Johann Gustav Droysen †

Textdaten
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Autor: Auguste von der Decken
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Titel: Johann Gustav Droysen †
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 470
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Johann Gustav Droysen.0

Vierzig Jahre sind in diesen Tagen verflossen, seit auf dem Sängerfeste zu Schleswig (am 24. Juli 1844) zum ersten Male unter unendlichem Jubel ein Lied gesungen wurde, das für die Schleswig-Holsteiner Patrioten ein Trost- und Kampflied in schwerer Zeit geworden war: „Schleswig-Holstein meerumschlungen“. Der Holsteiner Matthäus Friedrich Chemnitz, der das Lied gedichtet, hatte in demselben zum vollen Ausdruck gebracht, was die Seelen seiner Landsleute erfüllte, und an den schlichten kernhaften Worten des Dichters entzündete sich eine ähnliche Begeisterung, wie ein Vierteljahrhundert später an den Strophen der „Wacht am Rhein“. In allen Städten Schleswig-Holsteins, auf den Straßen erklang das Lied, und überall sang man es in Deutschland nach, denn das Volk dachte und fühlte damals schon stärker deutsch, als es den meisten Regierungen gerade lieb war. Aber nicht allein die Schleswig-Holsteiner Poeten, sondern auch die Gelehrten, die Professoren der Kieler Landes-Universität griffen mit scharfer Geisteswehr in den Kampf ein, welchen die Bevölkerung um die Wahrung ihrer ererbten historischm Rechte, um die Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit und der politischen Untheilbarkeit der Herzogthümer gegen die Gelüste der dänischen Landstände kämpfte.

Johann Gustav Droysen.

Besonders war es einer unter den Kieler Professoren, der mit dem ganzen Feuereifer der Jugend, aber auch mit überzeugenden staatsrechtlichen Gründen die dänischen Ansprüche bekämpfte. Er war kein Landeskind, sondern von Geburt ein Pommer, der erst wenige Jahre vorher von der Berliner Universität nach Kiel berufen worden war, ein Mann, von dem man eigentlich am allerwenigsten ein so energisches Eingreifen in eine politische Tagesfrage erwarten konnte; denn Johann Gustav Droysen war zwar schon ein bekannter Gelehrter, als er in dem noch jugendlichen Alter von zweiunddreißig Jahren als Professor der Geschichte nach Kiel übersiedelte, aber sein wissenschaftlicher Ruf stützte sich auf Werke, die sämmtlich aus dem Stoffkreise der antiken Welt geschöpft waren, auf glänzende Uebersetzungen der großen griechischen Theaterdichter Aeschylos und Aristophanes und auf eine fesselnde, vielfach von neuen Gesichtspunkten ausgehende Geschichte des macedonischen Eroberers Alexander, des Napoleon der Antike. Allein mit der ihm eigenen Frische und Beweglichkeit des Geistes, der für äußere Einflüsse sehr empfänglich, war, widmete sich Droysen bald nach seiner Uebersiedelung von Berlin nach Kiel dem Studium der Schleswig-Holsteiner Frage und trat an die Spitze der protestlerischen Bewegung in den Herzogtümern. So verfaßte er in demselben Jahre, in welchem Chemnitz sein Schleswig-Holsteiner Streitlied sang, die „Kieler Adresse“ an den Dänenkönig, in welcher die Untheilbarkeit und Selbstständigkeit der beiden nördlichsten deutschen Volksstämme nachdrücklich betont war, und zwei Jahre später in Gemeinschaft mit acht Collegen von der Kieler Universität den „Protest der Professoren“. Der Protest ging darauf hinaus, daß eine dänische Staatsverfassung nur dann für die Herzogthümer Gültigkeit haben könne, wenn sie in gemeinsamer Berathung Dänischer und Schleswig-Holsteiner Vertreter vereinbart wäre. In der That beschickte Schleswig-Holstein die constituirende Versammlung, die nach dem Tode Christian’s VIII. der neue Dänenkönig 1848 nach Kopenhagen berief, nur zu dem Zwecke, um förmliche Verwahrung gegen die dänische Willkürherrschaft einzulegen.

Die Nachricht von der Pariser Februarrevolution gab den Anstoß zu einer allgemeinen Erhebung in den Herzogthümern, und als es sich nach der Errichtung der provisorischen Regierung vom 24. März darum handelte, einen Vertrauensmann zum Bundestage nach Frankfurt zu senden, fiel die Wahl auf den Professor Droysen. So kam Droysen nach Frankfurt, wo er später auch einen schleswig-holsteiner Bezirk in der deutschen Nationalversammlung vertrat. Im Verfassungsausschusse der Nationalversammlung hat er eine bemerkenswerthe Thätigkeit entfaltet, wenn auch die Arbeiten des Ausschusses unfruchtbar blieben, da die Einigung Deutschlands sich erst lange nachher und in einer wesentlich anderen Richtung vollzog, als man sie sich in der Frankfurter Paulskirche dachte. Droysen hat jedoch schon damals mit dem Scharfblicke des Historikers vorausgesehen, daß ein einiges starkes Deutschland nur unter der Führung der Hohenzollern möglich sei, was in der Paulskirche für einen ketzerischen Gedanken galt. Die Ereignisse von 1871 haben seine Vorahnungen gerechtfertigt.

Die elf Jahre seiner Kieler Professur (von 1840 bis 1851) sind die bewegtesten und ereignißvollsten im Leben Droysen’s gewesen; im Uebrigen führte er ein ruhiges, freilich an den höchsten Ehren reiches deutsches Gelehrtenleben. Darum läßt sich auch eine Skizze seiner Laufbahn in wenigen Worten geben.

Am 6. Juli 1808 zu Treptow an der Tollense geboren, war er nach Beendigung seiner Stettiner Gymnasial-Studien nach Berlin gekommen, um Theologie zu studiren; aber das Berlin der damaligen Zeit war nicht der Boden, welcher Theologen zu erzeugen pflegt. Als der Treptower Pfarrerssohn in der Residenz den genialen Hegel und sein bestechendes philosophisches System kennen lernte, als er den geistvollen Eduard Gans sowie Karl Ritter hörte, verflogen die theologischen Zukunftspläne, und statt auf die Kanzel bereitete er sich auf den Lehrstuhl der Historik vor. Er habilitirte sich 1833 an der Berliner Universität als Privatdocent, erhielt Jahre später eine außerordentliche Professur, aber da der politische Wind, welcher von oben herab wehte, seiner freieren Geistesrichtung nicht günstig war, folgte er 1840 dem an ihn ergangenen Rufe wach Kiel. Während der Jahre 1851 bis 1859 wirkte er in Jena als Nachfolger Luden’s, kehrte jedoch im letztgenannten Jahre nach Berlin zurück, wo er bis vor Kurzem zu den glänzendsten Zierden der Universität gehörte. Ein unheilbares Brustleiden führte am 19. Juni dieses Jahres seinen Tod herbei. Die Unsterblichkeit seines Namens hat er durch meisterhafte Darstellungen aus der neueren preußischen Geschichte errungen, namentlich durch sein prächtiges Volksbuch „Leben des Feldmarschalls York von Wartenburg“, durch seine „Geschichte der preußischen Politik“ und seine „Aktenstücke zur Geschichte des Großen Kurfürsten“. Ein Mann des patriotischen Wortes und der patriotischen That ist in ihm dahingegangen, der zu den edelsten und hervorragendsten Erscheinungen des von ihm ersehnten neuen deutschen Kaiserreiches gehörte. W. H.