Italienisches Theater (Das Ausland, 1828)

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Titel: Italienisches Theater
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aus: Das Ausland, Nr. 114 S. 453-455
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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Italienisches Theater.


Kein Jahr vergeht, wo nicht in Italien aus jeder Gattung der Literatur mehr als ein bemerkenswerthes Werk erschiene; aber selten findet auch nur eine Notiz davon den Weg über die Alpen. Den größten Theil der Schuld glauben wir den italienischen Journalen beimessen zu müssen, die – gleich unsern deutschen – fast nie anders von einer neuen literarischen Erscheinung sprechen, als daß sie bei Gelegenheit derselben die unvorgreiflichen Meinungen des Recensenten über dieß und das, was ihm gerade einfällt, debitiren; ohne dem Leser, der das Buch noch nicht kennt, nur im geringsten einen Begriff davon zu geben. Selten haben wir einen Artikel in der Biblioteca Italiana, dem Giornale di Treviso, der Antologia di Firenze oder irgend einem andern italienischen Blatte gelesen, der uns Lust gemacht hätte, das darin beurtheilte Werk näher kennen zu lernen; und fast immer fanden wir uns, wenn der Zufall uns dieses selbst in die Hände spielte, durch unsere neue Bekanntschaft auf das angenehmste überrascht.

Im allgemeinen läßt sich indessen nicht läugnen, daß der in Italien verbreitete Fond von Bildung und Wissenschaft mit dem literarischen Markte, den man als das Resultat desselben ansieht, in keinem Verhältniß steht. Als die Hauptursache, weshalb so wenige der Männer, die zu Stimmführern ihres Vaterlandes berufen wären, sich vernehmen lassen, sieht man gewöhnlich die Unterdrückung an, die jeden freien Ausdruck des Gedankens zurückdränge, und fast allgemein wird die Schuld davon der Politik des österreichischen Gouvernements beigemessen. Weit entfernt uns zu Lobrednern aller Maßregeln desselben aufzuwerfen, halten wir es doch für unsere Pflicht, das Publikum auf den Ungrund offenbar unbilliger Verunglimpfungen aufmerksam zu machen. Um den Widerstand nicht zu erwähnen, der von dem österreichischen Cabinet beständig den Anmaßungen der Hierarchie in Italien entgegengesetzt worden ist, dürfen wir zur Widerlegung jenes Vorwurfes nur die unzweifelhafte Thatsache anführen, daß in Mailand, der Hauptstadt des lombardisch-venetianischen Königreiches, allein mehr Werke gedruckt werden, als im ganzen übrigen Italien zusammen genommen; und daß namentlich Florenz, wo eine größere Preßfreiheit besteht, als in dem bedeutendsten Theil von Deutschland, und wo seit langer Zeit die liberalsten Gesinnungen herrschend sind, sich in Beziehung auf literarische Thätigkeit und buchhändlerische Betriebsamkeit auf keine Weise mit Mailand, ja kaum mit Venedig vergleichen kann.

Vielleicht würde ein Florentiner uns erwiedern, daß nicht die Masse, sondern der Werth der literarischen Erscheinungen den Maßstab zur Beurtheilung der Literatur eines Ortes geben sollte; und wir können nicht läugnen, daß wir allerdings derselben Meinung sind. Nur sind auch in dieser Rücksicht allein zwei Namen, wie die eines Manzoni und Monti zu gewichtig, als daß wir hoffen dürften, daß die Wagschale sich zu Gunsten Toscana’s neigen würde.

Diesen beiden Heroen der italienischen Literatur – kann Florenz nur seinen Niccolini entgegenstellen, welcher indessen einen bisher nur auf Italien beschränkten Ruhm mehr seinen ästhetischen Abhandlungen, als seinen poetischen Versuchen verdankte. Die Tragödien Polyxena, Oedipus, und Ino und Themisto, vor mehreren Jahren geschrieben – sind regelmäßige und magre Nachahmungen der Alten, in schönen, harmonischen Versen, die aber schwerlich irgend wo, außer bei den blindesten Verehrern der sogenannten classischen Schule, Interesse erregt haben. Vor kurzem hat Niccolini es indessen gewagt, die alte Heerstraße zu verlassen, und, wenn auch nicht geradezu auf die Seite der Romantiker überzugehen, doch einen Mittelweg einzuschlagen, auf dem er zwar die bekannten „Einheiten“ nicht aufgibt, jedoch die Wahl des Stoffes nicht mehr auf das classische Alterthum und die Behandlung desselben nicht mehr auf die steifen Formen des alten conventionellen Theaterceremoniels beschränkt. Wer vorschnellen Hoffnungen Raum geben wollte, würde vielleicht in dem enthusiastischen Beifall, den im v. J. Niccolinis „Foscarini“ in Florenz fand, den Anbruch einer neuen Aera der Literatur, oder wenigstens des Theaters in Toscana voraussehen; uns scheint indeß gerade dieser Versuch, die romantische und die classische Schule zu versöhnen, – oder vielmehr die Nothwendigkeit eines solchen Versuches – einen neuen Beweis dafür zu geben, wieweit Florenz ungeachtet des Schutzes, den es den liberalen Meinungen in der Politik verleiht, von dem Zeitpuncte entfernt ist, wo es die Fesseln pedantischer Vorurtheile im Gebiete der Literatur brechen sollte.

Die Begebenheiten, die Niccolini zum Gegenstande seiner Tragödie gewählt hat, trugen sich in der Hälfte des siebenzehnten Jahrhunderts zu, kurz nach der Entdeckung [454] von Bedamars berüchtigter Verschwörung. Um diese Zeit hatte der Senat von Venedig ein Gesetz erlassen, welches allen Patriciern bei Todesstrafe verbot, in Verbindung mit einem fremden Gesandten zu stehen, oder auch nur die Schwelle desselben zu betreten. Nicht lange darauf ward Antonio Foscarini, der Sohn des regierenden Dogen, im Palaste des spanischen Gesandten entdeckt; der wurde hingerichtet im Jahr 1622. In dem Schauspiel ist dieser Foscarini ein rascher feuriger Jüngling, eben von einer Sendung an die Schweizer Republiken zurückgekehrt, und voll von den Ideen der Freiheit und Unabhängigkeit, die er auf den freien Alpen eingesogen hat, spricht er – in seiner ersten Zusammenkunft mit seinem Vater – seinen Haß gegen den Depotismus des Rathes der Zehn, und seinen Abscheu vor dem neuen Gesetz aus, ob dieß auch durch die Furcht vor den spanischen Intriguen und die Erinnerung an die Gefahr, der Venedig eben erst entgangen ist, gerechtfertigt werden möge. Er wird, gleichsam damit das Maß seiner Unzufriedenheit voll werde, durch den Dogen unterrichet, daß Teresa Navagero, seine Verlobte, während seiner Abwesenheit, von ihrem Vater überredet worden ist, sich mit Contarini, einem der drei Staatsinquisitoren, zu vermählen. Dieser Mann ist ein Feind des jungen Foscarini, wie Loredano, der zweite Inquisitor, des Dogen, der im Senate sich bitter gegen ihn geäußert hat. Bald bietet sich beiden eine Gelegenheit zur Rache dar. – Foscarini fährt des Abends in seiner Gondel zu dem Palazzo Contarini und singt unter Teresas Fenstern ein Lied das jetzt bereits, von Palleschi componirt, in einem Theil von Italien zum Volkslied geworden ist:

quando da te lontano,
Perfida, io volsi il piede,
Segno d’eterna fede
La bella man mi dié.
Mirai tremando il volto,
Di bel colore asperso,
E tutto l’ universo
Disparve allor da me.
  Als ich von dir, Treulose,
Mich in die Ferne wandte
Bot ew’ger Treue Pfande
Die schöne rechte mir.
Ich seh, zitternd, von Rosen
Dein Antlitz übergossen
Und alles war zerflossen
Wie Nebel da vor mir.
Mille parole intesi
Che ti dettaro amore,
E quel che senti il core
E il labbro non può dir.
„Jo sarò tua,“ dicesti
E il mio costante affetto
Sol fuggirà dal petto
Coll’ ultimo sospir.
  Ich hörte tausend Worte
Voll süßer Liebesschmerzen
Und was sich fühlt im Herzen,
Und stets der Mund verschweigt.
„Ich will die deine werden;
Ich bin dir treu ergeben,“
So sprachst du, bis das Leben
Aus dieser Hülle weicht.“

Teresa erkennt seine Stimme, sie fühlt den Vorwurf, der in den Worten des Liedes liegt; sie fürchtet für das Leben Foscarini’s, den ihr Gemahl haßt, und beschließt, Foscarini in den Garten zu führen, wo sie ihm die Umstände erzählt, die sie zur ihrer Heirath zwangen, und ihn beschwört, Venedig zu verlassen. Schon ist Foscarini halb überredet, ihrer Bitte zu folgen, als Contarini mit zahlreichen Dienern und Fackeln kommt, und ihm den Rückweg durch das Haus abschneidet. Weniger besorgt ums sein Leben, als um die Ehre seiner Geliebten, entflieht Foscarini in den benachbarten Palast, obwohl Teresa ihn gewarnt hat, daß es der des spanischen Gesandten sey. Statt sich darin verborgen zu halten, versucht er in der Verzweiflung sich zu ermorden; er feuert eine Pistole auf seine Brust ab, und verräth sich dadurch selbst. Er wird verwundet gefunden, in das Gefängniß geführt, von den Drei über die Veranlassung befragt, die ihn verleitete, das Gesetz zu übertreten; aber er schweigt, um Teresa nicht bloß zu stellen. Der Doge wird darauf berufen, um seinen Sohn zu verhören; da er auch gegen diesen hartnäckig bleibt, so wird das Todesurtheil gegen ihn, als einen Verräther der Republik gesprochen. In diesem Augenblick kommt ein Bote, um den Inquisitoren zu berichten, daß ein Aufstand ausgebrochen sey, und das Volk laut Foscarini’s Befreiung fordere. Un tumulto in Venegia? fragt Loredano mit kalter Verachtung, und nicht aus der Fassung gebracht, dringt er darauf, jetzt das Urtheil auf der Stelle zu vollziehen. „Ihr mögt zittern, sagt er zu seinem feigen Collegen Contarini; ich stehe nicht auf von meinem Richterstuhl. Ewige Schande dem, der seinen Posten verläßt!“ Das Getümmel läßt nach und ein Weib stürzt, von Kopf bis zu Fuß verhüllt, in den Saal. Es ist Teresa, sie entdeckt ihre frühere Liebe zu Foscarini, und ihre letzte Zusammenkunft mit ihm, welche ihn zwang, das Verbot zu übertreten. Das Geheimniß ist jetzt aufgeklärt: „Der Unschuldige ist gerettet,“ ruft sie aus. Da zieht ihr Gemahl einen schwarzen Vorhang am Ende des Saales hinweg, und man erblickt hinter demselben den leblosen Leichnam Foscarinis. Sie ersticht sich. – Ein berühmter italienischer Gelehrter Mustoridi, hat Niccolini den Tacitus der Poesie genannt; mit größerem Recht könnte man vielleicht seine Tragödie einer Landschaft vergleichen, worin eine düstere Felsengegend den Hintergrund bildet, während wir im Vordergrunde eine anmuthige Familienscene erblicken. Das härteste Gemüth muß ergriffen werden, wenn Teresa – nachdem sie stolz die Umarmungen des Geliebten zurückgewiesen hat: ich bin Teresa Contarini – um sein Leben zu retten, das er für ihre Ehre opfern will, ausruft: „mit meinem Busen will ich dich bedecken: ohne Erröthen umarme ich dich.“ ((io del [455] mio seno – coprir ti vo’: senzo rossor t’abbraccio.) – Die hohe sittliche Begeisterung, die das ganze Gedicht durchweht, können wir nicht besser bezeichnen, als mit den schönen Worten, die der Verfasser zum Motto für dasselbe wählte, und die wir in der That als den Probierstein betrachten können, an welchem das Gold jeder Tragödie geprüft werden sollte:

Summum crede nefas, vitam praeferre pudori
Et propter vitam vivendi perdere causas!