J. v. Döllinger †
[272] J. v. Döllinger †. Am 10. Jan. 1890 starb zu München Joh. Jos. Ignaz v. Döllinger. Er war am 28. Febr. 1799 zu Bamberg geboren, wo sein Vater, ein berühmter Anatom und Physiolog, Prof. d. Med. an der fürstbischöfl. Univ. war. Nach ihrer Aufhebung wurde derselbe 1803 an die Würzburger Hochschule versetzt. Dort besuchte D. das Gymn. und die Univ., an welcher er sich theolog., philos. und hist. Studien widmete. Am 22. Apr. 1822 empfing er in Bamberg die Priesterweihe, wurde in Landshut Doctor d. Th. und wirkte dann kurze Zeit als Caplan in der Mittelfränk. Stadt Markt-Scheinfeld. 1823 wurde er am Lyceum zu Aschaffenburg Prof. f. Kirchen-G. u. Kirchenrecht, 1826, bei der Verlegung der Landshuter Universität nach München, hier ao. und 1827 ord. Prof. d. Kirchen-G., welche er, später auch Vorlesungen über Relig.-Philosophie u. [273] neuere G. hinzufügend, bis 1871 vortrug. 1845 trat er als Vertreter der Univ. in die Baier. Kammer, wurde wegen der Lola Montez-Händel seiner Professur und damit der Kammermitgliedschaft entsetzt, indess gleichzeitig zum Propst des Colleg.-Stiftes S. Cajetan in München ernannt. 1848–49 sass er als einer der Führer der kathol. Fraction im Parlament zu Frankfurt. Nach der Rückkehr von dort erhielt er seine Professur zurück. Schon 1835 war er zum ao., 1843 zum ord. Mitgliede der Münchener Ak. d. Wiss. erwählt worden; 1861 wurde er Secretär der hist. Classe, 1873 Präsident der Ak., 1868 Mitglied des Baier. Reichsrathes, 1848 resp. 1865 theolog. u. philosoph. Ehrendoctor v. Prag resp. Wien, 1870 Ehrenmitglied d. Wiener Akademie.
Mit ungewöhnlicher Arbeitskraft, unersättlichem Wissensdurste, wunderbarem, bis ins höchste Alter ungeschwächtem Gedächtnisse und grossem Sprachentalent ausgestattet, erwarb D. ein beispiellos umfassendes und vielseitiges Wissen. Er verwerthete dasselbe zunächst zur Vertheidigung der kathol. Tradition gegen die rational.-protest. Theologenschule (in den Werken: „Die Eucharistie in den 3 ersten Jhh.“ 1826, „Handbuch d. neueren Kirchen-G.“ 1828, „G. d. christlichen Kirche“ 1833, „Lehrbuch der Kirchen-G.“ 1835) und zur Bekämpfung des Protestantismus (in dem Buche: „Die Reformation“ 1846–48 und der Schrift: „Luther, eine Skizze“ 1851). Gleichzeitig stritt er, wie in der Schrift: „Ueber gemischte Ehen“ 1838, so auch als Abgeordneter und als Theilnehmer an Bischofs-Conferenzen und „Gen.-Versammlungen der kath. Vereine Deutschlands“ für die Unabhängigkeit der Kirchen überhaupt und der katholischen insbesondere gegenüber der Staatsgewalt. Lediglich dem K. Ludwig I. zu Gefallen schrieb er 1843: „Der Protestantismus in Baiern und die Kniebeugungsfrage“. In seiner übrigen Thätigkeit beeinflusste ihn der Kreis, der sich um Görres gebildet hatte. Mit dessen Auflösung zog sich D. von den kirchlich-polit. Kämpfen zurück. Er setzte sich nun als Lebensaufgabe das Ziel, die G. des Christenthums als der höchsten religiös-sittlichen Culturerscheinung zu schreiben. War einer solchen Absicht schon 1838 das Werk: „Muhamed’s Religion nach ihrer inn. Entwicklung u. ihrem Einflusse auf d. Leben d. Völker“ entsprungen, so zeitigte sie jetzt die Werke: „Hippolytus u. Kallistus“ 1853, „Heidenthum a. Judenthum als Vorhalle z. Christenthum“ 1857 und „Christenthum u. Kirche in der Zeit der Grundlegung“ 1860.
Diesem Schaffen entriss ihn der Streit, worein er mit den Ultramontanen und Rom durch seine „Odeonsvorträge“ über die Entbehrlichkeit des Kirchenstaates gerieth. Zu seiner Rechtfertigung schrieb er: „Kirche und Kirchen, Papstthum und Kirchenstaat“ 1861. Den Ultramontanismus aber suchte er durch Gründung eines kath. Gelehrtenvereins zurückzudämmen. Als jene misslang, veranlasste er die Entstehung des Bonner „Theol. Lit.blattes“, beschränkte sich aber selbst überwiegend auf seine Forschungen. Die „Papstfabeln“ 1863 waren die einzige grössere Schrift, die er im nächsten J.zehnt herausgab. Sonst veröffentlichte er nur Aufsätze, welche mit seiner erwählten Lebensaufgabe zusammenhingen, oder Gelegenheits-Reden, wie 1864 die auf K. Maximilian II. und 1867 die über „Die Universitäten sonst und jetzt“, worin er im Gegensatz zum Ultramontanismus [274] Bedeutung und Aufgaben der Dt. Wissenschaft schilderte. Erst das Vatic. Concil veranlasste ihn wieder zu nachdrücklicher Theilnahme an den Kämpfen in seiner Kirche, und so entstanden neben anderem: „Der Papst und d. Concil, v. Janus“ 1869 und die „Röm. Briefe v. Concil, v. Quirinus“ 1870. Der Dogmatisirung der päpstl. Unfehlbarkeit u. des päpstl. Universalepiscopates versagte D. standhaft die Unterwerfung und wurde daher am 28. März 1871 excommunicirt. Nun suchte er die Rettung des Christenthums, wie es ihm vorschwebte, durch die Vereinigung der anglik., griech. u. altkath. Kirchen zu sichern und veranlasste die „Unionsconferenzen“, welche unter seiner Betheiligung 1874–76 in Bonn stattfanden. Als er sah, dass seine Bestrebungen zum mindesten vorläufig einen durchschlagenden Erfolg nicht gewinnen könnten, wandte er seine ganze Kraft wieder wissensch. Arbeiten zu. Aus diesen erwuchsen zahlreiche Reden, welche mit älteren und mit Nekrologen 1888 in zwei Bänden: „Akad. Vorträge“ erschienen. Ausserdem gab er heraus: „Sammlung von Urkk. z. G. des Concils von Trient“, Bd. I, 1876, u. „Beitrr. z. polit., kirchl. u. Cultur-G. der letzten 6 Jhh.“, 3 Bände, 1862–82, sowie mit Prof. H. Reusch gemeinsam: „Die Selbstbiogr. des Card. Bellarmin“ 1887, „G. d. Moralstreitigkeiten in d. Röm.-kath. Kirche“ u. „Beitrr. z. Secten-G.“ 1889. Seine seit 1888 gehaltenen akad. Reden, darunter eine über die G. der relig. Freiheit und die jüngste über die Aufhebung des Templerordens, sind noch nicht gedruckt. In rastloser Arbeit befiel ihn die Grippe, an deren Folgen er starb. F. Stieve