Textdaten
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Autor: Dr. C. Wettlaufer
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Titel: Künstliche Augen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 472-476
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Künstliche Augen.

Von Dr. C. Wettlaufer.

In den ältesten Zeiten der plastischen Kunst stellte man bekanntlich bei Nachbildungen des menschlichen Antlitzes die Augen in geschlossenem Zustande dar; später erst lernte man den Gesichtern geöffnete Augen geben und endlich setzte man auch, um den Gesichtsausdruck mehr zu beleben, künstliche Augen ein, welche aus farbigen Steinen, Metall oder Elfenbein bestanden. In unserer Zeit verwendet man zu diesem Zwecke aus Glas hergestellte Augen, am meisten bei dem beliebten Spielzeuge unserer Kleinen, den Puppen, bei Wachsfiguren und ausgestopften Thieren. Mit diesen künstlichen Augen wollen wir uns jedoch nicht weiter beschäftigen, sondern nur die in Betracht ziehen, welche eine vornehmere Bestimmung haben, nämlich dem Menschen als Ersatz für ein verlorenes Auge zu dienen.

Wann der Gebrauch der letzteren aufgekommen ist, darüber fehlen uns sichere Nachweise. Es ist zwar von Schriftstellern des Mittelalters behauptet worden, daß die alten Aegypter, Griechen und Römer sich solcher Augen bereits bedient hätten, allein ältere Forscher, wie Mauchard, wollen darüber in den einschlägigen Schriften jener Völker nichts gefunden haben. Die erste wissenschaftliche Abhandlung über künstliche Augen finden wir bei Ambroise Paré in seinem 1582 erschienenen chirurgischen Werke. Dieser verdienstvolle Mann, Leibwundarzt von vier französischen Königen hintereinander, unterscheidet zweierlei Arten, die sogenannten „Ekblephari“ und „Hypoblephari“. Die ersteren bestanden der Beschreibung und Abbildung nach aus einem federnden, schmalen, metallenen Bügel, dessen eines Ende bis zum Hinterkopf reichte, während das andere in eine runde, die Augenhöhle samt den Lidern deckende Platte auslief; diese war mit feinem Leder überzogen, auf welchem sich ein gemaltes Auge befand – ein Aushilfsmittel, das gerade nicht schön und bequem benannt werden [474] kann. Die andere Art, die „Hypoblepharie“ waren Schalen, ähnlich einer halben Nußschale, aus Gold, Silber oder Kupfer, theils mit theils ohne Schmelzarbeit, und wurden in die Augenhöhle unter die Lider eingelegt. Auf ihrer gewölbten Seite war die bunte Iris (Regenbogenhaut), die schwarze Pupille und die weiße Sclera (Lederhaut) aufgemalt Sie waren die Vorläufer unserer jetzt gebräuchliche künstlichen Augen; allerdings mußten sie noch manche Wandlung durchmachen, bis sie eine solche Vollkommenheit erreichten, wie man sie heute von ihnen verlangt. Einmal waren sie nicht nur recht theuer, sondern auch ihrer Schwere wegen sehr lästig.

Beide Uebelstände suchte man dadurch zu beseitigen, daß man die Augen aus Porzellan und später aus Glas herstellte. Die Anfertigung und Zeichnung der letzteren war eine verhältnißmäßig recht einfache, indem man auf eine große weiße Perle einen blauen oder braunen Kreis und in dessen Mitte einen schwarzen Punkt malte, die untere Hälfte der Perle wegschmolz und so eine dünne Schale erhielt – das nunmehr fertige Auge.

Bereits im Anfang des 17. Jahrhunderts waren diese Augen ziemlich allgemein bekannt. Mit der Zeit wurden sie mehr und mehr vervollkommnet, besonders bemühte man sich, ihnen ein natürlicheres Aussehen zu geben. Wie weit man es schon damals darin gebracht hat, läßt sich aus jener ergötzlichen Geschichte entnehmen, welche uns Mauchard in seiner 1749 zu Tübingen erschienenen Inaugural-Disputation „Oculus artificialis Ekblepharos kai Hypoblepharos“ mittheilt. Mauchard hatte nämlich einer Bäuerin ein Glasauge eingesetzt, welches wegen seiner großen Natürlichkeit die Bewunderung der Zuschauer erregte und laut von ihnen gerühmt wurde. Hierdurch wurde nun die gute Frau zu dem Glauben verleitet, daß sie mit diesem Auge auch sehen könne, und schloß, um sich davon zu überzeugen das andere, worauf sie zu ihrem größten Leidwesen bemerkte, daß trotz aller Natürlichkeit eben doch das Wichtigste, die Sehkraft, fehlte.

Figur 1.   Figur 2.

Figur 3.
a. Sclera. b. Hornhaut. c. Vordere Kammer. d. Pupille. e. Iris.

Obschon nun diese Glasaugen mancherlei Vorzüge aufzuweisen hatten, so haftete ihnen doch noch der Hauptfehler an, daß sie infolge ihrer Sprödigkeit sehr leicht zerbrachen. Aber auch dieser wurde beseitigt, als man im vorigen Jahrhundert anstatt des gewöhnlichen Glases Schmelzwerk, Emaille, zu verwenden anfing, eine besonders vorbereitete Glasmasse, welche durch Zusatz hauptsächlich von Arsen und Metalloxyden größere Geschmeidigkeit und Elasticität sowie verschiedene Färbung erhält. Diese Masse ist noch heute theilweise, z. B. bei den Franzosen, in Gebrauch. Die Franzosen waren es überhaupt bis in die neueste Zeit fast ausschließlich, welche die Kunst des Augenblasens ausübten und es darin zu so großer Fertigkeit brachten, daß ihre Erzeugnisse von keinen anderen übertroffen wurden.

Zu den besten und bekanntesten Augenkünstlern seiner Zeit gehörte der geniale Chr. Fr. Hazard, der Ende des vorigen und Anfang dieses Jahrhunderts in Paris lebte und seine Kunst zu großem Ansehen brachte. Ferner ist zu nennen sein Neffe und Schüler Hazard-Mirault, der uns eine größere Abhandlung über künstliche Augen hinterlassen hat, dann Desjardins, der Vater, und Boissoneau, Vater und Sohn. „Boissoneau fils“ dürfte wohl jetzt noch das bedeutendste Geschäft für künstliche Augen in Paris sein.

In Deutschland war zu Anfang dieses Jahrhunderts die Kunst des Augenblasens noch nicht eingeführt; man kannte und benutzte eben auch bei uns nur französisches Fabrikat. Da kam Mitte der vierziger Jahre ein gewisser Ludwig Müller-Uri aus Lauscha in Thüringen, wo damals schon eine hochentwickelte Glasindustrie blühte, nach Paris. Während seines dortigen Aufenthaltes hatte er Gelegenheit, künstliche Augen von Desjardins dem Aelteren zu sehen und sich davon zu überzeugen, daß ihre Anfertigung ein gewinnbringendes Geschäft sei. Auf alle mögliche Art und Weise suchte er das Verfahren bei der Herstellung kennenzulernen, aber vergebens, denn der schlaue Franzose bewahrte sein Geheimniß aufs sorgfältigste. Trotzdem beschäftigte sich Müller-Uri, in seine Heimath zurückgekehrt, eifrig mit der Kunst des Augenblasens und brachte auch nach einiger Zeit Augen zustande, die sich, was Natürlichkeit und Leichtigkeit betraf, mit den französischen messen konnten. Nur war das von ihm verwendete Glas sehr spröde und wenig dauerhaft; der in ihm enthaltene kieselsaure Kalk löste sich in der Thränenflüssigkeit auf, wodurch nicht nur die Oberfläche des Glases rauh, sondern auch die Schleimhaut der Augenhöhle angeätzt wurde.

Figur 4.

Auch Müller-Uri suchte gleich seinen französischen Vorbildern das Geheimniß seiner Kunst ängstlich zu hüten und er hatte, um bei seiner Arbeit ja ganz unbeobachtet zu sein, seine Werkstätte auf dem Boden in einer Dachkammer aufgeschlagen. Allein das hinderte seinen Neffen F. A. Müller – derselbe legte später zur Unterscheidung von seinem Onkel den zweiten Namen „Uri“ ab – nicht, genug von ihm zu erfahren, um Ende der fünfziger Jahre selbständig künstliche Augen anfertigen zu können. Ja er erhielt bereits im Jahre 1864 zusammen mit seinem Onkel auf der Ausstellung in Wien einen Preis. Er war es denn auch, der in der Folgezeit durch verschiedene Verbesserungen der Technik und des Materials die deutschen Erzeugnisse zu immer größerer Vollendung führte. So erfand er ein neues Verfahren, die Iris herzustellen. Die Franzosen trugen diese nämlich mit Schmelzfarben auf einen Glasstempel auf, brannten sie in diesen ein und lötheten sie dann auf die die Sclera darstellende Kugel auf. Müller dagegen schmolz und drehte verschiedenfarbige Gläser zu dünnen Stäbchen und zeichnete mit diesen die Iris unmittelbar auf die Kugel. Was aber seinen Augen am meisten zugute kam, das war die Erfindung einer neuen Glassorte, die nach ihrem Hauptbestandtheil „Kryolithglas“ genannt wird, Diese Glasart hat einmal den Vortheil, daß sie nicht wie die früher benutzte durch die Thränenflüssigkeit angegriffen wird, sondern sehr widerstandsfähig ist, noch mehr als das französische Glas, und daß sie zweitens doch alle Vorzüge der Emaille besitzt. Sie läßt sich leicht bearbeiten, wird nie rauh und behält ihren Glanz. Aus ihr gefertigte Augen können gut ein Jahr getragen werden; erst nach dieser Zeit wird die aus Krystallglas bestehende Hornhaut, und nur diese, rauh, während alle ausländischen, aus einer bleihaltigen Glasmasse hergestellten Augen bedeutend früher und auf ihrer ganzen Oberfläche rauh und damit unbrauchbar werden. Eine Eigenthümlichkeit des Kryolithglases mag hier noch erwähnt werden. Es verliert nämlich in der Stichflamme seine milchglasartige Färbung vollständig und wird ganz durchsichtig, nach Erkalten und Wiedererwärmen auf einen bestimmten Hitzegrad aber nimmt es jene wieder an. Endlich gelang es Müller noch, an seinen Augen die sogenannte „vordere Kammer“ anzubringen – am natürlichen Auge versteht man darunter den mit klarer Flüssigkeit gefüllten Raum zwischen Horn- und Regenbogenhaut – wodurch sie bedeutend an Naturtreue gewannen, ohne daß sie dadurch an Durchmesser zu dick oder an Gewicht zu schwer geworden wären, Fehler, welche andere Augen zeigten, denen man eine vordere Kammer zu geben versucht hatte. Die beistehenden Zeichnungen dürften dies mit genügender Klarheit zeigen. Fig. 1 stellt ein französisches Auge dar ohne Vorderkammer, wobei Hornhaut und Regenbogenhaut fast in demselben Niveau liegen, Fig. 2 ein deutsches Auge mit normaler vorderer Kammer, ebenso Fig. 3 dasselbe in wagrechtem Durchschnitte, Fig. 4 ein schweizer Auge mit anormaler vorderer Kammer, die den Lidschlag nahezu unmöglich macht. Eine vordere Kammer läst sich allerdings nur dann anbringen, wenn nicht ein in der Augenhöhle zurückgebliebner größerer Augenstumpf das Einsetzen einer sehr dünnen Schale erfordert.

Durch alle diese Verbesserungen waren die Müllerschen Augen den französischen nicht nur in jeder Beziehung ebenbürtig geworden, sondern übertrafen sie in verschiedener Hinsicht noch bedeutend. Trotzdem und obwohl namhafte Augenärzte warm dafür eintraten, hielt es doch schwer, dem deutschen Fabrikate die gebührende Anerkennung zu verschaffen, bis der Krieg 1870 bis 1871 auch hierin Wandel schaffte. Er brachte für uns die Nothwendigkeit mit sich, einheimische Fabrikate zu kaufen, und dabei kam man endlich zur Einsicht, daß die deutsche Arbeit weit besser als die französische und noch dazu billiger war. Infolgedessen nahm das Müllersche Geschäft einen großen Aufschwung, und Müller sah sich veranlaßt, seinen Wohnort von dem etwas weltverlorenen Lauscha nach der Weltkurstadt Wiesbaden zu verlegen.

[475] Hier erfanden die zwei Söhne Müllers, welche nach dem Tode des Vaters die Augenanfertigung in künstlerischer Weise weiterbetrieben, im Jahre 1880 einen technischen Fortschritt, welcher die Schönheit ihrer Augen noch bedeutend erhöhte; es gelang ihnen nämlich die Herstellung des sogenannten „Corneo-Scleralrandes“, wie er sich am natürlichen Auge darstellt. Betrachtet man ältere Augen (z. B. Fig. 1), so bemerkt man, daß an ihnen die Iris gegen die Sclera mit einer ganzen scharfen Grenze aufhört, während diese beim natürlichen Auge gleichsam verwaschen erscheint. Und dies wird eben bei dem neuen Müllerschen Verfahren aufs glücklichste nachgeahmt. Mit der Zeit lernte man auch im Ausland die Vorzüge der deutschen Augen schätzen, so erhielten sie auf den Ausstellungen zu Amsterdam 1883 und zu Antwerpen 1885 den höchsten Preis, welchen bis dahin immer die für unübertrefflich gehaltenen französischen Fabrikate für sich in Anspruch genommen hatten. Auf der Ausstellung in Chicago haben die Gebrüder Müller eine Sammlung künstlicher Augen ausgestellt, welche die verschiedenen krankhaften Veränderungen des Auges in treuer Nachbildung der Natur veranschaulichen. Das ist eine neue Art der Verwendung des künstlichen Auges; aus einer Anregung des Professors Pagenstecher hervorgegangen, sind derartige Sammlungen dazu bestimmt, an den Universitäten als Lehrmittel zu dienen. –

Figur 5.

Figur 6.

Außer Müller, dem Vater, gab es in Deutschland nur wenige, welche wirklich gute Augen herzustellen verstanden. Zu ihnen gehört Dr. Klaunig in Leipzig, der auf Veranlassung seines Lehrers, des Professors Ritterich – beide haben Abhandlungen über künstliche Augen veröffentlicht – sich längere Zeit bei Müller-Uri mit Augenblasen beschäftigte und darin großes Geschick erlangte. Ferner sind zu erwähnen Jerack in Prag und sein Schüler Paul Greiner in Hamburg, welche beide Hervorragendes leisteten. Sie waren zugleich in Deutschland die einzigen, welche ihre Augen nach venetianischer Schule anfertigten, die Jerack in Murano bei Venedig sich angeeignet hatte. Dort stellte man nämlich die Irisfarben dadurch her, daß man farbige Perlen zerrieb und mit diesem Pulver die Iris aufzeichnete. Jerack aber sowohl wie Greiner trieben ihre Kunst mehr aus Liebhaberei. In Lauscha lernte Müller eine Anzahl Schüler an, aber keiner hat es zu größerer Bedeutung gebracht. Es gehört eben zur Anfertigung wirklich guter künstlicher Augen, abgesehen vom Material, ein gewisses Talent, ein sehr ausgeprägter Farben- und Formensinn Ohne diesen kann wohl jemand es durch lange Uebung dahin bringen, künstliche Augen zu blasen; aber künstlerisch vollendete wird er niemals schaffen lernen.

Wie wird aber nun ein künstliches Auge gemacht?

Am besten bekommen wir davon eine Vorstellung, wenn wir uns einmal in eine Werkstatt versetzen, wo man gerade im Begriff ist, eine „Prothese“, so lautet der technische Ausdruck für ein künstliches Auge, anzufertigen. Wir sehen da einen Tisch, der mit Glasstäben und -röhren von allen möglichen Farben bedeckt ist und eine Vorrichtung zur Erzeugung einer Stichflamme trägt. Vor derselben sitzt der Künstler, neben ihm der Patient. Von Werkzeugen bemerken wir nur eine Art Zange zum Anfassen der heißen Augen und einen Kühltiegel, die Hauptarbeit fällt Hand und Mund zu. Als Material dienen die schon erwähnten Glasröhren und -stäbchen. Die krystallklaren geben die Hornhaut und Vorderkammer, die ganz dunkeln die Pupille, die rothen die Aederchen und die anderen bunten die Iris. Die milchglasartigen Röhren von bald mehr röthlichem, bald mehr bläulichem, gräulichem oder gelblichem Ton bestehen aus dem uns schon bekannten Kryolithglase, aus welchem der größte Theil des Auges, die Sclera oder weiße Augenhaut, hergestellt wird, und kommen bereits so verarbeitet von der Glashütte. Ihre Bestandtheile sind zwar bekannt, aber das Verhältniß ihrer Zusammensetzung ist Geschäftsgeheimniß. Die Farbenschattierungen der Gläser werden durch Zusatz von Metallen oder deren Oxyden erzeugt, so grün durch Brom, blau durch Kobalt, braun und schwarz durch Braunstein, gelb durch Chrom und Uran, grau durch Nickeloxyd und roth durch Gold. Die Herstellung der letzteren Farbe in der Abtönung, wie sie bei den Aederchen gebraucht wird, soll besonders schwierig sein und manche Probe muß als unbrauchbar verworfen werden, bis die richtige getroffen ist.

Nachdem wir uns so einigermaßen über Handwerkszeug und Material haben belehren lassen, kann die Arbeit beginnen. Zu diesem Zwecke wird noch die Augenhöhle, welche die Prothese aufnehmen soll, einer genauen Besichtigung unterzogen, ebenso das gesunde Auge in Bezug auf seine Farbe. Nun wird eine jener Röhren in passender Schattierung ausgesucht und an der Stichflamme ein Stück so abgeschmolzen daß es in zwei dünne hohle Handhaben ausläuft, deren eine geöffnet ist, um als Mundstück zum Blasen zu dienen (Fig. 5). Die nachfolgenden Arbeiten werden, um dies hier gleich einzufügen, alle an der Stichflamme unter beständigem Hin- und Herdrehen des Auges ausgeführt, um das Glas in dem zum Verarbeiten nöthigen weichen Zustand zu erhalten.

Die hohle Glasspindel wird zu einer Kugel aufgeblasen und die eine Handhabe abgeschmolzen. Auf der dem Mundstück gegenüberliegenden Fläche wird dann als Untergrund für die Iris eine entsprechende Grundfarbe aufgetragen, mit der zugleich auch ein als Fabrikmarke dienendes Sternchen aufgesetzt wird, das man an der Rückseite des fertigen Auges sehen kann. Ist die Grundfarbe genügend verblasen, so werden auf die so entstandene Fläche von etwa 6 mm Durchmesser die verschiedenen Irisfarben mit den vorher präparierten Glasstäbchen in strahlenartiger Anordnung aufgezeichnet und eben geblasen. Nachdem sodann mit schwarzem Glas die Pupille aufgeschmolzen ist, wird durch Aufsetzen von Krystallglas Vorderkammer und Hornhaut hergestellt. Das Ganze wird nun gleichmäßig verblasen, worauf die Aederchen aufgemalt werden, und zwar so, daß man ein rothes Stäbchen zu haarfeinen Fäden auszieht und diese an die Kugel anlegt. Haben sie sich mit jener verschmolzen, so erhält die Kugel durch weiteres Erhitzen und Blasen eine mehr ovale Form. Dann wird ein Loch hineingeblasen und von diesem aus mittels eines Glasstäbchens durch Abschmelzen die Trennung der Augenschale von dem Mundstück bewirkt, wobei jene zugleich die gewünschte Form erhält. Fig. 6 zeigt die Augenschale halb abgeschmolzen. Ist zum Schluß der Rand noch geglättet, so wird das nunmehr fertige Auge in den Kühltiegel gelegt, um sich dort langsam abzukühlen, was von großer Wichtigkeit ist, da ein zu rasch abgekühltes Auge leicht springt.

Figur 7.

So haben wir in etwa dreiviertel Stunden ein künstliches Auge entstehen sehen. Das Gewicht eines solchen, welches Fig. 2 in Seitenansicht, Fig. 7 in Vorderansicht zeigt, beträgt ungefähr zwei Gramm, die Dicke der Sclera 3/4 bis 1 mm, die der Iris mit Vorderkammer je nach der größeren oder geringeren Tiefe derselben 2 1/2 bis 5 mm.

Während wir dem Künstler zuschauten, haben wir natürlich nur die gröberen Einzelheiten bei der Herstellung des Auges bemerkt, alle die technischen Feinheiten und Schwierigkeiten, in deren Bewältigung sich gerade der Meister zeigt, sind unseren Laienblicken entgangen. Diesmal ist auch gleich das erste Auge gelungen, während ein andermal mehrere ohne erkennbare Ursache platzen und die Arbeit wieder von neuem begonnen werden muß. In unserem Falle ist auch der Sitz und die Beweglichkeit in der Augenhöhle sofort zur Zufriedenheit des Künstlers ausgefallen. Bei schwierigeren Verhältnissen aber, z. B. wenn Narbenstränge oder Schleimhautwucherungen in der Augenhöhle entsprechende Ausschnitte an der Augenschale erfordern, paßt vielleicht erst das zweite oder dritte Auge genau, was um so begreiflicher ist, wenn man bedenkt, daß nur nach dem Augenmaß gearbeitet wird.

Das künstliche Auge muß, wenn es allen Anforderungen genügen soll, dem natürlichen in Färbung der Sclera und Iris, in Größe der Iris und Pupille völlig gleichen; es muß sich möglichst leicht bewegen und darf seinem Träger keinerlei Beschwerden machen. Es muß endlich dauerhaft sein und darf sich nicht zu früh abnutzen. Was den letzten Punkt anbetrifft, so kommt es [476] dabei auch auf eine zweckmäßige Behandlung des künstlichen Auges an, weshalb wir über diese einige Winke geben wollen.

Das künstliche Auge soll nur am Tage getragen werden. Es wird daher früh morgens eingesetzt und abends vor dem Schlafengehen wieder herausgenommen Beim Einsetzen beobachte man folgende Regeln. Man tauche das Auge in reines Wasser – einölen ober einfetten ist schädlich – und fasse es mit dem Daumen und Zeigefinger der einen Hand je in der Mitte des oberen und unteren Randes. Während nun die andere Hand von oben her das Oberlid an seinem Rand und den Wimpern in die Höhe zieht, schiebt man die mit ihrer Höhlung nach der Wange gekehrte Schale mit ihrem breiten Schläfentheil über das Unterlid weg nach oben bis zur Hälfte in die Augenhöhle ein. Dann läßt die andere Hand das Oberlid los, faßt das Unterlid und zieht es nach unten. Dabei wird das Auge so gedreht, daß es horizontal liegt, und dann das Unterlid losgelassen, welches sich nun über die Prothese legt und diese mit dem Oberlid in der richtigen Lage erhält. Um das Auge herauszunehmen, zieht man das Unterlid wieder nach unten, geht mit einem kleinen Häkchen oder dem Kopfe einer größeren Stecknadel hinter den unteren Rand und macht einige hebelnde Bewegungen mit dem Instrument, wodurch das Auge unter dem Oberlid hervorgleitet. Um ein Zerbrechen des zarten Glaskörpers zu verhüten, kann man sich in der ersten Zeit bei dem Einsetzen und Herausnehmen über ein Bett oder eine weiche Unterlage beugen, bis man die nöthige Fertigkeit erlangt hat, das Auge mit der Hand aufzufangen. Sollte die Augenhöhle tagsüber viel Schleim absondern, so muß man auch mittags das Auge herausnehmen und Augenhöhle und Auge mit lauem Wasser reinigen. Ueber Nacht wird die gereinigte Prothese trocken, nicht etwa in Wasser, und vor Staub geschützt, am besten in dem vom Fabrikanten gelieferten Kästchen aufbewahrt. Alle vierzehn Tage muß das Auge gründlich mittels lauen Wassers, Seife und einer weichen Bürste gesäubert werden. Behandelt man das Auge auf diese Weise, so kann man es gut ein Jahr tragen.

Ehe man sich ein künstliches Auge anschafft, frage man einen Augenarzt, ob dem Tragen eines solchen keine Bedenken entgegenstehen; es giebt Fälle, wo es schädliche Folgen haben kann. Wenn möglich, stelle man sich dem Augenfabrikanten selbst vor, daß sich dieser bei seiner Arbeit nach den persönlichen Verhältnissen richten kann. Gut thut man auch, sich mindestens ein Reserveauge anfertigen zu lassen, damit man bei Verlust des einen nicht in Verlegenheit komme.

Zum Schluß wollen wir nun noch einiges darüber sagen, welchen Zweck es hat, ein künstliches Auge zu tragen. In einer großen Anzahl van Fällen geschieht es wohl lediglich aus Rücksichten der Schönheit. Es soll eben der das Gesicht entstellende Fehler ausgeglichen werden. Wie weit man dabei in der Nachahmung der natürliche Verhältnisse gehen kann, beweist jener Opernsänger, der bei Tag ein Auge mit kleiner Pupille und abends ein solches mit größerer trug, weil sich bekanntlich bei herabgesetzter Beleuchtung die Pupille erweitert.

Bei Kindern kommt der Gesichtspunkt des äußeren Eindrucks nicht allein in Betracht; durch das Tragen einer Prothese wird auch ein unsymmetrisches Wachsthum der beiden Gesichtshälften vermieden, während sonst diejenige, welcher der Augapfel fehlt, im Wachsthum zurückbleiben würde. Hauptsächlich aus diesem Grunde ist daher der Gebrauch eines künstliche Auges bei Kindern anzurathen, und wenn es auch nur eine Schale ohne Zeichnung wäre. Daß es durch Stoß oder Schlag häufig zertrümmert werden könnte, ist nicht leicht zu befürchten, da die nach außen gewölbte Oberfläche der halbkugeligen Schale schon einen äußerst harten Schlag erhalten muß, ehe sie zerbricht, was in der That auch nur sehr selten vorkommt. Aber selbst wenn dies geschehen sollte, so können ja doch die Splitter keine edleren Theile verletzen.

Stellen wir uns ferner vor, ein wie schmerzlich unerquickliches Bild ein Einäugiger bietet! Kein Wunder, daß es ihm schwerer fällt als anderen, sein Fortkommen zu finden, wenn er auch wirklich mit seinem einen Auge noch gerade soviel leisten kann wie vorher mit zweien! Das künstliche Auge verdeckt nicht nur einen Schönheitsfehler, sondern es erfüllt auch einen gewissen Heilzweck und gestaltet die soziale Lage seines Trägers günstiger. Daher bedarf seiner noch mehr als der Reiche derjenige, welcher auf seiner Hände Arbeit angewiesen ist. Für ihn kommt allerdings auch der Kostenpunkt in Betracht, der indessen den Vortheilen gegenüber, welche das künstliche Auge bietet, nicht allzu hoch anzuschlagen ist. Man lasse sich aber ja nicht etwa aus Sparsamkeit dazu verleiten, ein Auge zu lange zu tragen. Denn nach ungefähr Jahresfrist wird, wie schon oben erwähnt, auch bei dem beste Fabrikat die Oberfläche rauh und die Schleimhaut ist einer fortwährenden Reizung ausgesetzt, welche zu langwierigen Entzündungen und schließlich zu Schrumpfung führt, so daß das fernere Tragen einer Prothese endlich ganz unmöglich werden kann. Also lieber etwas mehr Geld ausgeben als sich dieser Gefahr aussetzen! Wünschenswerth wäre es deshalb auch, wenn die Krankenkassen für ihre Mitglieder nicht nur wie bisher die erstmalige Anschaffung eines künstlichen Auges, sondern auch dessen jährliche Erneuerung übernehmen würden.