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Titel: Joseph Hyrtl †
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 548
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[548] Joseph Hyrtl †. Südlich von Wien, angelehnt an die Hänge des Wiener Waldes, liegt der anmutige Flecken Perchtoldsdorf. Dort lebte seit 20 Jahren in stiller Zurückgezogenheit der Mann, zu dem ganze Generationen von Medizinern als zu ihrem ersten Lehrer aufschauen – Joseph Hyrtl. Bei einem halbverfallenen burgartigen Bau inmitten des Orts hatte er sich ein trauliches Heim gegründet, das nur seine treue Gattin, eine feinsinnige Dichterin, mit ihm teilte; wenige vertraute Freunde bildeten seinen Umgang. So lange das schwindende Licht seiner Augen es ihm erlaubte, setzte er seine wissenschaftlichen Forschungen fort, für die er sich in dem alten, unmittelbar an den Friedhof anstoßenden Gemäuer eine seltsame Studierstube geschaffen hatte. Wie ein Patriarch erschien er mit dem großen weißen Vollbart, den leider keines seiner Bilder zeigt, da er sich seit vielen Jahren nicht mehr photographieren ließ. Gewöhnlich trug er ein langes talarähnliches Gewand, das er von der Gewohnheit des Lehrsaals her beibehalten hatte, das Haupt war tief beschattet mit einem grünen Schirm oder einem breitkrämpigen Hut, der leidenden Augen wegen. Warme Verehrung aber genoß er in den Herzen der Perchtoldsdorfer, für deren Kinder er, der Kinderlose, durch Stiftung einer Schule und eines Asyls in freigebiger Weise gesorgt hatte; wie ja auch ein Waisenhaus im benachbarten Mödling und namhafte Stipendien für Studierende der Wiener Hochschule von seinem hochherzigen Wohlthätigkeitssinne Zeugnis ablegen.

Joseph Hyrtl.
† 17. Juli 1894.

Joseph Hyrtl hat nun auch dem Gesetze alles Lebenden sich beugen müssen – am Morgen des 17. Juli ist er, plötzlich und unvermittelt, einem Herzschlag erlegen. Dank einer äußerst regelmäßigen Lebensweise hatte er seinen Körper bis in das hohe Alter von 831/2 Jahren frisch erhalten.

Hyrtls wissenschaftliche Verdienste liegen, wie man weiß, hauptsächlich auf dem Gebiete der Anatomie. Schon als junger Mann von 23 Jahren war er Prosektor an der Wiener Anatomie, 1837 wurde er Professor in Prag, kehrte 1845 nach Wien zurück, dessen Hochschule er von da ab bis 1874 treu blieb. Berühmt sind seine anatomischen Lehrbücher, von denen eines es bis auf 20 Auflagen gebracht hat, und seine anatomischen Präparate, die er meisterhaft herzustellen verstand und mit denen er die Universitäten der halben Welt versorgte. Als Lehrer war Hyrtl von ungemeinem Einfluß. Seine Vorträge, die er mit köstlichem Humor zu würzen pflegte, während er äußerlich unerschütterliche Würde und Ruhe bewahrte, waren von bewundernswerter Klarheit, ein unschätzbarer Vorzug, wenn man daran denkt, daß der Anatomie in der Regel gerade die Anfänger im medizinischen Studium sich zuwenden.

Als Hyrtl am 7. Dezember 1890 seinen 80. Geburtstag feierte – er war 1810 zu Eisenstadt in Ungarn geboren – da entließ er die Freunde, die ihn besucht hatten, mit dem heiteren Gruße: „Auf Wiedersehen in zehn Jahren!“ Das aber ist dem Einsiedler von Perchtoldsdorf nun doch nicht mehr beschieden gewesen. Der Tod, mit dessen Anblick ihn Beruf und Leben so vertraut gemacht, hat ihn früher abgerufen aus seinem ungewöhnlich reichen und gesegneten Dasein.