Instinct oder Ueberlegung (Die Gartenlaube 1869/12)
[193] Instinct oder Ueberlegung. Vor Jahren besaß ich ein hübsches
Exemplar der kleinen langhaarigen Wachtelhund-Race, das sich durch auffallende
Klugheit vor vielen seines Geschlechts auszeichnete. Trouvé, so
hieß mein Hund, konnte – wie jeder andere – nie der Verlockung widerstehen,
wenn er einen Igel fand, stets von neuem mißlungene Versuche
anzustellen denselben zu fassen und todtzubeißen. Eines Tages hatte er
mich, wie gewöhnlich, auf meinem Gange in’s Bad begleitet, als er im
Walde am Meeresufer wieder einen Igel fand, der sich sofort beim ersten
Angriff zusammenkugelte. Trouvé’s Versuche, ihn zu fassen, blieben natürlich
auch dieses mal erfolglos, und eine geraume Zeit zerstach er sich an
dem Igel ganz nutz- und witzlos das Maul. Dann aber ließ er plötzlich
von ihm ab und beobachtete ihn eine Zeit lang ohne zu bellen, hoffend,
daß der Igel sich strecken würde. Als dieser aber gar keine Anstalten
machte, seine vortheilhafte Stellung aufzugeben, begann Trouvé von allen
Seiten mit den Vorderpfoten trockenes Laub zusammen zu scharren und
dasselbe auf seinen Feind zu häufen. Er setzte diese Arbeit so lange fort,
bis der Igel hoch mit Blättern bedeckt war; darauf faßte er ihn mit
großer Gemüthsruhe und trug ihn wedelnd, und sich nach mir mit Befriedigung
umsehend, in’s Wasser, wo er ihn fallen ließ. Natürlich beeilte
sich der Igel wieder an’s Land zu schwimmen; kaum aber erschien der kleine
Kopf über dem Wasser, so machte Trouvé mit wohlangebrachtem Biß dem
Igel den Garaus, trug ihn an’s Land und legte mir sein Opfer triumphirend
und mit den lebhaftesten Aeußerungen der Freude zu Füßen. C. v. R.