Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 37

Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
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Siebenunddreißigstes Kapitel.

[349] Es fürchte die Götter
Das Menschengeschlecht!
Der fürchte sie doppelt.
Den je sie erheben!

Goethe.

Die kurzen unserm Aufenthalt in Paris bestimmten vier Wochen nahten ihrem Ende; nur das Fest des heiligen Ludwig, am fünfundzwanzigsten August, wollten wir noch abwarten. Unser alter Freund de Pons, der vieljährige französische Resident in Danzig, dessen ich schon in diesen Blättern erwähnt habe, war eben damals bei seiner in Versailles wohnenden Familie auf Urlaub zum Besuch, und bot uns durch seine gastfreie Einladung die schönste Gelegenheit, an diesem festlichen Tage, bei der Prozession des rothen Ordensbandes, den Hof Ludwigs des Sechzehnten im größten Glanze zu sehen.

Das Namensfest des Königs wurde nie wieder so gefeiert, der furchtbare Orkan, der über ihn und sein dem schmählichsten Verderben geweihtes Haus [350] vernichtend niederschmettern sollte, sammelte schon drohend sich über seinem Haupt. Bange Ahnung erfüllte zwar die Gemüther rings um ihn her, doch wie fern blieb sie hinter den Greueln zurück, die schon jetzt, sogar in der nächsten Nähe des Königs, sich heimlich vorbereiteten!

Zeichen der im Innern gährenden Unzufriedenheit der Pariser, ihres mitunter laut geäußerten Argwohns, ja sogar Widerwillens gegen die Königin, die sie nur die Oestreicherin nannten, äußerten sich unverhohlen auf mannichfache Weise und rückhaltsloser als zuvor. So hatten zum Beispiel, die später so furchtbaren Pariser Poissarden sich diesmal geweigert, dem Könige das sonst gewöhnliche Bouquet, begleitet von einer in ihrem Styl abgefaßten Anrede, zu seinem Namensfeste zu überbringen; doch das Alles ging, zwar nicht unbemerkt, nicht unbewitzelt, aber doch unbeachtet, fürs erste noch vorüber. Daß es auf mich keinen Eindruck machte, war natürlich, das große glänzende Schauspiel, das sich dicht unter meinen Augen entwickelte, war dazu geeignet, alles Andre ausschließend, mich zu beschäftigen.

Da stand ich nun unter der Leitung unsers Gastfreundes de Pons im berühmten Oeil de boeuf zu [351] Versailles, durch welches der königliche Zug gehen mußte, höchlich verwundert, in dem berühmten Vorsaal mich wirklich zu befinden, dessen zeitgeschichtlichen seltsamen Namen ich so oft gehört und gelesen. Wir hatten in Paris uns bei guter Zeit auf den Weg gemacht, es war noch ziemlich früh und die Anzahl der gleich uns von Neubegier Hergezogener war noch nicht bedeutend.

Doch allmählig, so wie die Zeit vorrückte, füllte sich der weite Raum, ein Gedränge entstand, wie ich an diesem Ort es kaum für möglich gehalten. Nach der damals neuesten Mode gekleidet, mein weit über den Rücken hinabreichendes, an den Spitzen in Locken geschlagenes stark gepudertes Haar à la conseillère frisirt, fühlte ich in der vorderen Reihe der Zuschauer mich von beiden Seiten auf eine Weise plötzlich zusammengedrückt, die mir nicht die kleinste Bewegung erlaubte. Meine langen Locken waren in dem unruhigen Hin- und Herwogen der Masse zwischen weit hinter mir stehenden Leuten, die in ihrer gepreßten Lage eben so wenig als ich selbst im Stande waren, nur eine Hand zu bewegen, fest eingeklemmt worden, ich wurde vorwärts geschoben, es war einer der angstvollsten und peinlichsten Augenblicke meines Lebens. Ich fühlte brennenden Schmerz in jedem [352] einzelnen Haar, ich sah mich in der eminentesten Gefahr, auf die gräßlichste Weise scalpirt zu werden, und würde dem, der mit einer Scheere die Locken, die sonst mein Stolz waren, von meinem Haupte getrennt hätte, für meinen größten Wohlthäter erklärt haben.

Messieurs sauvez votre compatriote! rief Herr de Pons, der meine Gefahr sah, doch ebenfalls ohne ihr abhelfen zu können, einem von der Schweizergarde in unsrer Nähe zu, zwei von den wackern Männern eilten herbei; diesen konnte es nicht schwer werden sich Raum zu verschaffen, und ich stand im nächsten Augenblick zitternd mit herzklopfendem Herzen wieder frei auf meinen Füßen, gleich einem armen Vogel, dem eine mitleidige Hand aus der Schlinge half, in die er sich verstrickt hatte. Beide Schweizer, große männlich schöne Gestalten, blieben jetzt zu meinem Schutze mir zur Seite, was sich komisch genug ausgenommen haben mag.

Ach, hätten sie und ihre tapfern Kameraden zwei Jahre später auch ihre Königin so befreien können, für die sie Alle unter Mörderhänden ihr Leben verbluteten. Leider konnten sie nichts für sie thun, als für sie sterben! so war es dort oben geschrieben.

Jetzt nahte der Zug, und die Gefahr, der ich [353] vor wenigen Minuten entgangen, war vergessen. Düfte des Orients verkündeten schon von ferne sein Herannahen; der blendende Schimmer der Edelsteine, der reichen Stickereien, verwirrte das Auge, ich sah und wußte kaum was. Eine deutliche Uebersicht des Ganzen ist mir nach so vielen langen Jahren nicht geblieben, nur einzelne Gestalten haben in meiner Erinnerung sich festgestellt.

Zuerst der König, in der Mitte der Großen seines Reichs; seine unbehülfliche zu starke Gestalt, sein schwerfälliger schwankender Gang fielen keineswegs vortheilhaft aus; eine gewisse schüchterne Unsicherheit, wie man sie einem Könige am wenigsten zutrauen sollte, sprach in seinem ganzen Wesen, wie im Ausdruck seiner übrigens nicht unangenehmen Gesichtszüge sich aus. Tief verhüllt und unerkannt im Innern dieser unscheinbaren Formen lag noch der edle Geist, der sie belebte, verborgen, der erst später, als er vom Schaffot seiner eigentlichen Heimath zuschwebte, in seiner vollen Glorie sich der Welt offenbaren sollte.

Die beiden Brüder des Königs, der Graf von Provence und Graf d’Artois, in spätern Zeiten als Ludwig der Achtzehnte und Karl der Zehnte seine Nachfolger, standen in der äußern Erscheinung hoch [354] über ihm; schöne stattliche Männer, die jeden Vorzug, mit welchem die Natur sie beschenkt hatte, geltend zu machen verstanden. Doch auch sie wurden von ihrem Vetter, dem Herzog von Orleans, bei weitem überragt. Diese hohe wahrhaft königliche Gestalt, diese schönen regelmäßigen Gesichtszüge; wer hätte damals das Scheusal der Welt, den Mörder seines königlichen Verwandten, den entsetzlichen Egalité hier vorahnend erkennen sollen, in dessen Brust schon damals die Hölle tobte, der so tief sich herabwürdigte, daß zuletzt selbst der Abschaum der Hefe des Volks, dem er sich zugesellt hatte, ihn verachtend und verhöhnend von einem Gefängniß in’s andere, endlich zur Guillotine schleppte, um nur seiner los zu werden.

Und nur die Königin! die blendendste Erscheinung ihrer Zeit. Sie stand damals in ihrem zweiunddreißigsten Jahr, erblüht zur vollkommensten Entfaltung ihrer Schönheit, ohne an Jugendreiz dadurch verloren zu haben. Schlank und hoch gewachsen, im vollkommensten Ebenmaß der edlen Glieder, unbeschreibliche Anmuth in Gang und Blick, mit hoher Würde gepaart, schien die deutsche Kaisers-Tochter geboren eine ihr huldigende Welt zu beherrschen und zu entzücken.

[355] Sie war blond, blendend weiß, die regelmäßigen Züge, das schöne Oval ihres Gesichts, die strahlenden blauen Augen, die sanft gebogene Adlernase, Alles an ihr vereinte sich zu einer jener zaubervollen Gestalten, wie die Welt selten sie erblickt. Sogar die damals herrschende Mode in aller ihrer geschmacklosen Uebertriebenheit entstellte sie nicht, wenigstens nicht in den daran gewöhnten Augen ihrer Zeitgenossen. Obwohl die Pariser, um doch einen Tadel an ihr zu finden, hin und wieder behaupten wollten, sie habe röthliches Haar, so war es doch schwer hierüber zu entscheiden; der damals übliche bräunliche Puder à la marechalle, den auch die Königin trug, lieh allem Haar einen röthlichen Schein, von welcher Farbe es auch sein mochte.

Ich zweifle, ob die Volkswuth ein gut gemaltes ähnliches Portrait der Königin unzerstört auf die Nachwelt kommen ließ. Ich habe, so viel ich auch darnach geforscht, nie eines gesehen oder davon gehört; doch wäre dieses auch der Fall, so würde jenes lächerlich erscheinende Kostüm doch nie erlauben, ihr volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Die ihr folgenden Damen, welch reicher Himmel, Stern bei Stern! wer nennet ihre Namen? Mir wurden sie genannt, diese Namen, indem die [356] glänzenden Erscheinungen langsam an mir vorüberzogen; welch ein Geschick stand ihnen allen ganz nahe bevor! Wie oft habe ich viele dieser großen Namen später in öffentlichen Blättern schaudernd gelesen! Am deutlichsten erinnere ich mich noch der Schwester des Königs, der Prinzessin Elisabeth, als eines unbeschreiblich holden, lieblichen, wenn gleich durch auffallende Schönheit sich nicht auszeichnenden Wesens, Sie, die in Noth und Tod treue Freundin; wohl war sie den Ihrigen ein tröstender Cherub vom Himmel gesandt! der auf blutiger Bahn in seine Heimath ihnen nachfolgte, als er seine schwere Aufgabe auf Erden vollendet und den bittersten Kelch der Leiden bis auf die Hefen muthig mit ihnen geleert hatte.

Auf der großen Terrasse, dicht vor dem Schlosse, saß ein kleiner lächelnder Knabe in einem Kinderwägelchen, ein etwa achtjähriges schlankes, etwas bleiches Mädchen, hielt, neben ihm hergehend, ihn beim Händchen und sah mit ruhigen freundlichen Augen in die bunte regsame Welt hinein, die sie umgab. Der Knabe war das schuldloseste Osterlamm seiner Zeit, der Dauphin; die zierliche kleine Nymphe war seine Schwester, nachmals Herzogin von Angoulème, die unglückseligste ihres Geschlechts.

[357] Hochgebietend, blendend schön ging, die königlichen Kinder begleitend, Diana von Polignac; vielleicht war es nur ihr dem Volke schon damals verhaßter Anblick, das in ihr eine gefährliche Beratherin der Königin zu sehen meinte, was die zahllosen Spaziergänger im Garten abhielt, den kleinen Dauphin wie sonst jubelnd zu begrüßen.

Was könnte ich hier noch weiter hinzufügen?

Es wenden die Götter
Ihr segnendes Auge
Von ganzen Geschlechtern,
Und meiden im Enkel
Die eh’emals geliebten,
Still redenden Züge
Des Ahnherrn zu seh’n.