Jahresversammlung der Pariser Lumpensammler

Textdaten
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Titel: Jahresversammlung der Pariser Lumpensammler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 679-980
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[679] Jahresversammlung der Pariser Lumpensammler. Wir finden in einem Pariser Blatte folgende interessante Details über die ehrenwerthe Gemeinschaft der Lumpensamler. „Sie haben eine methodische Brüderlichkeit, und schon seit langer Zeit besteht unter ihnen eine äußerst nützliche Gesellschaft zur gegenseitigen Unterstützung. Noch kürzlich erbaten sie vom Polizei-Präfecten die Erlaubniß, sich zur Prüfung und Revidirung der Statuten dieser Gesellschaft versammeln zu dürfen. Diese Versammlung fand in einer Kneipe „Zur alten Fahne“ im Quartier St. Marcel statt. Achtundvierzig von der Association der Lumpensammler ernannte Delegirte waren gegenwärtig; jeder von ihnen bezahlte beim Eintritt 20 Centimes zur Bezahlung der Saalmiethe und einer gewissen Anzahl von Flaschen gewöhnlichen Weines. Der älteste der Delegirten nahm vorläufig den Präsidentenstuhl, d. h. eine umgekehrte Tonne ein; sechs Delegirte, die lesen, und fünf, welche schreiben konnten, wurden als Candidaten für die Posten eines Präsidenten und eines Secretairs ernannt. Nach der Wahl dieser beiden Würdenträger übergab der Alterspräsident seinen Sitz dem neuen Präsidenten, wobei letzterer seinen Vorgänger umarmte; der Präsident hielt dann eine Anrede, worin er zuerst die Rechtschaffenheit der Corporation der Lumpensammler rühmte und nachwies, daß dies kein leerer Wahn sei, da sie alle gefundenen Gegenstände der betreffenden Behörde einhändigten und nur selten ein Lumpenammler wegen Diebstahls oder anderer Ursachen vor Gericht erscheine. Er erstattete dann Bericht über die Thatigkeit der Gesellschaft seit der letzten Versammlung und ermahnte in pathetischer Weise seinen „lieben Brüder,“ sich einander zu lieben und einig zu bleiben. Nach dieser Ansprache verlas der Secretair die Statuten, 52 Paragraphen an der Zahl, und fragte, ob Jemand Veränderungen zu beantragen habe. Nur zwei Artikel wurden debattirt: der 17., betreffend die brüderliche Vertheilung der verschiedenen Districte von Schmutzhaufen unter die Lumpensammler, und der 52., den monatlichen Beitrag jedes Mitgliedes und die Unterstützung der Kranken betreffend. Nach einer ernsthaften Debatte wurde der erste dieser beiden Artikel dahin modificirt, daß die obenerwähnten Districte nicht nur den Lumpensammlern dieser Districte vorbehalten bleiben sollen, sondern daß auch kein Lumpensammler unter irgend einem Vorwande sich an den Schmutzhaufen eines andern vergreifen darf; der 52. Artikel wurde dahin geändert, daß künftighin wegen der Theurung der Lebensmittel der monatliche Beitrag 50 Centimes statt 25 betragen, und jeder Kranke täglich 60 Centimes statt 30 erhallen soll. Nachdem die Statuten feierlich angenommen waren, wurde der schon in früheren Versammlungen gefaßte Beschluß, daß der Aelteste der Corporation, Namens S…, ein Greis von 85 Jahren mit dem Beinamen: der General, für den Rest seiner Tage von dem monatlichen Beitrage ausgenommen, dennoch aber alle Rechte eines Mitgliedes beibehalten soll, daß ihm ferner monatlich 250 Gramme Tabak zuertheilt werden und er bei allen Versammlungen und Banketen den Ehrenplatz nebst freier Zeche habe, von Neuem einstimmig und unter donnerndem Beifallsruf bestätigt.

Die Reihe kam nun an den Schatzmeister, um Rechnung über seine Cassenverwaltung abzulegen. Alles wurde für richtig befunden, auch die Bilanz von 17 Frcs. 95 Cts., welche in einer irdenen Sparbüchse aufbewahrt waren.

Als die Geschäfte alle abgemacht waren, begaben sich die Delegirten nach einer Kneipe, genannt „der dreifarbige Topf“, an der Barrière Fontainebleau, wo ein Banket bereitet war. Dieser Ort ist stets das Rendez-vous der Association der Lumpensammler gewesen. Er war immer in drei Sectionen abgetheilt; die erste, genannt die Pairskammer, war für die Elite der Versammlung reservirt, d. h. für diejenigen bestimmt, welche einen guten Tragkorb, eine gute Laterne und einen mit Kupfer beschlagenen Hafen besaßen; die zweite Abtheilung, Deputirtenkammer, war [680] für diejenigen bestimmt, welche obige Gegenstände in nicht so wohl erhaltenem Zustande oder von geringerer Qualität besaßen; die dritte Abtheilung endlich, der Saal der wahren Proletarier, faßte die Lumpensammler der niedrigsten Classe, d. h. diejenigen, welche weder Tragkorb, noch Laterne, noch Haken besitzen und folglich gezwungen sind, die Lumpen mit der Hand aus den Schmutzhaufen zu holen und in einen Sack zu stecken. In der Versammlung aber, welche wir beschrieben haben, wurde beschlossen, daß als Zeichen der Freundschaft und guter Brüderlichkeit alle Classenunterschiede aufgehoben werden und die drei erwähnten Classen an einem Tische Platz nehmen sollten. Der Präsident beantragte, daß dieser Beschluß auch in Zukunft als fest bestehende Regel gelten sollte, was auch durch Acclamation angenommen wurde. – Die Theilnehmer des Bankets begannen alsdann ihrem Mahle zuzusprechen. Die Ehrenschüssel war eine riesige olla potrida; ein hoher irdener Krug, das „Väterchen“ genannt, welchen ein Faß, der „Mohr“ benamset, beständig füllte, enthielt den Wein, und zwar ordinären; das Nachessen bestand aus gewaltig stark riechendem Käse, Radieschen und einem Glase Branntwein, genannt „Brustbrecher“ (casse-poitrine). – Beim Banket ging es sehr lustig her und beim Dessert wurden mehrere Toaste ausgebracht; der eine auf die Presse, welche, sagte der Präsident, die Welt erleuchtet, und durch ihre ungeheure Papierconsumtion den Lumpensammlern ihr tägliches Verdienst zuwendet. Schließlich wurde eine Sammlung zu Gunsten der Armen veranstaltet, welche 9 Frcs. 75 Cts. einbrachte. – Bei früheren Gesellschaften waren die Tischgeräthschaften mit Ketten an den Tisch befestigt; dieses Mal geschah dies nicht. Indessen verlangte man von den Gästen, daß sie eine gewisse Summe deponirten, welche ihnen später wiedergegeben wurde.