Joseph Freiherr von Eichendorff (Die Gartenlaube 1888/10)
Der Hirt bläst seine Weise,
Von fern ein Schuß noch fällt,
Die Wälder rauschen leise
Und Ströme tief im Feld.
Nur hinter jenem Hügel
Noch spielt der Abendschein –
O hätt’ ich, hätt’ ich Flügel,
Zu fliegen da hinein!
[163] Joseph Freiherr v. Eichendorff. (Mit Illustration S. 153.) Der 10. März ist der Gedenktag eines der liebenswürdigsten Dichter der romantischen Schule, der an diesem Tage 1788 auf dem Gute seines Vaters Lubowitz bei Ratibor in Schlesien geboren wurde. Er studirte die Rechte, machte die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 mit, wurde dann Referendar bei der Regierung in Breslau und verfolgte diese Karrière, bis er als Geheimer Regierungsrath im preußischen Kultusministerium im Jahre 1844 seinen Abschied nahm. Er starb am 26. November 1857 in Neiße.
Bei der Säkularfeier litterarischer Größen hat das deutsche Volk das Recht, das Bleibende vom Vergänglichen zu sondern; auch Eichendorff hat vieles für den Papierkorb der Litteraturgeschichte geschrieben; wir rechnen dazu seine Dramen, einige seiner Romane, vor allem seine späteren von einseitiger Tendenz beherrschten kritischen Schriften. Von unvergänglichem Zauber aber sind seine Gedichte! Eichendorff ist einer unserer ersten Liederdichter; das schlichte, aus der Tiefe der Seele hervorquellende Wort steht ihm zu Gebote wie wenigen; seine Lieder sind gleichsam gesättigt mit der Magie der Empfindung. Welch köstliches Schlummerlied ist das Ständchen:
„Schlafe, Liebchen, weil’s auf Erden
Nun so still und seltsam wird.“
Wie schwunghaft klingt der Schlußvers des Soldatenliedes:
„Trompeten nur hör' ich werben
So hell durch die Frühlingsluft,
Zur Hochzeit oder zum Sterben
So übermächtig es ruft.
Das sind meine lieben Streiter,
Die rufen hinaus zur Schlacht:
Das sind meine lustigen Reiter;
Nun, Liebchen, gute Nacht!
Wie wird es davon so heiter,
Wie sprühet der Morgenwind!
In den Sieg, in den Tod und weiter,
Bis daß wir im Himmel sind!“
[164] Wie volksthümlich sind einzelne seiner Lieder geworden, z. B.:
„In einem kühlen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad.“
In allen diesen Liedern ist bald etwas Anheimelndes, bald spricht sich in ihnen die Sehnsucht aus nach der duftigen Ferne! Wie gern verträumt der Dichter die Nacht im stillen Wald; dann lockt’s ihn wieder, vom Söller herabzulauschen in den Grund,
„Wo die vielen Bäche gehen
Wunderbar im Mondenschein.“
Doch wie die mondhelle Nacht feiert der Dichter auch den Abend, der rosige Flocken streut, und die früheste Morgenstunde, wo er auf hohem Berg nach dem ersten Strahle schaut, kühle Schauer in tiefster Brust. Dies innige Naturgefühl, dem er einen so weichen schwärmerischen Ausdruck zu geben weiß, das Leise, Hingehauchte des dichterischen Wortes giebt Eichendorff die eigenartige, hervorragende Stellung unter unseren lyrischen Dichtern.
Frische Wanderlust und verweilendes Behagen, auch in lyrische Stimmung getaucht, sind charakteristisch für seine reizende Idylle „Aus dem Leben eines Taugenichts“, deren Held, ein harmloser Müßiggänger von kindlicher Unschuld, in allerlei schalkhaft beleuchtete Verwickelungen geräth. In dem Roman „Dichter und ihre Gesellen“ versammelt Eichendorff eine Gemeinde künstlerischer Müßiggänger und führt sie in bunte Liebesabenteuer; doch sind die Gestalten in seinen Romanen, auch in „Ahnung und Gegenwart“, blaß und verträumt. Auch für seine großen Dichtungen „Julian“ und „Robert und Guiskard“ ist seine Beleuchtungsart träumerisch, sind seine Helden zu schattenhaft gezeichnet.
Eichendorff lebt in seinen Liedern fort; was er sonst gedacht und gewollt, ist zum Theil durch engherzige konfessionelle Anschauungen getrübt; wir aber feiern an seinem Ehrentage den Sänger, der uns einen Strauß unverwelklicher Liederblüthen geboten hat und der dabei von dem Berufe des Dichters eine so hohe Meinung hatte:
„Der Ehre sei er recht zum Horte,
Der Schande leucht’ er ins Gesicht!
Viel Wunderkraft liegt in dem Worte,
Das hell aus reinem Herzen bricht!“