Jugendleben und Wanderbilder/Band 2 München vor sechsunddreißig Jahren

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aus: Jugendleben und Wanderbilder
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von: Johanna Schopenhauer
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München vor sechsunddreißig Jahren.


(Bruchstück aus meiner Mutter Tagebuch.)


Sowie wir Bayern erreichten, schien die Gegend angenehmer zu werden. Zwar ist das Land auch hier noch flach, aber besser angebauet als in dem Theile Schwabens, durch welchen unser Weg uns geführt, die Felder sind wieder häufig mit lebendigen Hecken eingefaßt, Bäume stehen wieder an den Landstraßen und die Kruzifixe und Heiligenbilder sind verschwunden. Wir kamen durch manches behaglich-ansehnliche Dorf und Städtchen, auch durch große, meist aus Nadelholz bestehende, sich weithinstreckende Waldungen. Gegen Abend waren wir in München.

Diese Residenz ist kleiner als Augsburg, aber hübscher, mit schönen breiten Straßen und vielen großen ansehnlichen Häusern geschmückt, die nicht so wunderbar grotesk-fromm decorirt sind, als jene, die von altfränkischem Ansehen und von oben bis unten mit bizarren geistlichen und weltlichen Bildern bemalt sind. Auch der Gasthof zum goldenen Hirsch [44] ist ungleich besser als der in Augsburg, so daß wir gern einige Tage verweilten.

Die Stadt hat etwas Freundliches und Heiteres; für ihre Größe ist sie sehr volkreich, man sieht fortwährend viele wohlgekleidete Menschen in den Straßen, besonders an Festtagen. Die Damen putzen sich wohl ein wenig zu auffallend um zu Fuß zu gehen, und wir vermißten hier die prächtige und elegante Simplicität der Pariserinnen. Indessen habe ich wenig wirklich lächerliche Figuren gesehen, und diese Wenigen erheitern das Ganze durch den Kontrast. Die bayerischen Mützen stehen allerliebst, sie werden von der wohlhabenden Klasse von Bürgerinnen sowohl wie von den Aermeren getragen, und bestehen aus einem ganz kleinen, hinten hoch aufgeschnittenen Mützchen von Gold- oder Silberstoff, stark mit Gold besetzt und haben eine große Schleife von schwerem goldenen Bande. Dies Käppchen wird sehr nach hinten gesetzt, ein dicker Chignon quillt darunter hervor, und wer auf Eleganz Anspruch macht, frisirt die Haare vorn in vielen kleinen Locken. Die Dienstmädchen pudern sie, und kämmen sie schlicht nach dem Hinterkopfe hin, was übel läßt. Auf die erste Weise habe ich sie von übrigens sehr zierlich und modern gekleideten Frauenzimmern tragen sehen und gefunden, [45] daß sie manchem hübschen Gesichtchen ein angenehmes Air von Naivetät geben.

Die Gegend um München hat nichts Ausgezeichnetes, sie ist sehr flach, aber gut angebaut. Hinter dem Schloß ist der Hofgarten, eine vielbesuchte Promenade; es ist ein weiter Platz voller Bäume und Ruhesitze, auf zwei Seiten umgiebt ihn ein bedeckter, auf Säulen ruhender Gang, der nach der Gartenseite offen ist. Ueber einem Theile desselben liegt die Gemäldegallerie. Die Sammlung ist sehr groß, in verschiedenen aneinanderstoßenden Sälen aufgestellt und noch nicht geordnet. Durch die neuen Acquisitionen des Kurfürsten, besonders durch die Manheimer Gallerie ist sie bedeutend vermehrt worden, und man ist jetzt damit beschäftigt, unter der großen Anzahl von dreitausend Gemälden eine Auswahl zu treffen und sie dann ordentlich zu rangiren. Zum Theil ist man sogar damit fertig, denn gleich am Eingange sind die ältesten Gemälde aus frühester Zeit bereits aufgestellt.

Es wird mir immer schwer, an diesen alten treuherzigen Bildern, die so anspruchlos und doch so wahr, so fleißig gearbeitet dahängen, vorüber zu gehen, ohne sie einige Augenblicke zu betrachten; und doch wird man immer von den eiligen Gallerie-Inspectoren [46] vorbeigetrieben. Nirgend als in Frankreich ist dem Kunstfreunde der echte Genuß seiner Lieblinge erlaubt. Dort geht man, den Katalog in der Hand, ungestört umher, verweilt wo und wie lange man will; hier aber und überall in Deutschland sucht der oft herzlich unwissende Führer seinen Thaler oder Ducaten nur so schnell als möglich zu verdienen, und damit Gott befohlen!

Ein großer Saal enthält viele schöne Arbeiten französischer Künstler, ein anderer ist mit den Werken deutscher, besonders bayerischer Maler angefüllt. Auch hier fiel mir manches sehr gute Bild auf, aber ich bin zu schnell durchgejagt worden, um etwas mehr als eine verworrene Erinnerung von dem, was ich sah, behalten zu haben. In den andern Sälen hängen die italienische und niederländische Schule durch einander; letztere nimmt unstreitig den größeren Platz ein, und es sind bedeutende Meisterwerke darunter, besonders Scenen des niedrigen Lebens, in welchen diese Niederländer so excelliren, daß ich bei ihrem Anblick Alles vergesse, was ich sonst über die eigentliche hohe Bestimmung der Kunst denke und fühle, und mit innigstem Wohlgefallen bei diesen unbegreiflich fleißig und wahr gearbeiteten Bildern verweile, die so ganz die Sache selbst sind, die sie vorstellen. [47] Eine Stube, wo die Sonne durch die oben geöffneten Fensterladen hineinscheint, und eine alte Frau beleuchtet, die mitten im Zimmer sitzt und ihren Morgensegen liest, von Peter de Hoog[WS 1], ist unbeschreiblich täuschend, eben so wie die alten Köpfe von Denner[WS 2], in seiner bekannten mühsamen Manier. Dann sind noch ein paar treffliche Landschaften von Claude Lorrain[WS 3], Berghem[WS 4] und vieles, vieles Andre hier, mit dem man sich billig Tage lang beschäftigen möchte und sollte. An Rubens[WS 5] fehlt es ebenfalls nicht, die Krone von seinen Werken ist hier, ein mir höchst widerwärtiger Bethlehemitischer Kindermord. Einige herrliche Portraits von Van Dyk[WS 6], ein paar allerliebste Stücke von Mieris, ein sehr schönes Blumenstück von Huysum[WS 7] – das wäre ungefähr Alles, was mir, aus der Menge auftauchend, noch deutlich vorschwebt.

Die italienische Schule ist weniger reich und enthält eine Menge gräßlicher Märtyrergeschichten. Ein allerliebster Amor, angeblich von Correggio[WS 8] in Oel auf Papier gemalt, ein liebliches Köpfchen von Carlo Dolce[WS 9] und einige Savoyarden-Buben von Morillo gefielen mir sehr. Uebrigens kam es mir vor, als ob hier viele Kopien mit untergelaufen wären, wie [48] es wohl überall, das Museum in Paris ausgenommen, der Fall sein mag.

An den Hofgarten stößt der englische Garten, der jedoch eigentlich schon außerhalb der Stadt liegt. Dieser große, hübsche und schattige Garten, im englischen Geschmack angelegt, wird sehr durch einen Fluß belebt, der durch ihn hinströmt; einige Partien des Gartens, besonders die am Wasser gelegenen, sind höchst lieblich. Von einem Chinesischen Thurm aus, der darin erbaut ist, hat man eine freundliche weit ausgebreitete Aussicht auf die Stadt und das Schloß Nympfenburg, auf die umliegende Gegend und die fern blauenden Gebirge Tyrols. Dieser Garten gehört dem Fürsten, er steht jedoch dem Publikum offen, und ist vor sechzehn Jahren von dem bekannten Grafen Rumford[WS 10] angelegt, der damals in Bayerschen Diensten stand. Mir gefiel ein Anschlagzettel am Eingange, in welchem der Fürst die Spaziergänger bittet, einander nicht durch ewiges Grüßen beschwerlich zu fallen; er selbst soll auch hier spazieren gehen, bloß von einem treuen Pudel begleitet.

Das Schloß ist groß, alt, und von außen gar nicht viel versprechend. Von Innen ist es indessen sehr prächtig, nur etwas altmodisch. Die Zimmer [49] der Kurfürstin sollen, wie man mich versicherte, modern und schön eingerichtet sein. Ich konnte sie aber nicht zu sehen bekommen, weil man darinnen einige Veränderungen mit den Tapeten vornahm; die Kurfürstin ist nämlich auf einer Reise nach Berlin begriffen.

Zuerst ward ich in die reiche Hofkapelle geführt. Sie wird nur einige Mal des Jahres zu einer stillen Messe gebraucht, welche dort, alten Vermächtnissen zufolge, gehalten werden muß. Alles glänzt hier von Gold, Silber und Edelsteinen aller Art. Prächtiger, geschmackloser, unnützer läßt sich kaum etwas denken, als diese kleine Kapelle; die Verzierung der Wände ist noch das Einzige, was wirklich Kunstwerth hat; sie sind von oben bis unten mit Mosaik belegt, ein paar Stücke darunter von Florentiner Arbeit sind der schönen täuschenden Perspektive wegen sehr bemerkenswerth. Der Altar ist, wie man sich leicht denken kann, mit prächtigem Geräthe, Monstranzen, Leuchtern, Alles strahlend von kostbaren Perlen und Steinen, überladen. Die höchste Pracht aber wird in vier oder fünf Schränken mit herrlich geschliffenen Scheiben von Krystall bewahrt; hier stehen unzählige Knochenüberreste, heilige Reliquien mit Diamanten, Perlen, Edelsteinen von allen [50] Farben, kurz mit allem Köstlichen, was es nur giebt, verziert und überdeckt, unter Anderm auch ein paar von den unschuldigen Kindern, die Herodes umbringen ließ. Ich freute mich heimlich auf die alten Legenden und Wundergeschichten, die ich zu hören hoffte, – damit aber war es nichts. »Wir erklären das nicht mehr,« sagte der Führer, auf meine neugierige Frage. Man ist überhaupt sehr viel freisinniger und aufgeklärter in München, wenigstens dem Aeußern nach, als ich vermuthet hatte; der Kurfürst[WS 11] ist ein geschworener Feind aller abergläubigen Alfanzereien, und treibt das Ding mit einem Eifer, den man ihm verdenkt. Aber was würde er ohne diesen ausrichten? Daß er die Klöster niederriß und schöne freie Plätze auf ihren Stätten anlegte, daß er einige Kirchen, deren Anzahl für die kleine Stadt München allzugroß war, zu andern Zwecken verwendete, daß er, um sein Volk von Kriegssteuern frei zu erhalten, die silbernen Kirchengeräthe in die Münze sandte, und ihre Stelle mit Argent haché ersetzte, wird ihm gewiß einst eine billigere und erleuchtetere Nachwelt danken. – Warum er aber nicht seine eigene Hofkapelle in die weite Welt schickte, begreife ich allerdings nicht.

Unter diesen Heiligthümern gefielen mir zwei [51] ziemlich große Reliquien-Schreine vor allen, die schönsten Perlen und Diamanten waren daran verschwendet, aber einen weit höhern Werth gaben ihnen in meinen Augen eine Menge der schönsten antiken geschnittenen Steine, mit denen sie aufs reichste verziert waren. Lächerlich war mir dennoch die Geburt der Venus, des Apollo und der Daphne, ja sogar Jupiters ganze scandalöse Geschichte auf diesem heiligen Behältnisse zu sehen.

In einem andern Schranke prangten mehrere päpstliche Kronen, die ein heiliger Vater, ich weiß nicht welchem Kurfürsten, einst geschenkt hatte; sie ruhen auf blausammetnen mit Perlen gestickten Kissen, Schnuren der herrlichsten und reinsten Perlen winden sich darum her. Eine rabenschwarze Madonna thronte einsam in einem Schranke; sie ist ebenfalls mit Kostbarkeiten überdeckt und eine getreue Kopie der heiligen Frau von Loretto. Man zeigte uns noch viele Reichthümer; da sie aber weder durch ihre Bedeutung noch durch Kunstwerth merkwürdig waren, entschwanden sie bald meinem Gedächtniß.

Wir stiegen von hier aus hinauf in die fürstlichen Staatszimmer. Man sieht es dem alten räucherigen Gebäude von außen nicht an, daß es so prächtige Zimmer enthält; freilich sah ich Weniges, das [52] ich zu eigenem Gebrauche hätte haben mögen, indessen nimmt sich das Ganze gut aus, es ist reich und einem großen Fürsten angemessen, wenn gleich nicht modern. Wir gingen durch eine Reihe schöner Gemächer; in einem derselben hing ein Kronleuchter, den ein Kurfürst aus Messing gedreht hat, in einem andern sah ich recht schön gestickte Sophas und Sessel, die Arbeit der Gemahlin Karls des Siebenten[WS 12], der zugleich Kaiser war. Auch eine Bildergallerie wurde uns gezeigt; sie ist brillant mit Spiegeln und Vergoldungen zwischen den Gemälden dekorirt, sie hat mehr das Ansehen eines Gesellschafts-Saales, als einer Gallerie, und dient auch wirklich an großen Hoftagen zum Spielzimmer. Die Gemälde, die sie enthält, sind nichts Außerordentliches. Eine heilige Cäcilia, ich weiß nicht von welchem italienischen Meister, war das Einzige, was ich von hier erwählt haben würde. Ein Kabinet mit Miniaturbildern interessirte mich; aber auch hier war keines, was ich gemalt zu haben mir wünschte; dieser Theil der Kunst ist wohl jetzt auf dem höchsten Gipfel, wenigstens scheint dies so, wenn man auf die Vergangenheit der Kunstleistungen in diesem Fache zurückblickt; fleißig waren die alten Meister, mühsam reiheten sie Punkt an Punkt, aber was sind diese kalten todten Bilderchen [53] gegen das warme Leben in Augustins, Isabey’s[WS 13], Demiani’s[WS 14], Janoschs und noch so vieler anderer neuerer Meister Werke? Mich freuete doch, daß wenigstens ein Zweig der Kunst jetzt in herrlicherer Blüthe steht.

Das Staatsschlafzimmer ward uns gezeigt. Das Bett steht, wie es in solchen Zimmern gewöhnlich ist, auf einer kleinen Erhöhung, die durch eine Balustrade vom übrigen Theil des Zimmers abgesondert ist, gleichsam wie in einem Alkoven. Die Tapeten dieses Alkovens, die Bettgardinen nebst der Bettdecke und ein paar Stühle sind von rother Seide mit Gold gestickt. Zweiunddreißig Menschen haben sieben Jahre daran genäht und etliche dreißig Centner Goldfaden hineingestickt; auch gleicht dies schöne Werk mehr einem vom Goldschmied gearbeiteten Beschlag als einer Stickerei; ich begreife nicht mit was für Nadeln das genäht ist. Die Gardinen sind so schwer, daß ich sie gar nicht bewegen konnte, und den möchte ich sehen, der im Stande wäre, unter dieser Decke zu schlafen. Nachdem wir diese schwerfällige Pracht genugsam bewundert hatten, gingen wir in den älteren Theil des Schlosses, den jene fleißige Kaiserin einst bewohnte.

Diese Zimmer sind weit altmodischer als die andern, aber für mich waren sie interessanter. In zwei [54] derselben fand ich recht schöne Hautelisse-Tapeten, die hier in Bayern gemacht sind, aber freilich unter der Anleitung eines Franzosen, die im zweiten Zimmer waren sehr brillant und vor einigen zwanzig Jahren gewirkt. Ein anderer Saal war mit schöner Florentiner Mosaik, wie die Hofkapelle, dekorirt. In einem dritten hingen lauter Portraits von Kindern aus dem Bayerischen Hause; es waren allerliebste Köpfchen darunter, freilich größtentheils von schwerem Fürstenschmuck niedergedrückt, der diesem zarten Alter so wenig angemessen ist; aber die ganze Idee gefiel mir, gewiß war es eine Mutter, die zuerst den Anfang dieser lieblichen Sammlung machte.

Nachmittags fuhren wir nach Nymphenburg, dem Lustschlosse, das der Kurfürst gewöhnlich während des Sommers bewohnt; es liegt eine halbe Meile von München, eine hübsche Allee längs dem Ufer eines Kanals führt dahin. Das Schloß selbst ist nicht groß, doch nimmt es sich mit seinen vielen Nebengebäuden recht stattlich aus; alle diese, Ställe, Wirthschaftshäuser etc., bilden ein Ganzes, das gegen die Straße zu in einem großen Halbkreise einen hübschen freien Platz umschließt, in dessen Mitte ein siebenzig Fuß hoher Springbrunnen sich erhebt; gegenüber liegt die Porzellainfabrik. Der Garten ist ganz [55] flach; indessen hat er doch hübsche Partien, die der Kanal, auf welchem eine Menge Schwäne ihr Wesen trieben, sehr belebt; schöne Alleen und ein großes Blumenparterre vor dem Schlosse mit Marmorstatuen und Vasen; Alles dies giebt ein großartiges und wirklich fürstliches Ansehen; weiter vom Schlosse ab gleicht er fast mehr einem Park als einem Garten. Ueberhaupt hält die Anlage des Ganzen die Mitte zwischen dem französischen und englischen Geschmack. Es werden aber noch mehrere Springbrunnen angelegt. Zwei Kaskaden sind sehr unbedeutend, doch nicht ohne Reiz. Vier ziemlich große Gebäude befinden sich hier im Bezirk des Gartens. Das erste derselben ist eine Art Eremitage, in welcher der Kurfürst Max Emanuel[WS 15] seine letzten Jahre in steter Bußübung zubrachte. Die Entree bildet eine Kapelle aus lauter Muscheln und Seegewächsen, wie eine sogenannte Grotte zusammengesetzt, einige der großen Muscheln sind bewundernswürdig schön; besonders merkwürdig sind noch auf dem Altar ein Paar große Leuchter, aus dem Horn eines Wallrosses gedreht, und ein Kruzifix von Korallen.

Die Zimmer, die der Kurfürst bewohnte, sind sehr einfach, aber eine herrliche Magdalene von M. A. Caravaggio[WS 16] gab ihnen einen für mich unnennbar [56] hohen Reiz; Anmuthigeres läßt sich nichts denken als diese fast nackte Gestalt: das holde Gesicht erräth man kaum, das weit herabwallende Haar, und die Hand, in welcher das herrliche Köpfchen ruht, verdecken es fast ganz. Es ist die Krone aller Gemälde, die der Kurfürst besitzt.

Unter manchem alterthümlichen Hausgeräth fielen mir einige sehr große Schüsseln auf, dem Ansehen nach von Glas, sie gaben einen prächtigen Ton an, wenn man darauf schlug. Sie sollen von geschmolzenem Bergkrystall sein, und zwar war es ein alter Neapolitaner, der diese jetzt verlorne Kunst besaß; er nahm sie mit ins Grab, denn er wollte sie keinem seiner Söhne, deren er fünf besaß, entdecken, weil er mit ihnen allen unzufrieden war. Der fürstliche Kapellmeister hat einmal ein höchst originelles Konzert auf diesen Schüsseln und Tellern gespielt.

Ein anderer Garten-Pavillon, die Pagodenburg, ist ziemlich unbedeutend. Dasselbe gilt vom Badehaus, das, keineswegs im Geschmack der prächtigen Bäder von St. Cloud oder Hessen-Cassel, sehr veraltet erscheint, und auch nicht mehr gebraucht wird. Die Badewanne ist eigentlich ein ziemlich großer Salon, in dem man gar wohl ertrinken könnte, wenn er voll Wasser ist. Die alten Kurfürsten müssen [57] sehr gesellschaftlich gesinnt gewesen sein, sonst begreife ich nicht, wozu dies große Lokal angelegt worden ist.

Der vierte Pavillon ist ein hübsches Lustschlößchen; es heißt die Amalienburg, und ist sehr elegant im ältern französischen Styl und Geschmack Ludwigs XV.[WS 17] möblirt, indessen hat hier Alles ein frisches heitres Ansehen. Besonders schön sind zwei Säle, der eine gelb, der andere hellgrau mit Silber dekorirt. In einem Nebenzimmer hängen viele Abbildungen von hier gehaltenen Caroussels, Falkenjagden, Hirschstechen und dergleichen. Die Fürsten haben in unsern Tagen Lust und Geschmack an diesen glänzenden Festen verloren, an welchen denn am Ende das Volk doch auch seinen Theil dahinnahm, und sich wahrscheinlich eben so sehr, vielleicht sogar mehr dabei freuete, als die Hauptperson selbst. Jetzt suchen die Fürsten stillere Freuden, die sie mehr dem glücklicheren bürgerlichen Leben nähern sollen; an Lebensgenuß gewinnen sie dabei, aber wohl nicht an Popularität. Mir aber däucht, ein Fürst muß es sich schon von Amtswegen eigentlich gefallen lassen, ein wenig zu repräsentiren, und dann ist es auch wohl billig, daß der, welcher bezahlt, und das ist doch immer das Volk, auch seinen Theil am Genuß [58] habe, und den bekam es ehemals durch das Geld, welches ein so prächtiger Hofstaat unter der arbeitenden Menge in Umlauf brachte und auch durch die Freude am Anblick so vieler Herrlichkeiten.

Von Nymphenburg fuhren wir nach dem ganz nahe liegenden Hirschgarten; im Vorbeigehen legten wir noch einen Besuch ab bei den kleinen niedlichen Pferden, die der König von Schweden dem Kurfürsten geschenkt hat. Im Hirschgarten fanden wir viele Leute aus dem Mittelstande, die wie wir dort im Gasthofe Erfrischungen nahmen und sich des herrlichen Abends erfreuten. Ehemals gab es hier sehr viel Wild, jetzt sind kaum noch zwanzig sehr zahme Hirsche und Rehe hier, die ganz furchtlos um uns her spielten. Den andern Tag hatte ich noch die Schatzkammer zu besuchen, um doch Alles in München gesehen zu haben, was man für merkwürdig dort hält. Das grüne Gewölbe in Dresden ist freilich unendlich bedeutender, doch sind auch hier viele Kostbarkeiten aufgehäuft. Sehr große Brillanten, besonders einer von sechsunddreißig Karat, wenn ich nicht irre, herrliche Perlen. Eine der Schnuren darunter war von außergewöhnlicher Größe, aber von schlechtem Glanz, besteht aus in Bayern gefischten Strom-Perlen. Außerdem viele Ordensketten, Kronen, [59] Trinkgeschirre von Elfenbein, Krystall, geschnittener Steinen – kurz viel glänzendes Spielwerk für große Kinder.

In der Mitte steht eine sehr getreue Abbildung der Trajanischen Säule zu Rom; sie ist ungefähr fünf Fuß hoch. Die ganze innere Einrichtung, die Treppe, die von innen hinaufführt, die Fenster, Alles ist auf das genaueste nachgebildet, die schönen Basreliefs, die einen Triumph Trajans vorstellen, winden sich rund umher, wie ein Band, von oben bis unten. Die Figuren, deren Winckelmann[WS 18] sechstausend zählt, jede in einer andern Stellung und Form, sind von vergoldetem Metall, der Grund Lazur. Es ist ein ungeheures Stück Arbeit, und zum Verwundern genau und schön vollendet. – Es ward in Rom von einem deutschen Künstler, unter Anleitung eines Franzosen gefertigt, und stand lange zum Verkauf, bis der Kurfürst es kaufte. Mir ist auf Reisen kein zweites Kunstwerk dieser Art vorgekommen.

In München ist ein recht hübsches Hoftheater, schade, daß es nicht größer ist; es hat zwar vier Reihen Logen, aber alle sind von der Noblesse und dem, was ihr sich anschließt, abonnementsweise besetzt. Wer sich nicht abonnirt, oder fremd ist, wird dadurch genöthigt, ins Parkett zu gehen, und das ist [60] keine ganz angenehme Partie. Ich habe indessen doch zwei Abend dort ganz gerne zugebracht. Das Abonnement und überhaupt das ganze Schauspiel ist überaus wohlfeil, sonst würde es nicht so stark besucht werden. Das Orchester ist sehr gut, die Truppe ebenfalls; wenn gleich vielleicht kein einziger ganz ausgezeichneter Schauspieler darunter ist, ist doch das Ensemble sehr gut komponirt, aber das Ballet ist erbärmlich.

Auch einige der schönsten Kirchen habe ich besucht. Die Theatiner-Kirche ist die größte; es ward eben Hochamt gehalten; eine herrliche reiche Musik rauschte feierlich durch das hohe Gewölbe. Die knieende Menge, die feierlichen Kerzen, der Weihrauchduft, die geputzten Altäre einten ihre Gewalt den hinreißenden schwellenden Tönen; Alles dies muß auch den Kältesten zur Andacht stimmen, und ich begreife gar wohl, wie man in katholischen Ländern so viel aufs Kirchengehen hält; unsre erhabensten Empfindungen berühren ja fast immer unsre irdische Sinnlichkeit, und es ist uns natürlich zu sehen oder zu sehen wähnen, wo wir lieben und vertrauen sollen.

Von der Theatiner-Kirche aus ging ich in die Marien-Kirche; die Messe war beendet und nur einsame [61] Beter lagen noch hier und da auf den Knien – leise schlich ich zwischen den Säulen hin, um sie nicht zu stören. Die Kirche scheint sehr alt, und hat etwas schauerlich Düstres. Unter der großen Menge von Altären, die alle mit zum Theil sehr vorzüglichen Gemälden geschmückt sind, bemerkte ich eines von Mich. A. Caravaggio: die Anbetung der Könige.

Die Jesuiten-Kirche ist wegen ihres Gewölbes merkwürdig; ohne auf Säulen zu ruhen, wölbt es sich wie der Himmel über die große Steinmasse hin. Diese Kirche ist übrigens die einfachste von allen, ich bemerkte an einem ihrer Altäre einen sehr schönen Christuskopf, von einem bayerischen Künstler.




In der Hoffnung, im Verlauf von wenigen Tagen die große Kaiserstadt zu erreichen, die zu sehen von jeher einer meiner Lieblingswünsche gewesen war, hatten wir München verlassen; aber man fährt eben nicht, wenn man will, in Wien ein, wie etwa in London oder Paris.

Die Gegend wurde einige Meilen hinter München sehr angenehm; hätten Erinnerungen an die vor Kurzem verlassene Schweiz uns nicht noch zu deutlich [62] vorgeschwebt, so wäre sie uns vielleicht entzückend schön vorgekommen. Fröhlichen Sinnes rollten wir auf wohlgebahnten Wegen über Berg und Thal, zwischen Wald, Wiesen und Getreidefeldern hin, mußten, weil wir etwas spät von München ausgefahren waren, in Ampfing unser Nachtquartier nehmen, und erreichten am folgenden Tage Braunau, die erste östreichische Grenzstadt, an deren Wällen die hier sehr breite Salza, welche die Grenzscheide zwischen Bayern und Oestreich bildet, reißend schnell vorüberströmt.

Die Sonne stand noch ziemlich hoch, der Tag war drückend schwül gewesen, wir hofften in der erquickenden Abendkühle noch ein paar Stationen zurücklegen zu können, und es war uns daher keineswegs angenehm, als der Postillon vor dem Mauthhause anfuhr; wir waren indessen überzeugt, keine Contrebande bei uns zu führen, und trösteten uns über den nicht zu vermeidenden Aufenthalt mit der Hoffnung, vermittelst einiger Gulden die Herren Zöllner zur schnellen Verwaltung ihres angenehmen Geschäfts bewegen zu können und ohne gar zu großen Zeitverlust wieder aus ihren Händen zu entkommen.

Zu allererst wurde unser Reisepaß von uns gefordert; [63] seit geraumer Zeit hatte, außer den Herren von Bern, keine lebende Seele sich um denselben bekümmert, wir selbst hatten seiner nicht wieder uns erinnert. Doch glücklicherweise fand er sich zur Hand, wir reichten ihn hin, und vernahmen gleich darauf, zu unserm nicht geringen Schrecken, daß der Paß ungültig sei, und wir mit demselben keinen Zoll breit weiter in die östreichischen Lande hineinfahren dürften.

Unser in bester Form von dem Senat in Hamburg ausgefertigter Paß, der in Holland, in der Schweiz, in aller deutschen Fürsten Ländern, deren Grenzen wir berührt hatten, respektirt worden war; der selbst in dem damals mit einander im Kriege begriffenen Frankreich und England für hinlänglich erkannt wurde, uns einen von der dortigen Regierung unterschriebenen Paß zu verschaffen, der sollte hier, mitten im Frieden, in dem Lande des Kaisers, unter dessen Schutz die freie Reichstadt Hamburg damals noch stand, für ungültig erklärt werden? Es war unmöglich, wir konnten und wollten es nicht glauben.

All unser Widerstreben war indessen vergeblich. »Wir hätten in München, oder bei irgend einer andern östreichischen Gesandtschaft unsern Paß unterschreiben [64] lassen sollen,« hieß es. Vergebens schützten wir unsre Unbekanntschaft mit dieser Verordnung vor, uns wurde nur die traurige Alternative gelassen, entweder sogleich wieder dahin zu fahren, woher wir gekommen, oder eine Estafette[WS 19] nach Wien abzuschicken, um uns die Erlaubniß, die kaiserlichen Lande betreten zu dürfen, zu verschaffen; die Rückkehr derselben mußte indessen in Braunau geduldig abgewartet werden; das war freilich eine sehr harte Aufgabe. Ich meinte, ein Reisepaß sei doch eigentlich nur ein Beglaubigungsschein, daß der, so ihn führt, kein Deserteur, kein dem Gefängniß entsprungener Verbrecher, überhaupt keine verdächtige Personage sei, welche der öffentlichen Sicherheit gefährlich werden könne, und die in einen wohlpolizirten Staat einzulassen, man billig Bedenken tragen müsse. Es war mir unmöglich zu begreifen, wie ein wildfremder Gesandter, der in seinem Leben noch nichts von uns gehört noch gesehen, dies besser von uns bezeugen könne, als der Magistrat der Stadt, in welcher wir ansässig waren.

Doch Alles dies half uns nichts, wir mußten unsern Verstand gefangen geben, und unsern Reisewagen dazu, der sogleich von der Polizei in Beschlag genommen wurde, auf den Fall, daß es uns [65] vielleicht einfallen könne, bei Nacht und Nebel auf und davon zu fahren.

Halb Braunau hatte während dieser Verhandlungen sich indessen auf der Straße um uns versammelt, und staunte halb furchtsam, halb neugierig bald uns, bald unsern englischen Reisewagen an. Eine Gruppe Kannegießer schüttelte gar bedenklich die Köpfe, und mochte Spione, Hochverräther und Gott weiß was sonst noch für gefährliche Leute in uns wittern. Wir überlegten indessen in aller Geschwindigkeit: ob wir nicht, ohne allzuviel dabei zu verlieren, mit London, Edinburg, Paris, Amsterdam und allem Großen und Bedeutenden, was wir ohne so viele Weitläufigkeiten gesehen, uns begnügen und Wien aufgeben sollten? Unsre Briefe von Hause erwarteten uns indessen in Wien; auch war mein Wunsch, die große, und weil es so schwer war zu ihr zu gelangen, gewiß höchst wundervolle Kaiserstadt mit meinen leiblichen Augen zu erblicken, durch alle Schwierigkeiten, die uns dabei entgegentraten, eher gesteigert als unterdrückt. Und so beschlossen wir denn, uns in das Unabänderliche, so gut es gehen wollte, zu fügen. Der erste Stock des besten Gasthofes, der bei alledem schlecht genug war, wurde von uns in Besitz genommen, und die Stafette nach [66] Wien augenblicklich abgefertigt, deren Rückkunft wir in höchstens drei bis vier Tagen entgegen sehen zu können glaubten.

Nun aber begann eine tragikomische Scene, deren getreues Abbild, so oft ich Kotzebue’s[WS 20] Lustspiel: »der Landjunker in der Residenz« vorstellen gesehen, mich durch die Erinnerung an Braunau recht sehr belustigt hat, die mir aber damals, als ich sie an mir selbst erleben mußte, gar nicht amüsant schien. Die Mauth fiel mit recht pflichtmäßigem Eifer über unsern Wagen her, sie betrieb ihr Werk wirklich con amore, denn sie konnte sich nach Belieben Zeit dazu nehmen, und nie ist wohl ein Wagen so unbarmherzig durchsucht worden, als damals der unsre; alle Koffer wurden bis auf den Grund durchwühlt, auch nicht das kleinste Täschchen blieb verschont.

Ein Dutzend Cigarren und ein Röllchen Kanaster wurden gleich in Beschlag genommen; diese in östreichischen Landen verdampfen zu lassen, hätte Kaiser und Reich in zu großen Schaden gebracht; da man sich aber erinnerte, daß jedem Reisenden erlaubt ist, für seinen eignen Gebrauch ein halbes Pfund Taback einzuführen, so gab man unserm Bedienten seinen mitgebrachten Vorrath zurück, der freilich weder aus Havannah-Cigarren, noch aus echtem Kanaster bestand.

[67] Unsre Bücher erregten ebenfalls großes Bedenken, nur als man bemerkte, daß sie größtentheils aus englischen und französischen bestanden, entschloß man sich, sie passiren zu lassen. Mit dem wälschen Zeuge wußte die Mauth nichts anzufangen, aber ein unbedeutender deutscher Roman, den ich in Augsburg gekauft, wurde als neu ohne Erbarmen konfiszirt. Ein schöner Dollond, den wir vor mehr als Jahr und Tag in London gekauft, sollte das gleiche Schicksal haben, und nur die sehr ernste Drohung, daß wir nicht ermangeln würden, uns in Wien bei der höchsten Behörde über ein so widerrechtliches Verfahren zu beklagen, erhielt ihn in unserm Besitz.

Meine aus Paris mitgebrachten elfenbeinernen Täfelchen, meine Pinsel, meine Paletten, meine pariser Miniaturfarben, und noch hundert ähnliche Kleinigkeiten, mußten wir auf gleiche Weise der habsüchtigen und schadenfrohen Mauth abkämpfen. Die ärgerliche Inquisition unter den Augen der rings umher versammelten zahlreichen Zuschauer währte mehrere Stunden lang; daß sie uns eben nicht in den heitersten Humor versetzte, wird Jeder verzeihlich finden, auch daß wir recht bedauerten, die Estafette nach Wien schon abgeschickt zu haben, denn in [68] diesen Stunden des gerechten Unmuths hätten wir sehr gern den Rückweg wieder angetreten.

Böse Stunden vergehen indessen auch so wie die guten. Am folgenden Morgen erschien uns Alles in einem weit erträglicheren Lichte. Wir fingen an, uns für die Paar Tage so gut als möglich einzurichten, die wir höchstens in diesem kleinen Städtchen verweilen zu müssen gedachten. Bücher, Schreibzeug, allerlei kleine Arbeiten wurden vorgenommen, die uns helfen sollten, die langen Stunden zu beflügeln. Schon gestern beim Einfahren hatten wir die anmuthige Lage von Braunau bewundert; die Ufer des Stroms bieten die herrlichsten Aussichten auf waldbewachsene Berge, wohlgebaute Klöster, Ortschaften und einzelne Gebäude, und am fernen Horizont ziehen die Tyroler Gebirge in majestätischer Schönheit sich hin. Nur an Schatten fehlt es dem Lustwandelnden, die Gegend ist im Ganzen baumarm; selbst an Obstbäumen scheint es zu mangeln, und die Landstraßen sind nicht, wie in Frankreich oder in der Schweiz, mit weitschattenden Bäumen besetzt.

Der sehr schwüle Tag war uns in selbstgewählter Beschäftigung ganz leidlich vergangen, gegen Abend wollten wir der erfrischenden Kühle in der lieblichen Gegend uns erfreuen, wurden aber am [69] Thore angehalten und um unsern Paß befragt; da wir diesen nicht vorzeigen konnten, weil er auf dem Wege nach Wien war, wo wir selbst so gern gewesen wären, mußten wir uns vom Thorschreiber wieder zum Polizeikommissair führen lassen. Das Examen fing von Neuem an: wer seidn’s? woher? wie alt? Der gute Mann hatte uns gestern eine ganze Stunde lang ausgefragt, und that jetzt so wild fremd, als habe er uns nie gesehen. Unerachtet unsers innern Verdrusses konnten wir doch nicht unterlassen, ihm gerade in das Gesicht zu lachen, indem wir ihn versicherten, daß er das Alles ja eben so gut wisse, als wir selbst. Dieses schien ihn einigermaßen zur Besinnung zu bringen, er wurde merklich höflicher, und war endlich so geneigt, uns eine Karte zu geben, die uns die Erlaubniß verschaffte, nach Belieben aus den Thoren der Stadt zu gehen; die ich aber wenig benutzt habe. Das Delinquentenmäßige unserer Lage wurde mir unerträglich, die Leute in der Stadt sahen uns fast wie Gefangene an und stürzten an Fenster und Thüren, wenn wir uns auf der Straße blicken ließen. Ich sperrte mich also lieber freiwillig in meinem Zimmer ein, suchte meinen kleinen Malerapparat hervor, fing mit gewaltigem Eifer an, ein Miniaturgemälde zu malen, [70] und die vor einigen Monaten bei Augustin in Paris gelernten Künste zu üben, und vergaß darüber glücklich Alles, was mich hätte zum Unmuth aufreizen können.

Die Tage vergingen, der zweite, der dritte, der vierte, endlich auch der fünfte, wir fingen ungeduldig an, die Stunden zu zählen, keine Staffette ließ sich blicken; bei der nicht gar großen Entfernung von Wien war dieses Ausbleiben unbegreiflich.

Endlich, am siebenten Tage langte früh Morgens die Staffette an, und zwar zu Fuß, in Gestalt eines alten Weibes. Jetzt war das lange Verweilen derselben uns erklärbar. Gäste unserer Art, die so lange in Braunau blieben, waren dem Postmeister, der zugleich Gastwirth war, eine Seltenheit, von der er sich nicht zu bald zu trennen wünschte; unsre Staffette, obgleich wir sie sehr staffettenmäßig bezahlen mußten, war daher vermuthlich in Fußboten umgewandelt worden, wir aber waren zu froh über die endlich wieder erhaltene Freiheit, um dies zu rügen. Die nothwendigsten Besuche bei Polizei und Mauth wurden abgelegt, glücklich wie Kinder stiegen wir in unsern freigegebenen Wagen, noch eh’ der Postillon mit Anspannen fertig war, und rollten [71] endlich wie auf Windesflügeln aus dem verhaßten Thore hinaus.

Unser Weg führte uns durch ein höchst anmuthiges von schönen Hügeln unterbrochenes Land. Prächtige, auf den Fruchtfeldern recht malerisch vertheilte Baumgruppen gaben ihm die größte Aehnlichkeit mit den großen englischen Parks; das fröhliche Leben der Heuernte umwogte uns von allen Seiten, die herrlichsten Aussichten boten sich, wenn wir die grünen waldbewachsenen Hügel hinunterrollten, und wir, des leidigen Zwanges endlich frei, waren in der rechten Stimmung, um das Alles mit heiterem Gemüthe aufzufassen und zu empfinden.

Unser kleiner Vorrath von Geduld war indessen in Braunau rein aufgezehrt, die Sehnsucht, die große Kaiserstadt, um die wir so Vieles ertragen, endlich zu erblicken, trieb uns, unerachtet der schönen Gegenden, die dadurch uns verloren gingen, die Nacht durchzufahren, und ich mußte diese Abweichung von der gewohnten Regel mit der fürchterlichsten Migräne bezahlen, die ich jemals empfunden. Die in seltener Pracht und Herrlichkeit aufgehende Sonne fand mich in einem mitleidenswürdigen Zustande. Ich weiß nur, daß beim Durchfahren die Stadt Linz, wo wir, und nachher in noch ein paar andern kleinen [72] Städten, der Polizei unsern Paß vorzeigen mußten, mir groß und wohlgebaut vorkam.

Meine Reisegefährten waren von der Schönheit des Landes entzückt, sahen bald die Donau, bald prächtige Klöster am Ufer derselben, bald hohe Berge, ich konnte nichts sehen, ich fühlte nichts, als den stechenden Schmerz, der in meinen Schläfen wühlte. So sind alle, auch die reinsten Freuden des Lebens, nur durch die Art bedingt, wie das Blut in unsern Adern kreis’t.

In Mölk, wo wir Abends anlangten, um dort zu übernachten, legten sich meine Schmerzen. Die Gasthöfe hier, wie im ganzen Lande, sind höchstens nur erträglich zu nennen, aber immer noch besser und reinlicher als im südlichen Frankreich; die Küche ausgenommen, die in ganz Oestreich ein ewiges fades Einerlei ist.

Am folgenden Tage erreichten wir endlich Wien, das Ziel unsrer Wünsche. Es war als hätte selbst der Himmel sich mit der Polizei verbunden, um uns den Eingang in die Kaiserstadt zu verwehren, denn auf der vorletzten Station vor derselben überfiel uns das fürchterlichste Hagelwetter, das ich jemals erlebt habe. Die Schlossen fielen so groß und mit solcher Gewalt, daß die Pferde abgespannt und unter einen [73] großen Baume mitten im Felde in einigen Schutz gebracht werden mußten; dazu donnerte und blitzte es unaufhörlich. Aus Furcht, erschlagen zu werden, kroch unser Postillon unter unsern Wagen, unsern Bedienten nahmen wir in denselben hinein, und saßen nun mit geschlossenen Jalousien, denn die Fenster wären gewiß zertrümmert worden, in steter Erwartung, daß der Wagen von den faustgroßen Schlossen zerschmettert werden würde.

Doch auch dieses Unwetter ging vorüber, wie Alles in der Welt. Bis eine Meile vor Wien fuhren wir nun durch einen großen schönen Wald. Paris kündet sich dem ankommenden Reisenden bei weitem nicht so grandios an, als Wien. Dort ist Alles öde, bis dicht vor der Stadt, hier kamen wir durch mehrere ansehnliche Dörfer, in welchen wir große schöne Landhäuser erblickten, dann bei Schönbrunn, dem kaiserlichen Lustschloß, vorüber; endlich bei tiefer Dämmerung an die Linie, so wird die erste Barriere der Vorstadt genannt.

Da hielten wir denn nun wieder vor der gefürchteten Mauth, aber sie war hier viel traktabler als in Braunau, und ließ, auf Vorzeigung eines dort erhaltenen Passirzettels, uns ungehindert fahren wohin wir wollten.

[74] Ein Quartier in einem Privathause am Kohlenmarkt, einer der lebhaftesten Straßen der Stadt, war für uns bestellt worden, doch dieses in der jetzt eingetretenen Finsterniß aufzufinden war nicht leicht, denn in Wien wie in Krähwinkel werden keine Laternen angezündet, sobald Mondschein im Kalender steht.




Einige Wochen später.


So war denn nun mein Aufenthalt in der großen Kaiserstadt vorüber, auf den ich so lange mich gefreut, dem ich mit so gespannter Erwartung, jedes mir dabei entgegentretende Hinderniß überwindend, entgegenging, und ich überlegte jetzt mit mir selbst, ob ich wirklich Alles so gefunden, wie ich es mir gedacht, ob alle meine Erwartungen erfüllt worden wären.

Um ganz ehrlich zu sein, muß ich bekennen, daß dieses nicht immer der Fall gewesen war. Manches aber habe ich auch gefunden, wie ich es mir gedacht, und zuweilen mehr als ich erwartete. Nie sollte man, wie ich gethan, Wien besuchen, nachdem man kurz vorher London und Paris oder auch nur Amsterdam gesehen. [75] Vergleiche anzustellen ist verboten, und doch ist es unendlich schwer, sie ganz zu unterlassen; unwillkürlich legt man den mitgebrachten Maßstab an, und ist es unsre Schuld, wenn wir ihn dann von allen Seiten zu groß finden.

Das große viel gepriesene Wien kam mir wirklich klein vor, und die eigentliche Stadt ist es auch in der That. Wir mochten fahren wie wir wollten, ehe wir es vermutheten waren wir zum Thore hinaus; auch kann, selbst nach dem Ausspruche der Wiener, ein mäßiger Fußgänger die ganze eigentliche Stadt in Zeit von einer Stunde umgehen. Die Straßen sind meistens nicht breit, aber ganz vortrefflich gepflastert, mit Trottoirs versehen, die aber wegen der Enge des Raumes sehr oft von den Wagen überschritten werden. Die Vorstädte aber sind wirklich groß, und müssen es auch sein, wo sollten sonst die dreimalhunderttausend Einwohner, die in Wien leben, gehörigen Raum finden?

In den Vorstädten sind die Straßen sehr breit, aber leider ungepflastert, nur mit einer Chaussee versehen, bei Regenwetter, das hier weniger selten ist als irgendwo, werden sie leicht fast ungangbar, und ein Tag Sonnenschein bringt dann wieder den feinsten, Brust und Athem beklemmenden Staub hervor, [76] den man sich denken kann. Auch in Hinsicht der brillanten Eleganz der Läden bleibt Wien weit hinter Paris und London zurück, nur die Läden der Goldarbeiter zeichnen in dieser Hinsicht sich einigermaßen aus, ihre Arbeiten sind meistens vortrefflich, und nach Verhältniß wohlfeil zu nennen. In Wien ist überhaupt nichts eigentlich theuer, ausgenommen fremde Weine, Kaffee und ähnliche Luxusartikel, auf welchen ein schwerer Zoll liegt. Die Handwerker arbeiten zu sehr billigen Preisen, und sind im Durchschnitt freundliche ehrliche Leute, die auch den Fremden nicht leicht übertheuern.

Auch die Donau erfüllte in der Nähe von Wien nicht meine Erwartung, statt des breiten majestätischen Stromes, den ich zu sehen hoffte, fand ich nur einen schmalen halb ausgetrockneten Fluß, so erscheint die Donau wenigstens der flachen seichten Ufer wegen, obgleich sie in der Nähe derselben an einigen Stellen fast unergründlich tief sein soll. Sie theilt in der Nähe von Wien sich in mehrere Arme, und erhält dadurch diesen ärmlichen Anschein; eine Stunde von Wien aber, bei dem artigen Dörfchen Nusdorf, wo sie ganz ungetheilt beisammen ist, gewinnt sie freilich ein anderes Ansehen. Dort bildet sie einen recht schönen breiten Strom. Die Aussicht von der [77] Brücke daselbst ist eine der interessantesten, besonders weil einer der in die Donau fallenden Arme derselben eine Art Strudel hier bildet. Aber die von mächtigen Seeschiffen durchwogte Elbe bei Hamburg ist sie doch nicht, leer und todt ist hier die breite silberne Fläche, nur durch einzelne Nachen und kleine Marktschiffe belebt.

Mit den Theatern ging es mir wie mit der Donau, sie erfüllten meine Erwartungen nicht, freilich aber sah ich sie im Sommer, in der ihnen ungünstigsten Jahreszeit. Aber ich fand auch ihre innere Einrichtung der berühmten Kaiserstadt nicht angemessen, und keine Spur der heitern Eleganz und Pracht, an die ich in Paris und London mich gewöhnt hatte. Die Logen und Sperrsitze sind unbequem, das Haus selbst so schlecht erleuchtet, daß man die Zuschauer kaum gewahr wird. Kein Wagen darf vorfahren, ehe die Herrschaft, der er angehört, ihre Loge verlassen hat, wie das denn auch recht und billig ist; aber die Halle, in der sie in einem unerträglichem Gedränge, unter groben Bedienten und Zuschauern aller Art ihn erwarten müssen, ist so schmutzig, so eng und klein, so sehr dem Zugwinde und dem durch die offne Thür hereinströmenden Regen ausgesetzt, wie sie nur immer in der Bretterbude [78] des kleinsten Landstädtchens es sein kann. Ich dachte dabei mit einem stillen Seufzer an die zu gleichem Zweck bestimmten, eleganten Säle in London und Paris, und an die Säulengänge vor dem Hause, unter welchen die Bedienten die Wagen ihrer Herrschaft erwarten, und an die pariser Savoyarden, und die londoner Cryers, die jeden verlangten Wagen augenblicklich herbeischaffen.

Was meine Erwartung von Wien ganz erfüllte, sind in der eigentlichen Stadt die großen schönen, wenn gleich nicht immer ganz modernen Häuser der wohlhabenden Bürger; weniger, in Hinsicht auf architektonische Größe und Schönheit, die Paläste der Großen, die freilich jetzt im Sommer unbewohnt stehen. Die nicht großen aber heitern, meistens von schönen Gebäuden umgebenen Plätze, mit ihren vielen reich verzierten Springbrunnen, erinnern lebhaft an den Süden. Groß und herrlich ist die ehrwürdige, mit gothischen Bildwerken über und über verzierte Stephanskirche mit ihrem hohen prächtigen Thurme, das Bibliothekgebäude, die vielen schönen Kirchen und andere öffentliche Gebäude, die wahrlich einer Kaiserstadt nicht unwürdig sind. Die Vorstädte sind in dieser Hinsicht mit der eigentlichen Stadt nicht zu vergleichen, sie sind viel später entstanden [79] als diese. Einige schöne Landhäuser der reichen Wiener und die beiden in der Vorstadt belegenen Theater ausgenommen, trifft man in ihnen meistens nur kleinere Häuser an, die größtentheils von Krämern, Handwerkern, überhaupt von den arbeitenden Ständen bewohnt werden.

Auf das erfreulichste überraschte mich der Reichthum an Kunstwerken, besonders Gemälden, den Wien in seinen Mauern aufbewahrt. Keine Stadt außerhalb Italiens, nicht London und Paris, kann in dieser Hinsicht mit dieser sich messen. Alle diese großen und reichen Sammlungen, außer der, alle übrigen übertreffenden kaiserlichen in Belvedere, gehören den edelsten und reichsten Familien des Reichs an, und werden dem Kunstfreunde, wie dem praktischen Künstler, mit einer Liberalität geöffnet, zu welcher der Kaiser selbst das lobenswürdigste Beispiel giebt.

Die Vorliebe der Wiener für Tonkunst ist weltbekannt, sie ist dem heitern lebenslustigen Völkchen so natürlich, wie das Athemholen. Auf Straßen und Promenaden, in Gasthöfen und Kaffeehäusern, in allen gesellschaftlichen Zusammenkünften wird gedudelt, geklimpert, gegeigt, gesungen, und musikalischer Unterricht ist bei den höchsten wie bei den untergeordneten [80] Ständen ein Haupterforderniß der Erziehung. Dafür hört man hier aber auch Dilettanten und Dilettantinnen, die überall in der Welt für Virtuosen würden gelten können; und die Konzerte und andre öffentliche, musikalische Feste stehen auf einer Höhe, wie man sie außerhalb Wiens selten antrifft.

Was aber vor allem Andern der Stadt ein wirklich großstädtisches Ansehen giebt, ist die große Menge von Fuhrwerken aller Art, die vom Morgen bis in die Nacht unaufhörlich durch die Straßen rollen; ich glaube kaum, daß in Paris mehr gefahren wird als hier. Mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit wissen die Kutscher in den engen Straßen einander auszuweichen, und den ihnen zu Gebote stehenden Raum bis auf die Breite eines Haares zu berechnen. Jetzt ist es aus und vorbei, dachte ich oft, wenn ich in den Abgrund einer Kellertreppe hinabsah, an deren außerstem Rande mein Kutscher mit mir hinfuhr, und doch ging es immer glücklich ab, obgleich man hier im Durchschnitt sehr schnell fährt, was für die Fußgänger durchaus nicht ersprieslich ist. Aber es scheint auch, als ob Niemand Beine zum Gehen hätte; Alles fährt, die große Menge von Fiakers, die in allen Straßen ihren [81] Stand haben, bleiben in ewig rollender Bewegung, und wer es nur irgend möglich machen kann, schafft eigne Equipage sich an, und sollte sie auch nur aus einem mit einem einzigen Pferde bespannten Kabriolet bestehen. Recht schöne elegante Equipagen habe ich indessen wenig bemerkt, wahrscheinlich weil der hohe Adel im Sommer die Stadt verläßt. Und wo fährt sie denn hin, diese ewig bewegliche Menge? Nach Schönbrunn, um die im Freien auf einer Wiese herumspazierenden Elephanten, Kameele, Dromedare und Büffelochsen zu sehen, und sich dann bei dem dortigen Restaurateur nach der Ermüdung zu erquicken; nach dem Augarten, obgleich dieser so nahe bei der Stadt liegt, daß man sich eigentlich schämen sollte, ihn nicht zu Fuße zu besuchen. Bei schönem warmen Wetter kann nichts angenehmer sein, als in diesem, nach alter Art angelegten, von breiten schattigen Alleen durchschnittenen Lustholze zu wandeln. Auch giebt es dort ein Billard, Musik, einen guten Gasthof und überhaupt Alles, was ein wiener Herz sich nur wünschen kann.

Der Haupttummelplatz aller Freuden bleibt aber immer der Prater, dieses irdische Paradies der Wiener, dem in ihren Augen nur das ewige himmlische gleichzustellen ist. Daß ich hier immer von dem [82] Mittelstande, dem höheren wie dem geringeren, spreche, brauche ich hoffentlich nicht besonders zu erwähnen, denn dieser macht ja eigentlich das Volk aus. Der Pöbel ist sich in allen Städten gleich, und die hohe feine, vornehme Welt, mit wenig Abweichungen ebenfalls; obgleich sie gerade in Wien lebhafteren Antheil an den echten Volksfreuden zu nehmen scheint, als in andern Residenzen.

Da sieht man denn im Prater an schönen Nachmittagen in der bis nahe an die Donau führenden Hauptallee hunderte von Fuhrwerken in schönster Ordnung hintereinander her auf- und abfahren, Equipagen, sogar Staatskutschen, Fiakers, offne Wagen, Kabriolets, auch Reiter, Alles durcheinander. In Hinsicht auf Pracht, Eleganz, besonders aber der ausgezeichneten wundervollen Schönheit der Pferde, kann diese Kavalkade sich freilich nicht mit der Morgenpromenade messen, die im londoner Hydepark, besonders Sonntags, zwischen drei und fünf Uhr stattfindet, wo immer die schönsten Pferde der Welt, die modernsten, glänzendsten, alle Monate die Form wechselnde Fuhrwerke der vor Reichthum übermüthig gewordenen Vornehmen, zur Schau geführt werden; aber an wahrhaft menschlichem Interesse überwiegt sie jene bei weiten; denn zu beiden [83] Seiten des Weges wogt eine Unzahl wohlgekleideter, genußlustiger, fröhlicher Menschen den Hunderten von kleinen Vergnügungsanstalten zu, die dieses große Lustholz in sich vereint. Da giebt es die herrlichsten kleinen Wiesenplätze, um sich im Schatten der prächtigen Bäume zu laben, und Gottes Gaben zu genießen, da giebt es Marionetten zu schauen, und Seiltänzer, Schlangen, Löwen und allerlei solch wildes gefährliches Vieh zu bewundern; da giebt es alle möglichen Arten von Schaukeln und Caroussels, und Sarazenenköpfe im schnellen Drehen herunterzusäbeln, und Billard, Kegelspiel und alle Spiele der Welt. Kaffee- und Eisbuden in unzählbarer Menge, Limonade, Bier und Wein, Alles vollauf; mit jedem Athemzuge trinkt man den Duft von gebratnen Würst’ln, gebratnen Händ’ln, in Butter prasselnden Dampfnudeln und allem ersinnlichen Backwerk ein. Ein Gascogner müßte von dem bloßen Geruche hier schon satt werden können. Daß es dabei an Musik jeder Gattung, an Pauken und Trompeten, an Geigen und Harfen nicht fehlt, versteht sich von selbst; wo Wiener versammelt sind, ist auch Musik und Tanz dabei, das ist einmal so in der Regel. Wie sie sich drehen auf dem grünen Plan! und wie sie dann essend und trinkend ausruhen! und so recht [84] innerlich vergnügt ins weite Himmelsblau gucken! Und das Gewühl, das bunte Gewimmel, das Gedränge um alle diese Buden und Lauben und Hütten her, als wäre es ein Fest, das höchstens im ganzen Jahre einmal wieder käme. Und sie haben es alle Tage, sobald der Himmel nur nicht allzu unbarmherzig mit Regenströmen darein fährt. Nirgend habe ich solche unermüdliche Genußfähigkeit angetroffen, nirgend so in sich und gottvergnügte Leute.

Vom Prater ziehen sie ins nahe Theatrum, wo sie über den lieben Narren, den Kasperl, sich halb todt lachen, vom Theatrum wieder auf die Promenad’, auf die Bastey oder den Graben, so heißt nämlich eine recht schöne Straße mitten in der Stadt, in der beinahe das dritte Haus ein Kaffeehaus ist. Da sitzen sie wieder vor den Thüren; nehmen wieder Sorbett, Eispunsch, g’backne Händ’l zu sich, und gehen dann satt und zufrieden nach einem wohl hingebrachten Tage nach Hause ins Bette, um vom Schlafe gestärkt das Leben am Morgen wieder da anzufangen, wo sie es am Abende gelassen. »So knüpfen ans fröhliche Ende den fröhlichen Anfang wir an:« bleibt der ewige Refrain ihres Daseins. Es ist in der That so, nirgend giebt es mehr Kaffeehäuser als in Wien, aber man gehe an jedem derselben vorüber, [85] zu welcher Tagesstunde es auch sei, immer sitzen Eis oder Kaffee, oder was es auch sei, genießende Menschen vor der Thür, und wirft man einen Blick in das Innere derselben, so ist es auch dort gedrängt voll von Leuten früh und spät, an Sonn-, Feier- und Werkeltagen, immer ist und bleibt es dasselbe. Und doch scheint kein recht echter freudiger Geist hier die Oberherrschaft zu üben, die Leute sehen gar zu gleichmüthig aus, sie sind jovial aber nicht heiter; sie lachen wohl einmal, daß Tisch und Wände dröhnen, aber das Lachen greift sie an, es wird ihnen schwer, sie müssen wieder etwas zu sich nehmen, um sich davon zu erholen. Sie lassen auf dem Carroussel sich drehen, in der Schaukel sich schwingen aber ganz ernsthaft, als thäten sie es nur um der Motion willen. Was man hier sieht, ist nicht Ruhe und Erholung nach vollbrachter Arbeit, das Vergnügen selbst ist ihnen zur Arbeit geworden, und sie betreiben es auch als solche. Die Leute sind hier viel zu satt, um viel lachen, schnattern, springen zu können, wie die fröhlichen und daheim so mäßigen Franzosen. Aber glücklich sind sie doch nach ihrer Art, und dabei gutmüthig und wohlthätig in hohem Grade; davon legen in Wien die vielen Armenanstalten und [86] Hospitäler mit ihrer trefflichen Einrichtung den redendsten Beweis ab.

Der Reichthum der Großen ist hier wie in England unermeßlich, nur wissen ihn die Wiener auf eine andere, ich möchte fast sagen menschlichere Weise zu genießen, als jene Engländer, die Alles, was nicht zu ihnen gehört, wie gar nicht existirend betrachten. Aber wodurch Wien vor allen Residenzen sich auszeichnet, das ist die überall hervorleuchtende Wohlthätigkeit der mittleren Stände. Bettler ausgenommen, deren es viele hier giebt, und deren elendes Gewerbe hier gewiß sehr einträglich ist, bin ich in ganz Wien fast keinem einzigen wirklich schlecht bekleideten Menschen begegnet, keinem, dem Noth und Sorge auf dem Gesichte zu lesen war. Es giebt schwerlich in der ganzen Stadt nebst den Vorstädten eine Bürgersfrau, die nicht ihren Schmuck hätte, und bestände er auch nur aus einem Paar altmodischer Ohrringe mit Diamanten, einiger Schnüren echter Perlen oder einer schweren Halskette von Gold, der man es ansieht, daß sie ein Erbstück von der seligen Großmutter ist. Geschmack und gesuchte Eleganz in der Kleidung ist ihre Sache nicht; in der Form erscheint diese oft weit hinter der herrschenden Mode zurückgeblieben; recht helle, grell gegen einander abstechende [87] Farben sind ihnen die liebsten, und so ist es auch bei den Männern, die gern mit glänzenden Uhrketten und großen Brustnadeln einherstolziren, aber was sie tragen ist immer echt, von gutem, oft sehr theurem würdigen Stoffe und auf die Dauer berechnet; denn aller Flitterkram ist ihnen verhaßt.

Die goldenen wiener Bürgerhauben scheinen allmälig verschwinden zu wollen, doch behalten Viele sie noch bei, die wohl wissen, wie gut sie die niedlichen, Dosenstückchen ähnlichen Gesichtchen mit schwarzen blitzenden Augen kleiden, denen man, wie auch den reizendsten üppigsten Gestalten auf jedem Schritte hier begegnet. Bei alledem sind diese Hauben bei weitem nicht so hübsch und geschmackvoll als die Bürgerhauben im Bayerlande. Sie haben etwas Grenadiermütziges in der Form; ein breiter, glattanliegender Paß, aus goldenen Spitzen bestehend, deckt den Scheitel, an diesen fügt sich der hoch und spitz emporstehende Boden der Haube, ebenfalls von goldenen Spitzen verfertigt, und hinten im Nacken quillt aus demselben ein dicker Chignon üppig hervor. Die Stirn und die schönen, meist dunkeln Löckchen über derselben, umspielt zuweilen ein Streif von schwarzen Blonden, der den hübschen rosenwangigen Kindern ganz ungemein reizend steht.

[88] Die Art, wie hier Alles in den Adel erhoben wird, kam mir, ehe ich mich daran gewöhnt hatte, ungemein wunderlich vor; was keine goldene Bürgerhaube trägt, ist Ihr Gnoden; Reisende wie wir sind hochgräfliche Excellenzen, sie mögen sich dagegen sträuben, so viel sie wollen. Meine Frau Wirthin war auch eine gnädige Frau und hatte ihren schönen Schmuck, und ihre eigne Equipage, und ihr gnädiges Fräulein Tochter hatte die Gnad’, mir für achtzehn Kreuzer ein zerrissenes Halstuch recht sauber und geschickt auszubessern. Oft kam es mir bei solchen Gelegenheiten vor, als sähe ich Kinder mit einander Könige oder Grafen spielen, und wirklich sind auch diese frohen gemüthlichen Menschen wie die Kinder. Ihr Ideenkreis ist beschränkt, davor können sie nicht, und könnten einen mehr erweiterten auch schwerlich brauchen, den zu erringen Mittel und Wege ihnen ohnehin abgeschnitten sind. Ihr ganzes Dichten und Trachten geht auf sinnlichen Lebensgenuß aus und den haben sie reichlich. Dabei steht neben ihnen der Beichtvater und sorgt dafür, daß sie es nicht zu arg treiben, und hinter ihnen die argusäugige ma bonne Polizei, mit aufgehobnem Finger drohend: Du, Du, nimm Dich in Acht! wenn es aussieht, als ob sie sich einmal ein wenig emanzipiren wollten; aber sie [89] sind gut und harmlos, und so etwas kommt ihnen gar nicht in den Sinn.

Von dem geselligen Leben der vornehmen und eleganten Welt weiß ich wenig zu sagen, sie ist im Sommer meistens in Bädern, auf Reisen, auf ihren Gütern, nach allen vier Winden verstreuet, doch daß man im Winter in Wien vor Vergnügen aller Art vom Morgen bis in die Nacht nicht zu sich selbst kommt, und daß man gegen Fremde ungemein gastfrei und zuvorkommend sich bezeigt, ist weltbekannt. Einigen Diners und Soirées in den Häusern der vornehmsten Banquiers habe ich beigewohnt, wurde freundlich und zuvorkommend empfangen, fand die Aufnahme wie die häusliche Einrichtung prächtig und elegant, den Ton leicht und angenehm, übrigens Alles wie in Paris, Hamburg und ähnlichen großen Städten auch. In der Gesellschaft ist die französische Sprache die vorherrschende, besonders in Gegenwart von Fremden. Die höheren Stände schämen sich ihres Dialekts, und das mit Recht, er ist wirklich ohrzerreißend und unverständlich im höchsten Grade, im Munde des Volks aber gewinnt er eine komische Naivetät, die oft wirklich anziehend erscheint.

Um doch auch in Ungarn gewesen zu sein, unternahmen wir eine Lustfahrt nach Preßburg, das freilich [90] nur zehn Meilen von Wien, sehr nahe an der Grenze jenes Landes liegt. Den Weg dorthin fanden wir gut, aber nicht eben angenehm, ein wenig monotones Einerlei, zwischen Getreidefeldern hin, welche die weite, nur selten durch ein paar Bäume unterbrochene Ebene bedecken. Näher an Preßburg wird das Land hügeliger und gewinnt dadurch an Mannichfaltigkeit, oft erblickten wir von der Höhe eine Ansicht der Donau und ihrer jenseitigen hohen waldbewachsenen Ufer, bis wir endlich jenseit des hier sehr breit und wild dahinwogenden Stromes Preßburg vor uns liegen sahen.

Die Lage dieser hart am Ufer der Donau erbaueten Stadt ist eine der schönsten, die ich kenne; der breite Strom, dessen bewegte Fluth das Spiegelbild der hohen Thürme und Mauern zuruckwirft, die fruchtbar angebaueten, schattenreichen Hügel, welche von beiden Seiten der Stadt sich anschließen, bilden ein höchst malerisches Ganzes, aber auch hier fließt der prächtige Strom einsam und unbelebt dahin. Man sieht kein Schiff die silbernen Wogen stolz durchschneiden, und diese Stille muß Jedem traurig und störend auffallen, der an das ewig bewegte Leben auf der Themse, auf der Elbe bei Hamburg, oder selbst auf dem Rheine bei Köln gewöhnt ist.

[91] Die Donau ist bei Preßburg so breit und tief, die Strömung so heftig, daß sie keine stehende Brücke, nicht einmal eine Schiffsbrücke dulden will. Eine sehr große fliegende Brücke, wie die einst bei Koblenz, und jetzt noch bei Bonn über den Rhein führende, bietet das einzige Mittel, um über den Strom zu gelangen, und bei stürmischem Wetter und ungünstiger Jahreszeit wird oft Tage, selbst Wochen lang jede Kommunikation mit dem jenseitigen Ufer durchaus unmöglich. Nach Wien kann man indessen von Preßburg aus, wenn gleich auf einem sehr bedeutenden Umwege, immer gelangen.

Auch diesesmal war das Wasser sehr hoch, die Strömung sehr reißend, ein heftiger Ostwind wehete, den wir im Wagen wenig bemerkt hatten, und lustig tanzten nicht ganz unbedeutende Wellen auf den aufgeregten Fluthen einher. Eine Menge Leute stand am Ufer, die Fährleute weigerten sich sie überzufahren, sprachen von Gefahr, und es bedurfte von unserer Seite recht gewichtiger Gründe, die freilich in Papier leicht genug ausfielen, um sie endlich zur Ueberfahrt zu bewegen. Nach Stand und Gebühr hatte auch auf dieser Brücke wie auf allen in den österreichischen Landen St. Nepomuk seinen herkömmlichen Ehrenplatz, aber ihm war auch noch in einer kleinen, sehr aufgeputzten [92] Kapelle ein schön geschmücktes Muttergottesbild zur Gehülfin gegeben, vor welchem die Weiber, die mit uns überfuhren, sich gleich auf die Kniee warfen, um dessen Schutz in dieser Gefahr zu erflehen, die am Ende nicht so groß war als sie aussah, denn nach einigem Drehen und Schwanken kamen wir in Zeit einer halben Stunde Alle gesund und wohlbehalten in dem erwünschten Hafen an.

Preßburg ist eine ziemlich große, lebhafte, wenngleich nicht eigentlich schöne Stadt. Wir bemerkten viele recht große und stattliche Häuser in derselben, welche aber nur während des Winters von dem benachbarten Adel bewohnt werden, dem sie angehören. Feste aller Art, Bälle, glänzende Gesellschaften, Opern, Concerte, verbreiten dann neues Leben unter den Einwohnern, die im Sommer mit den Freuden, welche die Natur ihr reichlich gewährt, sich begnügen müssen.

Ganz nahe vor der Stadt ist eine recht schöne Promenade vor einigen Jahren angelegt worden, die an heitern Sommerabenden von Spaziergängern wimmelt; elegante Herren und Damen sitzen in langen Reihen auf Rohrstühlen vor dem Kaffeehause an derselben, lassen mit Eis, Sorbet und allen möglichen Erfrischungen sich bedienen, und sehen dem bunten Gewimmel der Fußgänger zu. Der Anblick war mir wirklich überraschend, [93] theils wegen des sehr eleganten und modernen Kostüms der Damen, das ich in diesem abgelegenen Winkel der Welt nicht so zu finden erwartete, mehr aber noch durch die vielen schönen graziösen Gestalten unter den Männern wie unter den Frauen, denen ich bei jedem Schritte begegnete; wunderliebliche, regelmäßig schöne Gesichtszüge, Haare, Wuchs, Augen, blühende Wangen, wie nur immer ein Maler sich dieselben zum Modell wünschen kann.

Auch hier trägt Alles einen Anstrich von Wohlhabenheit und lebensfroher Behaglichkeit; gefahren wird nicht viel weniger als in Wien, an allen Ecken der Stadt stehen ziemlich gute Fiaker, gewöhnlich recht hübsche halb bedeckte Chaisen zum augenblicklichen Dienste bereit, und werden fleißig benutzt; auch an eignen Equipagen scheint es nicht zu fehlen. Unter dem Volke sieht man noch viele ältere Frauen in der eigentlichen ungarischen Tracht, eine Art nur bis über die Hüften reichender Jacke, deren Aermel hinten herabhängen; auch die vom Lande hereinkommenden Bauern tragen sie zum Theil. Alles dieses bringt eine gewisse fremdartige Mannichfaltigkeit hervor, die dem Auge gefällt und das Interesse erhöht.

Das an der Promenade erbauete neue, recht hübsche und große Schauspielhaus war leider, wie [94] immer zur Sommerszeit, geschlossen. Eigentliche Sehenswürdigkeiten, die jeder Fremde schon von Amtswegen besuchen muß, enthält Preßburg nicht; wenigstens wußte der Herr, an welchem wir von Wien aus adressirt waren, und der übrigens für unsere Unterhaltung auf das Gefälligste Sorge trug, uns keine derselben zu nennen. Doch kann es einer so alten Stadt, wie Preßburg ist, doch schwerlich ganz an Merkwürdigkeiten, die eines Besuches würdig wären, fehlen, nur gehört vielleicht Zeit und Mühe dazu sie aufzufinden. Bloß schaulustige Reisende wie wir kommen nur selten aus der Ferne hierher, und der Eingeborne, wie die nächste Nachbarschaft, pflegen oft das eigenthümliche Interesse dessen, was sie täglich vor Augen haben, zu vernachlässigen.

Wir mußten also mit dem, was die nächsten Umgebungen der Stadt uns bieten konnten, uns begnügen, und thaten es gern, und hatten alle Ursache, damit zufrieden zu sein. Ein auf einer Ebene, nahe an der Stadt aufgeschlagenes Lustlager, in welchem über die Garnison derselben eine Art Revue gehalten wurde, gewährte uns ein recht interessantes militairisches Schauspiel, besonders durch die Schönheit und Gewandtheit der Pferde. Der Fuß der großen Karpathischen Gebirgskette steigt aus dieser Ebene, sie begrenzend, [95] empor, und drückt durch die schöne Form seiner Felsen ihr den Stempel der Erhabenheit auf. Die Berge erheben sich nicht zu der himmelanstrebenden schwindelnden Höhe der Schweizeralpen, aber sie sind doch hoch und steil genug, um einen sehr imponirenden Anblick zu gewähren. Von der Ebene bis ungefähr zur Hälfte hinauf sind sie mit Weinreben bekleidet, dann folgt niederes Gehölz, und endlich bedeutende Wälder, die auf ihrem Scheitel sie krönend sich hinziehen. Zwei Meilen höher hinauf wächst schon an diesen Felsen der Georger Ausbruch, der zwar etwas an Feuer, aber durchaus nicht an Süße dem berühmten Tokayer nachsteht und wohl größtentheils unter dessen Namen zu uns herüber kommt. Der wahre Tokayer wird zwanzig Meilen höher hinauf gewonnen und zwar nur an der Mittagsseite eines einzigen Berges, der unmöglich nur die Hälfte des Weines liefern kann, der in der Welt unter seiner Firma kursirt.

Verwundert sah ich mich um, als man mir dieses erklärte, ich suchte vergebens die Pflanzenwelt südlicher Zonen; keine Oliven, kein Johannisbrotbaum, keine Feigen und Mandeln und Myrthen wachsen hier; etwas Seide wird zwar gewonnen, aber die Maulbeerbäume müssen sorgfältig vor dem [96] Erfrieren bewahrt werden, und gehen dennoch oft zu Grunde. Wie sollte ein so süßer Feuerwein in diesem Klima wachsen können, das wenig milder ist als das unsere, wo der Winter nicht weniger rauh sich zeigt als bei uns, und Schnee und Eis Monate lang die Erde bedecken?

Die Art, wie hier zu Lande die Weinlese betrieben wird, wurde mir jetzt aus einander gesetzt, um dieses Räthsel mir zu lösen. Auf der nämlichen Traube wächst der süße Feuerwein neben dem allersauersten, wie ihn etwa die Thüringer Berge bringen. Jede einzelne Traube wird von dem Winzer sorgfältig durchgesehen, und nur die überreifen Beeren, die gleichsam wie halb verdorben und vertrocknet aussehen, werden mit einer Scheere aus derselben herausgeschnitten; nur hat er sich sehr davor zu hüten, keine wirklich angefaulte oder verschimmelte Beere unter diese Auswahl kommen zu lassen. Wenn der Winzer aus einem ganzen Korbe voll Trauben ungefähr einen Hut voll solcher reifen Beeren erhält, so hat er schon alle Ursache zufrieden zu sein. Diese liefern den Ausbruch, den wir in Deutschland unter dem Namen Ungarwein kennen; der übrige giebt einen weißen, etwas sauern Landwein, der einige Aehnlichkeit mit schlechtem Rheinwein hat. Bei sehr [97] edlen Gewächsen, wie beim Tokayer, wird diese Auswahl der Beeren zweimal vorgenommen und dadurch zweierlei Arten von süßem Wein von verschiedener Güte gewonnen. Was aber dann noch übrig bleibt, giebt ein essigsaueres Getränk, dem berüchtigten Seewein, Schulwein, Dreimännerwein vergleichbar, der an den Gestaden des Bodensees wächst, und dessen bloßer Name schon Furcht und Schrecken erregt; und gerade auf Tokay geräth er dem Essig am ähnlichsten.

Der beste Tischwein, der in Ungarn, wie überhaupt in Oestreich gewöhnlich getrunken wird, kommt hier von den Bergen, wo man die Trauben keltert, wie sie vom Rebenstock kommen, weil das Gewächs zu schlecht ist, um die Mühe, Ausbruch davon zu machen, zu belohnen. Es ist ein etwas säuerlicher, aber ganz trinkbarer, leichter weißer Wein, der mit dem, was wir unter dem Namen Ungarwein kennen, nicht die mindeste Aehnlichkeit hat, wohl aber eher mit dem Moselwein und den leichteren Gattungen des Rheinweins.

Gegen Abend fuhren wir nach einer an der andern Seite der Stadt liegenden Mühle, welche in der schönen Sommerszeit von den Preßburgern viel besucht wird. Es ist eben eine Mühle wie andere [98] auch, aber der Weg, der längs dem hohen Ufer der Donau zu ihr führt, ist unbeschreiblich angenehm, die ganze Gegend von seltener Schönheit. Hohe Weinberge begrenzen ihn von der einen Seite, von der andern erblickt man tief unten den prächtig wogenden Strom. Der Abend war wunderschön, die ganze Gegend lag von rosigem Dämmerlichte umflossen, während der aufgehende Mond die Gipfel der Bäume hell und silbern verklärte, und nur das eintönige Klappern der Schiffsmühlen, und das leise Geflüster der Wellen wurde durch die tiefe Stille der abendlichen Ruhe hörbar.

Nach ein paar in Preßburg recht angenehm verlebten Tagen kehrten wir nach Wien zurück, um nun auch bald von dort aus unsern Reisestab weiter zu setzen. Alle Zeit, welche Einpacken und Abschiednehmen uns übrig ließen, wurde in diesen wenigen Tagen, die wir noch vor uns hatten, darauf verwendet, die bis jetzt von uns ungesehen gebliebenen Merkwürdigkeiten der Kaiserstadt noch zu besuchen. Am Tage vor meiner Abreise sah ich deren noch zwei, die mir bis dahin unbekannt geblieben waren, den kaiserlichen Schatz – und den echten Kasperle, La Roche, den eigentlichen Stifter und Schöpfer dieser, jetzt auf der Wiener Bühne zum stehenden Charakter gewordenen [99] Rolle, der ein mehr als siebenzigjähriger Greis an diesem Abende in einer elenden komischen Oper: die Zauberzitter, als Kasperle auftreten wollte, was er nur noch sehr selten wagt.

Der Schatz des Kaisers ist, wie alle Schätze dieser Art, prachtvoll, glänzend und langweilig anzusehen. Es traf sich sehr unglücklich, daß gerade dieser Tag einer von denen war, an welchen alle Welt Zutritt hat; das Gedränge war unerträglich, aber der Herr Schatzmeister wußte recht gut seine Leute nach Stand und Rang zu sondern und zu behandeln. Im ersten Zimmer, durch das wir getrieben wurden, sahen wir eine große Anzahl künstlichen Schnitzwerks von Elfenbein, Holz und anderm Material in Glasschränken stehen, im zweiten alte Uhren und andere von Uhrwerken getriebene Kunststücke. Eine alte häßliche Uhr stellte den Kaiser Franz den Ersten und dessen Gemahlin vor, wie sie sich von den Landständen huldigen lassen; die lieben Englein fliegen herbei, um das kaiserliche Paar zu krönen, dabei wird der blasse grimmige Neid von einem Engel mit dem flammenden Schwerte derb durchgeprügelt. Die Sache schien gar kein Ende nehmen zu wollen, ich meinte vor langer Weile zu sterben, aber der grausame Schatzmeister [100] ließ uns nicht von der Stelle, bis Alles abgethan war.

Dann kamen wir an einer großen Anzahl prachtvoller Vasen, Schaalen und Gefäßen von kostbaren und seltenen Steinen in einem dritten Zimmer vorüber, doch ohne sie eigentlich sehen zu können. Alles steht in wohlverschlossenen Glasschränken, Vieles so hoch, daß kein Auge es erreichen kann. Im grünen Gewölbe in Dresden ist das anders.

Die eigentliche Juwelensammlung aber ist in der That merkwürdig. Sie enthält höchst seltene und kostbare Stücke, birnförmige Perlen von unschätzbarem Werthe, prachtvolle rosenfarbene Brillanten, und unter andern einen großen Diamant, der nur drei Karat weniger wiegt, als der berühmte Regent. Ich staunte alle diese Herrlichkeiten an und war froh, als ich die ganze Schaustellung überstanden hatte. Was unter den übrigen Dingen, die man uns vorzeigte, mir ein augenblickliches Interesse abgewann, waren sehr alte, mit Gold und Perlen überladene Meßgewänder, in der frühesten Zeit bei den Gobelins in Paris gewebt, mit ganz kleinen Figuren, wie man heut zu Tage sie nicht mehr hervorbringen kann, oder vielleicht nicht will. Grenadiere, denen man zur Probe sie anlegte, sind unter der heiligen Last umgesunken, [101] so schwer sind sie, und doch sieht man deutlich, daß sie viel getragen worden sind. Die heilige Kirche muß wohl damals besser bei Kräften gewesen sein, als sie es jetzt ist.

Am Abende machte der Anblick des armen Kasperl’ La Roche einen mehr peinlichen als erfreulichen Eindruck auf mich. Jetzt ist er längst von der Bühne des Lebens abgetreten, aber als ich ihn damals sah, war er in seinem hohen Alter nur noch der Schatten von dem, was er früher gewesen. Es that mir im Herzen weh, einen Greis, dem gar nicht lustig zu Muthe zu sein schien, mit der albernen Rolle des Knappen, in der eben so langweiligen als abgeschmackten Oper, die Zauberzitter, sich abmartern zu sehen. In seinem Betragen wie in seiner Persönlichkeit lag sogar eine gewisse Würde, und er kam mir fast wie ein guter, alter, ehrwürdiger Großpapa vor, der einem ungezogenen Kinde zu Liebe selbst einmal Possen und Kindereien treibt. Das Publikum aber zeigte sich diesmal wirklich als ein recht ungezogenes und undankbares Kind. Statt den in seinem Dienste grau gewordenen alten Mann mit Händeklatschen und Freudengruß zu empfangen, wie ich es doch nicht anders erwartete, ließ es ihn still kommen und still wieder abgehen, ohne daß nur eine [102] ihm Beifall spendende Hand sich geregt hätte, Niemand schien mehr der zunächst vergangenen Zeit zu gedenken, und der unsäglichen Lust, der vielen frohen Stunden, die sie diesem nämlichen Manne einst verdankten. La Roche spielte diese wie alle seine Rollen im östreichischen Bauerndialekt, von dem ich nur wenig verstand; aber daß er ein sehr braver, ungemein talentvoller Schauspieler war, entging mir dennoch nicht. Die Höhe, zu welcher er in seiner Kunst sich hätte erheben können, wenn er mehr Gelegenheit gehabt hatte, sein Talent nach bessern Mustern auszubilden, läßt sich unmöglich berechnen, aber das Verdienst eigner großer Orginalität kann ihm wenigstens Niemand absprechen. Das Fach, in welchem er glänzte, hat er sich selbst geschaffen, und seine Nachfolger können nur seinem Beispiele nachstreben. Sein Spiel war niedrig-komisch, sank aber nicht zum Abgeschmackten und Gemeinen herab. In seinen jungen Tagen mag er ein recht schöner Mann gewesen sein, in seiner Gestalt kann nie etwas eigentlich Komisches gelegen haben, jetzt gab sein hohes Alter, das er auf keine Weise zu verbergen suchte, ihr wirklich etwas Ehrwürdiges. Unerachtet seiner Jahre zeigte er sich noch immer unglaublich gewandt, aber er schien es tief und schmerzlich zu empfinden, [103] daß er einst der Mann gewesen, der mit einem Blicke, einem Worte das ganze Haus in lautes, jubelndes Entzücken, von dessem Ausdruck die Wände erdröhnten, zu versetzen gewohnt gewesen, und daß jene Zeit nun auf immer dahin sei. Um so mehr verdroß mich die Gleichgültigkeit, durch welche das Publikum den würdigen Veteran niederbeugte.

Das übrige Personal der Oper war dieser würdig, die Decorationen sehr mittelmäßig, das Ganze über die Maßen langweilig, aber es freuete mich doch, den Mann gesehen zu haben, dessen Andenken in den Annalen der Schauspielkunst nicht so leicht untergehen wird, wenn er gleich nur in einem untergeordneten Fache glänzen konnte.




Indem wir am folgenden Tage Wien verließen, fuhren wir zur Taborlinie hinaus; die Donau ist hier fast eben so breit als bei Preßburg, aber bei Weitem nicht so tief, noch die Strömung so heftig und reißend. Eine lange, durchaus nicht schöne Brücke ließ uns gemächlich das andere Ufer des Stromes erreichen. Auf einer vom Regen verdorbenen, mit darüber hingeworfenen losen Kieselsteinen wieder ausgebesserten Chaussee fuhren wir, unbequem [104] genug durch eine ebene, fruchtbare, aber höchst langweilige Gegend; Getreidefelder vor uns, hinter uns, uns zur Seite, überall nichts als Roggen und Waizen, und Gerste und Hafer, so weit das Auge reicht. Kruzifixe und Heiligenbilder standen überall am Wege, aber fast kein einziger Baum; wir kamen durch keinen einzigen, nur einigermaßen wohnlich aussehenden Ort, nur durch ärmliche und elende Dörfer, in welchen Schaaren überlästiger Bettler uns verfolgten. So ging es auf dem holperigen Wege zehn Meilen weit, bis der Abend einbrach.

In großen Städten, besonders wenn man einige Zeit in denselben verweilte, kommt man bei der Abreise nie zur rechten Stunde fort; auch diesesmal waren wir von Wien zu spät ausgefahren und hatten dann zu schlechte Wege angetroffen, um das Städtchen Znaym an der mährischen Grenze erreichen zu können. Wir mußten in Holabrunn, einem jämmerlichen Neste, mit einem nichts weniger als eleganten Logis vorlieb nehmen. Am nächsten Morgen fanden wir Alles wie am vorigen Tage, wieder die langweilige fruchtbare Ebene, Kornfelder, zuweilen ein Weingarten, schattenlose verdorbene Chausseen, Bettler und Heiligenbilder in Menge, bis an die Grenze von Mähren. Hier gewann die Gegend ein besseres [105] Ansehen, der Weg führte durch einige kleine Tannenwälder, deren Anblick uns erquickte, das Land von kleinen Hügeln unterbrochen, war nicht mehr jene traurige Fläche, die keinen Gegenstand bot, auf welchem der Blick verweilen mochte.

Wir erreichten Znaym, ein recht artiges Städtchen mit einem großen ansehnlichen Marktplatze, in der Mitte desselben ein stattlicher Springbrunnen, mit einer hohen Säule geschmückt, auf welcher ein Heiliger mit vergoldeten Extremitäten steht, am Fuße desselben eine Gruppe anderer Heiligen, in andächtiger Stellung zu ihm aufblickend.

Aehnliche Brunnen fanden wir auf der weitern Reise durch dieses Land in allen Städtchen und Flecken, durch welche der Weg uns führte, auch überall in deutscher und in böhmischer Sprache den Namen des Orts über dem Thore desselben angeschrieben. Die Lage von Znaym, in einem von mit Bäumen und Gebüsch bewachsenen Bergen gebildeten Kessel schien uns angenehm, der Gasthof, in welchem wir zu Mittag aßen, war ganz leidlich, doch war es noch zu hoch, am Tage um hier zu verweilen; leider aber auch wieder zu spät, um noch vor gänzlichem Einbruch der Nacht die nächste Stadt Iglau zu erreichen, denn die Städte sind in diesem Lande gar [106] dünne gesäet. Die Nacht durchzufahren erlaubten die immer schlechter gewordenen Wege uns nicht. Wir fuhren indessen auf gut Glück aus, und fanden bald, daß Znaym wie eine grüne Oase mitten in jener langweiligen unabsehbaren Getreidewüste liegt. Unerachtet der Fruchtbarkeit des Landes erblickten wir doch überall in den wenigen Dörfern, durch die wir kamen, Spuren der bittersten Armuth, zerlumpte elende Menschen, mit dem Ausdruck gefühlloser Unwissenheit in den verwilderten Zügen.

Mit Sonnenuntergang erreichten wir das Dorf Budwitz. Der neuangestrichene Gasthof sah von Außen so einladend aus, daß wir, ermüdet wie wir waren, in demselben zu übernachten beschlossen. Es war ein unglücklicher Einfall, es wäre weit besser gewesen, auf die Gefahr hin, umgeworfen zu werden, sich die ganze Nacht auf dem bösen Wege durchschütteln zu lassen. Wir fanden ein großes leeres Haus, schmutzig, wie uns, seit wir das südliche Frankreich verlassen, noch keins vorgekommen war, und in allen Ecken die tiefste unleidlichste Armuth. Von Betttüchern wußten die Leute in diesem Hause gar nichts, sie machten Anstalt, sie durch Tischtücher zu ersetzen, welche, wie Probekarten aller Mahlzeiten, welche seit drei Monaten hier verzehrt worden waren, aussahen; [107] daraus ist leicht zu erachten, wie es mit allem Uebrigen bestellt war.

Wir waren indessen einmal da, in diesem unglückseligen Orte; mit Hülfe unserer Kutschkissen richteten wir uns für die Nacht ein, so gut als es unter solchen Umständen möglich war. Der Tag brach endlich an, wir fuhren weiter und erreichten gegen Mittag Iglau, ein recht hübsches Städtchen, hart an der böhmischen Grenze, welches durch einige dort befindliche Tuchfabriken ein Ansehen von Lebhaftigkeit und bürgerlichem Anstand gewinnt. Die nächsten Umgebungen von Iglau sind sehr angenehm, sehr fruchtbar angebaut; schöne, mit Tannen bekleidete Berge, ein ziemlich breites, silberhelles Gewässer, das dicht an der Stadtmauer vorüberfließt, bilden eine sehr liebliche Landschaft, die mir um so erfreulicher erschien, weil ich seit mehreren Tagen nichts Aehnliches gesehen. Aber vergebens suchte ich den Namen des kleinen Flüßchens zu erfahren, dumm lächelnd stierten die Leute, die ich darum befragte, mich an, und konnten gar nicht begreifen, was ich eigentlich von ihnen wollte.

Gleich hinter Iglau fuhren wir über die Grenze in Böhmen ein, und sahen uns von nun an von lauter Stockböhmen umgeben, unter denen es schwer [108] war, nur einen aufzufinden, der etwas deutsch verstand und uns in dieser Sprache Rede stehen konnte. Die Postillone, die Mägde und Aufwärter in den Gasthöfen, die Bauern, Alle sprachen und verstanden nur das Kauderwelsche, das hier die Landessprache ausmacht und die Annehmlichkeit unserer Reise unter diesem armseligen, schmutzigen, auf der niedrigsten Stufe menschlicher Kultur stehenden Volke wurde dadurch nicht erhöht.

In Oestreich und Mähren war die Kornernte schon in vollem Gange, in Böhmen hatte sie noch nicht begonnen. Aber auch dort hatten wir nichts von dem fröhlichen Gewimmel erblickt, das im nördlicheren Deutschland die Erndtearbeit zum Volksfeste umwandelt; kein lustiges Schnitterlied ertönte, keine frischen rüstigen Landmädchen sammelten unter Scherz und Lachen die Aehren in Garben. Ein einsames schmutziges Weib schnitt hier und dort ganz allein auf einem weiten Kornfelde mit der Sichel die Aehren ab, oder band sie in Garben. Der heitere Geist der Geselligkeit, der auch die schwerste Arbeit zum Spiele umwandelt, kann bei diesen armen verwahrloseten Menschen nicht einheimisch werden, die in Schmutz und Dunkelheit, mit umdüstertem Geiste, in halber Bewußtlosigkeit nur so eben hin vegetiren.

[109] Teutschbrod, das erste böhmische Städtchen, durch welches wir kamen, sah, als solches betrachtet, ganz erträglich aus, aber wir sehnten uns recht herzlich, endlich dieses unwirthbare Land hinter uns zu wissen, und fuhren weiter, ohne ein kleines Gewitter zu beachten, das inzwischen aufgestiegen war. Die Nacht war warm und schön, der Regen hatte das Land erfrischt, welches indessen dieser Erfrischung bedurfte; der Vollmond schien hell und klar, nur zuweilen von vorüberfliegendem Gewölke umschleiert. Zum Erstenmal in meinem Leben erblickte ich einen vom Mondschein gebildeten Regenbogen. Völlig farblos, einer Geistererscheinung ähnlich, wölbte sich der weiße glänzende Streif hoch über die dunkle Flur, und die schwarzen Tannen flüsterten schaudernd untereinander.

In einem Dorfe, das Jenikau heißt, wo wir um Mitternacht anlangten, fanden wir ein weit erträglicheres Nachtquartier, als das, in welches am vergangnen Abend in Budwitz der äußere Schein uns verlockt hatte. Wir ruhten einige Stunden, und traten dann unsre mühselige Fahrt wieder an. Bis jetzt waren wir noch immer auf der großen berühmten Chaussee, welche von Wien nach Prag führt, geblieben, und hatten sie schlecht genug befunden, bei [110] Czaslau, der nächsten Station aber, gingen wir von derselben ab, um den Weg nach Schlesien einzuschlagen, und waren nun aus dem Regen unter die Traufe gekommen. Herzlich froh waren wir in Crudim, einem ziemlich ansehnlichen Ort, wo wir gegen Mittag anlangten, unsern müden Gliedern einige Ruhe gönnen zu dürfen; dann ging es wieder weiter, der Weg war und blieb abscheulich, aber die Gegend war angenehmer geworden, sie war weniger flach, nicht mehr das alte ewige Einerlei: Tannenwälder und fruchtbare Berge boten doch einige Abwechselung.

Gegen Abend langten wir in der Festung Königgrätz an. Zum Erstenmal, seit wir Wien verlassen, fanden wir in dem dortigen recht guten Gasthofe ein einigermaßen menschliches Logis, und machten eben Anstalt, der lange entbehrten Bequemlichkeit uns recht zu erfreuen, als ein himmellanger böhmischer Unteroffizier zu uns ins Zimmer trat, dem wir fast unsern ganzen Lebenslauf erzählen mußten, so genau und vielfach waren seine in gebrochnem Deutsch uns vorgetragnen Fragen. Wir antworteten ihm auf alle mit der in diesem Lande unentbehrlichen Geduld, die wir uns, durch Erfahrung gewitzigt, allmählig angeeignet hatten. Er ging endlich, wir waren dessen [111] sehr froh, aber nach fünf Minuten war er wieder da: der ehrliche Böhme hatte das ohnehin wohl nur Halbverstandene unterwegs wieder vergessen, und das Examen ging von Neuem an. Er ging wieder, und wir hofften nun, ihn auf immer los zu sein, als er zu unserm Verdruß und Erstaunen noch einmal erschien, um sich Alles, was wir ihm gesagt hatten, nochmals wiederholen zu lassen.

Zum vierten Male wiederzukommen, mochte ihm wohl Muth und Lust vergangen sein, und Gott mag wissen, was er von uns mag rapportirt haben, denn ich bin fest überzeugt, daß er schon auf der Schwelle des Gasthofs kein Wort von Allem, was er erfragt hatte, mehr wußte. Und doch schien dieses uns so lästige Examen nur zur Befriedigung der Neugier des Herrn Festungskommandanten angestellt zu sein, denn wozu in aller Welt konnte es sonst noch dienen?

Schon gegen fünf Uhr am andern Morgen saßen wir im Wagen, um nur die zehn Meilen bis Landshut an diesem Tage abzufahren, und endlich von dem böhmischen Jammer erlös’t zu werden, aber der ganze Weg war ein Sumpf, mit großen darüber hingeworfenen Feldsteinen besäet. Die Gegend war schön, aber wie war es unter diesen Umständen [112] möglich, sich ihrer zu erfreuen? Kaum vermochte ich meine alte liebe, lange nicht gesehene Freundin, die Elbe zu begrüßen, die uns hier unfern ihrer Quelle, freilich noch in sehr jugendlicher, demüthiger Gestalt entgegenkam.

Die vier Meilen von Jaromircz bis Trautenau, die wir jetzt zurückzulegen hatten, übersteigen jede Beschreibung. Arg genug war der Weg bisher gewesen, aber was keine menschliche Phantasie sich im Voraus vorstellen konnte: er kam noch weit ärger; wenn man ihn nur ansah, glaubte man schon Arme und Beine zu brechen. Eine Strecke von etwa zwei Meilen, über die wir hinweg mußten, und die man, ich weiß nicht warum, das Königreich nennt, war das Entsetzlichste von Allem. Mich trieben die unbarmherzigen Stöße, die ich unablässig erhielt, zum Wagen hinaus, und gern hätte ich den ganzen Weg zu Fuße zurückgelegt, ich kam doch immer noch geschwinder fort als der Wagen. Aber der tiefe Koth, durch welchen kein Durchkommen mir möglich war, trieb mich bald wieder in den Wagen hinein, die fürchterliche Stöße trieben an der ersten leidlich trocknen Stelle mich wieder hinaus, und so ging es fort und fort, bis wir endlich nach sieben Stunden in Trautenau anlangten.

[113] Nur noch zwei Meilen hatten wir von hier aus bis an die Grenze; zwar lag ein ähnlicher Weg, wie der, welchen wir eben zurückgelegt hatten, vor uns, aber der Gedanke, nun bald aus Böhmen erlös’t zu werden, stärkte unsern Muth, und ließ keine Ermüdung uns beachten. Es war schon später Abend als wir an der Grenze anlangten, aber die immer wache Mauth war doch gleich bei der Hand. Mit unserm Gepäck hatte sie diesmal nichts zu schaffen, wohl aber mit unserm Reisepaß. Eine starke halbe Stunde währte es, ehe sie denselben durchgesehen und unterzeichnet hatte; es ist zum Letztenmal! riefen wir einander tröstend zu.

Und nun waren wir in Schlesien, auf preußischem Grund und Boden unter Leuten, die Deutsch sprachen, und hatten obendrein eine vortreffliche Chaussee unter uns, auf der wir rasch und lustig hinrollten; wir gratulirten einander in der Freude unsrer Herzen, als wäre ein großes Glück uns widerfahren.

Wir waren nun völlig außer dem Bereich der unerträglichen Mauth, aber ach, im ganz nahen preußischen Städtchen Lübau harrte unsrer das ganz empfindsam im Mondschein promenirende Zollamt! Wir erblickten es nicht ohne heimliches Schaudern, [114] wir waren so müde, so sehr der Ruhe bedürftig, und fühlten schon im Geist den unermeßlichen Zeitverlust und die Scene bei Braunau sich erneuen. Aber die Lübauer Zöllner waren vernünftiger als die Braunauer Mauth. Sie sahen es uns an, daß wir keine Schleichhändler sein könnten, ließen mit sich reden, und nach wenigen Minuten fuhren wir fröhlichen Muthes auf wohlgebahnten Wegen weiter, bis wir nach Mitternacht in Landshut anlangten, wo wir am Markte, im Raben abstiegen, einem ziemlich guten Gasthof, der mir aber damals als der allervortrefflichste in der Welt erschien. Gute Betten, Betttücher, weiß wie Schnee, glatt wie Atlas, in dem Augenblick ging mir nichts darüber.

Den folgenden Tag brachte ich ganz mit Ausruhen zu, was mir wohl Niemand verdenken wird.

Das schlesische Gebirgsstädtchen Landshut wäre gar unbedeutend und klein, wenn nicht der sehr beträchtliche Leinwandhandel Leben und Wohlstand in demselben verbreitete. Die vielen großen flachen Felder, die man weit und breit umher, schon in großer Entfernung von der Stadt erblickt, künden durch ihr wunderschönes, den Augen ungemein wohlthätiges Grün diesen Nahrungszweig schon von weitem an, auch die armen Weber, diese bleichen, frommen, genügsamen [115] Menschen, aus deren Hütten meistens die Dörfer rings bestehen, wo Nachts bis gegen Mitternacht und Morgens lange vor Tagesanbruch, bei dürftigem Lampenlicht der Weberstuhl klappert, um nur ihr und der Ihrigen kümmerliches Leben zu fristen.

Die Stadt besteht nur aus dem großen Marktplatze, den einige hübsche, große Häuser zieren, unter welchen rings umher, ungefähr wie in Bern, ein auf Pfeilern ruhender, bedeckter Gang hinläuft, in welchem zweimal die Woche die Weber ihre Waare zum Verkauf ausstellen, und nächstdem noch aus einigen schmalen Straßen. Vor der Stadt aber liegen mehrere recht ansehnliche Landhäuser, welche den reichen Kaufleuten zum Sommeraufenthalte dienen. Diese befinden sich denn hier mitten in ihrem Gewerbe, von ihren großen Leinewandbleichen umgeben, neben dem Hause die große Wassermangel, die vermittelst Räder vom Wasser getrieben wird, weil sie so schwer ist, daß sie auf keine andre Art in Bewegung gesetzt werden kann. Sie giebt der Leinewand die Glätte, durch welche das schlesische Leinen sich auszeichnet; und die guten Hausfrauen benutzen sie auch bei der Wäsche, die dadurch ein unglaublich schönes Ansehen erhält: die ältesten Tischtücher sehen aus als würden sie zum Erstenmal auf die Tafel [116] gedeckt. Schönere und weißere Wäsche habe ich selbst in Holland nicht gesehen. Das zum Waschen und Bleichen vortreffliche Wasser ist die Ursache dieser außerordentlichen Weiße, dafür aber erscheint es auch dem nicht daran Gewöhnten beim Trinken ungenießbar.

In Landshut wohnen sehr viele reiche Leute; aber sie sind nicht nur reich, sie sind auch freundlich, zuvorkommend, gastfrei, und in ihrem Wesen liegt eine gewisse ungekünstelte Treuherzigkeit, die viel Anziehendes hat. Sie leben sehr gut, sogar mit einer gewissen Eleganz; halten viel auf schöne Pferde und Wagen, haben hübsche Häuser, hübsche Meublen, schmücken ihre Zimmer mit schön gefaßten englischen Kupferstichen; es wird hier viel gelesen, besonders von den Frauen; genug, der Abstand zwischen hier und dem benachbarten Böhmen ist unermeßlich.

Nur Eines that mir im Herzen weh, und ich begriff nicht, wie es mit dem sonst so gutmüthigen, menschlichen Wesen der wackern Schlesier sich vereinbaren konnte: der Leinwandmarkt, der dicht unter meinem Fenster, an den dazu bestimmten Tagen gehalten wurde. Die Landleute stellen ihre Leinwand so wie sie vom Weberstuhle kommt zum Verkauf aus, die Kaufleute handeln sie ihnen ab, lassen an[WS 21] [117] ihren eignen Bleichplätzen sie bleichen, sie gehörig zubereiten, mangeln und glätten, dann senden sie die Waare in die Welt, nach Norden wie nach Süden; und welchen nicht zu berechnenden Vortheil dieser Handel ihnen bringt, geht aus ihrer ganzen Existenz hervor.

Da standen sie denn nun auf dem Markte, die Herren, mit dem Ausdruck des behaglichen Wohllebens, fest auf den Beinen, als wären sie in der Erde eingewurzelt, einen Teller voll reichlich gezuckerter, würziger Walderdbeeren in der Hand, die sie vergnüglich mit den gleichgültigsten Mienen von der Welt verzehrten. Denn Erdbeeren giebt es hier vom Ende Juni bis tief in den Herbst hinein, weil im Gebirge überall kleine verborgne Thäler und Steinklüfte sich finden, in welchen die Sonne erst spät sie zur Reife bringt. So standen denn diese reichen Kaufherren da, und vor ihnen abgemagert dünn und elend bekleidet, Sorge und Hunger in den blassen Gesichtern mit tiefliegenden, um Mitleid flehenden Augen, die armen Weber. Sie baten inständigst, sie nicht allzuhart zu bedrücken und nur etwas Weniges dem Gebote zuzulegen, das jene auf ihre Waare ihnen gethan, aber vergebens.

Das Ende einer solchen Scene war immer, daß [118] der Arme endlich unter tiefen Seufzern, oft mit nassen Augen das nahm, was der Reiche für seine Arbeit, für seine mühselig durchwachten Nächte ihm geben wollte, um nur nicht mit ganz leeren Händen zu den Seinigen heimzukehren.

Muß das so sein? fragte ich unsre Landshuter Bekannten, und die Antwort fiel immer bejahend aus. Sie demonstrirten mir, daß ihr Handel ohne diese anscheinende Härte nicht bestehen könne, die mir übrigens des Ungewohnten wegen größer erscheine als sie eigentlich sei. Sie wiederholten mir den leidigen, nur zu oft schon gehörten Grundsatz, daß im Handel weder Freundschaft noch Mitleid gelte. Ich aber danke Gott, daß ich kein schlesischer Kauf- und Fabrikherr bin; ich würde schlechte Geschäfte machen, glaube ich.

Noch einmal mußte ich mich entschließen, die böhmische Grenze zu überschreiten, um der freundlichen Einladung eines unsrer Landshuter Freunde Folge zu leisten, der da behauptete, ich könne Landshut nicht verlassen, ohne Adersbach gesehen zu haben. Wir hatten wieder böhmische Landwege zu besiegen, deshalb war der mit zwei schönen muthigen Pferden bespannte, sehr elegante Char à banc, der mich abzuholen kam, das bequemste Fuhrwerk, um damit ohne [119] alle Gefahr die kleine Reise von drei Meilen zurückzulegen. Die Gegend, durch welche wir fuhren, war wunderschön: Berg und Thal, Wälder und Wiesen und Ackerland, in reizender Abwechselung; wir gingen indessen mitunter viel zu Fuß, denn der Weg war an einigen Stellen fast eben so schlecht, als in dem oben belobten Königreiche.

Der erste Anblick von Adersbach setzte mich wirklich in das höchste Erstaunen, ich wüßte ihn mit nichts zu vergleichen von Allem, was ich in der Welt gesehen. In einem von hohen Tannen bewachsenen Bergen umschlossenen Thale, und selbst die Berge hinan, sah ich einzelne Felsengebilde sich erheben; in den allerseltsamsten Formen, wie nur die aufgeregteste Phantasie es erfinden kann, starren tausend und aber tausend dieser Felsenzacken himmelan. Von fern glaubte ich das Eismeer von Chamouny versteinert zu erblicken; aber als ich der wunderbaren Erscheinung näher kam, sah ich wohl ein, daß diese Felsenmassen jene Eispyramiden an Höhe bei weitem überragen. Auch haben sie nicht die spitz zulaufende, zackig-scharf bezeichnete Form derselben, ihre Konture sind runder, unbestimmter, auch sind sie, im Gegensatz mit jenen Pyramiden, meistens unten weit schwächer, als oben.

[120] Durch welche gewaltsame Revolution in der Natur dieses Wunder entstanden ist, wäre schwer zu ermitteln; mächtige Fluthen, die vor Jahrtausenden hier wütheten, haben vielleicht ein ganzes Gebirge weggespült und nur gleichsam das Gerippe davon stehen lassen, denn diese steinerne Welt erstreckte sich an drei Meilen in die Runde, über Berg und Thal. Daß Feuer hier nicht gewirkt haben kann, bezeugt die runde, gleichsam verwaschene Form der Felsengebilde; sie bestehen aus einer Art Sandstein, dessen Oberfläche ziemlich verwittert erscheint.

Die Mannichfaltigkeit der Formen, in der diese Erscheinung sich zeigt, ist unbeschreiblich, kein einziger dieser Steine ist dem andern gleich. Oft glaubt man Ruinen alter Schlösser oder verfallener Thürme zu erblicken, auch haben die Leute in der Umgegend nicht ermangelt, manchen einzelnen Stein mit dem Namen von Gegenständen zu bezeichnen, mit denen er eine entfernte Aehnlichkeit hat. So zeigte man mir zum Beispiel einen Mönch, ein giganteskes Lamm, eine Vase, eine Säule, sogar eine Brücke, die in einem Bogen von dem Gipfel eines dieser Felsen zu dem eines benachbarten hinüberreicht. Einer dieser Steine, den man den Zuckerhut getauft hat, steht auf sumpfigen Boden, ringsum mit Wasser [121] umgeben, unten hat er kaum drei Ellen im Umfange, nach oben zu gewinnt er eine ungeheure Breite, und noch ein andres großes Felsenstück liegt anscheinlich ganz los auf seiner Fläche. Man begreift nicht, wie das nur eine halbe Stunde so stehen kann, ohne umzusinken, und doch steht er seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden.

Im Durchschnitt steht die Basis aller dieser viel tausend Felsenstücke, in Hinsicht auf ihre Stärke, in gar keinem Verhältniß zu der obern Breite derselben. Sie sind hundert bis zweihundert Fuß hoch, viele derselben sind mit darauf ruhenden großen, unförmlichen Felsenmassen belastet, auf andern schwanken junge, hohe Tannen im Winde, die auf ihnen Wurzel faßten, und doch ist noch keiner dieser Steine umgesunken, nur der Blitz, der oft in sie fährt, schlägt zuweilen große Stücke davon ab. Alle sind in Stellung und Form von einander verschieden, oft stehen sie so nahe aneinander, daß sie sich beinahe berühren, oft aber auch entfernter, so daß zwei, drei Personen bequem zwischen ihnen hindurchgehen können. Frisches Grün, junges Gesträuch drängt sich um ihren Fuß, wo es nur irgend der Raum erlaubt, hohe, gewaltige Tannenbäume stehen mit in ihren Reihen, die aber, unerachtet ihrer bedeutenden Höhe, [122] von diesen Steingebilden bei weitem überragt werden. Die Gegend rings umher ist von unbeschreiblicher Anmuth: ein üppig grünendes Thal, von hohen waldbewachsenen Bergen umgeben, und mitten in demselben diese gespensterartigen, gleichsam der Unterwelt entstiegenen Riesengebilde, in nie zu lösender Erstarrung, vom frischesten Leben umringt.

Wir fuhren am Forsthause vor, um dort unser Mittagsessen zu bestellen. Das ländlichartige Haus liegt eben so freundlich als seltsam, auf einem schönen grünen Platze, um welchen eine große Anzahl jener wunderbaren Felsen einen weiten, säulenartigen Halbkreis bilden. Vom Förster selbst und zwei seiner Jäger begleitet, wagten wir uns nun weiter in das wundervolle Labyrinth dieser Felsenhallen, denn was wir bis jetzt gesehen, waren nur die zu ihnen führenden Propyläen. Zwischen jenen sein Haus umgebenden Säulen hindurch führte uns der Förster an eine schmale, hölzerne Thür, die den Eingang zu dem engsten, düstersten Thale verschließt, das ich jemals gesehen. Ein kleiner Bach fließt in demselben, den man einst versucht hat, zum Holzflößen brauchbar zu machen. Der Boden ist feucht und moorig; von den Steinen, die es rings umgeben, tröpfelt unaufhörlich das Wasser herab, und [123] ohne die Bretter, mit welchen der Förster den Boden hat belegen lassen, würde es schwer werden, das Ende dieses höhlenartigen Thales zu erreichen. Schauerlich kalt, feuchte Kellerluft wehte uns entgegen, als wir den Eingang betraten, der so eng ist, daß nicht zwei Personen neben einander gehen können. Düstre nachtähnliche Dämmerung umfing uns, obgleich draußen die Mittagssonne hell und klar am blauen Himmel stand, denn die Steine, die in dichtgedrängten Reihen diesen Platz von beiden Seiten umgeben, breiten sich oben so weit aus, daß nur wenige Lichtstrahlen durch Ritzen und spaltenartige Oeffnungen sich hindurchdrängen können, und doch grünt und blüht hier Gras und Blumen, und Tannenbäume haben selbst in diese Steinwelt sich hineingedrängt, wo nur irgend ein Plätzchen für sie frei war. Sie grünen selbst oben auf den höchsten Steinen, so daß man oft nicht weiß, ob man in einer Laube, in den Säulenhallen verfallner Tempel, oder in einer dunkeln Höhle wandelt.

Wir gingen ziemlich lange, immer auf dem, von Brettern gebildeten Fußsteige Berg auf Berg ab, immer von den, oft in die groteskesten Formen übergehenden Felsengebilden umgeben. Endlich kamen wir an einen ziemlich freien, grünen Platz, ein Quell [124] rieselt hier von einer nicht unbedeutenden Höhe herunter, der mit großem Recht der Silberquell genannt wird, denn ein reineres, klareres, aber auch kälteres Wasser als dieses, kann es in der Welt nicht geben.

Nun ging es einen steilen, sandigen Berg hinan, die Felsengebilde blieben uns immerfort zur Seite, wir gingen eine Strecke wieder abwärts, und befanden uns plötzlich an einem so wild phantastischen, düstern, ich darf wohl sagen schauerlichen Orte, daß mir wirklich im ersten Augenblicke ganz unheimlich zu Muthe wurde. Die hohen gewaltigen Steine standen rings um einen kleinen runden Platz so dicht zusammengedrängt, sie breiteten oben so gewaltig sich aus, daß der Ort wirklich eine Höhle genannt zu werden verdient, in welcher das durch die Felsspalten sehr spärlich hereinfallende Tageslicht eine trübe Dämmerung verbreitete, die eben nur hell genug war, um uns die nächsten Gegenstände erkennen zu lassen. Die ganze Höhle war voll Wasser, und nur durch die Vorsorge des Försters war es möglich geworden, in ihr Inneres zu gelangen.

Da stand ich nun auf den schwankenden Brettern, die der vorsichtige Mann hatte legen lassen, schaudernd vor Kälte, vielleicht auch ein wenig vor [125] Grauen, und betrachtete einen Wasserfall, der, mir gerade gegenüber, von einer Höhe von hundert Fuß senkrecht herabfiel.

»Hier oder nirgends ist Rübezahls Absteigequartier, wenn er einmal aus seinem unterirdischen Palaste hinauffährt in die Oberwelt,« rief ich, aber etwas wasserreicher könnte er jene Kaskade wohl halten,« setzte ich hinzu.

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als ein immer gewaltiger, immer donnerähnlicher, zuletzt wirklich betäubend werdendes Brausen sich hören ließ, der kleine Wasserfall wurde im Augenblick zum wild brüllenden Katarakt, Fluthen stürzten auf Fluthen, der Sturmwind, den der schnelle Fall einer so großen Wassermasse erregte, benahm mir den Athem, das laute Toben und Tosen in dem engen, dicht umschloßnen Felsenraume betäubte mir Gehör und Sinne. Ich war in dem Augenblicke von Rübezahls Existenz gläubig überzeugt, und überlegte in aller Geschwindigkeit: ob dieses unerwartete Schauspiel eine Galanterie sei, die er mir, als einer Fremden, habe erweisen wollen, oder ob er meine etwas frevelnd ausgesprochene Bemerkung gehört, und, darüber erzürnt, im Sinne habe, uns alle zur Strafe dafür hier zu ersäufen. Mein freundlicher Führer erklärte [126] mir jetzt, daß der Bach oben eine Mühle treibe, und daß man nur selten Fremden, die man besonders ehren wolle, zu Gefallen, die Schleuse aufziehe.

Ob ich für diese prosaisch-verständige Erklärung gehörigst dankte, weiß ich nicht mehr.

Die Hauptsehenswürdigkeiten dieses Thales waren mir nun vorgeführt, und wir gingen den nämlichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Auf dem freien Platze vor dem Forsthause führte man mich an einen Stein, und bat mich einige Augenblicke hier zu ruhen. Ein neuer Zauber war mir hier bereitet, anmuthig und sanft, im vollständigsten Kontrast mit jenem in Rübezahls schaurig-düstrer Höhle. Zwei Waldhörner ließen mit einer einfach klagenden Melodie sich hören, sie bliesen mehrere Takte, und machten dann an einer passenden Stelle eine Pause. Dreimal nach einander, laut und deutlich, das Letztemal wie in der zweiten Stimme accompagnirend, wiederholte die Stimme der Felsen die Melodie, ohne eine Note auszulassen. Es war wundervoll entzückend! Ein Wechselgesang zwischen den Waldhörnern und dem Echo entstand jetzt, von dem Worte keinen Begriff zu geben vermögen.

Zuletzt feuerten die Jäger noch einige Büchsenschüsse [127] ab, deren Nachhall sehr lange wie ferne Donner durch das Gebirge rollte.

Sehr zufrieden mit einem Tage, wie ich derern seit längerer Zeit nicht viele gezählt, traten wir nach Tische den Rückweg an. Ich war entzückt über Alles, was ich gesehen und gehört hatte, und unser Begleiter freute sich seinerseits nicht wenig, daß seine Absicht, uns Vergnügen zu bereiten, ihm so ganz, ohne die mindeste Störung, gelungen war.

Eine Meile vor Landshut nahmen wir noch das Kloster Grißau in Augenschein, das jetzt aufgehoben ist, und das reichste im Lande war. Cisterciensermönche, unter der Obhut eines gefürsteten Abtes, den sie jedesmal aus ihrer Mitte wählten, und der zugleich der erste Landstand in Schlesien war, trieben damals ihr Wesen darin. Seiner regierenden hochwürdig-fürstlichen Gnaden waren damals ein Bauerssohn aus der Umgegend, dessen Bruder in Landshut das ehrbare Schuhmacherhandwerk betrieb, und ohne seinem fürstlichen Bruder etwas verdanken zu wollen, aus freier Wahl, bei seinem Leisten blieb. Ein seltnes Beginnen für den Nepoten eines so vornehmen geistlichen Herrn!

Siebenzig Dörfer gehörten damals zu dieser Abtei. Auch bezeugte schon die Außenseite des einem [128] Palaste ähnlichen Klosters, daß die frommen Bewohner desselben ein sehr behagliches und gemüthliches Leben führen mochten, die große, ziemlich neue Kirche war ebenfalls sehr prachtvoll geschmückt, wenngleich geschmacklos von Innen wie von Außen, bunt und mit Zierrathen überladen, wie ein Konditor-Aufsatz.

Die Umgebungen von Landshut sind wunderschön, schöner noch mehr durch die Gebirge, und sogar der über einen bedeutend hohen Berg führende Weg nach dem nur zwei Meilen von jener Stadt entfernten Städtchen Schmiedeberg. Obendrein sind die Chausseen in diesem schönen Lande außerordentlich gut, nur die böhmische Grenze muß man sich hüten zu überschreiten. Das schlesische Gebirge trägt einen ganz eigenen Charakter von Anmuth und Lieblichkeit, durch den es sich von allen andern, die ich bereiset, unterscheidet. Die hohe Majestät, die gigantesken Formen der Schweizeralpen muß man hier anzutreffen nicht erwarten, auch weder den düstern feierlichen Ernst des schottischen Hochgebirges, noch die nordisch-wilde, und doch so romantisch-schöne Natur, die das Harzgebirge bezeichnet. Die schlesischen Berge sind runder, lachender, nirgends erblickt man starre, nackte Felsen, Alles ist mit Gärten, [129] Flachs- und Getreidefeldern oder mit schönen Waldungen bekleidet, und die Thäler sind weit offner und freier.

Der Weg nach Schmiedeberg führte uns ganz nahe am Fuß der Schneekoppe vorüber, des höchsten Berges in Schlesien, und wie behauptet wird in ganz Deutschland, dem selbst der Brocken an Höhe weichen muß. Ich konnte auf der Kuppe selbst keinen Schnee gewahr werden, wohl aber auf den sie umgebenden hohen Bergen. Doch darf man dabei an das in ewigem Schnee und Eis starrende Hochgebirge in der Schweiz nicht denken, diese Berge sind nur beschneit.

Oben auf der Schneekoppe steht eine kleine Kapelle, in welcher Einigemal im Jahre feierlich Messe gelesen wird; wer diese Messe besucht, erhält Ablaß für alle seine Sünden, auch sieht man dann die frommen Pilger in gedrängten Schaaren hinaufziehen. Auch wir hatten anfangs den Plan, diesen Berg zu besteigen, unterließen es aber auf den Rath unsrer schlesischen Freunde. Der Weg ist sehr beschwerlich; um oben die Sonne aufgehen zu sehen, was doch bei solchen Expeditionen die Hauptabsicht ist, muß man, ungefähr auf halbem Wege, in der Hempelbude übernachten, einer Art Sennerei, [130] von welcher man uns keine eben sehr einladende Beschreibung machte; und ist man endlich am andern Morgen oben bei der Kapelle, so wäre zehn gegen eins zu verwetten, daß man unmuthig und verstimmt den Berg wieder hinabklettert, weil nur wenige Morgen, besonders zur spätern Sommerszeit, hell genug ausfallen, um die dort oben wirklich herrliche Aussicht nach Wunsch genießen zu können.

Ungemein schön ist der Park des Grafen von Reden in Buchwald, eine halbe Stunde hinter Schmiedeberg. Die Nähe des Gebirges, die herrlichen Ansichten, welche besonders die sehr enge Schneekoppe bietet, sind auf das Verständigste, ich möchte sagen mit poetischem Geiste benutzt, und vielleicht giebt es in ganz Deutschland keine Gartenanlagen, die so ganz ihren Vorbildern, den englischen, ähnlich wären als diese. Die Tempel, die Grotten, die Pavillons, mit welchen die meisten englisch sein sollenden Gärten in Deutschland so überladen erscheinen, fehlen auch hier nicht ganz, sind aber mit weiser Sparsamkeit, und immer an solchen Stellen angebracht, wo sie wirklich zur Verschönerung des Ganzen beitragen. Besonders entzückte mich in der Nähe des sehr einfachen Schlosses eine Schattenpartie am Wasser. Die Anlagen sind sehr wasserreich, was in [131] diesen eigentlich wasserarmen Gegenden kein kleiner Vorzug ist, doch schien es mir, als ob die Engländer dies erheiternde belebende Element in ihren Parks noch besser zu benutzen verständen, als in Buchwald geschehen ist. Hart am Garten und schnurgerade fließt ein starker Bach vorüber, der, auf gehörige Art durch denselben geleitet, zu der Verschönerung unendlich viel beitragen könnte.

Schmiedeberg besteht eigentlich nur aus einer einzigen Straße, die aber beinahe eine halbe Meile lang sein mag; überall erblickt man große neue Häuser; schöner als in Landshut, die von der großen Wohlhabenheit ihrer Besitzer zeugen, welche diese dem Leinwandhandel verdanken, der auch hier das Hauptgeschäft ausmacht, das die Armen kümmerlich ernährt und die Kaufherren bereichert. Schmiedeberg hat aber keinen Leinwandmarkt, die Einkäufe werden daher gemeiniglich in Landshut gemacht.

Die Lage des freundlichen Ortes nahe an der Schneekoppe, in einem unbeschreiblich fruchtbaren, von waldbewachsenen Bergen umgebenen Thale, durch welches ein kleines Strömchen sich windet, ist außerordentlich schön. Dieses Strömchen ist eigentlich die noch sehr kleine Elbe, der man es noch gar nicht ansieht, welch ein mächtiger Strom sie einst werden wird.

[132] Und immer schöner wird die Gegend, jemehr man der nur zwei Meilen entfernten Stadt Hirschberg sich nähert, immer mannichfaltiger der Wechsel zwischen Thal und Hügel, der Aussichten auf ein fruchtbar blühendes Land, die bei jeder Wendung des Weges in veränderter Gestalt sich zeigen. Das Thal ist sehr breit, die Schneekoppe, nebst dem höheren Gebirge, tritt in bläulige duftige Ferne zurück; wohin das Auge sich wendet, erblickt es große Dörfer, schöne Hügel, Baumgruppen, mit Weizen, Flachs und Korn bedeckte Felder, kleine Tannenwälder, und unübersehbar große, mit weißer Leinwand bedeckte Bleichen, die mitten im Sommer wie Schneefelder dem getäuschten Auge erscheinen und mit der grünenden blühenden Pracht ringsum auf das allerseltsamste kontrastiren. Dieses Land verbindet alle Anmuth einer wohlangebaueten Ebene mit der hohen ernsten Schönheit einer Gebirgsgegend; es wäre eines der schönsten in der Welt, wäre es nur nicht so ganz arm an Wasserpartien. Wer jemals an den schattigen Felsen umkränzten Ufern der großen Seen wandelte, welche der Schweiz und den schottischen Hochlanden jenen ernsten unbeschreiblichen Stempel der höchsten Schönheit aufdrücken, die Keiner vergißt, der sie einmal erblickte, wird dieses feierlich-stille [133] und doch allerlebendigste Element in Schlesien ewig vermissen.

Zwar fließt der Zacken, ein kleines lebendiges Strömchen, durch das hirschberger Thal, aber das Bett desselben ist zu seicht und liegt obendrein zu voll Steine, als daß dies kleine Gewässer einen bedeutenden Effekt hervorbringen könnte.

In Hirschberg ging es uns eben nicht sonderlich, unerachtet unsere dortigen Bekannten alles Mögliche anwendeten, uns den Aufenthalt zu erleichtern; wir hatten sie gebeten, uns ein Logis zu besorgen, und mußten, unerachtet aller Mühe, die sie sich unsertwegen gegeben hatten, mit einigen sehr schlechten Dachkämmerchen in einer ganz ordinairen Fuhrmannsherberge vorlieb nehmen, denn in dem einzigen leidlichen Gasthofe, den es in Hirschberg gab, war Alles besetzt. Eine herumziehende Schauspielerbande, die eben in dieser Stadt ihr Unwesen trieb, hatte eine Unzahl von Gästen aus der Umgegend herbeigezogen, so daß selbst in dem nahen Bade Warmbrunn kein Unterkommen mehr war. Obendrein hatten wir unsere Dachkämmerchen nicht für uns allein, wir mußten an Theatertagen uns gefallen lassen, daß eine ländliche Familie aus der Nachbarschaft in einem derselben nach dem Schauspiel soupirte, ehe sie den [134] Weg in ihre Heimath wieder antrat. Dieses war auch einmal wirklich der Fall zu meinem großen Ergötzen; denn ich hörte in der Nebenkammer die kritischen Urtheile in der Gesellschaft über das eben gesehene Schauspiel mir an; und wie die Herren das wunderschöne Agiren des Ritters Bayard und der herrlichen Bianka bis in die Wolken erhoben, und wie die Damen über den ersten Jammer, den sie eben erlebt hatten, sich gar nicht zufrieden geben wollten, und meinten: ein schöneres und rührenderes Stück könne es doch in der Welt nicht mehr geben. Ach, und die Leute hatten so göttlich agirt! Das Nächstemal müsse der Papa wieder mit ihnen herüberfahren, so viel sei gewiß. Der Papa aber war nicht ganz dieser Meinung und brummte etwas.

Hirschberg ist eine recht hübsche Stadt, voll großer ansehnlicher Häuser, weit größer und schöner als Landshut oder Schmiedeberg, auch hier blüht der Leinwandhandel wie eben dort auch. Equipage, Kleidung, Einrichtung der Häuser, Alles nähert sich hier weit mehr dem, was man in größeren Städten in dieser Art zu finden gewohnt ist, und diese auffallende Verfeinerung der Sitten wie des Geschmacks, diese Neigung zu erhöhtem Luxus rührt meistens von dem Beispiele der vielen Fremden, besonders der reichen [135] Polen her, die alle Sommer das nur eine kleine Meile von der Stadt entlegene Bad Warmbrunn in großer Anzahl versammelt.


Warmbrunn, gehört dem Grafen von Schafgotsch, der mir beinahe wie der Marquis von Karabas in dem Mährchen vom gestiefelten Kater vorkam, denn ich mochte fragen wen ich wollte: Hirschberg ausgenommen war Alles sein, was ich sah. Die Besitzungen dieser alten edlen Familie sind in diesem Theile von Schlesien in der That unermeßlich groß. Der Ort selbst ist ungemein freundlich, voll artiger Häuser, in welchen Brunnengäste, die sich bei Zeiten melden, sehr angenehm wohnen können. Das große Schloß des Grafen zeichnet sich durch keinen gefälligen Styl der Architektur aus, es kam mir einigermaßen geschmacklos vor, aber die von dem Grafen selbst ohnlängs erbauete Gallerie, in welcher die Brunnengäste sich versammeln, ist eins der schönsten und zweckmäßigst eingerichteten Gebäude dieser Art, die ich kenne. Es bildet ein vollkommenes Viereck, beide Fronten haben ein schönes, auf Säulen ruhendes Peristyl. Beim Eintreten kommt man zuerst in eine von oben vermittelst der Kuppel erleuchtete Halle, an einer Seite derselben liegt der große Speisesaal, [136] an der andern der Tanzsaal und eine Menge kleiner, zum Spiel und zur geselligen Unterhaltung bestimmte wohl dekorirte Zimmer.

Leider macht auch hier, wie in so vielen Bädern, das Spiel die Hauptunterhaltung aus. Vom Morgen bis in die Nacht regierte König Pharao, rollten die Würfel, drehete sich die Roulette, unerachtet des Verbots von höchster Hand und der Wachsamkeit der Polizei.

Das Wasser in Warmbrunn ist weniger heiß, als das Karlsbader; gegen Gicht, Augenkrankheiten, Lähmungen und ähnliche Uebel soll es sich sehr wirksam erweisen. Ich habe keines der beiden Badehäuser sehen können, die sich in Warmbrunn befinden, denn der Ort war eben so von Fremden überfüllt, daß vom Morgen bis in die Nacht die Bäder nicht leer wurden.

Daß es in dieser paradiesisch schönen Gegend den Brunnengästen an Spaziergängen nicht fehlen kann, bedarf ich wohl nicht zu erwähnen. Die eigentlich für sie bestimmte Promenade, die besonders Morgens viel besucht wird, besteht in einer langen, schönen Allee von Pappeln, dicht neben der Gallerie.

Der eine halbe Stunde hinter Warmbrunn liegende Kynast, ein ziemlich hoher Berg, auf dessen [137] höchster Höhe die Ruinen eines Schlosses sich erheben, das ebenfalls den Grafen Schafgotsch angehört, und, wie ich glaube, ihr Stammschloß ist, bietet einen der schönsten und interessantesten Spaziergänge. Von der einen Seite erhebt der, bis fast oben hinauf mit schönen Tannen bedeckte Berg, sich senkrecht steil aus einem duftig grünen nicht breiten Thale, welches auf der dem Kynast entgegengesetzten Seite schön geformte waldbewachsene Berge umgeben und ist von hier aus völlig unzugänglich. Auf der andern Seite aber windet ein sehr bequemer Pfad sich durch die Tannen hinauf, den ich, die ich nie eine sehr rüstige Fußgängerin war, in weniger als einer Stunde zurücklegte. Lahme, Kranke oder Träge finden aber auch immer am Fuße des Berges bequeme Sessel und Träger, die sie hinaufzutragen bereit sind. Die von einer Seite sehr ausgebreitete Aussicht ist eine der reichsten und schönsten, man übersieht das ganze herrliche Thal mit seinen Hügeln und Wäldern, Warmbrunn, Hirschberg, viele schöne Dörfer und noch ein ansehnliches Schloß, das, wie hier fast Alles, ebenfalls zu den Besitzungen der Grafen von Schafgotsch gehört. Eine lange Kette hoher duftiger Berge zieht am Horizonte sich hin, der nur an einer Stelle unbegrenzt erscheint. Hier [138] aber, wo man das reiche Land in einem Umkreise von mehreren Meilen überschaut, fühlt man es recht, wie weit schöner das Alles erscheinen müßte, wenn ein bedeutender Landsee oder ein großer schiffbarer Strom diese fruchtbaren Gefilde belebten. Zwar fließen die Bober und der Zacken durch das Thal, und tragen dazu bei, die Fruchtbarkeit der Fluren und Aecker zu erhöhen, doch sind beide Flüßchen zu klein und unbedeutend, als daß man auf der Bergeshöhe viel von ihnen gewahr werden könnte. Von der andern Seite des Kynast blickt man tief hinab in den senkrecht steilen Abgrund, in das heimliche, enge, grüne Thal an seinem Fuße, in welchem ein Dörfchen, so still, so friedlich, wie von der Außenwelt ganz abgeschieden, im schattigen Dunkel seiner Bäume liegt. Und gegenüber die schönen, ganz nahe erscheinenden Berge, mit ihren üppig grünen Matten und ihren prächtigen Tannenwäldern! Einige junge Leute, die eben oben waren, feuerten hier ihre Pistolen ab; bei jedem Schuße war es, als ob auf den nächsten Bergen die mächtigen Tannen krachend zusammen brächen und in dem entfernteren Gebirge hallte der Schall wie Donner erst laut, dann immer schwächer und schwächer lange noch nach.

Von der Schloßruine steht noch viel altes Gemäuer, [139] auch ein Thurm, der aber jetzt unzugänglich ist. Vor einigen Jahren hat hier der Blitz gezündet und die an sich sehr malerische Ruine hat dadurch an pittoreskem Effekt noch gewonnen. Ernst und doch recht innerlich froh wandelte ich auf diesem Schauplatze alter Größe, auch wohl alter Verbrechen umher, horchte auf das Echo, das noch immer wie mit Geisterstimmen feierlich durch Berg und Wald hallte, und ließ mir von dem neben mir her hinkenden, invaliden Schloßverwalter, der hier mit dem Titel eines Herrn Kommandanten beehrt wird, alte Sagen erzählen: von einem alten Wolf, dem man die Zähne ausgebrochen, und der viele Jahre lang in der nämlichen Küche, auf deren zusammengesunkenen Gemäuer wir standen, den Bratspieß gewendet hatte, und doch zuletzt ein halb gar gebratnes Lamm fraß, um eine alte Prophezeiung zu erfüllen, die seinem in Ansehn und Ehre lebenden Herrn den Tod auf dem Schaffot verkündigte.

Auch von einem wunderschönen Fräulein Kunigunde, das stolz und spröde, keinem Ritter die Hand geben wollte, der nicht auf der nämlichen Mauer, an die ich mich lehnte, dreimal rings um das Schloß geritten wäre. Und, wie zwar viele hundert schöne, tapfere Ritter sammt ihren Rossen [140] darüber unten in dem schauerlichen Abgrunde, an dessen Rande die Mauer hinläuft, den schmählichsten Tod gefunden, aber doch immer neue verliebte Thoren sich gemeldet hätten, um das Wagstück zu bestehen, das Keinem gelang. Bis endlich Einer kam, der sein Pferd auf dieses bedenkliche Reiterkunststück gehörig abgerichtet hatte, und der wirklich das ganz Unerhörte vollbrachte. Stolz und trotzig schlug er die ihm jetzt willig dargebotene Hand aus; ob aber die Ohrfeige, die er dem Fräulein bei der Gelegenheit gegeben haben soll, eine Erfindung des Herrn Kommandanten ist, wage ich nicht zu entscheiden; ritterlich wäre dieser Zusatz zu seiner abschlägigen Antwort freilich nicht, wenn gleich auch nicht ungerecht, zu nennen. Die Nemesis aber hat auf wirklich schmähliche Weise das Andenken der holden Kunigunde der spätesten Nachwelt zur Rache übergeben; ein großer alter ganz abscheulicher hölzerner Puppenkopf mit langen fliegenden Haaren passirt für ihr Bildniß; und Handwerksbursche und Bauern, die an Sonn- und Festtagen oben ihr Bier trinken, treiben allerlei Unfung damit, indem sie einander zwingen wollen, das Fräulein Kunigunde zu küssen.

Hinter dem Kynast geht der Weg noch ein bis zwei Stunden durch dies breite lachende Thal, längs [141] dem Bette des Zacken hin, der hier ziemlich rasch und wild über große Felsenstücke einherbraust. Dann wird das Thal enger, von hohen waldigen Bergen dichter umschlossen, die Gegend wilder und pittoresker, bei Schreiberhau, das wirklich sehr romantisch in einer wilden Felsengegend liegt, die von dem, was ich in Schlesien gesehen, sich durchaus unterscheidet. In Schreiberhau befindet sich eine merkwürdige und bedeutende Anstalt zur Bereitung des Vitriols.

Gleich hinter Schreiberhau führt ein schmaler Fußpfad durch ein enges, waldiges Felsenthal, immer längs dem Zacken, zu dem Zackenfall, und von diesem hat man etwa noch anderthalb Stunden bis zum Kachelfalle zu gehen. Leider aber mußten wir auf[WS 22] halbem Wege wieder umkehren. Von dem häufigen Regen während dieses gewitterreichen Sommers angeschwellt, hatte der kleine Strom seine Ufer übertreten und den schmalen Fußpfad unwegsam gemacht. Es that uns leid, die beiden bedeutendsten Wasserfälle in Schlesien nicht sehen zu können, die allen Beschreibungen, die wir davon hörten, zufolge, außerordentlich schön sind, sowohl durch ihre Umgebungen, als an und für sich selbst.

In Warmbrunn war es unmöglich, ein leidliches Unterkommen zu finden, auf die Länge wurden wir [142] es müde, in unserm, jeder Bequemlichkeit ermangelnden Quartiere in Hirschberg auszudauern, und so verließen wir diesen freundlichen, für uns unwirthbaren Ort um mehrere Tage früher als es unser Plan gewesen. Wir verloren dadurch gewiß manchen großen Genuß, den uns die köstlichen Umgebungen der Stadt gewährt haben würden. Die Sonne war schon im Sinken als wir den Rückweg nach Schmiedeberg antraten, und die Gegend erschien uns in der günstigen Abendbeleuchtung noch weit entzückender als das Erstemal.

Um die im Gebirge sehr drückende Schwüle des Tages zu vermeiden, machten wir uns am andern Morgen mit Sonnenaufgang auf den Weg nach Landshut zurück. Ich ging zu Fuße den hohen Berg hinunter, der zwischen beiden Städten liegt. Wie schön war Alles um mich her; wie strahlte die hohe Schneekoppe im Rosenglanz des frühen Morgenlichts! Je länger und je mehr ich von diesem Gebirge sah, je schöner ward es, je mehr entzückte es mich. Wohl ist dasselbe werth, recht langsam, recht aufmerksam durchreis’t zu werden, selbst wenn man die Schweiz gesehen; in diesen üppig grünen Thälern, in der Form dieser Berge, in dem ganzen milderen, sanfteren Charakter dieses Gebirges liegt ein eigener unbeschreiblicher [143] Reiz, der immer bezaubernder erscheint, je länger man in demselben verweilt.

In Landshut hielten wir nur wenige Stunden uns auf, um den heißen Mittag vorübergehen zu lassen, dann fuhren wir drei Meilen weiter nach Waldenburg. Der Weg geht über das Gebirge, von jeder Höhe entzückten uns neue Aussichten dieses schönen Landstrichs in mannichfaltigem Wechsel. Fruchtbare grüne Thäler mit ihren Dörfern und einzelnen Wohnungen, schöne Berge, bis zur Hälfte mit den verschiedenartigsten Feldfrüchten, höher hinauf mit Tannenwäldern bekleidet, aus blauer Ferne zu uns herüberdämmerndes höheres Gebirge, gingen wie im Fluge an uns vorüber, bis wir Waldenburg erreichten. Das Thal, in welchem dieses Gebirgsstädtchen liegt, ist eines der malerischsten und schönsten, die wir in diesem Gebirge gesehen; der Ort selbst schien erst seit einige Jahren durch den, auch hier sehr stark betriebenen Leinwandhandel recht in Aufnahme gekommen zu sein, denn überall erblickten wir neu erbauete, ansehnliche Häuser; auch trägt die Nähe des Brunnenortes Altwasser nicht wenig dazu bei, ihn während des Sommers zu beleben. Sogar eine Schauspielerbande hatte in einer Bretterbude ihre Bühne aufgeschlagen; im Vorübergehen an derselben [144] hörten wir die Künstler, denn so lassen sie doch am liebsten sich nennen, dermaßen drinnen tragiren, daß der vor der Bude versammelten Straßenjugend kein Wort des Rührspiels, das sie eben vortrugen, entging.


Nahe bei Waldenburg liegt ein sehr ergiebiges Steinkohlenbergwerk, das, wie das des Herzogs von Bridgewater bei Manchester, vermittelst eines unterirdischen Kanals befahren wird. Auch diese sehr vortheilhafte Einrichtung hat Schlesien dem Grafen von Reden, dem Eigenthümer von Buchwald zu danken, der seinen frühern Aufenthalt in England auf die seinem Vaterlande ersprießlichste Weise, sowohl zur Verschönerung als zum Vortheil desselben zu benutzen wußte.


Zwar hatte ich in der bekannten Leaks-Höhle in Derbyshire halb und halb mir gelobt, mich des freundlichen Sonnenlichts zu freuen, so lange das Geschick mir dieses vergönnt, und nie wieder dem Schooße der Erde mich anzuvertrauen, bis er auf immer mich aufnimmt; aber ich ließ mich dennoch bereden, hier eine Ausnahme zu machen und hatte keinen Grund, dieses in der Folge zu bereuen, obgleich bei der Einfahrt in das Gewölbe kalte, dumpfe [145] Kellerluft mich anwehte, und die Feuchtigkeit von der Decke auf uns niedertropfte, was nach einem so glühend heißen Tage nicht sehr heilsam wirken konnte.

Uebrigens ist die Einfahrt nicht unbequemer als jede andere Wasserpartie. Am Eingange des Schachtes stiegen wir, von zwei Bergleuten und mehreren Grubenlichtern begleitet, in ein schmales aber langes Boot, und waren sehr bald von dichtem nächtlichen Dunkel umgeben, das durch den schwachen Schimmer der Grubenlichter erst recht sichtbar wurde. Der Kanal ist vielleicht etwas schmäler, als der in England, aber bei Weitem kürzer, er geht nicht wie dort unter dem ganzen Berge durch, so daß man auf der entgegengesetzten Seite wieder herausfahren könnte, die Nachen müssen am Ende desselben wieder umkehren und an derselben Stelle wieder ausfahren wo sie eingefahren. Das Gewölbe ist ziemlich luftig und hoch, an einigen Stellen sorgfältig aufgemauert, an andern, wo die Lokalität es erlaubte, in den nackten Fels eingehauen, eben wie in England auch. Die Strecken, so nennen die Bergleute das Steinkohlenlager, liegen zu beiden Seiten des Kanals. Sie sind schon tief genug ausgearbeitet, um auf ihnen aufrecht stehen zu können, dieses war in des Herzogs [146] von Bridgewater Kohlenbergwerk nicht der Fall; dort mußte man mühsam zu den Strecken hinaufklettern und fast auf allen Vieren darin herumkriechen, um nur etwas zu sehen.

Tiefes schweigendes Grabesdunkel umgab uns während unserer unterirdischen Fahrt; nur zuweilen schimmerte aus der Höhe das Tageslicht wie ein erbleichender Stern auf uns herab, wenn wir unter den ehemaligen Schachten hinfuhren, durch welche die Bergleute sonst herabsteigen mußten, ehe der Kanal angelegt worden war. An einer Stelle des Kanals, wo zwei Nachen an einander vorüberschiffen können, begegneten wir den für die nächtliche Arbeit einfahrenden Bergleuten; denn in diesen unterirdischen Regionen, die weder Sonne noch Mond beleuchten, kennt man den Wechsel der Tageszeiten nicht, und nicht die Ruhe der Nacht. Die bleichen, von Kohlenstaub geschwärzten Gestalten sehen bei dem sie noch bleicher erscheinen lassenden Grubenlicht recht geistermäßig aus; hohl und dumpf erklang ihr »Glück auf!« durch die todte Stille der ewig schweigenden Fluth, die völlig lautlos einher schleicht. Alles um uns erinnerte an den selbst Göttern furchtbaren Styx und den ewig geschäftigen Nachen des alten grimmigen Charon.

[147] Mit erneueter Freude begrüßten wir nach einer in undurchdringlichem Dunkel hingebrachten Stunde das heitere Tageslicht wieder und die Sonne, und die in den letzten Strahlen derselben in erhöheter Anmuth blühende schöne Erde. Am folgenden Morgen führte der Weg uns noch eine Meile duch das Gebirge, dann senkte er sich dem schon im Thale liegenden Städtchen Freiberg zu. Von hier aus ging es plötzlich bergunter; ehe wir uns dessen versahen, befanden wir uns in der weiten, unabsehbaren Ebene, und immer weiter trat hinter uns das Gebirge zurück, bis es endlich in den bläulichen Schleier der Ferne eingehüllt nur noch gleich Wolkenbildern den Horizont begränzte.


Die flache Ebene, durch welche wir auf sehr wohlgehaltener Chaussee jetzt hinrollten, war reich angebauet und fruchtbar, vermochte aber nicht, nach den Scenen, die wir eben verlassen, uns eben irgend ein lebhafteres Interesse zu erregen. Von der Festung Schweidnitz, die wir bald darauf erreichten, weiß ich nur zu sagen, daß mir das artige Städtchen weit hübscher vorkam, als ich es mir gedacht hatte; daß wir in demselben zwei Stunden lang auf frische Pferde warten mußten, und daß wir beim Einfahren [148] dreimal und beim Ausfahren zweimal über Namen und Stand, über Woher und Wohin, und über den eigentlichen Zweck unserer Reise uns ein langes, sehr genaues Examen gefallen lassen mußten. Die Gegend blieb sich gleich, bis wir Abends um sechs Uhr in Breslau anlangten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Pieter de Hooch (* 20. Dezember 1629; † nach 1684)
  2. Balthasar Denner (* 15. November 1685; † 14. April 1749)
  3. Claude Lorrain (* 1600; † 23. November 1682)
  4. Nicolaes Pieterszoon Berchem (* 1. Oktober 1620; † 18. Februar 1683)
  5. Peter Paul Rubens (* 28. oder 29. Juni 1577; † 30. Mai 1640)
  6. Anthonis van Dyck (* 22. März 1599; † 9. Dezember 1641)
  7. Jan van Huysum (* 15. April 1682; † 8. Februar 1749)
  8. Antonio Allegri, genannt Correggio (* August 1489; † 5. März 1534)
  9. Carlo Dolci (* 25. Mai 1616; † 17. Januar 1686)
  10. Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford (* 26. März 1753; † 21. August 1814)
  11. gemeint ist Maximilian I. ( * 27. Mai 1756; † 13. Oktober 1825)
  12. Karl VII. (* 6. August 1697; † 20. Januar 1745)
  13. Jean-Baptiste Isabey (* 11. April 1767; † 18. April 1855)
  14. Carl Friedrich Demiani ( * 1768; † 1823)
  15. Maximilian II. Emanuel (* 11. Juli 1662; † 26. Februar 1726)
  16. Michelangelo Merisi da Caravaggio ( * 29. September 1571; † 18. Juli 1610)
  17. Ludwig XV. (* 15. Februar 1710; † 10. Mai 1774)
  18. gemeint ist Johann Joachim Winckelmann (* 9. Dezember 1717; † 8. Juni 1768)
  19. Postreiter, siehe Estafette
  20. August Friedrich Ferdinand von Kotzebue (* 3. Mai 1761; † 23. März 1819 (ermordet))
  21. korrigiert, im Druck au
  22. korrigiert, im Druck anf