Künstliche Blumen als Wetterpropheten

Textdaten
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Autor: Dr. Julius Erdmann
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Titel: Künstliche Blumen als Wetterpropheten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 498
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[498] Künstliche Blumen als Wetterpropheten. Wir haben ein Bouquet künstlicher Blumen vor uns, das jüngst die Reise von Paris nach Deutschland gemacht hat und etwas Neues und Besonderes vorstellen soll, nämlich ein Barometer oder richtiger Hygrometer oder Feuchtigkeitsmesser. Es sind Species aus mehreren Familien des Pflanzenreichs, unter denen vorzugsweise Rosaceen vertreten sind. Neben der Ungleichartigkeit in der Form der Stengelblätter und in der Gestalt der Blumenkronen, der Kelche etc., wie sie eben durch die botanische Verschiedenheit der Pflanzen bedingt ist, zeigen alle Blumenblätter eine Gleichmäßigkeit in dem Wechsel der Farbe bei verschiedenartiger Witterung.

An trüben, regnerischen Tagen oder überhaupt an Tagen, an denen die Luft viel Feuchtigkeit enthält, erscheinen die gefärbten Theile der Blumenkronen in einem zarten Rosenroth. Wird die Luft etwas trockener, so ist dem Roth ein bläulicher Ton beigemischt. Betrachten wir die Blumen bei noch geringerem Wassergehalt der Luft, so zeigen sämmtliche Blumenblätter eine graublaue Farbe. Bei vorwaltend trockener Witterung dagegen haben wir ein Bouquet blauer Blumen vor uns; denn die Färbung der Kronen geht dann in ein schönes Hellblau über.

Den Blumen ist eine Scala beigegeben, mit den Farben „dunkelblau“, „rosenroth“ und „graublau“ und mit den Bezeichnungen „beau temps“, „pluie“ und „variable“. Hierbei ist zu bemerken, daß nach meinen Beobachtungen die graublaue Farbe durchaus nicht immer veränderliches Wetter anzeigt, sondern meistens schon eine bessere, beständige Witterung, während die rothen Farbennüancen vorwiegend auf Regen hindeuten. Noch mehr Bestand hat das Wetter beim Eintritt des hellblauen Farbentons, dagegen dürfte das Dunkelblau sich nur ausnahmsweise bei äußerst trockener Witterung zeigen. Das Auftreten der letzterwähnten Farbe konnte von mir während einer Beobachtungszeit von mehreren Wochen nicht wahrgenommen werden, obgleich ein neben den Blumen angebrachtes August’sches Psychrometer (ebenfalls eine Art Feuchtigkeitsmesser) einige Tage hindurch nur einen geringen Wassergehalt der Atmosphäre anzeigte.

Man sieht aus den vorstehenden Angaben, daß die drei Farben der Scala eigentlich nicht ausreichend sind und man daher genöthigt ist, auch die Uebergangsfarben mit zu berücksichtigen. In Bezug auf die Ausstellung der Blumen zur Wetterbeobachtung ist hervorzuheben, daß dieselben an einem vor Regen geschützten Platze im Freien oder in der Stube unmittelbar vor dem geöffneten Fenster zu placiren sind.

Daß diese meteorologischen Blumen keinen Anspruch darauf machen können als wissenschaftliche Instrumente benutzt zu werden, ist selbstverständlich; auch können dieselben den bewährten Hygrometern in der Bestimmung der atmosphärischen Feuchtigkeit in keiner Weise Concurrenz machen, aber trotz alledem verkünden uns diese Wunderblumen durch die chamäleonartige Aenderung ihrer Farben, ob die Luft an Wasserdampf reich oder arm ist, und je feuchter die Luft ist, um so eher ist ein atmosphärischer Niederschlag zu erwarten.

Was nun den Farbenwechsel der Blumen betrifft, so beruht derselbe auf folgendem Vorgang: Die Blumenkronblätter sind mit einer concentrirten Lösung von Chlorkobalt getränkt. Dieses Salz sieht in feuchtem Zustande rosenroth aus und wird in trockner Luft nach und nach blau. Der Uebergang von Rosenroth in Blau tritt sofort ein beim directen Erwärmen über einer Flamme. Hält man daher die rothgefärbten Blumen in angemessener Entfernung über den Cylinder einer angezündeten Petroleumlampe, so werden die Blumen momentan dunkelblau.

Diese Eigenschaft des Chlorkobalts ist übrigens durchaus keine Entdeckung der Neuzeit; sie ist schon früher von Liebenden benutzt, um mit einer verdünnten Lösung dieser Substanz in einem unsichtbaren Rosenroth sich geheime Geständnisse zu machen, die erst durch das Erwärmen des Liebesbriefes von Seiten des Empfängers in einem deutlichen Blau zum Vorschein kamen, um nach dem Erkalten wieder spurlos zu verschwinden.

Die hübsche Anwendung dagegen, den künstlichen Blumen eine wetterprophetische Eigenschaft beizulegen, so daß wir uns durch einen Blick auf das Bouquet von dem geringeren oder größeren Feuchtigkeitsgehalt unserer Atmosphäre überzeugen können, ist neu und höchst originell. Ein bekannter chemischer Vorgang ist durch eine neue Idee in eine elegante, anmuthende Form gebracht worden.
Dr. Julius Erdmann.