Textdaten
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Autor: Ludwig Beckmann
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Titel: Jagddaguerreotypen/1.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, 24, S. 364-366, 372-374
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Jagddaguerreotypen.
Von Ludwig Beckmann, Maler in Düsseldorf.
I. Das Schwarzwild und seine Jagd in alter und neuester Zeit.

Das Schwarzwild oder Wildschwein (Sus scrofa), welches mit vieler Wahrscheinlichkeit für den Stammvater des zahmen Schweins gehalten wird, war in frühern Zeiten fast über den ganzen Erdboden verbreitet. – Wiewohl seiner ganzen Anlage nach ein dem gemäßigten Norden angehöriges Thier, finden wir es doch heutzutage auch unter den heißem Himmelsstrichen in zahlreicher Menge, sobald sumpfige Niederungen ihm die Mittel zur Existenz gewähren. Dagegen verschwindet es im höhern Norden, wegen Mangel samentragender Laubbäume und offener Moräste.

In den meisten europäischen Ländern hat die rastlos um sich greifende Bodencultur diese im Haushalt der Natur so nützliche, dem egoistischen Menschen aber höchst lästige Thiergattung bereits auf ein Minimum reducirt. Doch finden sich noch hin und wieder einzelne Bestände dieser Wildart unter geregeltem Jagdschutz und Abschuß und zwar vorzugsweise im nördlichen Deutschland. Freilich ist Alles nur noch ein Schatten vergangener Zeiten, und auch hier dürfte der Tag nicht so gar ferne sein, wo das letzte „Hauptschwein“ in den Park oder gar in’s Museum wandert. Es lohnte daher wohl der Mühe, zuvor noch einen Blick auf diese urwüchsigen, borstigen Söhne der Wildniß zu werfen und zugleich der verschiedenen, interessanten Jagdarten zu gedenken, welche von Alters her bis auf unsere Zeit gegen sie angewendet worden. Nur auf der Saujagd findet der deutsche Jäger mitunter noch Gelegenheit, Geistesgegenwart und Courage an den Tag zu legen, denn unsere sonstigen Wildarten geben bekanntlich unter allen Umständen Fersengeld, so lange ein Ausweg übrig bleibt. Daher ertheilten schon unsere Vorfahren der wehrhaften Wildsau das Prädicat „ritterlich“, während der stolze Hirsch nur „edel“ benamset wurde.

Das Wildschwein.

Beschäftigen wir uns zunächst mit der Naturgeschichte. Linné rechnet das Wildschwein, merkwürdig genug, unter die Thiere mit dem Pferdegebiß; – Cuvier und Andere placiren es unter die Vielhufer (Multungula), wiewohl die Structur seines Fußes dieselbe ist, wie bei dem unter die „Zweihufer“ gerechneten Hirsch. Ein Beweis, wie schwer es hält, die unendliche Schöpfungskette in bestimmte Gliederungen abzutheilen! – Sehen wir daher gänzlich von der Classification ab und beschäftigen uns desto angelegentlicher mit dem Individuum, welches sich von seinem zahmen, malpropren Collegen in gar mancher Hinsicht unterscheidet.

Das zahme Schwein.

Das Wildschwein ist bekanntlich kürzer, gedrungener und hochbeiniger als das zahme Schwein. Der bärtige Kopf nimmt beinahe ein Drittheil der ganzen Körperlänge ein, die kurzen, buschigen Ohren stehen straff aufwärts und sind in jeder Richtung leicht beweglich. Das kleine, cirkelrunde Auge mit dunkelbrauner Iris blinzt nur wenig unter den überhängenden Augenbrauen hervor.

Vom Nacken bis zur Mitte des Rückens erstreckt sich eine lockere Borstenmähne, welche im Affect emporgesträubt wird und namentlich beim männlichen Geschlecht (Keiler) sehr in’s Auge fällt. Ein zweiter, kürzerer Borstenschopf erhebt sich zu Anfang der abschüssigen Croupe und gibt der Rückenlinie des Wildschweins eine höchst charakteristische Form. Der Schwanz endigt in einen langen Zopf, hängt in der Ruhe gerade herab, ringelt sich etwas in der Bewegung und wird im Affect und auf der Flucht oft hoch emporgetragen.

Die Farbe ist im Allgemeinen ein dunkles Nußbraun mit Gelb und Grau stark melirt. Zur Winterzeit deckt den ganzen Leib eine dichte, graue Grundwolle, aus welcher die eigentlichen Borsten hervorragen. Letztere sind im Nacken oft über sechs Zoll lang, glänzend schwarz mit getheilter, gelbgrauer Spitze. Die Ohren, Beine und Schwanz sind jederzeit schwarz. Aeltere Exemplare dieser Wildgattung erscheinen oft hell, lehmfarbig oder mausefahl, am Kopf und Bart schön silbergrau gesprenkelt. – Die Jungen sind im ersten Sommer hell gelbgrau mit regelmäßigen, dunkelbraunen Längestreifen. Gefleckte Wildschweine entstehen durch Vermischung mit der zahmen Race.

Ein ausgewachsener Keiler mißt von der Schulter bis zum [365] Boden etwa 3 Fuß 2 Zoll, die ganze Länge bis zum Ansatz des Schweifes beträgt 5 Fuß 7–8 Zoll, der Kopf ist 20–21 Zoll, die Schwanzwurzel 11 Zoll lang. Das Gewicht beträgt zu Ende der Feistzeit nach Entfernung der Eingeweide (Aufbruch) oft an 250–300 Pfund. Viel stärker wird ein Wildschwein heutzutage nicht leicht, doch sind in frühern Zeiten Hauptschweine von vier Centnern eben keine Seltenheit gewesen. Die Bachen oder weiblichen Wildsauen werden selten so stark, und das im Park oder Gehege aufgewachsene Schwarzwild steht dem wild lebenden im Allgemeinen bedeutend nach.

Das Gebiß bringt unser Schwarzkittel vollständig mit auf die Welt und zwar in jedem Kiefer 6 Vorderzähne, 2 Eckzähne und an jeder Seite oben und unten 7 Backzähne. Die bekannten Eckzähne oder Hauer bleiben beim weiblichen Geschlecht kurz und führen den Namen: „Haken“; beim Keiler erreichen sie im höhern Alter oft eine bedeutende Länge und heißen in der Jägersprache „das Gewehr“ oder „Gewäff“, da sie die Wehr und Waffe des Thieres bilden.[1] Der eigentliche Hauer wurzelt im Unterkiefer, er ist dreiseitig, halbmondförmig gebogen und etwas nach hinten und auswärts gerichtet. Beim dreijährigen Keiler steht kaum ein Drittel des Hauers zu Tage, der untere stark gekrümmte Theil ist hohl und ruht in der soliden Knochenscheide des Unterkiefers. Der Hauer schließt und streift dicht vor dem im Oberkiefer befindlichen zweiten Eckzahn, welcher aus einem Fortsätze des Oberkieferbeins entspringend, sich ebenfalls aufwärts krümmt, wobei er der Wölbung des Rüssels folgt. Dieser obere Eckzahn ist rundlich, mit stumpfer Spitze und kurzer Wurzel, denn er bildet gewissermaßen nur den Wetzstein für den Hauer, welcher, beständig an ihm reibt. Durch dieses fortgesetzte „Wetzen“ ist die vordere Fläche des obern Eckzahns meist spiegelglatt abgeschliffen, die innern Kanten des Hauers aber oft messerscharf. Beim drei- und vierjährigen Keiler stehen die Hauer erst 2–3 Zoll hervor und sind noch ziemlich gerade, aber eben deshalb eine gefährliche Waffe. Derartige Keiler bezeichnet der Jäger wohl mit dem Namen: „Hundsschläger, Hosenflicker“, und ein alter Waidmannsspruch sagt mit Recht:

„Ein angehend Schwein macht zur Zeit
Witzige Hund’ und Jägersleut’!“

Im höhern Alter krümmt sich der stets wachsende Hauer oft so sehr, daß er, als Waffe betrachtet, geradezu untauglich wird. – Auch die obern Eckzähne krümmen sich mit den Jahren auffallend stark, und Referent hat ein Exemplar zu sehen Gelegenheit gehabt, wo die Spitzen der beiderseitigen Gewehre sich mitten auf dem Rüssel berührten.

Schädel des Wildschweins.

In der Jägersprache heißt das Wildschwein kurzweg Sau. Die Jungen nennt man bis zum ersten Lebensjahre Frischlinge, später Ueberläufer. Das Männchen heißt im dritten Jahre ein dreijähriger Keiler, im vierten ein angehendes Schwein, im fünften ein Schwein und später Hauptschwein, welchen Ehrentitel es alsdann zeitlebens behält. Das Weibchen heißt im dritten Jahre eine dreijährige, dann eine vierjährige und zuletzt eine grobe Bache. Man sagt überhaupt nicht: kleine und große, sondern: geringe und grobe Sauen. Der Rüssel wird das Gebräch genannt, die Furchen, welche sie mit demselben in’s Erdreich wühlen, aber das Gebreche. Die Ohren heißen Schüsseln oder Gehöre, die Haut Schwarte, der Schwanz Bürzel. Bei den Kinnbacken unterscheidet man Ober- und Unterwurf. Das Fett wird Feist, das Blut Schweiß, die Füße, wie bei allen jagdbaren Säugethieren, Läufe genannt. Die Hufe heißen Schalen, die kleinen Hinterzehen das Geäfter und der Abdruck des Fußes im weichen Boden oder Schnee die Fährte.

Zu den besonderen Eigenheiten der Sauen rechnen wir zunächst ihr offenbar schwaches Sehvermögen, dagegen sind Geruch und Gehör von wunderbarer Feinheit. Bei günstigem Wind und feuchtem Boden hält es aus obigem Grunde gar nicht schwer, einer Sau auf einer freien Waldblöße zu Nahen, dagegen ist das leiseste Geräusch, die geringste verdächtige „Witterung“ (Ausdünstung, Geruch) hinreichend, sie in Alarm zu bringen. Die aufmerksam gewordene Sau wendet alsdann sofort den Kopf nach der gefahrdrohenden Seite und sichert und windet mit erhobenem Gebräch und steifem Gehör, wobei von Zeit zu Zeit ein kurzer, schnaubender oder pfauchender Ton durch die Nüstern gestoßen wird. Sind mehrere Sauen beisammen, so stutzt auf diesen Ton sofort das ganze Rudel, und bald geht’s entweder in kurzem Trott oder in wilden Bogensätzen dahin.

Ein alter Jagdschriftsteller (v. Heppe) sagt: „Wenn die Sauen flüchtig fortstreichen, so geschieht dies in voller Furie und mit Brausen und Schäumen.“ In der That hat die plötzliche, unerwartete Flucht eines größern Rudels etwas Imposantes, und trotz des anscheinend plumpen Körperbaues sind die Bewegungen der aufgeregten Sau von rapider Schnelligkeit. Das häufige Suhlen in Pfützen, das Reiben an Baumstämmen und die Stimme hat die Wildsau mit der zahmen gemein. Doch hört man jenes bekannte, durchdringende Nothgeschrei nur von Jungen und Bachen; der Keiler wehrt sich stumm, unter Schäumen und Wetzen bis zum letzten Hauch. Grobe oder starke Sauen pflegen vor einzelen Hunden nicht leicht die Flucht zu ergreifen, sie lassen sich vom Hund „verbellen“ und gehen, wenn sie in die Enge getrieben werden, auf Menschen, Hunde, Pferde und was ihnen sonst im Wege stehen mag, unerschrocken los.

Das gewöhnliche Angriffsmanöver einer solchen „pressirten“ Sau besteht darin, den Gegner über den Haufen zu rennen. Selbst Frischlinge und Ueberläufer sieht man mitunter dies Experiment ausführen, was denn allerdings sehr viel Komisches hat. Der Keiler sucht bei diesem Anlauf seinem Feind einen Schlag mit dem Gewehr zu versetzen, zu welchem Zweck er den Unterkiefer etwas nach der entsprechenden Seite herausschiebt. – Durch einen Seitensprung weiß sich der Jäger in solchem Falle leicht zu helfen, denn der Keiler begnügt sich fast immer mit diesem einen Anlauf. Dagegen war Referent einst Augenzeuge, wie eine Bache, welche die Hunde „abgesetzt“ hatte, den ihr zunächst stehenden Jäger vier bis fünf Mal hintereinander attaquirte. Es dürfte überhaupt gefährlicher sein, durch eine Bache, als durch einen Keiler überrannt zu werden, denn letzterer kann, in Folge der nach oben gerichteten Hauer, einem platt am Boden liegenden Menschen wenig schaden; die Bache aber beißt und tritt den Gegenstand ihres Hasses mit Nachdruck und Ausdauer.

Glücklicherweise gehören derartige Unfälle heutzutage immer schon zu den Seltenheiten, und die Jäger von Fach wissen mit diesen ungehobelten Gästen leicht fertig zu werden. Die Wildsau ist phlegmatisch-cholerischen Temperaments und, so lange sie nicht zum Aeußersten gereizt wird, ein sehr friedfertiges Geschöpf, welches sich [366] weit eher und näher, als jedes andere Wild, dem Menschen anschließt. In kleineren Parks, wo das Schwarzwild geschont wird, legt es seine Wildheit oft mehr ab, als dem Eigenthümer lieb ist.

Ein drolliges Beispiel dieser Art verdient hier in Kürze erwähnt zu werden. Der Gutsbesitzer X…, welcher ein Dutzend Bachen und einen Keiler in einem Park ausgesetzt hat, tritt bald darauf eine Reise in’s Ausland an, von welcher er erst nach achtzehn Monaten zurückkehrt. – Der Parkwärter meldet dem Herrn, daß die Sauen sich inzwischen über alles Erwarten vermehrt haben, und einige Tage später fährt der Gutsbesitzer mit einer zahlreichen Jagdgesellschaft, mit Doppelbüchsen, Hirschfängern und großen Fangspießen bewaffnet, hinaus, um den Sauen recht häßlich mitzuspielen. Der Parkwärter ist zufällig abwesend, man beginnt daher auf eigene Hand die Suche; indessen wird eine Dickung nach der andern abgetrieben und durchkrochen, ohne daß eine einzige Sau vorkommt. – Der Boden ist mit Fährten wie besäet und die Jäger wundern sich billig, wo in aller Welt die Sauen heute stecken mögen. Endlich kommt der Parkwärter und meint, so viel Mühe hätte man nicht nöthig gehabt, denn die Sauen hätten sich ganz in der Nähe seiner Wohnung „eingekesselt“. Daselbst angelangt, läßt der Wärter den bekannten Ruf: „Komm Suh, Suh!“ ertönen, und gleich darauf trollt das ganze Rudel – unter einem alten Holzschuppen hervor und gruppirt sich ganz zutraulich um die erstaunte Jagdgesellschaft. Eine alte Bache war sogar so ungenirt, sich den Buckel an dem Schaft des Fangeisens zu reiben, auf welchen sich der Jagdherr kopfschüttelnd stützte!

Alles brach natürlich in homerisches Gelächter aus, und es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß Niemand Lust hatte, auf die harmlosen Sauen zu schießen.

[372] Jung aufgezogen, läßt sich die Sau ohne Schwierigkeit völlig zähmen, sie attachirt sich wie ein Hund an ihren Herrn und entwickelt eine merkwürdige Gelehrigkeit. Da ihre sonstigen Eigenschaften sie indeß nicht für den nähern Umgang empfehlen, sind derartige Cultivirungsversuche allerdings selten. In dem längst eingegangenen trefflichen Journal des Ober-Forstraths Hartig[2] findet sich die „Biographie eines Keilers“, aus welcher wir Folgendes beiläufig erwähnen: Ein Forstmann zu Ginzheim am Rhein hatte einen männlichen Frischling aufgezogen, der sich mit allen Hunden des Hauses auf’s Innigste befreundet hatte. Als sein Spielgefährte, ein Hühnerhund, starb, trauerte er mehrere Tage lang und mußte mit Gewalt abgehalten werden, ihn aus seiner Ruhestätte herauszuwühlen. Der Frischling wuchs zum Keiler heran und folgte seinem Herrn stundenweit auf der Fährte nach, wenn dieser ohne ihn ausgeritten war.

Sauen im Kessel.

[373] Später faßte der Keiler bei Zeiten Posto vor der Hausthüre, sobald er die geringste Anstalt zum Ausgehen oder Satteln bemerkte.

Er suchte mit den Hühnerhunden auf der Jagd einen Acker nach dem andern durch und folgte den Windhunden, bis der Hase gefangen war. Als sein Herr einer militairischen Beerdigungsfeierlichkeit in Mainz beiwohnen wollte, brach der Keiler aus und schwamm ihm durch den Rhein nach. Beim Abfeuern der Kanonen und Gewehre stand der Keiler ruhig neben seinem Herrn und kehrte andern Tags im Nachen mit ihm zurück. Nachdem der Keiler das zweite Jahr zurückgelegt hatte, wurde er, obwohl castrirt, übermüthig und richtete aus Langeweile vielfachen Unfug an. Unter Andern wollte er durchaus mit der alten Mama des Försters schäkern, allein dies geschah in so plumper Manier, daß er dieselbe eines Tages umwarf. Des lieben Hausfriedens wegen sah sich der Förster endlich genöthigt, den Keiler zu erschießen. Dies ging ihm aber so nahe, daß die Kugel den bezielten Fleck etwas verfehlte. Der Keiler wankte in den Garten und verendete auf der Grabstätte seines Jugendfreundes, des Hühnerhundes. Vier Tage nachher schickte Landgraf Ludwig VIII. einen Herrn von Firnhaber aus Darmstadt, um sich die Sau zu erbitten – allein es war zu spät, und der nachherige Oberförster erzählte diese Geschichte nie, ohne mit einiger Rührung hinzuzufügen, „daß er zu diesem Mord gezwungen worden sei!“

Streitende Keiler.

Mit Ausnahme der ältern, einsiedlerischen Keiler lebt das Wildschwein im Freien das ganze Jahr hindurch in größern oder kleinern Rudeln friedlich beisammen. Die Mitglieder einer solchen Gesellschaft halten im Fall der Noth treu zusammen, doch scheint es fast, als ob mit der zunehmenden Verfolgung der Sauen ihre Widersetzlichkeit abgenommen. So sieht man z. B. heutzutage nur noch höchst selten ein Rudel bei Annäherung der Hunde zusammentreten und, die Köpfe nach außen gerichtet, einen undurchdringlichen Kreis bilden, in dessen Mitte Frischlinge und Ueberläufer sich bergen.

Den Tag über liegen die Sauen in einer aufgewühlten Bodenvertiefung, dem sogenanntnn Kessel, dicht gedrängt beisammen und sie wissen alsdann die gegen Kälte empfindlichen Körpertheile sehr gut zu verstecken. Ein solches „eingekesseltes“ Rudel entwickelt eine enorme Hitze, und man sieht an kalten Wintertagen oft eine förmliche Dampfwolke über dem Kessel stehen. Die ältern Keiler machen sich ihr einsames Lager in Gestalt einer muldenförmigen Vertiefung und meist mit einem gewissen Comfort hinter einem Felsblock, Baumstamm etc. zurecht. Ist das Lager auf einer Waldblöße, so werfen sie das aufgewühlte Erdreich und Reisig oft lehnenförmig gegen die Wetterseite auf, füttern den Boden mit Laub und dergl.

Jäger auf der Kanzel.

Nach Sonnenuntergang erhebt sich die Sau vom Lager und trabt nach einigem „Sichern“ davon, um Nahrung zu suchen. Nach der Art und Weise, wie dies geschieht, unterscheidet der Jäger: das „Brechen“, wobei lange Furchen in’s Erdreich gewühlt werden, um zu der sogenannten „Erdmast“, den Engerlingen und andern in der Erde lebenden Insecten und ihren Larven, Würmern, den Wurzeln des Farnkrauts, Kümmels etc. zu gelangen. Nach Letztern graben die Sauen oft so tiefe Löcher, daß man sie in einiger Entfernung gar nicht sieht. Man unterscheidet ferner das „Mausen“ und „Wurmen“, wobei nur kleine Löcher gebrochen werden, das „Ueben“ oder Aufsuchen der abgefallnen Eckern und Bucheln, das „Fressen“ im Getreide, auf der Körnung, an eingegangenem Wild und auf den Kirrungsplätzen für Füchse. Aus dem Gesagten geht zunächst die Nützlichkeit der Wildsau für die Forstwirtschaft hervor, denn der Waldboden wird durch sie von schädlichem Ungeziefer gründlich gereinigt, und man pflegt sogar in Forstrevieren, wo kein Schwarzwild vorhanden, mitunter zahme Schweine zu diesem Zweck in den Wald zu treiben. Durch das Umbrechen wird der Boden überdem lockerer und für atmosphärische Einflüsse empfänglicher gemacht, und in den Furchen keimt später gar manches Pflänzchen, welches auf der hohen Laubdecke des Waldbodens nicht wurzeln könnte.

Das wäre nun Alles sehr gut und anerkennungswerth, allein unser Schwarzwild hat leider keinen Begriff von den verschiedenen Forstabtheilungen und Hauungsplänen. Es beschränkt seine Thätigkeit nicht blos auf den Hochwald, sondern besucht auch mitunter die Samenschläge und Pflanzkämpe, wo es durch Umwerfen der zarten Pflanzen viel Unheil anrichtet. Noch schlimmer ist’s, wenn ein ganzes Rudel sich darauf capricirt hat, die an den Wald grenzenden Aecker zu besuchen oder eine Wiese umzupflügen. Da müssen denn die Wildhirten das Ihrige thun, um die ungebetenen Gäste zurückzuhalten und ihnen ihren Standpunkt klar zu machen. Es bedarf daher kaum der Erwähnung, daß Sauen in Gegenden, wo die „Oekonomie“ vorherrscht, nicht wohl im Freien zu halten sind.

Die eigentliche Mast oder Feistzeit der Sauen beginnt Mitte September und endet mit Eintritt des Winters. In Jahren, wo Bucheln und Eckern gerathen sind, legen die Sauen in dieser Zeit oft einen Zoll hoch Feist am „Brustkern“ (Brustbein) auf. Außer dem Waldobst bietet ihnen der Herbst die Schwämme, Morcheln, Trüffeln, Rüben und Kartoffeln. Wie bei allen Säugethieren, erwacht [374] auch bei den Sauen zu Ende der Feistzeit der Fortpflanzungstrieb, und es beginnt nun die sogenannte Roll- oder Rauschzeit des Schwarzwildes. Der bis dahin einsam lebende Keiler tritt nun wieder zum Rudel, um dessen Besitz oft grimmige Kämpfe unter den verschiedenen Bewerbern entstehen. Die streitenden Keiler beobachten bei ihren Zweikämpfen eine höchst originelle Methode. Sie legen sich nämlich unter Schäumen und Zähneklappen mit den Schultern gegen einander und versetzen sich wüthende Schläge mit den Hauern. Wer’s am längsten aushält, ist Sieger. Man sagt, daß sie die erhaltenen Wunden durch Reiben an harzigen Fichtenstämmen curiren, und wirklich findet man mitunter Sauen, welche ein förmliches Harzschild auf den Blättern tragen. Daß aber derartige „Panzerschweine“ kugelfest seien, ist eine Fabel. – Während der Dauer der Rollzeit hat der Keiler einen unangenehmen, süßlichen Geruch, der sich sogar dem Fleisch (Wildpret) mittheilt.

An Orten,wo wenig Sauen vorhanden, macht der Keiler in der Rollzeit oft weite Wanderungen, um Bachen aufzusuchen. In Ermangelung besserer Gesellschaft gesellt er sich dann mitunter sogar zu den zahmen Schweinen, welche im Walde gehütet werden. Hartig führt sogar ein Beispiel an, wo ein Keiler sich so weit vergaß, daß er Abends mit der zahmen Heerde in den im Wald erbauten Stall ging. Die aus derartigen Mesalliancen entsprungenen Bastarde haben indeß für den Viehzüchter wenig Werth, da sie zu unruhiger Natur sind, welches bekanntlich die Fettbildung sehr beeinträchtigt. Referent sah einst einen Wurf derartiger Bastarde: die kleinen Dinger arbeiteten und hüpften den ganzen Tag an den Wänden des Stalles umher, um einen Ausweg zu suchen, und frisch geschüttetes Stroh war in Folge der unausgesetzten Bewegung in einer Viertelstunde zu Heckerling zertreten.

Einige Wochen nach der Rollzeit ziehen sich die alten Keiler wieder vom Rudel zurück. Die tragende Bache verläßt dasselbe zu Anfang Frühjahrs und „frischt“ in der Regel 5–6, mitunter an 10 Junge, welche Frischlinge genannt werden und in ihrem „bunten Rock“ gar drollige Dinger sind. Schon nach einigen Tagen läuft die kleine Gesellschaft mit der Mutter davon, die sie durch leises Grunzen lockt und zusammenhält. Bei dem geringsten Anschein von Gefahr drücken sich die flinken, buntgestreiften Thierchen platt an den Boden, die Bache sucht den Feind von den Frischlingen fortzuleiten und vertheidigt dieselben nöchigenfalls auf’s Aeußerste. Die Vermehrung der Sauen ist im Durchschnitt nicht so bedeutend, als man nach der Anzahl der Jungen glauben sollte. Zu Anfang des Winters gehen, besonders in eingezäunten Revieren, viele Frischlinge an der Bräune zu Grunde, und im Freien mag der schlaue Reineke die Wachsamkeit der Bache auch oft genug zu täuschen. – Bekannt ist der Vorfall, wo ein Fuchs mehrere Tage hintereinander einen Frischling raubte und jedesmal damit einen Felsblock oder schrägstehenden Baum erkletterte, um sich vor der Bache zu schützen.

Um das Fortwandern der Sauen in der Rollzeit zu verhindern und um fremde Gäste anzulocken, pflegt der sorgliche Jäger schon zu Anfang der Rollzeit jeden Abend etwas Korn oder Eicheln auf den sogenannten Körnungplätzen auszustreuen. Im Park körnt man schon aus dem Grunde, weil der nun einbrechende Winter den Sauen die Mahlzeiten arg verkürzt. Um die Eicheln, welche im Herbst in großen Quantitäten gesammelt wurden, frisch zu erhalten, werden sie in geräumige Gruben geschüttet und unter Wasser gesetzt. Da die ältern Sauen die Frischlinge gern vom Körnungsplatze verdrängen, so wird für letztere ein besonderer Platz eingezäunt, welcher so kleine Eingangslöcher erhält, daß die stärkern Sauen nicht hindurch können. In den meisten Parks müssen die Sauen, mit Ausnahme der drei Herbstmonate, das ganze Jahr hindurch gut gekörnt werden, was allerdings ziemlich kostspielig wird. Auch im Freien ist dies, wenn auch in weit geringerm Grade, meist nöthig, um die Sauen an das Revier zu gewöhnen und von den Feldern abzuhalten.

Neben dem Körnungsplatze befindet sich fast immer die sogenannte „Kanzel“, ein in der Nähe zwischen Bäumen angebrachter Stand oder Sitz, von welchem der Jäger, ohne von den Sauen bemerkt zu werden, die Häupter seiner Pfleglinge zählen und die nöthigen Beobachtungen über ihren Gesundheitszustand etc. machen kann. An schönen, windstillen Abenden ist es in der That ungemein interessant, das Treiben der Sauen von einer solchen Kanzel aus der Vogelperspektive zu beobachten. Da die Sauen im Freien indeß erst mit Einbruch der Dunkelheit die Körnung anzunehmen pflegen, so thut man besser, eine Kanzel im Park zu besuchen, welche hier auch in der Regel bequemer eingerichtet und mit weniger halsbrechenden Stiegen versehen sind, als im Freien.

Die Fußspur oder „Fährte“ der Wildsau unterscheidet sich von der des zahmen Schweines so wenig, daß viel Uebung erforderlich ist, sie richtig „anzusprechen“. Ebenso kann die Fährte eines alten Keilers beim ersten Anblick mit der Fährte einen geringen Hirsches leicht verwechselt werden, doch verräth sich erstere bald durch den kürzern Schritt, durch den Mangel der Fußballen und durch die weit abstehenden Hinterzehen oder das „Geäfter“. – Daher lautet der alte Waidspruch:

„Mein lieber Waidmann, mit Lust und Freuden,
Wie thust Du den edeln Hirsch von der Sau unterscheiden?
Bei hartem Boden absonderlich?
Thu mir das sagen, ich bitte Dich.“

„Der edle Hirsch zeigt in der Fährte Ballen, die Sau hingegen nit.
Auch hat die Sau ein gar vil kürtzern Schritt.
Ob sie an stumpfen Schalen oft einander gleichen,
Die Sau thut nimmermehr des edeln Hirsches Zeichen.“

Es bleibt uns nun noch übrig, des Nutzens zu erwähnen, welchen die erlegte Wildsau gewährt. Da ist zuerst die unverwüstliche Haut oder Schwarte, welche rauh die vortrefflichsten Fußmatten gibt und außerdem durch Sattler und Kürschner vielfache Verwendung findet. Enthaart und gegerbt gibt die Schwarte das feinste englische Sattelleder, welches durch die regelmäßig zu drei und vier zusammenstehenden kleinen Grübchen auf der Oberfläche leicht von Surrogaten zu unterscheiden ist. Die Borsten sind von Schuh- und Bürstenmachern gleich gesucht. Die Hauptsache aber bleibt das Fleisch oder „Wildpret“, dessen Werth schon die antike Welt zu schätzen wußte. – Die zahlreichen Sauheerden der alten Griechen gehörtet sicher der wilden Stammrace an, und von diesem Standpunkte aus gewinnt der „göttliche Sauhirt“ eine ganz andere Bedeutung. Es war eine Art Wildmeister, der mit Fangspieß und zottigen Hetzhunden das Gehege überwachte, „wo hauerbewaffnete Eber unter dem hohlen Geklüft sich gestreckt, im Schirme des Nordwinds.“ Sei dem, wie ihm sei; jedenfalls entwickelte Odysseus beim „langausreichenden Rücken des weißzahnigen Schweines“ einen sehr gesegneten Appetit. – Die römischen Gourmands beobachteten schon bei der Tödtung der Wildschweine eine an’s Grausame grenzende Raffinerie, um den Wohlgeschmack des Wildprets zu erhöhen. Unter den verschiedenen Zubereitungsarten nennen wir nur das „porcus trojanus“. Es war dies ein feister Frischling, dessen Inneres mit allerlei kleinen Thieren und scharfem Gewürz – als Anspielung auf das trojanische Roß – gefüllt war. Der Kopf des Wildschweins aber prangt noch heutzutage als Schaugericht, besonders auf englischen Tafeln. Er wird zu diesem Zweck mittelst eines glühenden Eisens seiner Haare beraubt und kohlschwarz gesengt. Nach der Zubereitung sehen wir ihn dann mit Arabesken von buntfarbigen Geleestreifen verziert, mit grünem Lorbeer garnirt, und selten fehlt die obligate Citrone zwischen den weißen Hauern. Das ist der Humor der Kochkunst. – Als besondere Delicatesse gilt der „Schweinskopf à la Tartare“, einfach gekocht und nach dem Erkalten mit einer pikanten, heißen Rothweinsauce servirt. Wir für unsern Theil ziehen ein saftiges Frischlingsziemer oder das Brustrippenstück eines Ueberläufers dem tartarisirten Kopf eines in der Regel zur Rollzeit erlegten alten Keilers vor. Das Wildpret der älteren Wildsauen ist, frisch zubereitet, oft sehr hart, man läßt es daher gern so lange an freier Luft hängen, bis es den ersten Anflug von Haut-gout erhalten.

Nachdem wir somit das Schwarzwild in naturgeschichtlicher, ökonomischer und gastronomischer Hinsicht gründlich betrachtet haben, können wir zu dem interessantern jagdlichen Thema übergehen.





  1. In der Kirkdaler Höhle und im Kalksinter und Tuff Schwedens hat man Ueberreste vom urweltlichen Schwein (S. priscus) mit beinahe fußlangen Hauern gefunden.
  2. Hartig. Journal für das Forst-, Jagd- und Fischereiwesen zur nützlichen und angenehmen Unterhaltung, herausgegeben v. G. L. Hartig. 1806, Nr. 27, Seite 545.