hofes, Michael Scotus, richtete, lassen diese Skepsis des Kaisers erkennen. Ihm dient die Beschäftigung mit den Grundlehren des Glaubens nur „zur Ergötzung“. Wenn er hier fragt: „Was tun die Engel und Heiligen ununterbrochen vor Gott?“ so glauben wir wieder das sarkastische Lächeln des Glaubensverächters zu sehen. Wenn er dann weiter fragt, ob nicht, „die erste Liebe oder doch wenigstens der Haß eines in das andere Leben übergegangenen Menschen“ einen Grund zur Rückkehr ins Leben gebe, so tritt hier deutlich die durchaus unchristliche Einstellung des Kaisers in die Erscheinung, wie auch in dem Worte dieses Gewaltigen, dem der Haß eine Tugend war: „Und wäre ich schon mit einem Fuße im Paradiese, ich zöge ihn zurück, dürfte ich Rache nehmen an Viterbo.“ Schon als er im Heiligen Lande weilte, erkannten die strengen Muslimen, daß er ein Materialist sei, der an [60] das Fortleben der Seele nach dem Tode nicht glaubte. In der Tat! Friedrichs ganzes Denken und Handeln war frei von jedweder Bezugnahme auf das Überirdische. Ob auch von der Antike aus seine Stellungnahme zum christlichen Glauben beeinflußt wurde?

Durch Cicero kannte seine Zeit die Lehre des Epikur. Wie man diese auffaßte, das zeigt das Urteil des späteren Chronisten Giovanni Villani über Friedrichs Sohn Manfred: „Sein Leben war epikureisch, indem er nicht an Gott, noch an die Heiligen und überhaupt nur an leibliches Vergnügen glaubte.“ Eine solche Lehre konnte sich unschwer mit der des vielgelesenen Averroës vereinigen. Wenn Dante später trotz seiner großen Verehrung für unseren Staufer diesen in seiner Hölle in die Feuersärge der epikureischen Jenseitsverächter zwingt – ebenso wie zwei andere Persönlichkeiten, die im Leben des Kaisers eine Rolle spielten: den Kardinal Ottaviano degli Ubaldini und Farinata, welche auch die Unsterblichkeit der Seele als Epikureer geleugnet haben sollten –, so dürfen wir annehmen, daß der große Florentiner hier ein Urteil wiedergibt, das unter den Zeitgenossen des Kaisers allgemeinere Geltung hatte.

Das beständige Leben Friedrichs in der orientalischen und der antiken Gedankenwelt hatte zur Folge, daß diese in all ihren Äußerungen, auch den religiösen, als die besseren erschienen. Die Gestalten der Heiligen wurden von den Tatenmenschen um den Kaiser verdrängt. Sie sollen Kraftnaturen von geschichtlicher Größe Platz machen. Die Probleme der metaphysischen Geheimnisse treten zurück hinter die auf den entfesselten Geist einströmenden Probleme der Natur. Ein Kraftgefühl, das keine Grenzen anerkennt, eine überspannte geistige Selbstherrlichkeit äußern sich in einer maßlosen Verachtung alles Kirchlichen. Der Staufer, der ohnehin den ätzenden Witz liebte, legte seinem Spott über das, was dem meisten seiner Zeitgenossen noch heilig war, im Kreise seiner Freunde und Beamten, die er formte nach seinem Geiste, die sich alle gaben, wie er sich gab, keine Zügel an. Die erhabensten Dogmen der Kirche wurden von ihm in den Staub gezogen. Die freilich von seinen erbitterten Gegnern überlieferten blasphemischen Äußerungen wird er auch getan haben. Sie tragen das Gepräge seiner Denkungsart und entsprechen in ihrer Form seinem Wesen. So verhöhnte er einmal das Altarsakrament beim Anblick eines Kornfeldes mit den Worten: „Wieviel Götter reifen hier!“ Ein andermal verspottete er die unbefleckte Empfängnis der Gottesmutter, weil sie den Gesetzen der Natur widerspräche.

Des Unglaubens Zwillingsbruder ist der Aberglaube. Averroës, der Wortführer der Astrologie, wird Friedrich in diese Wissenschaft eingeführt haben; er wird ihn den Glauben an das unabwendbare Schicksal gelehrt haben, das in den Sternen geschrieben ist und durch sie mit Naturnotwendigkeit bewirkt wird. Von hier aus war der Weg nicht mehr weit zu der Erkenntnis, daß das Eingreifen einer göttlichen Macht in dieses durch die Bewegungen der Himmelskörper festgelegte Schicksal ausgeschlossen sei. Etwas Großartiges haftet auch dieser Auffassung an. Die Welt erscheint als ein von innerer Notwendigkeit beherrschtes Ganzes, als eine einige große Einheit, in die Friedrich mit seiner Lehre von der in den Dingen ruhenden Notwendigkeit auch die Menschen einführt. Die naturgewollte Einheit dieser wird durch das schicksalsmäßige Walten des Kaisers erzwungen, verkörpert und erhalten. Allzeit begleiteten den Kaiser auf seinen Zügen Astrologen. Freilich auch diesen gegenüber regte sich nur zu oft, wie uns berichtet wird, seine Skepsis. Manchmal sicherlich waren diese Sterndeuter in seiner Umgebung nichts anderes als das Mittel, sich bei der blöden Masse den Anschein übermenschlicher Fähigkeiten und Kräfte zu geben. Es scheint, daß auch noch andere okkulte Wissenschaften zeitweilig den Sinn des Kaisers gefangennahmen. Die Parmeser nämlich erzählten, daß sich unter der [61] Beute des Lagers in Victoria auch magische Figuren gefunden hätten, die dem Kaiser zu Zaubereien und Orakelzwecken dienten.

Abb. 47. Falkoniere in der Pariser Handschrift des Vogelbuches (Bibl. Nat. Fonds franç. 12400) Nach Erbach-Fürstenau, Die Manfredbibel, Leipzig, K. W. Hiersemann
Abb. 48. Der Schwimmer. In der gleichen Handschrift. Nach Erbach-Fürstenau, Die Manfredbibel, Leipzig, K. W. Hiersemann

Bei dieser Stellung des Staufers zur Religion mußten sich zumal in Sizilien, jenem Lande, das von Angehörigen verschiedenen Glaubens bewohnt wurde, eine sonst im Abendlande noch unbekannte Toleranz herausbilden. „Drei Männer [62] haben die Welt betrogen: Moses, Christus und Mohammed!“ Dieses schon vor Friedrich geprägte Wort soll der Kaiser nach der Anschuldigung des Papstes aufgegriffen haben. Ob er es gesagt hat, ist nicht unbedingt erwiesen. Daß er es gesagt haben kann, ist sicher. Dieser Ausspruch nun ist verwandt mit der bekannten Erzählung von den drei Ringen, die vielleicht gerade in Friedrichs Zeit Gestalt annahm. Ein religiöser toleranter Indifferentismus spricht sich in jenem Wort und in dieser Erzählung aus: Friedrich war in der Tat tolerant – soweit nicht das Interesse des Staates in Frage kam. Mohammedaner durften in Sizilien von ihren Gebetstürmen aus die Gläubigen zum Gebete rufen. Die Juden behielten ihre Synagogen. Nur die Ketzer verfolgte der Kaiser mit seinem ganzen Hasse, nicht um des Glaubens willen, sondern weil sie die Religion des Staates, auf der dieser doch nun einmal ruhte, bedrohten. Er faßte also die Religion ganz im antiken Sinne als Staatsreligion. Ein religiöser Frevel war, wie im kaiserlichen Rom, ein Verbrechen gegen den Staat und gegen die Majestät dessen, der ihn vertrat. Der Glaube der Untertanen an den Kaiser stützte sich auf die Autorität der Kirche. So war ein Auflehnen gegen diese Autorität ein Majestätsverbrechen. Von diesem Gesichtspunkt aus erklärt sich der Widerspruch, daß ein Freigeist, der selber sich im Heiligen Lande des arabischen Schmähwortes für die Unreinen, die Christen: „Schweine“ bediente, Ketzergesetze erließ.

Abb. 49. Brettspiel aus den Carmina burana. (Cod. lat. Monac. 4660. 13. Jahrh.) Aufnahme A. Reusch, München

Wenn Friedrich der Weisheit des Avicenna folgte und zu den höchsten Problemen der Metaphysik Stellung nahm, wenn er mit Averroës die persönliche Unsterblichkeit leugnete, so hat er die Augen der Welt auf die Philosophenschulen seines Reiches gelenkt, zugleich aber auch den autoritätslosen Zweifel verbreiten helfen, der bald in Italien den Humanismus beherrschen sollte. Wenn er aus politischen Gründen die Gedanken eines Joachim von Fiore und eines Franz von Assisi von der Notwendigkeit der Reformation der Kirche, der Zurückformung in den Zustand der apostolischen Einfachheit, von seiner Hochwarte aus laut hinausrief in die Welt, so sollte dieses Wort „Reformation der Kirche“ mit dem Tone des Hasses, den der Kaiser hineinlegte, von Mund zu Mund, von Generation zu Generation vornehmlich in Deutschland weitergetragen werden.